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Der 2000jährige Kampf der Kirche

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Auch wenn die Kirche immer „keusche Hure" und „gerecht und sündig zugleich" bleiben wird, sind für sie Reformen notwendig, damit sie nach innen und außen authentischer wahrgenommen wird.

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Auch wenn die Kirche immer „keusche Hure" und „gerecht und sündig zugleich" bleiben wird, sind für sie Reformen notwendig, damit sie nach innen und außen authentischer wahrgenommen wird.

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In den hitzigen Auseinandersetzungen um das „Kreuzurteil" des Bundesverfassungsgerichtes (BVG) in Deutschland tauchte immer wieder der Hinweis auf einen neu zu erwartenden Kulturkampf auf. In Erinnerung an die Zeiten Bismarcks oder Hitlers wird befürchtet, die Kirche werde langsam aber sicher aus dem öffentlichen Leben verbannt. Als Ansatzpunkt für eine solche Absicht gilt dabei die Auseinandersetzung um die Kirchensteuer, die theologischen Fakultäten an den Universitäten und der Beligionsunterricht an den staatlichen Schulen. Die Angst in Kirchenkreisen vor solchen Entwicklungen ist nicht unbegründet. Nicht das Urteil des BVG, sondern die in Deutschland dahinter stehende Tendenz, die zum Teil zerstörerische mediale Befassung mit Bischöfen in Osterreich und die Initiative zur Trennung von Kirche und Staat in der Schweiz gehen eindeutig in Bichtung einer Privatisierung und Entpolitisie-rung von Kirche und Glauben.

Wer jedoch meint, es stehe ein neuer, wenn auch unter anderen Vorzeichen geführter Kulturkampf bevor, greift in seiner Erkenntnis zu kurz und ist in seiner Haltung zu ängstlich. Zum einen zählt man Politiker, auch Richter, nur nach Tagen, während die Kirche bald 2000 Jahre zählt. Zum anderen ist die Kirche immer im Kampf: Die Kirche hat nämlich immer nach innen und außen darum zu kämpfen, wie das eigene Verhältnis zur Welt in der jeweiligen Zeit zu bestimmen ist. Wenn dabei auf jede neue Weise die Balance zwischen Identität und Relevanz von Kirche in der Gesellschaft zu finden ist, dann kann man nicht umhin zu behaupten, daß der Anspruch des Christentums heute als Zuspruch in die Zeit nicht ohne Widerspruch vermittelt werden kann.

Vor allem nichtkirchliche Zeitdiagnostiker deuten ja die augenblicklichen Entwicklungen weit kritischer als Kirchenleute und Theologen selbst. Man könnte einwenden, Christen hätten eine Hoffnung, die andere nicht haben, nach Peter L. Berger gleichsam das Segel auf dem kleinen Boot im stürmischen Meer von Unge; wißheiten und Belativitäten. Das stimmt, man darf sich jedoch bei der Wahrnehmung der Wirklichkeit damit nicht fromm in die Tasche lügen. Tatsache ist, daß die westlichen Gesellschaften von einem Sinnvakuum bedroht sind (Andrzej Szczypiorski), daß die Probleme, die mit der Entsorgung der materiellen und ideellen Abfallprodukte einer Erlebnisgesellschaft (Gerhard Schulze) auftreten, diejenigen an den Band der Gesellschaft drängen, die zunächst noch Versorgung brauchten: die Armen, und daß der Zwang der kinetischen Ethik (Peter Sloterdijk) hypertrophe Mobilität erzeugt und die Menschen in unseren Breitengraden ort- und ori-entierunslos macht. Tatsache ist, daß am Ausgang der Moderne die barbarische Seite der kraftlos gewordenen Modernität lauert (Karl Gabriel). Bosnien spricht Bände.

In all dem verkündet die Kirche Bleibendes, pflegt sie das Gedächtnis an Gottes Worte und Taten und erinnert gegen die Ideologie des sich selbst legitimierenden Wandels, daß der Mensch weder sein eigener Schöpfer noch sein eigener Erlöser ist. Gerade dadurch, daß Christen Männer und Frauen des freien Geistes im Dienste der Erinnerung sind (Fulbert Stef-fensky), werden sie in unserer kulturellen Landschaft immer mehr zu Fremdlingen.

Wie soll sich nun die Kirche in der geschilderten Situation bewähren beziehungsweise verhalten? Karl Barth macht in einer seiner Spätschriften („Das christliche Leben") auf zwei bleibende Versuchungen für die Kirche aufmerksam, die ihr Profil gefährden: Die erste Versuchung wäre die, eine introvertierte Kirche zu sein, das heißt die von unserem Kleinglauben genährte Neigung zu pflegen, die Kirche selbst zu einem exponierten Gegenstand des Glaubens zu machen. Das führte insofern zu einer introvertierten Kirche, als die Aufmerksamkeit der Kirche vor allem auf sich selbst konzentriert bliebe und sie sich als den Baum verstünde, in dem Gottes Heilshandeln exklusiv verfügbar wäre. Barth nennt eine solche Kirche „Kirche im Exzeß".

Alles müßte also Kirche werden, um Gott zu gehören. Gegenüber der Gesellschaft nähme man eine Burg- und Festungsmentalität ein. Freilich lassen sich aus dieser Gefährdung auch berechtigte Anliegen heraushören, so zum Beispiel die Sorge um die eigene Identität. Abgesehen davon, daß im Alten Testament Gott an vielen Stellen (vor allem in den Psalmen) Burg und Fels genannt wird, hat auch Jesus alles andere als eine Botschaft auf Sahnebasis verkündet. Sein Evangelium ist „froher Ernst". Und die Kirche hat Salz, Feuer, Licht zu sein. Sie hat nicht Kekse zu verteilen, sondern Brot. Sie hat reinen Wein, nicht Limonade einzuschenken. Gerade auch in diktatorischen Verhältnissen kann die Kirche nicht umhin, identische Prägnanz zu suchen und auch zu leben.

Die zweite Versuchung bestünde darin, eine extrovertierte Kirche zu sein. Diese zweite Versuchung ginge genau in die entgegengesetzte Richtung, indem sich die Kirche zunächst in der Welt nach den Möglichkeiten des Glaubens in der Gegenwart erkundigte, um dann auf vermeintlich solidem Boden eben diesen Glauben mit einem ihm entgegenkommenden Evangelium kirchlich zu vereinnahmen. Eine so orientierte Kirche wäre insofern extrovertiert - Barth nennt sie auch die „Kirche im Defekt" -, als sie ihren Kleinglauben nun nicht kirchlich wie die introvertierte Kirche, wohl aber säkular zu kompensieren versuchte, indem sie sich bemühte, den Bedingungen der Welt zu entsprechen, um in ihr möglichst wenig Anstoß zu erregen. Sie liefe gleichsam dem säkularisierten Menschen hinterher, um zu sagen, wie sehr doch gerade er im Recht sei, eine Erneuerung der Kirche nach seinem Bilde zu fordern. Eine solche Kirche wäre nach Barth die zerstreute und darum die plaudernde, die schielende und die stotternde Kirche.

Als berechtigtes Anliegen ist aus dieser Gefährdung herauszuhören, daß die Kirche sich immer an die jeweilige Zeit zu verschwenden hat. Die Sorge um Belevanz ist ein kirchliches Gebot. Freilich darf die Selbsthingabe an die Welt nicht zur Selbstaufgabe führen, leicht ginge ansonsten vor allem der Theologie die von Johann B. Metz immer wieder beschworene anamnetische Vernunft verloren. Theologie würde sich dem Gag verschreiben, sie verkäme zum Trendwellenreiten.

Aus dem bisher Gesagten leite ich für den kirchlichen Stand in der heutigen Zeit drei Herausforderungen ab:

Die Kirche hat den „beweglichen Stand" zu üben. Sie ist zwar für alle, aber nicht für alles da (Christian Möller). Zeitgemäß zu handeln darf nicht mit einer Progreßvermutung gegenüber den jeweiligen Zeitläufen verwechselt werden. Gerade der lineare Fortschrittsgedanke ist als ideologisches Axiom zu entlarven. Brüche, Stagnationen und Fragmente bleiben menschlich. Die Entdeckung der Langsamkeit ist angesagt. Umkehr ist zu üben. Dabei geht es nicht um die Verkirchlichung der Welt, wohl aber um die Christusförmigkeit der Zeit. Dazu steht die Kirche und das Amt in ihr in ontologischer Funktion. Die Sinnspitze der Kirche ist auch nicht die Theologie, sondern das Christsein in der Welt. Nicht kirchliche Machtpositionen sind daher zuallererst aufzubauen, sondern Weltchristen, die auf Politik, Wirtschaft und Kultur Einfluß nehmen.

Das schließt freilich nicht aus, daß die Kirche auch staatlich verankert (zum Beispiel durch Konkordate) wirksam wird. Diese Verankerungen sind notwendig-hilfreich, jedoch kein Dogma. Zu jeder Zeit gibt es Kirche in allen Staatsformen. So sind unter anderem theologische Fakultäten an den Universitäten und der Beligionsunterricht an staatlichen Schulen äußerst sinnvoll. Zum Überleben der Kirche sind beide nicht absolut notwendig. Anzumerken bleibt allerdings für die augenblickliche Debatte, daß diejenigen, die sich innerkirchlich gegen staatliche Vergünstigungen der Kirche wehren, gar nicht merken, wie sehr sie die Grundlagen ihrer eigenen Wirkmöglichkeiten untergraben. In einer nicht staatlich abgesicherten Kirche wären bestimmte Leute in der Kirche sicher nicht mehr mit von der Partie.

Ferner ist ein kritischer Dialog in be-zug auf die demokratische Praxis in Staat und Gesellschaft zu führen. Kirche kann sicher nicht mit Demokratie, gleich welcher Spielart, identifiziert werden. Sie kann wohl demokratische Elemente in sich aufnehmen. Aber ihre zu verkündende Wahrheit steht nicht nach Art einer Parteiendemokratie zur Disposition. Es wird daher in der Kirche immer ein Miteinander von hierarchischen und geschwisterlichen Elementen geben, das darauf verweist, daß wir zum einen nicht aus uns selbst Kirche sind (wir haben einen Herrn) und zum anderen nur miteinander Kirche sein können (wir sind des Herrn Gemeinde). Aus dieser Tatsache leitet sich auch die Notwendigkeit des Amtes ab, dessen geschichtlichoffene Gestaltungsmöglichkeiten dazu nicht im Widerspruch stehen.

In diesen kritischer. Dialog ist immer auch der universale Geltungsanspruch der Kirche m teinzubringen, der seinerseits nicht unvereinbar ist mit öffentlicher Toleranz gegenüber anderen Wahrheitsansprüchen. Aber die Kirche kann gar nicht anders, als ihren Bezugsrahmen, an dem Wahrheitsansprüche zu messen sind, mit ins politische Spiel einzubringen. Darf also die Kirche auch öffentlich darauf Einfluß nehmen, daß das Kreuz die Koordinater für eine Werteordnung hergibt, wtil es als „Sonnenaufgang der göttlichen Liebe" (Eugen Biser) versUnden werden kann?

In allem hat die Kirche sich um ein glaubwürdiges Zeugris zu mühen. Nicht einer reinen Kirche, nicht einer Kirche der Beinen spreche ich damit das Wort. Kirche wirc immer „casta meretrix" (keusche Hure) und jeder Christ „simul iustus etpeccator" (gerecht und sündig zugleich) bleiben. Die großen theologischen Themen zu nennen, die im Augenblick dem beweglichen Stand und lern kritischen Dialog der Kirche in der Welt dienen, würde hier in spezifische wissenschaftliche Auseinandersetzungen führen. Statt dessen seiauf einige konkrete Punkte hingewiesen, die diskutiert und womöglich tmgesetzt werden könnten, damit Kirche nach innen und nach außen authentischer wahrgenommen werden kann:

1. Eine Änderung des Kirchenbei-tragsystems sollte von der Kirche selbst offensiv angegaigen werden. Dabei dürfte man nichl vor mehr Armut in der Kirche zurückschrecken. Durch eine wie auch immer geartete Änderung könnte vielmehr eine hauptamtliche Experienkirche zugunsten eines selbstvenntwortlichen Christseins in der Welt ibgebaut werden. Es könnte auch meir Ehrlichkeit in der Kirche geben, wenn man nicht mehr wegen des Geldes aus der Kirche austreten müßte.

2. Bei allen,hauptamtlich in der Kirche Angestellten (v�m Bischof bis zum Kaplan, vom Professor bis zum Pfarrer) könnte man ehe einzige Kategorie von Bezahlung einführen, die nur noch nach Dienstjairen variierte. Dieses Zeichen der Solidarität könnte verstanden werden.

3. Bischofsernennurgen könnten unter größerer Beteiligung kompetenter Stellen der Ortskirche durchsichtiger und plausiblergestaltet werden, ohne nach dem Motto „Wie bastle ich mir einen Bischef" dem Belieben Tür und Tor zu ö:'fnen. Hierarchie und Demokratie kennten sich bei diesem Vorgang begegien.

Der beschriebene lirchenkampf ist weit weniger martalisch, als der verwandte Begriff vermuten läßt. Dringlich ist er allemal Denn es muß auf neue Weise über konfessionelle Grenzen hinweg eine bekennende Kirche entstehen, die ach prägnante Relevanz zur Aufgabe macht. Daran mögen sich die Geister scheiden. Eine solche Kirche ist jedo:h für unsere Zeit notwendiger dennje.

Der Autor ist

Ordinarius für Pastordtheologie an der Universität Graz.

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