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Wie die „Vögel des Himmels“?

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Es gibt Leute, die sagen, der Fragenkomplex „Kirchenbeitrag“ sei tabuisiert. Diese Leute haben recht; über den Kirchenbeitrag öffentlich zu reden, gilt geradezu als unanständig. Es gibt Leute, die machen für diese Tabuisierung die Kirche verantwortlich. Diese Leute haben, zum Teil recht; die Tabuisierung ist, mindestens ebenso österreichisch, wie sie kirchlich ist.'Es gibt Leute, die sehen im derzeit in Österreich praktizierten Beitragssystem eine Überlebensfrage der Kirche. Diese Leute haben unrecht; in keinem Land der Erde ist bisher die Kirche an finanziellen Problemen zugrundegegangen.

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Es gibt Leute, die sagen, der Fragenkomplex „Kirchenbeitrag“ sei tabuisiert. Diese Leute haben recht; über den Kirchenbeitrag öffentlich zu reden, gilt geradezu als unanständig. Es gibt Leute, die machen für diese Tabuisierung die Kirche verantwortlich. Diese Leute haben, zum Teil recht; die Tabuisierung ist, mindestens ebenso österreichisch, wie sie kirchlich ist.'Es gibt Leute, die sehen im derzeit in Österreich praktizierten Beitragssystem eine Überlebensfrage der Kirche. Diese Leute haben unrecht; in keinem Land der Erde ist bisher die Kirche an finanziellen Problemen zugrundegegangen.

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Niemand hält das derzeit in Österreich in Übung befindliche System für das beste aller möglichen; ein vollkommenes System der Finanzierung der Kirche, auf die die Kirche als auch-menschliclie Gemeinschaft nun einmal nicht verzichten kann, wurde bisher nicht ge- oder erfunden — weil es so etwas nicht gibt.

Die grundlegende Schwäche des österreichischen Systems liegt wohl darin, daß die Kirche gegen ihre Glieder, die ihre „Zahlungsunwillig-keit“ zum Exzeß treiben (denn „zahlungsunwillig“ ist wohl jeder, und dies nicht nur beim Kirchenbeitrag), als Kläger auftritt. Dazu kommt, daß dieser Vorgang ein bürokratischer ist — und wer hat schon gern mit „Ämtern“, gleich welcher Art, zu tun? Im Effekt kommt dabei jedenfalls heraus, daß hunderttausende Glieder der Kirche alljährlich um des lieben Mammons willen in einen handfesten Konflikt mit ihrer Kirche geraten. Und für eine große Zahl endet dieser Konflikt alljährlich mit dem Austritt aus der Kirche: Konfliktlösung durch Rückzug.

Immer wieder wird darauf hingewiesen, daß der Kirchenbeitrag nur in einer verschwindend kleinen Zahl von Fällen der wahre Grund für den Austritt sei. Vielmehr biete der Kirchenbeitrag — in Form einer aktuellen Nachzahlung oder Mahnung etwa — bloß den letzten Anlaß und Anstoß für den Austritt. In Wahrheit hätten diese Menschen sich längst weit von der Kirche und ihrem Glauben entfernt und ihre Verbindung sei schon lange nur eine äußerst brüchige. Das mag stimmen. Aber ist es nicht umso bedauerlicher, wenn gerade die brüchigsten Verbindungen endgültig zerbrechen und so das geknickte Rohr gebrochen, der glimmende Docht gelöscht werden?

Anderseits gibt es auch Menschen, die anläßlich ihres Austritts aus der Kirche erklären, sie wollten auf jeden Fall weiter Christen sein und verstünden ihren Austritt nur als Ausscheiden aus der Gemeinschaft der Beitragszahler, nicht aber der Glaubenden. Dagegen wird gern eingewendet, wer glaube, sei auch bereit, sich seinen Glauben (finanziell) auch etwas kosten zu lassen. Allerdings ist der Glaube des Menschen keine Sache, die man festsetzen, katalogisieren und kategorisieren könnte. Wohl wird man sagen kön-

nen, wer glaubt, der sei auch bereit, (finanzielle) Opfer zu bringen; aber keinesfalls gilt die Umkehrung dieses Satzes: wer seinen Kirchenbeitrag nicht leiste, der sei kein Glaubender.

Reformen?

Wer an etwas Unzulänglichkeiten und Mängel entdeckt, der sucht nach Möglichkeiten der Reform. Reformen des kirchlichen Finanzierungssystems können sehr verschieden ausfallen; zu einem Zeitpunkt, da die tatsächliche Durchführung von Reformen noch weit entfernt zu sein scheint, sollte deshalb zuvorderst auf eines geachtet werden: daß „Kirche“ sich nicht erschöpft in Bischöfen und Direktoren diözesaner Finapzkam-mern. Kirche sind alle Glaubenden, und in Fragen, die alle angehen, sollen — dem alten Grundsatz entsprechend — auch alle angehört, um ihre Meinungsäußerung gebeten und dazu ermuntert werden. Es wäre an der Zeit, daß in dieser Frage ein Prozeß der Meinungsbildung in Gang kommt, daß die Überlegungen zur Änderung und Besserung der Situation nicht auf Gremien von auserwählten Experten beschränkt bleiben, die hinter dicken Polstertüren tagen, sondern, daß alle Betroffenen daran teilhaben.

Reformen können verschieden sein. Man kann sich mit kleinen Änderungen begnügen, oder große Veränderungen anpeilen. Kleinere, sozusagen kosmetische Änderungen könnten hierzulande etwa damit beginnen, daß die Schreiben und Mahnschreiben der Finanzkammer hoch eine Spur freundlicher und persönlicher würden. Es müßte nicht so sein, daß der erste Kontakt eines neu Zugezogenen mit der Kirche ein unpersönlicher Brief der Kirchenbeitragsstelle ist.

Zum Teil wird ja schon daran gearbeitet, in diesem Punkt Verbesserungen zu schaffen, aber weitere Reformen sollten nicht ausgeschlossen werden. So wäre es etwa vorstellbar, daß Menschen, die aus dem Berufsleben ausscheiden, einen freundlichen Brief bekommen, in dem ihnen für ihre Beitragsleistungen gedankt wird. Gleichzeitig könnte man den Kirchenbeitrag dieser Menschen — ohne ihren Stolz zu verletzen — auf einen Nominalbeitrag senken. So könnte man bei allen Personengruppen verfahren, die in einer (finan-

ziell) angespannten Situation sind: bei Jungvermählten, die einen Haushalt gründen, bei Arbeitslosen könnte die Beitragspflicht vorübergehend ausgesetzt werden. Die finanziellen „Einbußen“, die der Kirche daraus erwüchsen, wären wahrscheinlich minimal und durch die Sympathie vieler Menschen mehr als aufgewogen.

Angelsächsisches System

All das wären nur recht oberflächliche Reformen, die am Prinzip des derzeit geübten Systems nichts ändern würden. Sie haben den Vorteil, daß sie sofort und ohne großen Aufwand durchführbar wären. Darüber hinaus wären aber auch tiefergreifende Änderungen denkbar (und, wie immer mehr immer lauter sagen, notwendig). Auch dafür gibt es bereits Vorschläge. So wurde errechnet,

daß eine Umstellung auf das System eines fixen Monatsbeitrages — nach dem Vorbild von Vereinsbeiträgen oder des Gewerkschaftsbeitrags — eine realistische Möglichkeit der kirchlichen Finanzaufbringung wäre. Wenn jeder Beitragszahler pro Monat etwa 30 oder 40 Schilling leistete, stünden der Kirche in Österreich die gleichen Mittel zur Verfügung wie im gegenwärtigen System. Auf diese Weise könnte auch der ungeheuer kostenintensive „Apparat“ — zur Zeit frißt das Beitragssystem selbst rund 17 Prozent der Eingänge! — reduziert werden. Die freiwerdenden Arbeitskräfte könnten an anderer Stelle im kirchlichen Dienst beschäftigt werden. Zu überlegen wäre auch, ob bei diesem System nicht von vornherein auf den „weltlichen Arm“, die Drohung mit dem Gericht, verzichtet werden sollte.

In jüngster Zeit ist das angelsächsische Modell der Finanzierung der Kirche wieder stärker in die Diskus-

sion gekommen. Das Prinzip der totalen Freiwilligkeit hat ohne Zweifel seine großen Vorteile und entspricht wohl auch dem Ideal des Evangeliums eher als alle Systeme, in denen Gerichte eine Rolle spielen. Doch sollte man auch die Nachteile des angelsächsischen Systems nicht übersehen. Wer etwa einmal in einer amerikanischen Kirche eine Messe mitgefeiert hat, wird von dem dreimaligen „Absammeln“ nicht unbedingt erbaut gewesen sein. Auch der im anglo-amerikanischen Raum gepflogene Brauch, die Wohlhabenden um Unterstützung anzugehen (zumal sie diese Unterstützung ja von der Steuer abbuchen können), hat seine Schattenseiten. Denn die Wohlhabenden sind in den meisten Fällen auch die Mächtigen, und nicht immer wird Macht so eingesetzt, daß sie vor dem Evangelium standhält.

Es besteht die Gefahr, daß Reiche und Mächtige sich durch ihre Zahlungen das Schweigen der Kirche auch dort erkaufen, wo die Kirche reden und laut schreien müßte. Nicht, daß die Reichen und Mächtigen ihre Unterstützung als „Schweigegeld“ verstünden und die Kirche diese Unterstützung in diesem Sinn entgegennähme — aber die Möglichkeit besteht, daß unbewußt geheime Kumpaneien entstehen. Für eine Kirche, deren Platz an der Seite der Armen ist, wäre das schlimmer als Austritte.

Es hat nicht den Anschein, als könnte die Kirche von Österreich in den nächsten Jahren und Jahrzehnten mit mehr Geld rechnen. Man mag das bedauern und dem Zeitgeist zuschreiben. Man kann darin aber auch eine Fügung sehen, die die Kirche stärker auf den Weg des Evangeliums und der evanglischen Armut führen will. Die Kirche und ihre Verwaltung wird in diesem Land mit

weniger Geld auskommen müssen, ob sie Reformen ihres Finanzierungssystems durchführt oder nicht. Wie sie mit weniger Geld wirtschaftet, was sie mit dem weniger werdenden Geld macht, welche Dienste sie aufrechterhält und welche sie aufgibt, ist eine schwierig zu entscheidende Frage und bedarf der Überlegung und Mitbestimmung aller.

Geht man davon aus, daß der kirchlichen Verwaltung in Zukunft weniger Geld zur Verfügung stehen wird, empfiehlt es sich dringend, rechtzeitig — das heißt: so früh als möglich, nämlich sofort — für diesen Fall Vorsorge zu treffen. Bloße Budgetkosmetik ist auf jeden Fall zu wenig, oberflächliche Reformen reichen nicht aus, „Umverteilung“ wird nichts nützen: eine Reform der Kirche, nicht allein ihrer Finanzverwaltung, ist unumgänglich. Es ist immer besser, durch Reformen vorhersehbaren Entwicklungen zu steuern, als auf Entwicklungen und unter ihrem Zwang zu reagieren.

Diese Reform kann sehr verschiedene Wege gehen und auch gleichzeitig auf verschiedenen Wegen angegangen werden. Solange die Not nicht zum Reagieren zwingt, könnte in Freiheit experimentiert werden. Möglicherweise werden in Zukunft

— wie fern diese Zukunft auch heute noch sein mag — mehr „Diener der Kirche“ nicht von jenem Geld leben, das Glaubensbrüder geben. Vielleicht werden einmal auch Presbyter der Kirche, viel mehr als heute, ihren Lebensunterhalt in einem bürgerlichen, profanen Beruf verdienen — nach dem Vorbild des Paulus, der von seiner Hände Arbeit lebte. Im übrigen leben ja schon heute nicht wenige Priester in erster Linie von dem Geld, das sie als Lehrer verdienen. Natürlich besteht eine besondere Affinität zwischen dem Beruf eines Religionslehrers und der Berufung eines Presbyters — aber warum sollte nicht auch ein Englischoder Mathematiklehrer (oder: eine -lehrerin) Gemeindeleiter sein können? Warum sollte nicht ein(e) Pro-kurist(in), oder Sozialarbeiter(in), oder Journalist(in) oder Tierarzt, oder, oder, oder... einer Gemeinde vorstehen können? Geld wird die Kirche auch dann noch ,,brauchen. Aber sie wird weniger brauchen, und sie wird vielleicht leichter verständlich — weil unmittelbarer einsichtig

— machen können, wozu sie (die Ortskirche, die erfahrbare Gemeinde) es braucht. jj

Es gibt Leute, die solche Gedanken für pure Phantasterei halten. Aber vielleicht haben diese Leute unrecht. Es gibt Leute, die eine so gestaltete Kirche für glaubwürdig halten würden, wenn sie auch nicht leicht zu verwirklichen sein 'wird. Vielleicht haben diese Leute nicht ganz unrecht. Es gibt Leute, die glauben, daß das Wort von den „Blumen auf dem Felde“ und den „Vögeln des Himmels“, die weder säen noch ernten und sich nicht Sorgen machen um Dinge, um die sich „die Heiden“ sorgen, nicht nur für den einzelnen Christen, sondern auch für die Kirche als Gemeinschaft Geltung und Gültigkeit hat, auch heute, weil sie mit dem Evangelium der Ansicht sind, daß „jeder Tag schon für sich selbst sorgen“ werde. Vielleicht haben diese Leute recht...

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