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Industrieplanung mit der Industrie

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Auch grundsätzliche Anhänger einer völlig freien Wirtschaft dürften heute kaum mehr bestreiten, daß die seit dem Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts und vor allem während des zweiten Weltkrieges in den meisten Staaten getroffenen planwirtschaftlichen Maßnahmen zumindest im Produktionssektor der Volkswirtschaft zu sehr beachtenswerten Erfolgen geführt haben. Nach der modernen Wirtschaftsauffassung, wie sie namentlich von der jüngeren Generation, der ich angehöre, vertreten wird, ist daher eine gesamtwirtschaftlich geplante Produktion innerhalb eines gegebenen Wirtschaftsraumes überall dort nicht nur ratsam, sondern unbedingt notwendig, wo außerordentliche Umstände zur Wiederherstellung normaler Wirtschaftsverhältnisse außerordentliche Maßnahmen erfordern. Darüber hinats aber herrscht heute die Ansicht, daß auch in normalen Wirtschaftszeiten zur möglichsten Verhütung von Kräftevergeudung und Erreichung des optimalen Erfolges die Planung in der Wirtschaft, mindestens in der Güterproduktion beibehalten werden sollte. Wann sollten diese Erkenntnisse für Österreich mehr Geltung haben als heute? Die Ereignisse vor und nach dem Kriegsende haben den in Wien, Niederösterreich, Burgenland und Steiermark gelegenen Industrien, also dem größten Teile der österreichischen Industrie überhaupt, so gewaltige Schäden zugefügt, daß vielfach das genaue Ausmaß noch gar nicht festgestellt werden konnte. Abgesehen von allen aus der Besetzung sich ergebenden Schwierigkeiten steht dieser überwiegende Teil unserer Industrie nunmehr, rein produktionstechnisch gesehen, vor der paradoxen Situation, die Gütererzeugung ohne Rohstoffe, ohne Maschinen und ohne Werkzeuge wieder in Gang zu setzen!

Diewichtigen und schwierigen Fragen des Eigentums, der Währung, der Versorgung mit Arbeitern usw., will ich hier nur streifen, auch sie aber scheinen mir zu bestätigen, daß die Aufgabe, die Erzeugung rasch und wirksam wieder in Gang zu bringen und den bestehenden Verhältnissen und Notwendigkeiten anzupassen, nicht dem Gutdünken und der wirtschaftlichen Erkenntnisfähigkeit der Betriebsleitung überlassen bleiben darf, sondern daß hier der Staat, selbstverständlich in der gebotenen engsten Zusammenarbeit mit der Wirtschaft, lenkend und planend eingreifen muß. So sehr es dem demokratischen Sinne der Österreicher entsprechen mag, sich einer wirtschaftlichen Freiheit zu erfreuen, erfordert die Notwendigkeit, die gegenwärtige wirtschaftliche Katastrophe raschestens zu überwinden, somit das Gesamtwohl, die Durchführung der Güterproduktion im Rahmen einer geplanten Wirtschaft. Hier und heute die Grundsätze einer ganz freien Wirtschaft anwenden zu wollen, hieße, eine selbstmörderische Wirtschaftspolitik betreiben.

Wie aber soll diese Planung erfolgen? Welche grundsätzliche Maßregeln sind zu treffen oder schon getroffen? Der erste und wichtigste Grundsatz ist, daß die organische und planende Lenkung der Fachindustrie i m Rahmen der Fachverbände zu erfolgen hat, weil nur in diesem Rahmen der notwendige enge Zusammenhang mit der Industrie aufrechterhalten werden kann. Aus gewählten Vertretern der einzelnen Fachindustrien ist unter Hinzuziehung eines Vertreters der Fachbehörde ein Aussüiuß zu bilden, der bindend die Gestallung der Produktion im planwirtschaftlichen Sinne zu bestimmen hätte, zu welchem Zweck diesen Ausschüssen eine wirtschaftliche Verfügungsgewalt durch entsprechende Gesetzgebung eingeräumt werden muß. Vertreter politischer Parteien als solche gehören nicht in den Rahmen eines Produktionsausschusses hinein, da die Pro.iuktions-planung eine fadilich- wirtschaftliche, nidit aber eine politische Angelegenheit darstellt.

Die Aufgabe dieser Ausschüsse wäre eine dreifache: Normierung und Typisier u n g der Artikel, ferner Aufteilung der Arbeitsgebiete zwischen den Firmen, schließlich Ausschöpfung aller Produktionsmöglichkeiten.

Wenn es auch gewiß erstrebenswert erscheint, eine große Anzahl ähnlicher und gleichartiger Güter zu produzieren und wenn wir uns in Österreich in besseren Zeiten eine derartige Produktion leisten konnten und hoffentlich nach Überwindung der Wirtschaftskrise auch wieder leisten werden können, so kann das verarmte Österreich heute sich den Luxus vielgestaltiger Gütertypen vielleicht nicht mehr gönnen. Der wirtschaftliche Grund liegt in der Tatsache, daß zur Herstellung vieler Typen ein wesentlidier Mehraufwand an Materialien, Maschinen, Werkzeugen, Arbeit und Zeit erforderlich ist. Sicher ist in der Produktionsplanung die Möglichkeit des Exports zu berücksichtigen, doch muß jede Produktion in erster Linie auf die Bedarfsdeckung des Inlandmarktes abgestellt sein und heute mehr denn je durch ein niedriges Preisniveau der Zahlungsfähigkeit unserer verarmten Bevölkerung entsprechen.

Ein Beispiel der Industriegütererzeugung, dem sich 'auf sämtlichen Sektoren der Industrie hunderte anschließen lassen, sei erwähnt: Der Radioapparat. Vor dem Kriege wurden bei den zehn österreichischen Radioapparate erzeugenden Firmen ungefähr je fünf, also fünfzig Apparatetypen hergestellt, wobei jede Firma bemüht war, den gesamten Apparat mit seinen sämtlichen Bestandteilen selbst erzeugen zu können; das heißt, jede einzelne Firma benötigte alle Maschinen und Werkzeuge und Einrichtungen zur Herstellung jedes einzelnen Bestandteiles. Dadurch konnte bei einer in Österreich natürlich gegebenen Absatzmöglichkeit von 100.000 Apparaten jede einzelne der zehn Firmen die Herstellungskosten der Bestandteile pro Type nur auf jeweils 2000 Apparate umlegen. Hätten die Firmen die Produktion schon damals so aufgeteilt, daß nur eine Type erzeugt worden wäre, die Bestandteile dazu aber jeweils für die gesamte Serie auf einzelne Firmen aufgeteilt,hätten die Herstellungskosten statt auf 2000 auf 100.000 Stück umgelegt und damit ein Apparat um einen Bruchteil der früheren Kosten und damit des Preises hergestellt werden können. Heute, wo fast alle Betriebe einen Großteil ihrer Produktionseinrichtungen verloren haben, deren Nachschaffung gegenwärtig nahezu unmöglich ist, muß daher eine geplante Produktion die günstigste Ausschöpfung der vorhandenen Mittel durch Herstellung einer gemeinsamen Type erreichen. Die österreichischen Radiofirmen haben sich auch in Erkenntnis der wirtschaftlichen Notwendigkeit zu einem derartigen Schritte entschlossen und damit der gesamten Wirtschaft ein erfreuliches Beispiel vernünftiger Planung gegeben, .... ..

Das Gelingen derartiger Wirtschaftsübereinkommen darf aber nicht dem glücklichen Zufall überlassen bleiben, sondern muß im Rahmen einer gesamtwirtschaftlichen Planung unter behördlicher Mitwirkung erfolgen. Die Gegner planwirtsdiaftlicher Bestrebrn;en wenden ein, daß bei Richtigkeit dieser wirtschaftlichen Überlegung auch die freie Wirtschaft ohne staatliche Einmischung zur Durchführung derselben Maßnahmen gelangen würde, wenn sie überhaupt die optimale Produktion zu erreichen imstande ist. Die theoretisdie Richtigkeit dieses Einwurfes soll nicht bestritten werden, Erfahrungstatsachen lehren aber, daß er praktisch heute nicht anwendbar ist. Der Grund liegt vor allem darin, daß es in Österreich gegenwärtig sowohl an der Zeit als auch an der wirtschaftlichen Stärke fehlt, um die notwendige wirtschaftliche Regelung dem freien Spiel der Kräfte überlassen zu können, da schon die Möglichkeit wirtschaftlicher Kräftevergeudung, und damit zusammenhängender Notlagen, wie sie sich naturgem'äß für den einen oder den anderen aus dem freien Spiel der Kräfte ergeben, heute von vorneherein verhindert werden muß, wollte man nicht das jetzt so geschwächte Gebäude der österreichischen Wirtschaft schwerster Gefährdung aussetzen.

Im übrigen können sicherlich derartige planende Produktionsmaßnahmen relativ große, betriebliche Eingriffe darstellen. Wie aber die Dinge heute liegen, verfügt nahezu kein Industriebetrieb über eine Leitung, welche imstande oder gewillt wäre, selber die Verantwortung für betriebs- und planungstechnische Maßnahmen zu übernehmen, die sich ja doch zumindest über einen Zeitraum von vier bis fünf Jahren erstrecken müßten, um den gewünschten Erfolg voll herbeiführen zu können. Leider befinden sich noch immer zahlreiche Leiter wirtschaftlicher Betriebe, welche den Ernst der Lage offenbar noch nicht eingesehen haben, im „goldenen Westen“ und versuchen sich dort mit ebenso unorganischen wie sinnlosen wirtschaftlichen Neugründungen, während ihre Betriebe im östlichen Österreich Maßnahmen, die über den Rahmen des täglichen Wirtschaftslebens hinausgehen, nicht zu fassen imstande sind. Aber auch viele öffentlichen Verwalter sind erfahrungsgemäß in der Regel zu weittragenden wirtschaftlichen Beschlüssen zumindest aus dem Grund unfähig, weil sie zur Erhaltung ihrer persönlichen Stellung zu sehr von de i Gunst des Augenblickes abhängig sind, um das Risiko einer betreolichen Veränderung auf sich nehmen zu wollen. Letzten Endes braucht man sich aach darüber nicht im unklaren zu sein, daß die Industriebetriebe infolge jahrelanger Konkurrenzkämpfe sich grundsätzlich, wenn schon nicht feindlich, so doch zumindest äußerst mißtrauisch gegenüberstehen. Die Beiziehung eines Behördenvertreters und die Mitwirkung der Behörden an der Ausarbeitung der planwirtschaftlichen Produktionsmaßnahmen einerseits und die Ausstattung der Produktions-ausschüsse mit verfügender Gewalt über die betreffenden Industriesektoren andererseits, sind daher grundlegende Voraussetzungen für die Durchführung jeder Planungsmaßnahme.

Weiterhin hätten sich die Ausschüsse auch mit der Frage des Maschinenaus-gleiches zu befassen, dessen bisher vergeblich erwartete Durchführung mit zu den wichtigsten Faktoren eines erfolgreich geplanten Produktionsanlaufs gehört. Es würde aber über den Rahmen dieses Aufsatzes hinausgehen, die Notwendigkeit eines Maschinenausgleichs und die Hintergründe seiner Verzögerung näher zu erörtern. Die Beschränkung der Aufgaben der Wirtschaftsplanung auf die früher erwähnten drei Punkte überläßt im übrigen der Privatinitiative in allen wirtschaftlichen Sektoren, insbesondere auf dem Absatzmarkt, das allerweiteste Betätigungsfeld.

Es muß daher mit Nachdruck darauf hingewiesen werden, daß die planende Gestaltung der österreichischen Wirtschaft in diesem Sinne bereits bis zur Ausarbeitung eines Gesetzentwurfs über die Bildung von Produktionsausschüssen fortgeschritten war, nachdem die Durchführung planender Wirtschaftsmaßnahmen innerhalb der Industrie ohne Ausstattung der Ausschüsse mit verfügender Gewalt auf den meisten Gebieten aus den angeführten Gründen nicht durchzuführen gewesen ist. Es ist für die österreichische Wirtschaft überaus bedauer-lich, daß dieser Wirtschaftsplan in Vergessenheit zu geraten scheint. Obzwar seit der Befreiung Österreichs bereits so viel kostbare Zeit verstrichen ist, konnten alle von der Industrie kommenden positiven Pläne zur künftigen Gestaltung der österreichisdien Industrieproduktion bisher infolge mangelnder behördlicher Unterstützung durch Erlaß entsprechender Bestimmungen noch immer nicht durdigeführt werden, während andererseits die Industrie in der gleichen Zeit sich einer Unzahl von letzten Endes doch nur negativer Bestimmungen in Gestalt von Beschränkungen und Verboten unterwerfen mußte.

Im Interesse der Gesamtwirtschaft muß daher die dringende Forderung erhoben werden, daß sich alle zuständigen Stellen mit größter Beschleunigung und größtem Nachdruck mit den Fragen der Produktionsplanung befassen. Es ist auch inständig zu hoffen, daß in der Argumentation über diese Fragen alle parteipolitischen Momente zugunsten sachlicher Erwägungen zurückgestellt werden. Die Erfahrung stellt allerdings der österreichischen Demokratie in dieser Hinsicht nicht das beste Zeugnis aus, denn noch immer sdieint es hierzulande Sitte zu sein, freie Meinungsäußerungen in erster Linie auf jeden möglichen doktrinären Zusammenhang erforschen und sogleich parteipolitisch einreihen zu wollen, während die Möglichkeit eines sachlichen Beweggrundes vielfach nicht mehr vorausgesetzt und daher auch nicht erwogen wird.

Weiter wäre wünschenswert zu verhindern, daß die Regelung dieser Frage nicht durch den wiedererstandenen Bürokratismus in unserer Wirtschaftsorganisation weiter verlangsamt wird; man bedenke doch nur, daß sich gleichzeitig nicht weniger als vier behördliche Stellen mit den gleichen Belangen der Industrie beschäftigen, nämlich die Industrieabteilung des Handelsministeriums, der Beauftragte für die Industrie und das Ministerium für Vermögenssicherung und Wirtschaftsplanung.

Gewiß mögen sich diese Behörden mit dem Gedanken einer geplanten Wirtschaft befassen — haben doch auch alle drei politischen Parteien Österreichs deren Durchführung in ihr Programm aufgenommen —, konkrete Erfolge können nur durch die engste Fühlungnahme mit den Industriebetrieben selbst erzielt werden und diese, so muß bedauernd festgestellt werden, ist in dem nötigen Umfang bisher noch immer nicht aufgenommen worden, obzwar die Mißstände einer rein staatlich geplanten Wirtschaft uns allen noch in lebhafter Erinnerung sein sollten.

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