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OBERFLÄCHLICH KONZIPIERTER PLAN

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Während die Parteien der großen Koalition gegenwärtig beinahe in allen Politikbereichen - von der Verstaatlichten Industrie über die Pensionsreform bis hin zur neuen Universitätsorganisation sowie natürlich bei der außenpolitischen Akzentsetzung-jeweils beim Regierungspartner Bereichsopposition zu inszenieren bereit sind, teils in Form eines großen medialen Theaterdonners, teils in substanziellen Divergenzen begründet, scheint die im Regierungsübereinkommen angekündigte Heeresreform ohne große Diskussionen Ende November letzten Jahres über die Bühne (= Landesverteidigungsausschuß) gegangen zu sein.

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Während die Parteien der großen Koalition gegenwärtig beinahe in allen Politikbereichen - von der Verstaatlichten Industrie über die Pensionsreform bis hin zur neuen Universitätsorganisation sowie natürlich bei der außenpolitischen Akzentsetzung-jeweils beim Regierungspartner Bereichsopposition zu inszenieren bereit sind, teils in Form eines großen medialen Theaterdonners, teils in substanziellen Divergenzen begründet, scheint die im Regierungsübereinkommen angekündigte Heeresreform ohne große Diskussionen Ende November letzten Jahres über die Bühne (= Landesverteidigungsausschuß) gegangen zu sein.

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Doch im Anschluß an die der Öffentlichkeit bekannt gegebene allgemeine Zufriedenheit wurde relativ wenig über die Detailregelungen gesprochen, die dem Reformvorhaben zugrunde liegen müssen; außer, über den magisch ins Auge gefaßten reduzierten Mobilmachungsrahmen von 120.000 Mann netto (rund 40 Prozent weniger, ohne Einbezug der Personalreserve), sodaß eine kritische Würdigung des Ubereinkommens vor der Rätselhaftigkeit oder Geheimnistuerei der handelnden Personen bisher restlos kapitulieren mußte.

Erst als kurz nach Jahreswechsel eine ministerielle Broschüre „Bun-desheerreform - Heeresgliederung-Neu" vom Dezember '91 mit breitem Verteilerkreis unter das Volk gebracht wurde, erhärtete sich der Verdacht, daß es mit dem großen Wurf nicht so weit her sein kann, denn außer wohltönenden Phrasen und Schlagworten wird in dieser Broschüre natürlich keine „Heeresgliederung" präsentiert.

Studiert man parallel dazu die Zivildienstgesetznovelle 1991, dann kann mit Fug und Recht behauptet werden, daß es sich hier um keine „Reform", sondern um einen prinzipiellen Wechsel des Wehrsystems handelt - mit oder ohne Wissen des Ministers, mit oder ohne Mitwirkung von Teilen (welchen?) der Hochbürokratie -beides tut hier nichts zur Sache.

Auch dies wäre nicht so schlimm, würde es offiziell als das ausgegeben, was es ist, und wäre man nicht krampfhaft zu versichern bemüht, Kontinuität, Kompetenz und Flexibilität in der österreichischen Wehrgesetzgebung verpflichtet zu sein.

So bin ich bei der grundlegenden These dieses Aufsatzes: Die Beschlüsse vom Ende des Vorjahres heißen plakativ ausgedrückt „Bundesgrenzschutz Light" bis Mitte der neunziger Jahre. „Günther Nenning schau oba"\ Minister Fasslabend (ÖVP) verwirklicht das Grenzschutzkonzept des Antibundesheervolksbegehrens vom Anfang der siebziger Jahre.

Der prinzipielle Vorwurf an die sogenannte Heeresreform lautet somit: Es handelt sich, entgegen manchen offiziellen Beteuerungen, um ein oberflächlich konzipiertes Planungsvorhaben, das nicht seriös durchkalkuliert worden ist und dem daher wenig Realisierungschance zugebilligt werden kann. Weiters sind die aus der Beurteilung des internationalen Umfeldes gezogenen politischen Schlußfolgerungen wahrscheinlich falsch, zumindest aber zweifelhaft und erklärungsbedürftig. Die Kernaussage dieser mehr als anzweifelbaren Beurteilung lautet ja: verstärkte Ka-derung, mehr Präsenz, zeitlich schnellere Verfügbarkeit.

Vorwurf Nummer zwei: Die sich abzeichnenden Lösungsvorschläge werden die politischen Zielvorgaben nicht realisieren können. Warum wurden sie dann ausgesucht? Wichtige Themen wurden bisher nicht einmal andiskutiert: Zum Beispiel die Redimensionierung der Peacekee-pyig-Aktivitäten und die Frage der Sportförderung im ÖBH.

Zur skizzenhaften Begründung dieser beiden Behauptungen in aller Kürze eine knappe Erinnerung: Trotz aller großkoalitionären Einigung ist das eigentliche sicherheitspolitische Konzept der Republik Österreich, nämlich der „Landesverteidigungsplan", skurrilerweise weiterhin in Kraft, gegenwärtig aber wohl kaum mehr das Papier wert, auf dem er gedruckt worden ist.

Dies, obwohl seine konzeptionellen Überlegungen in sich stimmiger, und auch mit den veränderten internationalen Rahmenbedingungen besser in Übereinstimmung zu bringen sind, als die zur Zeit aphoristisch an die Öffentlichkeit drängenden „Konzepte".

War die Raumverteidigung mit ihrer truppenmäßigen Sättigung des österreichischen Bundesgebietes samt regionaler Aufbietung zwar auch eine Resultierende aus der Einsicht in die eigene militärische Schwäche, so waren die vorgeblich heute teilweise neu „erfundenen" Grenzsicherungen schon eine wesentliche Komponente dieses vermeintlich „alten Zopfes" namens Raumverteidigung.

Vielleicht haben die kriegerischen Ereignisse vor der Haustür des Frontstaates „Österreich" so manchem Skeptiker die Bedeutung „schweren Geräts" nachdrücklich vor Augen gebracht und sie einem weiteren Lernprozeß zugeführt.

Der Mangel an militärischer Bewegungsfähigkeit im Großen (kaum Luftstreitkräfte, geringe Fliegerabwehr und wenig Panzerung und Artillerie) sollte durch kleintaktische/operative Aktivitäten im Kleinen kompensiert werden. So zumindest die Theorie.

Erste Priorität hatte ursprünglich für Österreichs Politiker und Militärs der Konflikt zwischen den beiden Militärallianzen im Donautal. Die ganze Verteidigungsstrategie wurde sodann mit dem Gedanken der Abhaltung überlagert, demgemäß das Inntal im Burgenland und vice versa verteidigt werden sollten.

Auch die organisatorische Umsetzung der Raumverteidigung war ein gerade immer nur halbherziges Unterfangen. Zusätzlich führten politisches Desinteresse und innermilitärischer Schulenstreit dazu, daß ein Großteil der Wehrpflichtigen in der Administration des Apparates versik-kerte.

Ein weiteres bekanntes Leiden war die Kopflastigkeit der Kommanden (es gab und gibt immer zu viele „arbeitslose Häuptlinge" und zu wenige „Indianer"). Weiters wurde die Mobilisierung nicht einmal im kleinen Rahmen erprobt; die Truppenübungen waren zu kurz und kompliziert angelegt, die sozialrechtliche Stellung der Truppenübenden war und ist katastrophal, die technologischen Neuerungen waren minimal, die Verwaltung erstickte den Betrieb in zahlreichen „notwendigen" Einzelregelungen, um nur einige Mängel demonstrativ aufzuzählen.

Beginnen wir im Sommer 1991: Die Nichtbewältigung der Slowenienkrise war der Beginn der Bundesheer-demontage. Obwohl jahrzehntelang davon gesprochen wurde, daß bei regionalen Grenzkonflikten auch regionale Truppen aufgeboten (= mobilisiert) werden sollen und müssen, weigerte sich die politische Führung standhaft, gemäß ihrerjahrelang vertretenen konzeptionellen Maxime zu handeln.

Als plakatives Argument wurde behauptet, dies müsse unter allen Umständen deswegen verhindert werden, da es von der kommunistisch-großserbischen Seite als „provokati-ver Akt" mißbraucht werden könne.

Gleichzeitig war man aber von politischer Seite bereit, ungenügend ausgebildete Grund wehrdiener in den Grenzsicherungseinsatz zu schicken. Man nährte die Illusion der „stehenden Armee". Hatte man nicht knapp zuvor mit viel Erklärungsbedarf und -aufwand aus ausbildungstechnischen Gründen gegen eine viermonatige Grundwehrdienstzeit argumentiert?

Der Ost-West-Konflikt im Donautal kann in die unterste Schublade gesteckt werden, daher ist eine schnelle Präsenz - entgegen den offiziell verlautbarten Stellungnahmen -weniger wichtig als je zuvor. Die Pläne für regionale Bedrohungen, Sicherungseinsätze und Assistenzleistungen können aktualisiert und in das oberste Fach gelegt werden. Nur eines scheint relativ gewiß zu sein: In keinem der evaluierbaren Bedrohungsfälle ist eine zeitlich rasche Präsenz von Nöten. Selbst der Krieg zwischen Slowenien und der großserbischen Armee hat sich, einer Tragödie gleich, über mehrere Monate, wenn nicht Jahre hindurch aufgebaut.

Wichtig wäre vielmehr ein funktionierendes Mobilmachungsverfahren (dies ist auch ein Ergebnis der deutschen Wehrstrukturkommission), das rechtlich und politisch voll gedeckt wird. Selbst die als Bereitschaftstruppe beziehungsweise BT-ähnlichen Verbände bezeichneten Truppen des ÖBH waren bisher zur Erlangung ihrer vollen Truppenstärke immer auch auf Mobilisierung angewiesen. Und Mobilisierung hat nur dann einen Sinn, wenn jene Männer, die aufgeboten werden sollen, nicht allzuviel von ihrem militärischen Handwerkszeug vergessen haben - daher Truppenübungen.

Schließlich zeigt die Geschichte des Bundesheeres der Zweiten Republik auch, daß es nie gelungen ist, ausreichend „Profis" anzuheuern (eine weitere der nichtgenannten ewigen „Lebenslügen"). Nicht einmal für die attraktiven Funktionen von Jetpiloten war dies durchzuführen. Daher die Fiktion der „BT".

Da heute (Februar 1992) die österreichischen Bürger wissen, daß sie selbst für kleinere Grenzzwischenfälle nicht herangezogen werden, weil dies außenpolitisch für zu „riskant" erachtet wird, werden sie sich auch in Zukunft umso weniger für Kaderfunktionen zur Verfügung stellen. Der Bundesminister sprach nicht versehentlich! wiederholt von „Freiwilligenverbänden". Die vom Generaltruppeninspektor während der Slowenienkrise geforderte individuelle freiwillige Stellung ist ja ein Nonsens, da nicht individueller Ersatz gefragt ist, sondern funktionierende Verbände im Einsatz gewünscht werden.

Die neue Zivildienstregelung bietet nach Paragraph 2 Absatz 1 allen jungen Männern die Möglichkeit, zwischen Militärdienst und zivilem Ersatzdienst (= Alternativdienst) formlos zu wählen. Die Abschaffung der Kommi ssion wäre nur dann zu begrüßen, wenn die Einrichtung des „Tatbeweises" über die Ableistung einer substanziell längeren Dienstzeit abgesichert wäre.

Doch bei einem im Regelfall zweimonatigen Unterschied (Regelzeit Bundesheer neu: acht Monate; Regelzeit Zivildienst: zehn Monate) wird nach einer gewissen Frist jene Schiene verstärkt genutzt werden, deren Erfahrungen sich für das spätere Berufsleben besser verwerten lassen. Dies wird vielfach der Zivildienst (Sozialdienste, landwirtschaftliche Hilfen et cetera) sein.

Im österreichischen Bundesheer wird es nach dem bisherigen Informationsstand (= Desinformation) auch keine Ausbildungsreform geben; von den angekündigten Motivationsleistungen (Prämien und so weiter) ist gegenwärtig schon gar nichts mehr zu hören. „8+0" und „7+1" wird die vorherrschende Form bei der Ableistung des Grundwehrdienstes sein, solange noch ausreichend Grundwehrdiener rekrutierbar sind. Reservekader wird sich nur mehr äußerst spärlich einfinden.

Offen ist, wer in Friedenszeiten beziehungsweise im Einsatzfall unter dem Bundesminister das militärische Kommando ausüben wird. Unter den drei Korpskommanden - vergleichbar den früheren Gruppenkomman-den - wird die Ebene der Militärkommanden beibehalten. Darunter wird es rund zwölf bis 15 mobile Jägerbrigaden geben, inklusive der drei Panzergrenadierbrigaden. Die Friedensstruktur der Land wehrstammregimen-ter wird reduziert und umbenannt.

Daneben sollen zusätzliche Einheiten gebildet werden, zum Beispiel für den Grenzschutz, denn die alten Verbände fielen der letzten (HG 1987) beziehungsweise fallen der gegenwärtigen Heeresgliederung zum Opfer. Hier handelt es sich immer wieder um die technokratisch-planerische Verschiebung von „Menschenmaterial" - einmal aufzustellen, dann wieder aufzulösen.

Warum die politischen Bundesheer-planer eine Netto-Stärke von 120.000 Mann festgelegt haben, konnte nicht eruiert werden. Durchgerechnet wurde, wenn überhaupt, alles ja wahrscheinlich nur mit der zuvor politisch gehandelten Größenordnung von 150.000 Mann netto, ohne erhöhte Beweglichkeit und ohne materielle Strukturveränderungen.

Hier liegt beim gegenwärtigen Stand der Dinge wahrscheinlich auch einer der größten Mängel der jetzigen „Reform": Der Mangel an diskutierbaren rationalen Alternativen, die geringe Öffentlichkeit und Transparenz, die Vielzahl an Studien, deren Existenz oft behauptet, deren Inhalte aber niemals nachvollziehbar waren.

Der militärische Kleinstaat Österreich glaubt ohne militärische Potenz auf sein einziges Asset verzichten zu können: Quantität (auch die ist relativ gering) und gesellschaftlichen Rückhalt (Präsenz im übertragenen Sinne); letzterer war in Österreich immer schon brüchig!

In einer Welt der Unordnung und des Chaos soll es jedem offen stehen mit seinen privaten Versicherungs-polizzen wild herumzufuhrwerken. Politiker sollten aber vielmehr einer Verantwortungsethik huldigen, da ihre Mißgriffe zumeist von der nächsten Generation auszubaden sind.

Dr. Heribert Fernau ist Marktanalyst der Bank Austria, Lektor am Institut für Politikwissenschaft der Universität Wien und karenzierter Beamter der Landesverteidigungsakademie.

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