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Ein unbekannter Gott?

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Zauberlehrlinge hoffen, daß sie die Geister der Zukunft noch werden bändigen können. Ihr Vertrauen in die ordnende Kraft des eigenen Geistes ist aber erschüttert, seitdem er von allen Seiten überrumpelt wurde: Ideen, die ursprünglich befreiend sein sollten, wachsen zu unmenschlichen Systemen der Unterdrückung; Apparaturen, zum Herrschen erfunden, entwickeln eine menschenfeindliche eigene Dynamik, fordern Anpassung und lassen die riskante Aussicht aufkommen, daß Geist und Vernunft eines Tages überlistet werden. Umweltschutz und Friedensforschung, Hochschul-fragen und Verkehrsprobleme, Kernphysik und Konsumgesellschaft: überall die Herausforderung, durch Vernunft schon jetzt die Weichen zu stellen, damit uns die Zukunft nicht entgleise.

Mit der Kirche ist es nicht anders; auch in ihr werden die Geister der Zukunft beschworen. Gnostiker und Charismatiker treffen sich mit Pragmatikern und Positivisten in der Klage, sie sei zu starr. Und auch wenn der einfache Gläubige, der sich weder für das eine noch für das andere hält, an die Macht des Einen Geistes glaubt, welcher nicht nur beugt, sondern auch wärmt, „was erkaltet ist“, und lenkt, „was da irregeht“, so fragt er sich doch, ob die überspitzte Hellhörigkeit für das Neue nicht harthörig macht für das scheinbar Alte, das seit dem ersten Pfingsten geschieht.

Es mag sein, daß er zuwenig von Theologie versteht, um seine Vermutungen zu begründen. Sein Gefühl sagt ihm, daß in der Kirche zu viele Zauberlehrlinge am Werk sind; und seine bescheidene Kenntnis der Heiligen Schrift reicht noch, um sich an die erste Inflation von Schwärmern in der noch jungen Kirche zu erinnern. Manche Korinther waren in ihrer Sprachverwirrung begeistert, bis Paulus ihren Optimismus gegenüber dem unverständlichen Zungenreden auf ein richtiges Maß zurückführte mit dem Hinweis auf die Liebe, die höchste Gabe, und auf den Verstand.

Hören auf den Einen Geist und Unterscheidung der Geister erscheint heute besonders dringend, weil wir ein feineres Gespür als in der Vergangenheit für verpaßte Gelegenheiten und für rechtzeitig erkannte Chancen haben: Wir wollen die „Zeichen der Zeit“ aufspüren.

Hier beginnt die Schwierigkeit im Hören und im Unterscheiden, und hier beginnt der einfache Christ, der vielleicht wenig von Theologie versteht, aber glaubt und glauben will, stutzig zu werden. Er vermutet, daß die Verschwommenheit einiger „Zeichen“ nicht aus noch verborgener Fülle kommt, sondern aus innerer Leere: Keine „Zeichen der Zeit“, sondern bloß „Züge der Zeit“.

Oft sind diese Züge Modeerscheinungen ohne Wurzel, die dem Aufkommen echter Zeichen im Wege stehen, weil sie sich selbst als Zeichen geben. Manchmal sind sie aber auch echte Zeichen, die wir im eiligen Bemühen, sie sofort zu verwirklichen, beim Schopf packen: der Schopf bleibt in der Hand, der Kopf im Sumpf. Sie werden dann zu banalisierten Zeichen, zu unfertigen Geschöpfen, deren Entwicklung zum Leben durch Eile gestoppt wurde, oder sie geben nur die äußere Hülle preis.

Da Hüllen leicht sind, verbreiten sich diese mißratenen Zeichen durch die „Geister der Luft“ (so Paulus in einem nicht ganz unähnlichen Zusammenhang) und bestimmen das Milieu und die Verhaltensweise vieler, die in echter Sorge den „Zeichen der Zeit“ zum Durchbruch hatten verhelfen wollen. Sie meinen, ein Zeichen der Zeit entdeckt zu haben, in Wirklichkeit sind sie aber Mitläufer eines Zuges der Zeit Erst wenn diese Epoche vorüber ist, werden die „Blinden“, die die Zeichen nicht sehen konnten, als Propheten, die in Wirklichkeit weiter sahen, rehabilitiert; und die „Propheten“ werden entlarvt als unkritische Mitläufer eines Zuges der Zeit und als Opfer einer Progressivität, die sie dann als Konformismus erkennen.

Kann es heute in der Kirche anders werden? Vieleicht doch, wenn wir Christen unbefangen genug sind, um das, was wir durch die „Geister der Luft“ empfangen, an den Forderungen des Heiligen Geistes zu messen.

Manche weitverbreitete Einstellungen, die heute unbesehen als Zeichen gepriesen werden, tragen alle schillernden Merkmale eines geistlosen Zuges. Wegen ihrer Aufdringlichkeit können sie nur durch Nachdenken auf prüfende Distanz zurückgedrängt werden; sie rufen bei vielen Menschen Geisteshaltungen und Verhaltensweisen hervor, die wir im sachlichen Sinne Vor-Urteile nennen können.

Wir haben zunächst das Manager-Vorurteil, das sich durch eine legitime Unruhe wegen unbefriedigender Zustände rechtfertigt. „Es muß etwas geschehen“; man weiß nicht, wohin man will, man weiß nur, daß man sofort ankommen muß. Diese Eile verdeckt das Unvermögen, an ein langsames Wachsen zu glauben, und die Erkenntnis, daß uns etwas abgeht, was, christlich gesprochen, Ansatz der Hoffnung ist.

Ihm verwandt ist das Technokraten-Vorurteil. Auch hier finden wir ein legitimes Anliegen, das das Zeichenhafte und Zeitgemäße vorgaukelt: das „Funktionieren“. Aber der Verdacht der Geistlosigkeit erhebt sich, weil man nicht nach dem wirklichen Leben fragt, das dieses Funktionieren von einem selbstbetrügerischen Leerlauf unterscheiden soll.

Ganz in der Nähe finden wir das Positivismus-Vorurteil, wonach das „Faktische“ die Konturen von Gut und Böse verwischt und zum Gesetz des Handelns wird. Die lebensgefährliche Umklammerung durch das Faktische wird so umgedeutet als gottgewollte Umarmung des Faktischen durch uns.

Damit hängt zusammen das ehrfurchtsvolle Starren vor der Welt, das von der rührenden Naivität bis zum krankhaften Komplex geht. Dies dürfte die gefährlichste Klippe für die Zeichen des Geistes in der Kirche sein, da viele einzelne Christen und Gemeinden von der „Welt“ nicht nur hypnotisiert, sondern auch verschluckt werden könnten, dann nämlich, wenn „die Welt“ ihren harmlosen, nur nach dem Funktionieren und dem Faktischen ausgerichteten Glauben endlich akzeptiert.

In all diesen Einstellungen finden wir etwas Zeichenhaftes, das durch kritische Prüfung gereinigt werden müßte; aber im allgemeinen empfindet man eine kritische Haltung gegenüber der „Welt“ als „rückschrittlich“, und so bleiben diese sonst brauchbaren Vor-Urteile außerhalb jeder ernsten Reflexion.

Dies ist dort besonders auffällig, wo man nicht nur Vertrauen auf den menschlichen Geist, sondern auch auf den Heiligen Geist erwarten müßte, im Handeln der Laien; denn das Zweite Vaticanum spricht ja vom „unverkennbaren Wirken des Heiligen Geistes, der den Laien heute mehr und mehr das Bewußtsein der ihnen eigentümlichen Verantwortung schenkt und sie allenthalben zum Dienst für Christus und seine Kirche ruft“; und im Tun der Priester, die „im Leben des Geistes gefestigt (werden), sofern sie nur auf Christi Geist, der sie belebt und führt, hören“.

Wirklich auffällig, ja traurig ist die Neigung, die Machbarkeit mit dem Heiligen Geist zu verwechseln und die Unsichtbarkeit seines Wirkens für eine sichtbare Lücke zu halten, die man durch kluge Bedienungsanweisungen ausfüllen müßte. Nichts gegen sie: Man möge Gemeinden durch Satzungen und Räte neu zu beleben suchen, man möge Theologie durch Hinweise auf das Faktische vertiefen, man möge liturgische Handlungen neu gestalten. Diese Impulse werden mehr oder weniger fruchtbar sein, je nach unserem gesunden Menschenverstand; .sie können das Wirken des Heiligen Geistes erleichtern, aber sie sind noch nicht sein Wirken, und viel weniger noch können sie es ersetzen. Die klügsten Bedienungsanweisungen bringen die Maschine nicht in Bewegung, wenn der Strom fehlt

Ein Christ, der glaubt, müßte mehr erwarten vom Heiligen Geist. Er darf, sich nicht darauf beschränken, sich zeit- und- weltgemäß zu verhalten und sich je nach der rollenden Welle des Augenblicks in weltanbetende Ekstase oder in weltverneinende Unruhe zu versetzen. Er kann in der Welt, wie sie ist, Zeichen entdecken, die dem Nichtgläubigen unsichtbar bleiben werden.

Aber der Heilige Geist ist „der Große Unbekannte“ (J. Escrivä de Balaguer), und vielleicht klagen deshalb manche Christen, daß sie in der Kirche keine Zeichen sehen. Besorgt greifen sie dann zur Selbsthilfe und werden zu Aposteln anderer, sichtbarer Zeichen, die sie, ohne zu unterscheiden, in die ekkle-siale Gemeinschaft hineintragen. Sie meinen radikal zu sein, weil ihre Weltreichen sich nur rohlings in die Grundstruktur der Kirche, in die Weisungen des Lehramtes und in das Wort der Schrift einfügen lassen, und so machen sie es der Kirche schwer. Sie übersehen eine andere Radikalität: die des heiligmachenden Geistes, an den wir glauben, auch wenn wir ihn nicht begreifen.

Bekehrung und Befreiung ist immer das Wort jener Propheten gewesen, die nicht auf die Geister der Luft, sondern auf den Heiligen Geist gehört haben. Auch heute findet man diese Propheten, wenn man sie nur sucht. Sie sind daran zu erkennen, daß sie wissen, daß sie es mit einem wahren Wort Gottes und mit wahren Menschen zu tun haben. Sie nehmen beide ganz ernst, ohne die Forderungen Gottes oder die Schwächen des Menschen zu verharmlosen.

Auch diese Menschen finden Wertvolles in den „Zeichen der Zeit“, die sie in der Welt sehen; aber vor allem prüfen sie die Zeichen in den Herzen der Menschen. Bei Gläubigen wie bei Ungläubigen entdecken sie ein unsicheres Suchen nach Erfüllung, die Frage nach dem Sinn, das hilflose Festhalten an irgendeiner Hoffnung, das fast verzweifelte Experimentieren mit Idealen.

Jenen, die sich durch Geister der Luft leiten lassen, sind diese dunklen Zeichen unverständlich. Wie zu Zeiten des Alten Testaments sind solche Stimmungspropheten bereit, jeden Zug der Zeit als Zeichen und als Forderung an die Kirche zu deklarieren. Ihr Erfolg ist weder überraschend noch ein Wahrheitskriterium, denn die fröhliche Begleitmusik eines Marschzuges wirkt immer einladender als der Trompetenstoß, der zum Aufbruch oder gar zur Umkehr bewegen will.

Vermutlich werden viele in ihrem guten Willen eines Tages erkennen müssen, daß ihre Anleihen an dem, was sie „Welt“ nennen, nicht ausreichen, um das ganze Volk Gottes wie Bersaglieri im Laufschritt durch das Ziel zu bringen. Und es ist für die Kirche und für sie zu befürchten, daß sie dann in Resignation oder in einem Amoklauf enden, jedenfalls in einer Verachtung und Verbitterung, die — schon heute — manche Hu-morlosigkeit und manche Überheblichkeit dieser Stimmungspropheten erklären dürfte.

Der Christ, der nicht bloß „mitmarschieren“ will, ist nicht weniger eilig und will den Fortschritt nicht weniger leidenschaftlich. Aber er denkt, daß machbarer Glaube und technologische Theologie unfähig sind, die Zeichen zu erkennen, die in die Zukunft weisen. Fortschritt ist auch für ihn ein Voranschreiten in der Geschichte, aber zugleich eine Rück-wendung zu Christus. Er muß gläubig sein, um keine neuen, den Glauben ergänzenden Zeichen zu erwarten; Christus lebt heute und spricht in seinem lebendigmachenden Geist. Deshalb ist diese Rückwendung zu Christus kein Zurück zur Vergangenheit, sondern „das Heute Gottes“.

„Glauben heute“ ist jedoch dann ein zweischneidiges Wort, wenn man es nicht als Verwandlung des Menschen, sondern als Verwandlung des Glaubens mißversteht und dabei vergißt, daß der Mensch wohl mit Gott die Geschichte macht, aber nicht den Glauben. Unser Glauben ist die bereitwillige Antwort auf sein verbindliches Wort, und dieses Wort wurde in der Fülle der Zeit gesprochen, denn „als die Fülle der Zeit kam, entsandte Gott seinen Sohn“. Diese Fülle umspannt Vergangenheit und Zukunft in der ständigen Wirksamkeit des Geistes.

Vielleicht ist dieses Zurückblicken auf die in der Fülle Christi enthaltene Zukunft das eigentliche Merkmal der christlichen Hoffnung und der persönlichen Bekehrung: „Die Erfahrung der eigenen Schwäche und Fehlerhaftigkeit, die Ernüchterung, die die schmerzliche Engstirnigkeit oder gar die Niedertracht mancher, die sich Christen nennen, verursacht, ein scheinbares Scheitern oder die Verwirrung, die in dieser oder jener apostolischen Unternehmung herrscht, kurz, die Berührung mit der Wirklichkeit der Sünde und der menschlichen Beschränktheit kann zu einer Probe für den Glauben werden und Versuchung und Zweifel aufkommen lassen: Wo sind in all dem die Kraft und die Macht Gottes? „In einem solchen Augenblick müssen wir noch lauterer und noch fester die Hoffnung leben und so versuchen, unsere Treue noch beständiger zu machen“ (J. Escrivä de Balaguer, „Der Große Unbekannte. Zwei Ho-milien“. Köln 1972).

Hier sehen wir die Zeichen des Glaubens und des Heils als Zeichen in einer heilslosen Zeit: Eucharistie und Bußsakrament, Gebet und „Abba, Vater“, Bergpredigt und apostolischer Geist. In dieser Kraft kann der Mensch es wagen, seine ganze Schwäche, die die Welt ins Wanken bringt, demütig und in Geduld der Erlösung entgegenzuführen.

Nur wenn der Christ solche Zeichen des Glaubens entdeckt oder wie-derentdeckt, kann er der Welt etwas wirklich Neues, keinen Abklatsch, geben. Die Welt wird es bejahen oder ablehnen, staunen oder gleichgültig bleiben, sie wird aber nicht mitleidig lächeln ob des angestrengten Nachahmungsdranges verunsicherter Christen, die hinter ihr herhinken. Auf diese Zeichen, die der radikalen Fülle Christi und der radikalen Bedürftigkeit des Menschen entsprechen, stützt sich ein Realismus der christlichen Hoffnung.

Dieser Realismus enthüllt die Verkürzungen mancher Theologien, die bloß eine theologisch filtrierte Weltlichkeit anbieten und mit dem Pfingstgeist kaum zurechtkommen. Es sind vielleicht gutgemeinte, aber kurzatmige und verzweifelte Versuche der Verweltlichung, ohne Einsicht in die Tatsache, daß diese Verweltlichung Entfernung vom Heiligen Geist bedeutet.

Viele erwarten — in der Kirche wie in der Welt — mehr Gerechtigkeit durch andere oder durch mehr Strukturen, mehr Frieden durch mehr Forschung, mehr Verantwortung durch mehr Demokratisierung, mehr Leben durch mehr Organisation. Vieles davon ist wichtig, nicht aber entscheidend. Wer an den Heiligen Geist glaubt, muß sich entscheiden, über das alles hinaus Christentum, Nachfolge Christi, Bekehrung zu suchen; er darf es nicht aufgeben, den Menschen selbst zu ändern.

Wer die Alternative Horizontalismus oder Vertikalismus aufstellt, um sich dann für das eine oder das andere zu entscheiden, übersieht in seiner Sorge um die reine Geometrie, daß beide Richtungen zusammen gerade das christliche Zeichen bilden. Der Christ muß beides suchen. Je vertikaler er ist, um so horizontaler wird er sein können. Aber dafür braucht er den „Großen Unbekannten“.

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