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Jetzt: Entweder — oder

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Diese Regierung hat sich eine Menge vorgenommen, und genau zu diesem Zweck hat ihr auch das Wahlvolk ein Ablösemandat gegenüber ihrer Vorgängerin erteilt. Eines der offensichtlich verworrensten Probleme hiebei ist die Neuordnung unserer Landesverteidigung. Denn tatsächlich sind wir heute an einer Schwelle angelangt, an der die Diskussion über Sinn oder Unsinn und die Konsequenzen halber Maßnahmen auf halben Wegen den Entschluß fordern, es entweder besser zu machen oder ganz aufzuhören. Damit ist für die politisch Verantwortlichen — inmitten der Budgetsorgen, der EWG-Frage, der Strukturreformen und weiß Gott welcher anderer Probleme noch — der Zugzwang da. Müssen sie überhaupt ziehen? Das eben wäre zu untersuchen. Die psychologischen Hindernisse sind sicherlich enorm. Die Antiauitoritäits-welle hat Österreich, wenn auch nicht brandend, so doch merkbar erreicht. Sie muß sich an der Armee, als unübersehbarer Säule etablierter Ordnung, stoßen. Kommt dazu, daß die Bevölkerung ziemlich weit verbreitet ihre Notwendigkeit nicht recht einsieht, weil sie einfach die Konsequenzen der Neutralität als Ganzes kaum je erklärt bekommen hat, zudem die Möglichkeit einer Landesverteidigung im Atomzeitalter bezweifelt, weil niemand — oder nur wenige — die Zeichen der Zeit strategisch analysiert und die Ergebnisse dem Interessenten, nämlich dem Herrn Österreicher, vermittelt hat. Schließlich übersehen wir gerne, daß wir nicht allein auf dieser Welt sind. In Zentraleuropa sind wir ein Teil einer schweigend funktionierenden kollektiven Sicherheit; wir leben mit den anderen Angehörigen dieser Völkerfamilie davon, daß jeder seinen meßbaren und dem anderen bekannten Teilbedtrag zu dieser Sicherheit leistet; der eine viel, der andere weniger, aber jeder etwas. Nur wir versuchen seit 15 Jahren zu schwindeln und glauben, daß die Mächte, die zusammen mit uns unsere Neutralität konstituiert haben, das tolerieren; weil wir so nett sind, oder besser noch, weil sie es gar nicht bemerken.

Der Erfolg ist heute eine Armee in einer psychologischen Krise nach innen und außen. Dabei ist diese Malaise im Grunde genommen mehr eine Hypochondrie als eine echte Krankheit. Wir bilden uns ihre Symptome deshalb ein, weil wir zuwenig wissen und zuwenig erklärt bekamen. Die Kommunikationsschwierigkeiten unserer modernen Gesellschaft wirken sich hier besonders aus.

Und nun will die Regierung reformieren. Sie begann das mit einer zunächst nicht ganz einfach zu verstehenden Regierungserklärung, in welcher sie nämlich nicht die nationale Sicherheit als Ziel ihrer Wehrpolitik verkündete, sondern die Herabsetzung der Wehrdienstzeit. Erst kompetente Interpretationen von Regierungschef und Ressortminister schufen nachträglich Klarheit. Es ist erst wenige Tage her, daß Dr. Kreisky vor der Bundes-hearspitze sich zu einer Neuitralitäts-varteidigung nach schwedischem Muster bekannte. Und dies ist eine bemerkenswerte Festlegung, weil sie nach dem „Schweizer Modell“ des Moskauer Memorandums nunmehr ein zweites Vorbild schafft, zu dem sich zu bekennen auch den Mut zur Tat fordert

Wenn also eine Kommission zur Verwirklichung dieser Absicht geschaffen wurde, so wird sie gerade nach diesem Maßstab beweisen können, ob sie die Wegbereiterin für eine echte Verbesserung oder eine Kulisse für weitere Versäumnisse sein soll. Die Akzeptierung ihrer Ergebnisse nämlich wird der Maßstab sein, der angelegt werden kann, weil dann die Stunde der Wahrheit vor Regierung und Staatsvolk steht

Die fachlichen Grundlagen sind ziemlich einfach und sollten auch ebenso einfach ausgesprochen werden. Zunächst kann es sich niemals in Erfüllung des oben erwähnten Anteils an der kollektiven Sicherheit bei der Wehadiienstzeitreform um eine tatsächliche Verkürzung handeln. Natürlich, die Grunddienstzeit kann gesenkt werden und wird es selbstverständlich auch. Da aber die Schulung zum Erwerb gewisser Kenntnisse eine ganz bestimmte Zeit erfordert, muß bei einer verkürzten Grundausbildungszeit der Rest eben in späteren Waffenübungen ergänzt werden. Worum es sich also heute handelt, ist der Ubergang zu einem anderen System, das nach einer kurzen Grunddienstzeit — etwa nach Schweizer Beispiel — durch Wiederholungsübungen eine Miliz aufbaut, für die wir auch schon einen Namen haben: die Landwehr. Diese wird die Masse der Verteidigungsvorbereitungen zu verantworten haben.

Dies wäre somit ein durchaus möglicher Weg, er ist aber nicht billiger als die heutige Situation, sondern wegen seiner höheren Kosten waffenübender Werkmeister, Universität tisprofessaren oder was immer für eine Stellung der Reservist erreicht haben mag, letztlich eine ganze Menge teurer. Er ist aber gut und bewährt; er kann, recht gehandhabt, den berühmten „Leerlauf“ auf ein Minimum senken und maximale nationale Sicherheit produzieren.

Allein aber ist das in unserem Land und in unserer Zeit nicht ausreichend. Wir können nicht jede Krise, die uns neutraütätspolitösche Aufgaben aufbürdet, durch Aufbietung dieser Landwehr — was natürlich als Mobilmachung verstanden würde — unnötig dramatisieren. Wir brauchen in unserer geopolitischen Lage Teilstreltkräfte, die jederzeit, wie eine Berufsfeuerwehr, ausrücken können, wenn politische Sturmzeichen auch gegenüber unseren Grenzen erkennbar werden. Mit wenigen Worten: Das Problem stellt sich so dar, daß die Wehrdienstzeitverkürzung als politisches Zentralproblem absolut lösbar ist und ein sehr guter Weg sein kann, wenn sie ergänzt wird durch Wiederholungsübungen für eine dann entstehende Miliz und Etablierung einer kleineren, stets einsatzbereiten harten Kernarmee.

Aber selbst eine befriedigende Lösung dieser beiden Schwerpunkte der flankierenden Maßnahmen um die Verkürzung der Grundwehr-dienstzedt wird nur ein Teilerfolg, wenn uns nicht auf dem personellen Sektor etwas Neues einfällt Der Mangel an Führungskräften — Offizieren und Unteroffizieren — ist quantitativ und qualitativ bereits derart groß, daß nur durch die Inkaufnahme einer erschreckenden Überalterung ein rapides Absinken der Führungsfähigkeit und damit der Einsetzbarkeit vermieden wird. Es muß einfach mehr im materiellen, besonders aber im psychologischen Bereich für den Kader getan werden, wenn wir wirklich eine bessere Armee wollen.

Da stehen wir heute. Und weil naturgemäß über die Entwicklung innerhalb der Reformkommission in bezug auf das militärisch Sachliche kaum Spektakuläres zu berichten ist, stürzen sich die Nichtf achleute innerhalb und vor allem außerhalb der Kommission mit großer Begeisterung in politische Begleitkämpfe. Diese erwecken dann den Eindruck, als ob ein Hauen und Stechen im Gange

wäre, was den Tatsachen in keiner Weise entspricht. Man sollte die mit großer Überzeugung vorgelegten Resolutionen, einschließlich ihrer Veröffentlichung, als das nehmen, was sie sind — Beiträge zur Klärung von Meinungsverschiedenheiten, die eine natürliche Folge von Diskussionen sein müssen. Ein sehr typischer Fall war zum Beispiel der Bericht über Meinungsverschiedenheiten, die in einer Zeitung sogar als „Generalsrevolte“ bezeichnet wurden. Als ob sich Experten nicht eine gemeinsame Meinung bilden dürften, wie dies überall auf der Welt der ständige Versuch von Fachleuten ist! Ob sie damit dann durchkommen oder nicht, ist Sache der ganzen Kommission und diese wiederum hat nichts anderes vor, als der Regierung Lösungen zu empfehlen, die diese annehmen kann oder auch nicht. Das ständige Dramatisieren von an sich selbstverständlichen Meinungsverschiedenheiten ist allerdings ein ziemlich verbreitetes Symptom unserer oft ungekonnten Demokratie.

In dieser Situation steht heute das Bundesheer, allerdings nach wie vor so gut wie allein; zumindest fühlt es sich so. Es mußte sich seit etwa 15 Jahren als Instrument einer Konsumgesellschaft verstehen lernen, die sich für möglichst wenig Geld Ruhe von einem lästigen Problem erkaufen wollte. So aber wird es nicht weiter gehen, weil die Offiziere allein an der Lösung genau dieses Problems sichtbar gescheitert sind. Zunächst haben sie es mit einer Menge Idealismus versucht. Bis vor kurzem haben sie sogar geglaubt, daß sie in Konsens mit der Mehrheit an der Erhaltung eines gemäß den gegebenen Umstanden möglichst guten Instrumentes zu arbeiten hätten. Heute ist dieser Glaube erschüttert; wohl auch als Reaktion darauf, daß Kritik auch in der intolerantesten Form sich überall bemerkbar macht, während das positive Bekenntnis — von den politischen Spitzen bis zum berühmten Mann auf der Straße — weithin ausbleibt. Die derzeitige Bundesh eerführung besteht ihrer Herkunft und inneren

Struktur nach mehrheitlich aus konservativ denkenden Männern — das ist in allen Armeen der Welt so. Sie aber öffenitliich einer Illoyalität gegenüber ihrem Minister oder gegenüber der gesetzmäßigen Regierung auch nur zu verdächtigen, ist einfach Unsinn. Sie erwartet mit nüchterner Reserve die Entscheidung der Regierung und will mit aller Verantwortung das sich abzeichnende neue Wehrsystem zur Konstruktion einer besseren Armee — und hoffentlich auch zu einer überzeugenderen als bisher — ausbauen. Wenn diese Regierung diese Aufgabe so ernst nimmt, wie dies Bundeskanzler Doktor Kreisky den Offizieren gegenüber versichert hat, dann bedeutet das auch die Schaffung der hierfür notwendigen Voraussetzungen und damit letzten Endes den Erfolg Ein Versagen aber gegenüber dieser Aufgabe, sowohl von politischer wie von fachlicher Seite her, würde, wie wir fürchten, zur endgültigen Demontage der Landesverteidigung führen — mit allen verheerenden staatspolitischen Konsequenzen.

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