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Gespräch mit dem Atheismus

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GESCHICHTE ALS FORTSCHRITT. Dritter Band: Metaphysik der Geschichte und Theologie der Geschichte. Von Bernhard Delfgaauw. Übersetzung aus dem Niederländischen von Bruno Loeti. Mit Epilog. Erläuterungen. Anmerkungen, Literaturverzeichnis und Register der biblischen Zitate. Verlag J. P. Bachem, Köln. Erste Auflage, 1966. S?.1 Selten. DM 36.—.

Schopenhauers Hohn auf jede Gegenwart, daß sie in der Vergangenheit nichts als eine Vorbereitung ihres eigenen „glorreichen“ Daseins sehe, darf uns nicht abhalten, die geschmähte Geschichtsbetrachtung auch zu der unsrigen zu machen. Bezweifle daher niemand, daß wir wirklich heute an einer „Schwelle der Zeiten“ stehen (Hans Freyer). Wie wir die Wirkung der Zeit an uns mit schmerzlichem Verständnis als unser menschliches Schicksal annehmen, um uns nicht selbst zu verlieren (Die Jahre: Cocteaus Bienen), so müssen wir auch für die Menschheit die anhaltende Auflösung aller bisherigen Werte begreifen und hinnehmen lernen.

In dem nunmehr auch in deutscher Übersetzung vorliegenden „Die Ewigkeit des Menschen“ betitelten, dritten Band seines bemerkenswerten philosophischen Deutungsversuches unserer Zeit, kommt der Niederländer Delfgaauw zu diesen Ergebnissen. Der Schluß, den er in zwei umfangreichen Kapiteln quasi aus den Prämissen zieht, die ihm eine eingehende Beschäftigung mit der Ontologie der Geschichte in den beiden ersten Bänden lieferte, lautet etwa: Was sich im religiösen Bereich bisher aufgelöst hat, gehört nicht zur Substanz. Die metaphysischen Haltungen von gläubig und ungläubig stehen einander unverändert gegenüber.

Im Kapitel „Metaphysik der Geschichte“ wird zunächst zwischen dem grundsätzlich Wahrnehmbaren (Inhalt der Ontologie), und dem grundsätzlich Nichtwahrnehmbaren (Inhalt der Metaphysik), unterschieden, doch zugleich festgestellt, daß sie nicht voneinander geschieden sind. Der Verlauf des geschichtlichen Geschehens steht unter metaphysischem Einfluß und wird durch eine prinzipiell außerhalb der Geschichte stehende Wirklichkeit transzendiert. Wenn auch der Atheist jede nicht wahrnehmbare Wirklichkeit leugnet, der Pantheist in dieser Wirklichkeit selbst das Göttliche erblickt, so sind diese ontologischen Besinnungen auf die Geschichte ebenfalls von der Metaphysik her inspiriert.

Wenn hierauf von der christlichen religiösen Erfahrung Gottes als von einem „Du“ gesprochen wird, ist man enttäuscht, Ferdinand Ebner nicht im Personenregister angeführt zu finden. Nationalstolz?

Gründlichen Analysen von Denken (alltäglich, logisch, wissenschaftlich, existentiell, schöpferisch, philosophisch) und Glauben (philosophisch, weltanschaulich, religiös, christlich) folgt die Frage nach dem Verbindenden zwischen dem göttlichen Grund und dem Gott der Bibel. Nicht die Antworten der Religionen interessieren hier, sondern die aus der philosophischen Reflexion kommenden. Diese verwirft die Gottesbeweise. Doch die Anschauungen über Wesen und Ort des Transzendenten (Nichtwahrnehmbaren) sowie über dessen Verhältnis zum Wahrnehmbaren, haben ihren Ursprung nicht in der Vernunft, sondern in den „Seinweisen“ von Theismus, Pantheismus und Atheismus. Sie stellen echte metaphysische Möglichkeiten dar, verabsolutieren nichts Innerweltliches und sind daher auch kein

Götzendienst. Für den Christen geht es darum, Gott nicht als Deus ex machina überall dort einspringen zu lassen, wo die Wissenschaft versagt. Das ignorabiimus gilt auch für den Gläubigen, der da nicht weiß, sondern glaubt.

Dort wo (S. 27) vom „Sprung“, als einzigem Weg, vom Unglauben zum Glauben zu gelangen, die Rede ist, und Kiergegaards extreme Haltung, seine schroffe Forderung existentieller Gläubigkeit mit Recht kritisiert wird, würde man wünschen, auch etwas von den Verdächtigungen zu lesen, die Camus diesen Sprung bei Jaspers und anderen aussetzt. Wenn dieser Sprung nämlich nur zu einer gleichsam asymptotischen Gläubigkeit führt, die — wie ausgeführt wird — von Null angefangen, alle Grade der Intensität haben kann, so wird der nur schwach Gläubige vom Atheisten (der, wie auch ausgeführt, seiner Sache ebenfalls nicht ganz sicher ist) kaum zu unterscheiden und letzterer zu glauben versucht sein, es handle sich beim Glauben nur um des Kaisers neue Kleider, um eine Art höheren Snobismus. Der wirkliche Künstler wird sich nicht als vom Nichtkünstler wesensverschieden, seine Begabung nicht als nur durch einen Sprung erreichbar ansehen, sondern ihre Herkunft sich durch eine gute Vorbereitung auf dem phüogenetiscfaen wie auf den ontogenetischen Wege erklären. Die unsere Zeit charakterisierende Ent-mythologisierung sollte, wie vor dem Künstler, auch vor dem Gläubigen nicht Halt machen. Der Glaubenssprung ist vielleicht der letzte Fels, der gesprengt werden muß, um den Weg zum Glauben für alle Menschen frei zu machen.

Das erste Kapitel kommt zu dem Schluß, daß die Metaphysik auf eine einzige Frage zu reduzieren sei: Ist diese wahrnehmbare Welt das einzige Sein? Die Antworten, die Glaube und Unglaube darauf geben, sind beide vernünftig. Nun soll im zweiten Kapitel die Seinsweise Gottes, des „großen, Abwesenden“, der nicht überall, sondern nirgends ist, dadurch dem Erkennen begreiflich gemacht werden, daß festgestellt wird, wie Er nicht sein kann. Was die durch den Wandel des Weltbildes, die Säkularisation und die Entmytho-logisierunigen sich ebenfalls verwandelnde Theologie der Geschichte anlangt, so muß sie, um christlich zu bleiben, dennoch bei den christlichen Grundgedanken Schöpfung, Sündenfall, Erlösung und Vollendung in Christus am Ende der Zeiten bleiben.

Uber den Fortschritt war schon im zweiten Band die Erkenntnis ausgesprochen worden, daß er für den Menschen nur dann eine Möglichkeit bedeutet, wenn er ihn selbst in Freiheit herbeiführt. Der Fortschritt in der Zeit ruft aber Wandel hervor, der ebensogut zum Rückschritt wie zum tatsächlichen Fortschritt weiterführen kann. Der Christ erhofft das Letztere, am Ende die Erlösung durch Christus. In anderen Formen gibt es Erlösung auch für Atheisten und Panitheisten. Nur der Christ aber vermag in jedem Weltdienst Gottesdienst zu sehen. Mit Teilhard de Chardin sieht der Autor im Wachsen der Freiheit den realen Fortschritt in der Geschichte. In wachsender Freiheit wirkend, erfüllt er immer besser Gottes Auftrag, die Schöpfung in Seinem Sinne zu vollenden als Vorbereitung der Parusie. In der heute wieder neu sich anbietenden Frage nach der metaphysischen „Wirklichkeit“, hat hier ein gläubiger Christ seinen Standpunkt dargelegt. Dieses in jedem Sinne moderne philosophische Werk, das man, der schwierigen Materie zum Trotz, mit Vergnügen liest, darf als gewichtige Stimme im „Gespräch mit dem Atheismus“ bezeichnet werden, von dessen Seite Erwiderung zu erwarten ist.

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