7034241-1989_42_10.jpg
Digital In Arbeit

Zur Technik berufen?

Werbung
Werbung
Werbung

Erst mit der Neuzeit kommt es zur Ausbildung einer Rationalität, mit der sich der Mensch der Erschließung der ihm empirisch vorgegebenen Wirklichkeit methodisch zuwendet, um so den Bedingungen zur vollen Entfaltung seiner Daseinschancen auf die Spur zu kommen. Die Welt, die er sich damit zu schaffen vermochte, stellt alles bisher Erreichte in den Schatten.

Worin die Ursprünge dieser Wende im einzelnen auch immer zu sehen sein mögen, sie weisen letztlich auf das biblische Menschen- und Weltverständnis selbst zurück. Es liegt nun einmal auf der Hand, daß ein Glaube, der die Welt als eine Schöpfung, als Werk Gottes begreift

und darin den Menschen von vornherein als Bild dieses Schöpfergottes versteht, ein derartiges Weltverhältnis - wie es die Neuzeit dann methodisch einzulösen begann -geschichtlich überhaupt erst möglich gemacht hat.

Es läßt sich nicht leugnen, daß dieses, auf ständige Ausweitung seiner Einsichts- und Könnensbestände ausgelegte Kultursystem zugleich eine eminent expansive Kraft entwickelt. Zu seiner Verbreitung bedarf es keiner Missionare. Keine überkommene Kultur vermag sich auf die Dauer seinem Sog zu entziehen. Hier gewinnt offenbar ein neues Lebensgefühl Raum, das sich auf tuende Grenzen nicht als Begrenzung, sondern als Herausforderung zu ihrer Überwindung erfährt. Der Glaube an die unbeendbaren Möglichkeiten des technischen Erfindungsgeistes des Menschen erweist sich als konstitutives Moment des neuzeitlichen Fortschrittsglaubens selbst.

Damit erscheint freilich der Glaube an den Fortschritt der Menschheit an eine Form des Umgangs mit Wirklichkeit zurückgebunden, die ihre Effizienz gerade der Selektivir tat ihres Vorgehens verdankt, nämlich dem Aufknüpfen des unendlich komplexen Gewebes dieser Wirklichkeit nach vielfältigen Methoden und der Nutzung darin erkannter Gesetzmäßigkeiten für selbstgesetzte Zwecke. Gerade das kann diesen Fortschrittsglauben dann aber gegebenenfalls in sein Gegenteil umschlagen lassen: sobald die den technischen Nutzungsverfahren inhärenten und vorher vernachlässigten Nebenwirkungen und Risiken gegenüber dem erstrebten positiven Effekt zu überwiegen drohen. Die an den Fortschritt der Technik geknüpften Hoffnungen verwandeln sich in Unsicherheit und Angst. Technikfeindlichkeit und Fortschrittspessimismus scheinen plötzlich für manchen zur moralischen Pflicht zu werden.

Auf diesem Hintergrund kann es denn auch nicht erstaunen, wenn Kritiker der neuzeitlichen Entwicklung, wie etwa Carl Amery, in ihrer Absage an die technisch-wissenschaftliche Kultur und ihre Folgen zugleich auch den Geist ihres Ursprungs vor das Tribunal ziehen: eben jenes Weltverhältnis, wie es sich jüdisch-christlichem Glauben eröffnet - um dieses dann um so

leichter für alle Verirrungen und Fehlleistungen der Neuzeit verantwortlich zu machen. Tatsächlich wird jedoch in solchen Ableitungen biblisches Menschen- und Weltverständnis in geradezu abenteuerlicher Weise verzeichnet. Was hier vom Menschen bleibt, reduziert sich auf dessen Befähigung zu bindungsloser Ausübung instrumenteller Vernunft. Gerade darin aber verfehlt er seine Bestimmung als Bild Gottes.

Nachdem die Entwicklung dieser modernen Industriekultur schon seit zweihundert Jahren andauert, ist es nun freilich verwunderlich, daß ihre vielfältigen und zum Teil durchaus gravierenden, sozial wie ökologisch negativen Nebenfolgen erst in den letzten Jahren ins allgemeine Bewußtsein getreten sind und von vielen zunehmend als Bedrohung empfunden werden. Die ungeheure Faszination, die lange von den überraschenden und stürmischen Fortschritten der Technik ausging, ließ diese Nebenfolgen kaum in den Blick treten.

Dabei bleibt grundsätzlich festzuhalten, daß ein unterschiedsloses „Zurückfahren“ von Technik keinen verantwortbaren Weg darstellen kann, um die anstehenden Probleme zu lösen. Der Mensch kann und darf sich nicht mehr aus den Verantwortungen entlassen, die sich ihm im Gang neuzeitlicher Vernunft- und Freiheitsgeschichte er-

öffnet und auferlegt haben. Für fünf Milliarden Menschen gibt es keine ökologischen Nischen.

Ziel der durch den Zuwachs an rationaler Technik fortschreitend veränderten menschlichen Arbeit ist die fortschreitende Erschließung der uns verfügbaren Welt in all ihren Möglichkeiten. Aber eben - und von hier nimmt die ganze Problematik ihren Ausgang - in ihren Möglichkeiten. Die Tatsache, daß die Natur zurückschlägt, wo der Boden ihrer Bedingungen preisgegeben, wo ihre Ökologie zerstört und ihre Ressourcen geplündert werden, zeigt an, daß sich auf die Dauer kein Fortschritt auszahlt, der gegen das Strukturgefüge der Natur verläuft. Auf eine ethische Bestimmung gebracht bedeutetdies: Als Fortschritt

kann nur bezeichnet werden, was von den Bedingungen der Natur mitgetragen wird.

Dies muß sich nicht notwendig auf jede einzelne Lebensform beziehen, die die Natur hervorgebracht hat. Das Aussterben von Arten beginnt nicht erst mit dem Auftreten des Menschen. Der Konflikt ist durchaus in die Schöpfung einprogrammiert und erweist sich als wesentliche Antriebskraft ihrer Evolution. Was aber zählt, ist der Verbund der jeweiligen Lebensformen im Reichtum ihrer Erscheinungen, ihre Stimmigkeit in der gegebenen und sich immer neu formierenden Vielfalt. Menschliche Vernunft ist die Vernunft einer Natur, die in ihrem ebenso gewaltigen wie versehrbaren Potential nur in dem Maß verfügbar bleibt, als der Mensch respektiert, daß sie nicht darin aufgeht, allein für den Menschen dazusein. Der Natur kommt ein Überhang an Eigenbedeutung zu. Insofern bleibt es der menschlichen Vernunft grundsätzlich verwehrt, die Möglichkeiten ihres Könnens ungefragt zum Richtmaß ihres Dürfens zu machen.

Damit aber ist der Konflikt einprogrammiert. Eine schlechthin konfliktfreie Allianz zwischen Ökonomie und Ökologie kann es im Prinzip nicht geben. Dies wiederum läßt dann freilich manchen angesichts tatsächlich gegebener, zum Teil gewiß verheerender Mißgriffe und Fehlentwicklungen zu dem Schluß kommen, daß technologischer Fortschritt und Umweltzerstörung in einem notwendigen inneren, gar proportional bestimmbaren Zusammenhang stünden, so daß der Weg zur Heilung und damit zum Überleben des Ganzen nur über ein „Zurück zur Natur“ gehen könne.

Dem aber steht der Tatbestand der Selbstaufgegebenheit des Menschen grundsätzlich entgegen. Der Mensch ist nicht, wie alle übrigen Lebewesen, in die Natur eingepaßt. Um zum Stand seines Menschseins zu gelangen, muß er die Bedingungen hierzu, und darin in einem wesentlichen Sinn sich selbst, aus der ihn umgreifenden Natur herausarbeiten. Das aber kann nicht als Mangel angesehen werden, sondern begründet gerade die Einzigartigkeit und Größe seiner Stellung im Kosmos. Insofern stellt also die damit notwendig verbundene und durch die rationale Technik in

umfassendem Sinn möglich gewordene Umstrukturierung der Natur auf ihn hin auch unter einem kos-misch-evolutiven Blickpunkt dem Grundansatz nach keineswegs ein Übel dar. Vielmehr treibt auch die Natur selbst darin über sich hinaus.

Gefordert ist die Fortentwicklung von Verantwortung und moralischer Kompetenz, die Fähigkeit zu Risikowahrnehmung und Risikobewertung, zu genauer Erfassung des Vertretbaren und Möglichen. Wo es daran mangelt, muß emotionalisier-te Kritik geradezu erwartet werden. Emotionalisierte Kritik aber entwickelt ihr eigenes moralisches Pathos und ihre eigene Vernunft. In ihrer Argumentation ist sie eher abwägungsfeindlich. Sie tendiert mit einem hohen Maß an Eigendynamik zum Grundsätzlichen, Bekenntnishaften. An die Stelle von

Sachfragen treten Prinzipienfragen. Angesichts der sie bedrängenden, ins Existentielle gerückten Ängste beeindruckt der Verweis auf demokratische Spielregeln am Ende kaum. Genau hier ist zugleich jene Grenzlinie erreicht, an der Toleranz schwierig wird.

Wenn man mich fragt, was mir den Grund für die Überzeugung gibt, daß es zu einer solchen Fundamentalpolarisierung nicht notwendig kommen muß, so kann ich nur darauf verweisen, daß es sich bei allen hier virulenten Konfliktstoffen, die die technische Entwicklungmit sich gebracht hat und wahrscheinlich auch in Zukunft weiter mit sich bringen wird, nicht um Mysterien handelt, sondern um durchaus aufklärbare und darin konsensfähige Sach- und Entscheidungszusammenhänge. Auf dies hin muß die ganze Diskussion abgestellt werden.

Gerade deshalb erscheint es mir von grundlegender Bedeutung, daß wir endlich über jene sich heute breitmachende, alles lähmende Vorstellung hinausgelangen, als ob

wir uns mit dem Eintritt in die Welt der Technik in einer bloßen Welt der Übel bewegten. Homo faber ist kein Irrläufer der menschlichen Evolution. Technik gehört zum Wesen des Menschen. Der Mensch paßt sich der Umwelt nicht nur an, sondern gestaltet sie. Insofern ist Technik eine genuine, artspezifische Eigenschaft des Menschen, „deren fortwährende Anwendung und Weiterentwicklung anhalten zu wollen genauso unsinnig wäre, wie einem Vogel das Fliegen zu verbieten“. In ihr schafft sich das „Bedürfnissystem Menschheit“ seine instrumen-telle Form. Dem korrespondiert ethisch die „regulative Idee Menschenwürde“ und bleibt ihr als humanisierendes Prinzip zuzuordnen. Das Subjekt der instrumentel-len Vernunft ist seiner Natur nach ein moralisches Subjekt. Die instru-mentelle Vernunft muß sich sonach als Vollzugsweise der Vernunft des moralischen Subjekts Mensch qualifizieren. Wo dies nicht geleistet wird, brechen jene Diskrepanzen auf, denen wir uns heute konfrontiert sehen. Die unbewältigten Nebenfolgen des technischen Fortschritts in bezug auf Umwelt, Arbeitswelt, Konsumwelt und Beziehungswelt sind nicht nur physische, sondern moralische Übel.

Um zu sachgerechtem Umgang mit unseren technischen Möglichkeiten zu gelangen, bedarf es keiner prinzipiell neuen Ethik. Der Mensch ist von Natur verantwortungs- und sittlichkeitsfähig. Er ist seinem Wesen nach moralisches Subjekt. Die These, daß er einer ethischen Steuerung des von ihm in Gang gesetzten technischen Fortschritts gar nicht fähig sei, ist ebenso falsch wie gefährlich. Zwischen moralischer und technischer Vernunft des Menschen klafft kein evolutionsgeschichtlich bedingter, unüberbrückbarer Abgrund. Der Mensch hat durchaus die Kompetenz, moralisch verantwortbar mit dem umzugehen, was er instrumenteil kann. Dies zu leisten gehört zur Größe seiner Bestimmung.

Stark gekürzt aus: „Stimmen der Zeit“, 4/ 1989. Der Autor ist Vorstand des Instituts für Moraltheologie und christliche Sozialethik der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung