Einander in eine größere Welt ziehen

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Die Integration naturwissenschaftlicher Perspektiven in den Glauben ist nicht immer leicht, aber möglich. Und notwendig.

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Die Integration naturwissenschaftlicher Perspektiven in den Glauben ist nicht immer leicht, aber möglich. Und notwendig.

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Wie beeinflußt wissenschaftliche Erkenntnis über die Natur und das Universum den Glauben an und die Perspektiven über Gott, die Welt und uns selbst?

Die einen meinen, daß diese naturwissenschaftliche Erkenntnis den Glauben unterminiert und zu radikalem Zweifel bis hin zum Unglauben führt: derartige Ansicht bedingt gleichzeitig, daß sogar weithin akzeptierte wissenschaftliche Konzepte wie jenes über die Evolution, das anscheinend im Konflikt mit dem Glauben steht, zurückgewiesen werden. Die anderen erfahren hingegen eine Bereicherung und Stärkung ihres Glaubens und ihres Sinns für das Wirken Gottes im Universum.

Warum reagieren die Menschen so unterschiedlich auf das, was die Naturwissenschaften enthüllen? Drei Faktoren haben großen Einfluß darauf, ob wir die naturwissenschaftlichen Perspektiven in den Glauben integrieren können oder nicht.

Gottesbild, Weltbild Der erste dieser Faktoren betrifft das persönliche Gottesbild, die persönliche Vorstellung, wie Gott in der Welt handelt oder handeln sollte, wie Gott sich selbst in den Schriften geoffenbart hat, in der Natur ebenso wie in der persönlichen und in der gemeinsamen Geschichte und Erfahrung. Dazu kommt die Frage, ob uns klar ist, wie sehr das Verständnis von Gott, von göttlichem Handeln und göttlicher Offenbarung steigen, wenn wir suchen, beten und nachdenken. Wer nicht fähig oder zu akzeptieren bereit ist, daß Gott größer ist als jede Vorstellung oder jedes Gottesbild, daß also Gott weit darüber hinaus handelt, was Menschen gegenwärtig empfangen - selbst durch zufällige Ereignisse oder durch Leiden und Tod - kann den Glauben mit unserem immer noch knospenden Verständnis der Natur nicht in Einklang bringen.

Gott ist ein Wort, das niemals einfangen kann, wer Gott wirklich ist. Es kann auch nie beschreiben, auf welche Weise Gott wirklich in der Natur und in der Geschichte wirkt und anwesend ist. Gott geht immer darüber hinaus (und sollte darüber hinausgehen), was wir begreifen können. Zum christlichen Verständnis von Gott kommt zusätzlich die wesentliche Überzeugung hinzu, daß sich Gott ganz und gar in Leben, Tod und Auferstehung Jesu Christi geoffenbart hat. Das treibt die Christen schon über die Grenzen jedes adäquaten Verständnisses hinaus: Wer kann die sich selbstaufopfernde Liebe, die völlige Hingabe und die unbedingte Treue einer anderen Person gegenüber wirklich völlig verstehen?

Das zweite Hindernis für die Integration von Glauben und wissenschaftlicher Erkenntnis hängt mit dem ersten zusammen. Es handelt sich dabei um das tiefsitzende Unbehagen über die alles durchdringende Brüchigkeit und Vergänglichkeit von allem, was existiert und von Schmerz, Tod und Verfall begleitet ist: Wenn es Gott gibt, wie kann er diese Dinge zulassen? Wie können sie Teil der Schöpfungsvorgänge sein? Diese Fragen sind die Fragen Hiobs.

Doch auf diese Fragen gibt es keine Antworten, außer was durch sie und in ihnen geoffenbart wird - im Leben und in der existentiellen Ganzheit, in der Hoffnung und in der Wahrheit, welche irgendwie einen Sinn in diesen befremdlichen Unzulänglichkeiten andeuten und vielleicht sogar ein Reich des Lebens. Gott ist auf irgendeine Weise anwesend, er handelt auch im Leiden und im Tod, er erlöst davon und wandelt sie zum Leben. Alles ist zur Verwesung und zum Verfall bestimmt - und dennoch: Im Sterben und in der Auflösung von allem liegen neues Leben, neue Möglichkeiten, zukünftige evolutionäre Entwicklungen begründet.

Das Geheimnis von Leben und Tod ist tief eingebrannt - sowohl in die Natur als auch in die persönliche Erfahrung der Menschen. Das eigene Sich-Einlassen, die großzügige Liebe und Treue, um andere Menschen zu retten, wie sie Jesus vorlebte, und wie sie im eigenen und im gemeinschaftlichen Leben zu finden sein sollten, sind starke Zeichen für Transzendenz und Unsterblichkeit.

Wissen, verschieden Der letzte Faktor, der sich nach meiner Überzeugung auf den Einfluß naturwissenschaftlicher Erkenntnis für den Glauben eminent auswirkt, ist unser Verständnis von Erkenntnisformen außerhalb der Naturwissenschaften: Für den, der davon überzeugt ist, daß es außerhalb der Naturwissenschaften kein gültiges Erkennen und Verstehen gibt, gibt es auch nichts, was von einem anderen Gesichtspunkt oder aus anderer Erfahrung aus erkannt oder verstanden werden kann. Religiöser Glaube ist dann beinahe unmöglich - jedenfalls als Quelle irgendeiner Wahrheit und irgendwelches Verständnisses.

Ebensolches gilt dann für alle Versuche, den Glauben mit dem naturwissenschaftlichen Verständnis der Wirklichkeit in Einklang zu bringen. Tatsächlich jedoch gibt es viele Dinge, die wir wissen und erkennen - und von dessen Wissen und Erkenntnis wir stark abhängen -, die nicht auf Naturwissenschaftliches aufbauen.

Da gibt es das Wissen des gesunden Menschenverstandes, das wir über uns selbst und die Welt um uns haben und über die Menschen, die für unser Leben wichtig sind - jene Menschen, die wir lieben, und denen wir vertrauen -, sowie über die Ereignisse, Menschen und Dinge, die dem Leben Sinn, Bedeutung und Orientierung geben.

Von Gut und Böse Daneben gibt es auch das Wissen darüber, was gut und was böse, was schön und was häßlich ist, was uns persönlich und was uns als Gemeinschaft erfüllt, und was uns nicht erfüllt. Wissen und Verständnis, das von den Naturwissenschaften her kommt, kann dabei helfen, richtige Einschätzungen zu treffen, aber die Kriterien, nach denen wir dies tun, und die Daten, auf die wir uns stützen, um zu diesen Beurteilungen zu kommen, gehen normalerweise weit darüber hinaus, was die Naturwissenschaften bereitzustellen imstande sind.

Wir wissen sehr gut um die Begrenztheit unseres Verständnisses und unserer Erkenntnis auf den meisten Gebieten Bescheid. In ähnlicher Weise sind die Begrenzungen der Naturwissenschaften vor Augen zu halten und die Grenzen der Erkenntnis und des Verständnisses, die diese liefern können. Die Naturwissenschaften sind bemerkenswert fruchtbar und ermöglichen, praktisch alles zu erkennen und zu verstehen, was mit den einzelnen Prozessen, Zusammenhängen und Strukturen zu tun hat, welche die physikalische, chemische und biologische Wirklichkeit auf jeder Ebene charakterisieren. So viel, daß wir fähig sind, dieses Wissen und Verstehen zu nutzen - um Flugzeuge zu bauen; um via Radio, Fernsehen und E-mail miteinander zu kommunizieren; um natürliche Ressourcen für Energie und Nahrung anzuzapfen; um ein riesiges Sortiment aller möglichen Waren zu produzieren; um Verletzungen und Krankheiten jedweder Art zu behandeln ...

Aber die Naturwissenschaften sind nicht imstande, aus sich selbst heraus die letzten Antworten zu geben oder dem Leben Sinn, Orientierung und ein Zentrum anzubieten. Und sie sind offenkundig auch nicht imstande, die Grundlage für ethische und moralische Einsicht zu liefern oder Leitlinien für die persönlichen und sozialen Dimensionen des Lebens vorzuzeichnen. Die Naturwissenschaften wurden nicht entwickelt, um diese Aspekte des Lebens und der Erfahrung abzudecken - sie halten sich vielmehr von all diesen Fragen systematisch fern.

Auch können die Naturwissenschaften nicht erhellen, warum etwas und nicht nichts existiert, oder warum es eine Ordnung gibt und nicht vollständige Unordnung. Weiters sind sie nicht imstande, sich mit dem Speziellen und dem Einzelnen auseinanderzusetzen - einzelne Ereignisse, Menschen, Situationen, Beziehungen. Sie können sich mit dem Einzelnen nur insofern auseinandersetzen, als sie dieses unter allgemeine Gesetzmäßigkeiten oder Prinzipien subsumieren. Aber es sind das Spezielle und das Einzelne - in deren jeweiliger Besonderheit - welche dem Leben der Menschen Sinn und Orientierung geben.

Universum, wunderbar Die menschlichen Entdeckungen mittels Astronomie, Physik, Chemie und Biologie haben ein gewaltiges, wunderbar komplexes und dynamisches Universum enthüllt, das in vielerlei Weise auf das Entstehen von Leben und Bewußtsein abgestimmt zu sein scheint. Dieses Universum besteht aus Hunderten Milliarden von Galaxien, jede davon wiederum aufgebaut aus Hunderten Milliarden von Sternen wie unsere eigene Sonne. Jedes Sternensystem ist im Wesen ein eigenes evolutionäres Experiment. In zumindest einem dieser Systeme haben sich Leben und Bewußtsein entwickelt. In wievielen anderen ist dies auch geschehen? Wir wissen das heute nicht.

Die Natur wurde von Gott mit einer erstaunlichen funktionalen Vollständigkeit und Autonomie ausgestattet - radikal und endgültig von Gott abhängig in bezug auf ihre Existenz und ihre Ordnung, aber frei in ihren gottgegebenen Triebkräften und Gesetzmäßigkeiten, um sie zu erforschen und all ihr Potential zu entdecken. Die Natur zeigt auch eine starke Tendenz zu grundlegenden Beziehungen untereinander, die zu völlig neuen Existenzen und Organismen führen - von Atomen und Molekülen, die zusammengeführt das Wunder einer Zelle ergeben, bis zu Menschen, die zueinander in Wechselwirkung treten, sodaß Gesellschaften und Kulturen entstehen, die ihrerseits danach verlangen, was transzendent und was letztgültig ist.

Schließlich enthüllen die Naturwissenschaften die tiefe Verbundenheit von allem, was existiert: Wir Menschen existieren wegen der Sterne, welche die chemischen Elemente hervorgebracht haben, aus denen wir bestehen. Und die Nukleinsäuren unserer DNA, die Aminosäuren, die unser Eiweiß aufbauen, und der genetische Code, der sie verbindet, teilen wir Menschen mit allen Lebewesen auf dieser Erde - von der Amöbe bis zum Elefanten. Der Gott solch eines Universums muß viel größer sein - noch viel außernatürlicher und gleichzeitig viel innernatürlicher - als der kleine Gott, den Menschen sich so häufig vorstellen.

Einklang mit Glauben Wenn wir radikal offen sind für das Geheimnis im Herzen der Dinge, und wenn wir demütig anerkennen, daß das Universum Geheimnisse enthält, die weit darüber hinausgehen, was Menschen je vollständig erschließen und in Modelle fassen werden - selbst mit den mächtigen und großartigen Werkzeugen der Naturwissenschaften -, werden wir entdecken, wie sehr die Naturwissenschaften mit dem Glauben in Einklang stehen. Die Konflikte, die zwischen beiden entstanden sind, waren niemals grundsätzlicher Natur. Sie traten dann auf, wenn eine der beiden - die Naturwissenschaft oder die Religion - die ihnen je innewohnenden Begrenzungen überschritten hatten.

Tatsächlich ist es im Lichte der hier angestellten Überlegungen klar, daß die kulturelle Wechselwirkung zwischen Naturwissenschaft und Religion zu einer wechselseitigen Befruchtung führen kann. Sie kann auch dazu beitragen, daß sowohl Religion als auch Wissenschaft mehr zum Eigenen kommen - im Erkennen des je eigenen Potentials und im gleichzeitigen Respektieren sowohl der eigenen Begrenzungen als auch der ergänzenden Stärke des anderen. Genauso, wie Papst Johannes Paul II. in einem Schreiben im Jahr 1988 beobachtete: "Die (Natur-)Wissenschaft kann die Religion von Irrtum und Aberglauben reinigen; die Religion kann die Wissenschaft von Götzendienst und falschen Verabsolutierungen reinigen. Die eine kann die andere in eine größere Welt ziehen, eine Welt, in der beide gedeihen können."

Aus dem Amerikanischen von Otto Friedrich.

ZUM AUTOR Jesuit & Astrophysiker William R. Stoeger wurde 1943 in Kalifornien geboren. 1961 trat er in den Jesuitenorden ein (Priesterweihe: 1972). Neben Theologie und Philosophie studierte er Physik und Mathematik; seine Dissertation in Astrophysik schrieb er 1979 an der Universität Cambridge in England. Seit 1979 gehört er zum Forscherstab an der Vatikanischen Sternwarte in Phoenix/Arizona. Neben seinen naturwissenschaftlichen Arbeiten (u. a.: Schwarze Löcher, Theorie der Schwerkraft) setzt er sich seit Jahren mit dem Verhältnis von Naturwissenschaft und Glauben auseinander.

BÜCHER ZUM THEMA Spannende Auseinandersetzung Alexandre Ganoczy, emeritierter katholischer Dogmatiker in Würzburg, nahm 1997 einen vom verstorbenen Aachener Bischof Klaus Hemmerle initiierten Lehrstuhl für Interdisziplinäre Fragen an der Technischen Hochschule Aachen wahr. Seine Vorlesungsreihe über Naturwissenschaften und Glauben liegt auch als Buch vor: "Unendliche Weiten ..." bietet eine spannende Auseinandersetzung mit den Welt- und Denkbildern beider Systeme - christlicher Glaube und Naturwissenschaft. In Form von Analogien versucht Ganoczy darzulegen, daß Naturwissenschaft und Glaube jedenfalls keine Gegensätze sind. Daß etwa Urknalltheorie und biblischer Schöpfungsglaube einander ebensowenig widersprechen müssen wie die Grundzüge der Evolutionstheorie und das christliche Weltbild. Wesentliche Protagonisten der naturwissenschaftlichen Ansätze werden beleuchtet, alle wichtigen Themen - Chaos und Ordnung ebenso wie Sterben und Ewigkeit oder die Frage nach Gut und Böse. Eine gelungene Annäherung, die gerade Skeptikern beider Seiten ans Herz zu legen ist. Otto Friedrich Unendliche Weiten ... - Naturwissenschaftliches Weltbild und christlicher Glaube. Von Alexandre Ganoczy. Herder Verlag, Freiburg, 1998. 192 Seiten, geb., öS 234, Eine kreative Theologie für heute Arthur Peacocke, anglikanischer Priester und Biochemiker, leistet im Buch "Gottes Wirken in der Welt" Vermittlungsarbeit zwischen profanem und heiligem Wissen: Gott ist bei ihm nicht Lückenbüßer für letzte Fragen, sondern die Natur wird als Schöpfung ernst genommen und nach Verweisen auf ihren Schöpfer und Erhalter befragt.

Im gegenwärtigen Aufleben extrem konservativer Positionen inner- und außerhalb der Kirchen sieht der Autor weniger Anzeichen eines starken Glaubens als Mutlosigkeit angesichts der Herausforderung durch neue Formen der Weltsicht. Sein Ziel ist nicht apologetische, sondern kreative Theologie, die "im Feuer der von den Naturwissenschaften unwiderruflich begründeten neuen Wahrnehmung der Welt geläutert wurde". Zentral ist die Frage, wie eine Wechselbeziehung Gott - Welt vorstellbar ist, "die nicht im Gegensatz zu den im beobachtbaren Universum wirkenden Regelmäßigkeiten und Gesetzen steht". Peacocke stellt Modelle vor und exemplifiziert sie anhand schöner Analogien, wie man sie in einem Buch, das streng naturwissenschaftlich beginnt, nicht erwarten würde. "In der Theologie vollzieht der Glaube Selbstmord", schrieb Friedrich Dürrenmatt. Dem widerspricht das vorliegende Buch: Seine Theologie will Glauben in konstruktiver Auseinandersetzung mit dem Wissen der Zeit ermöglichen. Wolfgang Machreich Gottes Wirken in der Welt. Theologie im Zeitalter der Naturwissenschaften. Von Arthur Peacocke.Übers. von Elisabeth Dieckmann. Grünewald Verlag, Mainz 1998. 216 S., kt., öS 366, Resümee, das Hoffnung rauben will Das Buch soll desillusionieren: Der Mensch sei die größte Naturkatastrophe, der Glaube an den Fortschritt des Menschen unsinnig, die Endzeit sei schon längst überfällig. Ein Schwenk von den biologischen Grundlagen der Evolution über neue evolutionstheoretische Ansätze bis zum - kurzgehaltenen - Resümee, das Hoffnung rauben soll. Die Absicht ist klar, zu klar. Ein Verdacht: Autor Franz M. Wuketits selbst glaubt gar nicht an seine Botschaft, insgeheim ist er davon überzeugt, daß der Mensch sich stets weiterentwickelt.

Die Argumente wirken hastig aneinandergereiht, selten ausgeführt. Und für eine ernsthaftere Diskussion fehlt Substantielles, streckenweise wagt sich das Buch zu sehr in die Untiefen der Diskussionen an Straßenbahnhaltestellen.

Interessanter wird "Naturkatastrophe Mensch", wenn man sich auf den ersten Teil und den beginnenden zweiten Teil beschränkt, das einen ausgesprochen übersichtlichen und informativen Abriß über das Auf und Ab der Evolution im weitesten enthält. Theorien werden anschaulich erklärt und miteinander verglichen. Und dort erlangt der in Wien lehrende Evolutionstheoretiker Franz M. Wuketits auch jene Brillianz, die man sonst von seinen Werken gewohnt ist. Christoph Guggenberger Naturkatastrophe Mensch. Evolution ohne Fortschritt. Von Franz M. Wuketits. Patmos-Verlag, Düsseldorf 1998. 279 Seiten, geb., öS 291,

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