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„MODERNE“ CHRISTLICHE KUNST?

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Toleranz, die Fähigkeit, das Andersartige zu ertragen, sollte, so meint man, eine der wichtigsten Tugenden von Menschen sein, die von sich behaupten, in einer pluralistischen Gesellschaft zu leben. Nirgendwo aber scheint gerade diese Tugend so wenig gefragt, das Brückenschlagen so erfolglos, wie in jenem Bereich, in dem weder politisches Machtstreben noch ungeschliffenes Berserkertum dafür verantwortlich gemacht werden können — in der Kunst. Noch nie hat man so sehr mit Schlagworten und so wenig mit Argumenten operiert und noch nie war eine „Avantgarde“ so sehr darauf festgelegt, abnorm, chaotisch oder verrückt zu sein, die konventionelle Literatur dagegen so sehr dazu verdammt, sich nur noch für das „Gestern“ zu Wort melden zu dürfen.

In dieser im allgemeinen eher verwirrenden Situation ist auch die Frage nach einer „modernen“ christlichen Literatur wieder aktuell geworden, wie der jüngst im Herder-Verlag erschienene Essay „Was ist christliche Literatur?“ von Kurt Hoihoff beweist. Freilich ist allein schon das Wort „modern“ mit nicht wenigen Hypotheken belastet. In Zusammenhang mit der Kunst wird man dabei zunächst an Plastiken aus Schrott und Eisenscharnieren, an Gedichte, die man von oben nach unten ebenso wie von unten nach oben lesen kann, und an Romane denken, die es eigentlich noch nicht gibt, weil die Theoretiker den neuen Roman noch nicht erfunden haben.

Sollte man nun den Versuch machen, die Frage nach einer modernen christlichen Literatur mit dem Hinweis auf Mauriac, Greene oder Claudel zu beantworten, so wird man das Gefühl haben, mit dem Staub der Jahrhunderte beladen zu sein, so als hätte man gerade Tertullians Schrift über die Auferstehung zur Lektüre empfohlen.

Überdies ist das Problem, das sich im Zusammenhang mit christlicher Kunst im allgemeinen stellt, wohl eines der ältesten und so auch kaum zu lösen oder zu Ende zu denken.

Wenn man das Christentum nicht nur begreift als ein Ergebnis des zu höchster Blüte gelangten griechischrömischen Kulturkreises, sondern als gottgewollten Prozeß fortwirkenden Heils, beginnend mit dem Leben und Wirken Christi auf Erden, so wird man zu dem Schluß kommen, daß das Christentum wohl im Verlauf seiner geschichtlichen Existenz von Kultur nicht zu trennen, grundsätzlich aber als davon unabhängig zu betrachten ist... Ja es scheint jene Antinomie zwischen beiden, wie sie sich in der Gegenwart ausprägt, selbst im Stadium größtmöglicher Annäherung nicht ganz vermeidbar. Gütersloh formuliert diesen Gegensatz in seiner Rede an Blei „Der Schriftsteller in der Katho-lizität“, indem der Dichter, gestellt zwischen Genialität und Religiosität sich entweder zur Selbstentäußerung durchringt, die Fackel senkt „beim Eintritt in die katholische Arche“ oder zum Usurpator wird, zum Verräter.

Dieser Konflikt wird um so stärker werden, je mehr die fortschreitende Säkularisierung und Liberalisierung das kulturelle Leben bestimmen.

Gottfried Benn, der die Zwischehkriegsgeneration mit seinen von den Naturwissenschaften, der Biologie her inspirierten Gedichten schockierte, bezweifelte, daß es dem Künstler in einer Zeit, in der selbst organisches Leben manipulierbar geworden sei, noch möglich sein könnte, ein religiöses Kunstwerk zu schaffen: „Eine neue Tierwelt ist im Entstehen — und da sollen die Maler mit dem Heiligengold der Madonnenbilder und die Dichter mit der Pflngstinbrunst eines Paul Gerhardt weitermachen?“

Aber nicht die Naturwissenschaft und die Technik an sich, sondern die von dorther übernommene Einengung aller Bereiche, auch der des gesellschaftlichen Lebens auf das rein Sachliche, haben die Bedingungen unseres geistigen Lebens verändert. Die Aufteilung der Welt unter die Experten, die Fachleute, führt zu der absurden Situation, auch Religion nur als einen Zweig innerhalb des kulturellen Geschehens zu betrachten, Gott eine Sache der für Ihn zuständigen Experten sein zu lassen und nicht zuletzt auch die christliche Literatur mit einer Etikette abzustempeln.

Sicher ist diese Etikettierung mit ein Grund für die zahlreichen Mißverständnisse, die es im Zusammenhang mit dem Begriff „christliche Literatur“ gibt.

Dde Einteilung „Christliche Literatur“ im Gegensatz zu anderer Literatur ist wohl erst seit der Romantik zutreffend. Der Dichter des Barock etwa wird, selbst wenn weltlichste Freuden Gegenstand seines Poems sind, immer als christlicher Dichter anzusprechen sein, weil in ihm gerade die äußerste Sinnenfreudigkeit jene Spannung hervorruft, die sich in den unruhigen, sich übersteigernden, überquellenden Formen ausdrückt und der im letzten eine zutiefst religiöse Grunderfahrung des Lebens den Atem verleiht.

Erst in der Romantik beginnt man über religiöse Kunst zu theoretisieren. Hier beginnt die Entwicklung, die letztlich dazu geführt hat, ein gewisses Schema zu schaffen, nach welchem man „Christliche Literatur“ einzuordnen und zu beurteilen habe. Hohoff kennzeichnet diese Situation, wenn er schreibt: „Eine Geschichte, in welcher ein Kaplan oder ein Bischof vorkommen, braucht deshalb noch keine christliche Geschichte zu sein, selbst wenn der Kaplan oder der Bischof wohlwollend vom Autor behandelt werden.“

Es bleibt überdies bei jedem christlichen Kunstwerk oder dem, was man darunter versteht, offen, wieweit seine Verbreitung und Wirksamkeit semer religiösen Substanz zuzuschreiben ist und wieweit anderen Faktoren, die für jedes Kunstwerk bestimmend sind, wie Zeitgeschmack, Angriffe auf gewisse Tabus, die den Leser sensationieren usw.

Welches Kunstwerk ist nun aber als wirklich „christlich“ zu bezeichnen? Wir werden darauf antworten müssen: jedes, weil alles Schöpferische im Menschen letztlich imitatio des schöpferischen Uraktes ist, Geist von jenem Geist, der über den Wassern schwebte.

Vielleicht ist es nur eine Frage der Erkenntnis, einer willentlichen Entscheidung, die das Werk seiner Selbst- und Ansichbedeutung entkleidet, wie Gütersloh formuliert, und ihm eine stellvertretende Bedeutung vindiziert.

Gerade dies ist aber in einer Zeit, in der soviel von der Originalität des Kunstwerks die Rede ist, wenig gefragt.

Ebenso wie das Engagement in der Literatur überhaupt leute den Beigeschmack des Minderwertigen, einer Generalion von naiven und denkfaulen Zugehörigen, hat.

Aber es ist nicht nur die Flucht vor der Etikette, die junge \utoren daran hindert, eine bestimmte Stellung au beziehen, sondern vielleicht auch dieses immer mehr hervortretende Wißtrauen, das vor der Wirklichkeit lieber kapituliert, als ertige Deutungen zu übernehmen, das die Sprache lieber zertrümmert, die dem Verständnis adäquate Einheit ihrer Dimensionen lieber zerschlägt, als das zu übernehmen, was iurch Jahrhunderte in sie hineingelegt wurde.

Die Auseinandersetzungen über moderne christliche Kunst entzündeten sich vor allem daran, daß man behauptete, das Christentum habe als geistige Macht in der modernen Kunst seine Funktion mehr.

Welche Funktion aber hat das Kunstwerk an sich in der Gegenwart, wie groß ist der Radius seiner Ausstrahlung? Stellt man sich diese Frage, so wird man bemerken, daß dieser Radius sehr gering bemessen ist. Daß auch der Gesprächspartner des Künstlers vielfach nur noch der eingangs erwähnte Experte ist. Der Künstler bewegt sich gleichsam wie in einer hermetisch abgeschlossenen Kapsel auf dem Meer von Plattheit und Banalität einer den Massen verpflichteten Vergnügungsindustrie.

Diese Situation wird man, wenn es um die Präsenz des Christentums in der modernen Kunst geht, beachten müssen, sofern man diese Präsenz als einen Gradmesser für die Präsenz des Christentums im geistigen Leben der Gegenwart überhaupt wertet. Wie sollte man es sonst verstehen, daß in einer Zeit, die den Christen die große Unruhe gebracht hat, der geistigen Dynamik einer im Wandel begriffenen Kirche das Dilemma einer Von diesen Vorgängen unberührten Kunst gegenübersteht?

Auch die Behauptung, eine Gesellschaft, die weitgehend dem christlichen Bewußtsein entfremdet sei, könne eben keine christliche Literatur hervorbringen, führt nur zu dem falschen Begriff einer abgeleiteten Literatur.

Nun, der Behauptungen gibt es viele. Wenn Kurt Hohoff, den Mangel einer modernen christlichen Literatur auf die Neigung der Christen zum Epigonentum, zum „Hängen an Äußerlichkeiten* an frommen Kulissen und Klamotten“ zurückführt, so mag dies eine gewisse Berechtigung haben, die Frage aber, wie eine moderne Literatur, die sich auf dem sprachlichen Experimentierfeld befindet, die die via spiritua-lis einer großen Kultur bis zum Ursprung zurückzugehen im Begriff ist, den Prozeß formulieren soll, in dem sich das Christentum heute mit der Welt konfrontiert, ist damit nicht beantwortet. Möglicherweise gibt es darauf noch gar keine Antwort.

So klingt es überspitzt, wenn Hohoff letztlich zu dem Schluß kommt, einzig die Lyrik, die allein des Beiwerks, auf das der Roman angewiesen ist, entraten könne (Milieu, zeitgenössischer Hintergrund, Konzessionen an den Leser), verdiene die Bezeichnung einer „christlichen Dichtung“, weil der Dichter in einem gleichsam sakramentalen Sprachvollzug zum Vermittler des Logos, des Wortes im religiösen Sinn werde. Konrad Weiß, vielleicht der einzige katholische Lyriker deutscher Zunge der Gegenwart, der sich einer unkonventionellen Sprache bedient, einer Sprache, die die Symbolik moderner Lyrik verbindet mit einer der Mystik entliehenen Idiomatik, teilt das Schicksal des Nichtgelesen-werdens mit anderen Vertretern moderner Lyrik.

Solange aber die Kirche in der Welt eine Aufgabe zu erfüllen hat, wird sie sich den Rückzug in die Sphäre des Metaphysischen nicht leisten können.

Wohltuend an diesen Auseinandersetzungen ist, daß gewisse Schemata, Kategorien, die keine Geltung mehr haben, abgebaut werden und es notwendig erscheint, daß der Christ allem, was das Schöpferische im Menschen dokumentiert, in einer Zeit, die die Serie erfunden hat, mit Teilnahme begegne.

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