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Die Zukunft der Menschheit

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Hält der geistige, charakterliche Fortschritt der Menschheit mit dem technischen Schritt? Ist nur der Einzelmensch oder auch die Gesellschaft vervollkommnungsfähig? Diese Fragen bewegen die Geister seit Menschengedenken. Der bekannte österreichische Publizist Otto Schulmeister hat in einem Essay über politischen Utopismus meditiert und kommt zu dem Schluß: ,£ukunft ist nur menschlich, wenn die Zeit endet.“ Der christliche Naturwissenschaftler und Weltdenker Pierre Teilhard de Chardin glaubte fest an den Fortschritt auch der Gesellschaft. Beide Beiträge sollen zu eigenem Überdenken anregen.

Sucht der Rationalismus mit dem Licht der Vernunft alles auszuleuchten, so hat schon die Romantik dagegen das Recht des Geheimnisses, des Dunkels, des Unbewußten verteidigt. Durchschaut denn die Vernunft etwa sich selbst? Was an ihr Erkenntnis-, was Herrschaftswille ist? Der Mensch ist ein gemischtes Wesen, Herz und Verstand, Bewußtes und Unbewußtes machen ihn gleichermaßen aus. „Das Herz hat seine Gründe, die die Vernunft nicht kennt“, dessen Erkennen ist nur ein anderes. Beide Erkenntnisweisen zusammen halten die Waage im Gleichgewicht, den Geist in der „condition humaine“.

Das alles sei nur konservative Einrede, erwidert der Rationalismus. Doch noch im 19. Jahrhundert wird dieses Unbewußte, Mythische, Emotionelle gegen ihn zu Hilfe gerufen. Konnte der Appell an das Gefühl, die Beschwörung von Geschichte, Volkstum oder Rasse die Massen, nicht ebenso mobilisieren (und immunisieren) wie utopische Rationalität? Bachofen war ein Gelehrter, Nietzsche ein Denker, was aber von Maurras und Sorel bis Mussolini und Hitler mit Massenparteien ins Feld gestellt wurde, war politische „Gegenaufklärung“.

Bemerkenswerterweise traf sie sich mit dem Feind von links im gleichen Monismus der Weltanschauung, da wie dort ein Machtwille, da wie dort ein Feind, da wie dort ein Kampf des Lichtes mit der Finsternis. Ob die politische „Mythologie“ damit am Ende ist? Die Rationalisierung der Zivilisation begleiten immer neue Ausbrüche des Irrationalen, neuerdings wieder mit Gewalt und „direkter Aktion“. Und wie sehr das Unbewußte auch im technisierten Alltag, kaum noch bemerkt, weiter seine Rolle spielt, daran erinnert die „Mythisierung“ bestimmter Begriffe, die damit auch jeder Kritik entzogen werden, etwa „sozial“, „Wachstum“, „Demokratie“, „Vollbeschäftigung“,

„Sachzwang“, „Marktwirtschaft“ usw... Was bleibt dann von solchem Rückblick? Pessimismus?

Die Geschichtlichkeit dieser Wahrheit - Fanfarenstoß zu „Entmy-thologisierungen“ aller Art - erbringt am Ende nur wieder die Wahrheit der Geschichtlichkeit. Die Unvollend-barkeit des Menschen aus sich selbst und in der Zeit, das ist es, was ein auf zwei Jahrhunderte zusammengedrängter Fortschritt demonstriert: Er entläßt den Menschen im Spiegelkabinett seiner selbst. Sich und seine Welt hat der homo faber in alle Bestandteile auseinandergenommen, sie hegen vor ihm wie die zergliederte Puppe vor dem Kind. Doch wie alles zu allem gehört, was es im Innersten zusammenhält, davon weiß er so wenig (oder so viel) wie vorher.

War dieses phantastisch-heroische Kapitel deshalb vergeblich? Hat es dem Menschen und seinem Fortschritt nichts eingebracht? Zieht der Weg über die Wanderdünen der Weltgeschichte etwa weiter, als ob nichts geschehen wäre?

„Gott ist jünger als alle“, schreibt einmal Augustinus. Vielleicht, daß diese Jugendlichkeit ansteckt und dem Fortschrittsoptimismus die Wiedergeburt der Hoffnung folgen läßt. Denn diese Hoffnung war beim Utopismus nicht dabei, sie richtet sich ja auf das Unverfügbare, eben nur zu Erhoffende.

„Es scheint nicht schwer, die menschliche Geschichte selbst in einer Zeit universeller Chancengleichheit, einer Zeit der sozialen und ökonomischen Schicksalslosigkeit, dennoch und wiederum als Leidensgeschichte zu imaginieren; es bleibt nämlich, ja tritt womöglich erst jetzt richtig hervor, jener inwendig fressende Nihilismus der Kreatur, die Verzweiflung, die Langeweile, die .Melancholie der Erfüllung', wie es E. Bloch genannt hat.“

Die politische Theologie, für die hier plädiert wird, versteht sich selbst als Reaktion auf ein Christentum, das weithin verdrängt hat, daß die Welt in der letzten Zeit lebt. Das „Schon“ der Erlösung und Heimholung des Men-

schen in der Auferstehung Christi bedeutet zugleich das „Noch nicht“ der Auferstehung des Christen in via, unterwegs für seine Lebensspanne. In dieser Spannung zwischen „Schon“ und „Noch nicht“ besteht die Unwiderruflichkeit des jüngsten und letzten Tages.

Inwieweit diese politische Theologie mit ihrer gesellschaftskritischen Funktion im Grunde die eigene Säkularisierung zu überholen sucht und das himmlische Jerusalem ganz im Sinn eines spätjüdischen Messia-nismus zur Sache revolutionären Engagements machen oder auf diese Weise dem Christentum nur den eschatologischen Stachel wieder an-

setzen, es nicht mehr als „Privatsache“ dulden will, darüber geht der Streit.

Auch die Theologie ist von Intel-lektualisierung und modernistischem Gerede heimgesucht, in der Thematisierung könnte sich indes anderes ankündigen. Das hätte dann weniger mit dem Tag, der sich neigt, und dem Dunstkreis des Utopismus als mit dem Horizont einer Zukunft zu tun, die als Zeitlichkeit sich wiederfindet.

Diese Zukunft ist eben nicht Unaufhörlichkeit der Zeit, ganz im Gegenteil, sie ist Abbruch, ihre Aufhebung in einem Gott-alles-in-allem: Apokalypse, Offenbarung der einzigen Wirklichkeit. Das christliche Paradoxon heißt also: Zukunft ist nur menschlich, wenn die Zeit endet.

Aus dem Abgrund dieser historisch gewordenen Erfahrung mit der „schlechten Unendlichkeit“ wird sich die Hoffnung erheben. Der Utopismus, die Revolution, die Emanzipation haben sich erschöpft, gehen in bloße Anpassung über, die Hoffnung aber ist unermüdlich, unermüdbar, denn ihr Blick geht über die Zeit hinaus. In diesem Transzendieren wird die Hoffnung die Grundbeziehung des Wesens, das Mensch heißt, wieder erkennen lassen.

Schlußteil aus: DIE ERSCHÖPFTE REVOLUTION. Von Otto Schulmeister. Edition Interform Zürich, S. 57 ff.

Das entmutigende Schauspiel der zerstreuten menschlichen Masse!... Ein wimmelnder Ameisenhaufen von Elementen, deren sichtbarste Eigenschaft (trotz gewisser begrenzter Fälle tiefer Affinität: das Ehepaar, die Familie, das Team, das Vaterland) zu sein scheint, sich - sowohl von Individuum zu Individuum wie von Gruppe zu Gruppe - gegenseitig zurückzustoßen...

Und dennoch in der Tiefe unseres Geistes und unseres Herzens die Uberzeugung, daß es anders sein könnte; die Gewißheit, daß ein solches Chaos, eine solche Unordnung letztlich „widernatürlich“ sind, insofern sie die Verwirklichung einer An-

Ordnung verhindern oder verzögern, die die menschlichen Kräfte des Denkens, Fühlens und Tuns beinahe bis ins Unendliche vervielfachen würde!

Wirklich, ist die Lage hoffnungslos? Oder können wir nicht im Gegenteil an gewissen positiven Anzeichen, trotz allzu großen gegenteiligen Anscheins, erkennen, daß die Menschheit als Ganzes nicht nur einmütigbar, sondern tatsächlich auf dem Wege wirklicher Einmütigung ist?

Mit anderen Worten: Sollten nicht zufällig gewisse in der Erfahrung bereits definierbare und spürbare pla-netare Energien im Spiel sein, die unbezwinglich dahin streben (so unglaublich das scheinen mag), die bestürzende Vielzahl von Milliarden denkender Bewußtheiten einander näherzubringen und in sich zu organisieren, die die „reflektierte Schicht“ der Erde bilden?

Daß es solche Energien wirklich gibt - das möchte ich hier aufzeigen. Zunächst Energien der Kompression, die durch äußere und innere Determinismen zu einer ersten Stufe erzwungener Einswerdung führen. Und dann Energien der Anziehung, die durch das Wirken innerer Affinitäten eine wirkliche freie und gutzuheißende Einmütigung vollenden...

Biologisch gesprochen entwickelt sich die menschliche zoologische Gruppe auf geschlossener Oberfläche. Oder genauer (da die praktisch zur Sättigung der Kontinente gelangte Bevölkerung der Welt, weit davon entfernt zum Stillstand zu

kommen, gerade dahin strebt, sich immer stärker zu vermehren): Diese menschliche Gruppe verhält sich, als ob sie auf einer sich ständig zusammenziehenden Erde wachse: was dazu führt, sie einer immer heftigeren Zusammendrängung in sich selbst zu unterwerfen.

Das erste Ergebnis dieser furchtbaren ethnischen Kompression ist offensichtlich, daß sie unbezwinglich die Körper nähert. Doch diese Verdichtung des menschlichen Stoffes, so materiell sie auch in ihren Ursprüngen ist, hat tiefgreifende Folgen für die Seelen. Denn um vital, „bequem“, auf den um sie herum steigenden Druck zu antworten - um zu überleben und um gut zu leben -, reagiert die Vielzahl der denkenden Wesen auf natürliche Weise, indem sie sich wirtschaftlich und technisch bestmöglich organisiert.

Das zwingt sie, automatisch immer neue Entwürfe mechanischer Ausrüstung und sozialer Organisation zu erfinden. Mit anderen Worten, es zwingt sie, zu reflektieren. Und das führt sie schließlich dahin, sich um einen Grad mehr in sich zu reflektieren- also das überzuentwickeln, was am spezifischsten und höchsten menschlich in ihr ist...

Längs der eben entdeckten und beschriebenen „humanisierenden Kette“ verwandelt sich der Geist, der zunächst als ein „Mittel“ in Erscheinung trat, um der planetaren Kompression zu begegnen und zu widerstehen, alsbald automatisch zum „Existenzgrund“. Zunächst denken, um zu überleben, dann leben, um zu denken: das erweist sich als das grundlegende Gesetz der Anthropo-genese.

Doch nachdem der Denkvorgang einmal ausgelöst ist, zeigt er ein außerordentliches Vermögen, sich gleich einem Organismus fortzusetzen und auszudehnen, den, -nachdem er einmal entstanden.ist, nichts mehr davon, abhalten kartft, zu wachsen, sich auszubreiten und alles mit seinem Netz zu umgeben. Nichts - die ganze Geschichte beweist das -, nichts hat jemals eine Idee daran hindern können, zu wachsen, sich mitzuteilen und schließlich universal zu werden.

Das psychische reflektierte Müieu, in das wir eingetaucht sind, ist von Natur aus so eingerichtet, daß wir in ihm nicht fortbestehen können, ohne uns einander zu nähern und ohne uns gegenseitig zu unterstützen. Als ob all unser individuelles Sich-Empor-schwingen zu mehr Wahrheit im Innern einer geschlossenen geistigen „Kuppel“ abliefe, deren Wände unsere Intelligenzen unerbittlich einander näherbringen!

Alts: Teilhard de Chardin, AUSWAHLAUS DEM WERK. Fischer-Bücherei, S. 146 ff.

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