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Keine „Unternehmergeschenke“

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In den Naohkriegsjahren haben wir uns immer mehr daran gewöhnt, in regelmäßigen Abständen für die gesamte Volkswirtschaft Bilanzen zu erstellen und mit Hilfe von Globalzahlen und Änderungsgrößan über Leistungen und Erfolge der Wirtschaft Rechnung zu legen. Abgesehen von den für kurzfristige Dispositionen wesentlichen Daten über den Konjunkturverlauf gehören dabei jeweils die Zuwachsraten des Bruttonationalprodukts zu den „magischen Ziffern“. Es werden die Ergebnisse mit denen aus Vorperdoden und aus anderen Ländern verglichen und analysiert, es wird die zukünftige Entwicklung prognostiziert und Verbesserungsmaßnahmen werden ausgearbeitet. Wenn gesetzte Erwartungen nicht erfüllt werden oder Rückschläge eintreten, wird nach den in Frage kommenden ökonomischen und außerökonomischen Gründen gesucht.

Ich will aus dem Katalog der ökonomischen Postulate, die auf Grund der gegenwärtigen Wirtschaftslage zu stellen sind, nur einige besonders wichtige erwähnen: Wir brauchen zur Erreichung optimaler Wachstumsraten eine wachstumsadäquate Wirtschaftsstruktur, wir brauchen mehr Raum für gesunden Wettbewerb, die entsprechenden Mittel für notwendige und leistungsverbessernde Investitionen sowie für die Durchführung von For-schungs- und Entwicklungsaufgaben. Wir brauchen Aufstiegs- und Verbesserungsmög-lichkieiten für die noch wirtschaftlich rückständigen Regionen unseres Landes, eine realistische Reorganisation der verstaatlichten Industrie, und wir brauchen eine verläßliche und längerfristige Investitionsvorschau der öffentlichen Hand. Dies betrifft in besonderem Maße die Bauwirtschaft, aber auch alle übrigen Wirtschaftszweige, um die Unsicherheit der Unternehmensdispositionen wenigstens teilweise vermindern zu helfen und zur Sicherung der Arbeitsplätze beizutragen. Wir brauchen einen stabilen Staatshaushalt und einen leistungsfordernden wirtseh afts- und steuerrechtlichen Rahmen für aktive und erfolgreiche Tätigkeit der Unternehmer und Arbeitnehmer.

Es ist eine grundlegende wirtschaftliche Tatsache, daß quantitativ erfaßbare Daten keineswegs allein für die Wirtschaftsentwicklung bestimmend sind, sondern daß darüberhinaus auf nicht meßbare Vorstellungen und Erwartungen der Unternehmer und Konsumenten Rücksicht genommen werden muß. Wir brauchen zum Beispiel eine konstruktive Zusammenarbeit mit dem Wirtschaftspartner, wie sie sich unter anderem in der Paritätischen Lohn- und Preiskomimission sehr bewährt, und wir brauchen vor allem eine leistungsfreudige und von realistischer Einschätzung wirtschaftlicher Gegebenheiten getragene Haltung der österreichischen Bevölkerung. Nachdem von den fünfziger bis Anfang der sechziger Jahre immer von den großen Leistungen und dem starken Aufbauwillen der österreichischen Bevölkerung die Rede war, als es darum ging, das „österreichische Wirtschaftswunder“ zu erklären, macht sich nunmehr, angesichts der weniger spektakulären Wachstumsraten, mancherorts ein gewisser Defaitismus breit. Die rezessive Wachstumsentwicklung von 1967, die bis Anfang 1968 andauerte und mit einem Konjunkturtief zusammentraf, hat diesen noch verstärkt. Hat sich unsere „Mentalität“ geändert?

Die außerwirtschaftlichen Schwierigkeiten in Form der Diskriminierung österreichischer Exporte in den EWG-Raum sowie der Umstand, daß die Produkte des geographisch ungünstig gelegenen Wirtschaftsraumes Österreich auf den Auslandsmärkten in zunehmend starken Konkurrenzdruck kommen, haben ebenso zu Anzeichen von Resignation geführt wie die manchmal vertretene Auffassung, daß Österreich auf Grund seiner starken wirtschaffliehen Verflechtung mit dem Ausland außerstande sei, eine autonome Aufwärtsentwicklung zu nehmen. Dieser Auffassung, welche die sicher ernsten, aber nicht unüberwindlichen externen Hemmnisse überbewertet, steht eine andere gegenüber, nach der die Hauptschwierigkedten im inneren Gefüge unserer Wirtschaft liegen. Unter ihnen gibt es auch solche, die, anstatt sich hier mit voller Kraft in den Dienst der heilenden Erneuerung zu stellen, mit der Feststellung resignieren, die leistungshemmende Mentalität der Österreicher verhindere größeren wirtschaftlichen Erfolg. Nicht nur der enorme Aufschwung der fünfziger Jahre, sondern die weiterhin täglich und überall aufs Neue erbrachten Beweise von Leistungserfolgen österreichischer Unternehmen jeder Größenordnung und aus den verschiedensten Wirtschaftszweigen zeigen, daß es äußerst bedenklich wäre, von einer leistungshemmende Mentalität der Österreicher zu sprechen. Nicht zuletzt zeigte sich die Flexibilität des österreichischen Unternehmers gerade im Rezes-sdonsjahr 1967, als es ihm gelang, bei geringen Chancen auf dem heimischen Markt, verstärkt in den Export auszuweichen. Die anerkannte Stabilität unserer Währung, das beachtliche Niveau des allgemeinen Wohlstandes, die ständig wachsenden Beträge auf den Sparkonten unserer Bevölkerung, dies alles sind Früchte, die durch Fleiß und Mühe erworben wurden.

Österreich ist nicht das Land feuchtfröhlicher Donauphäaken, sondern ein Land, dessen tüchtige Bewohner nach den bitteren Erfahrungen vergangener Jahrzehnte zu sehr realistischen Einstellungen gekommen sind. Sie sind bei ihren Dispositionen vielleicht vorsichtiger als andere Leute, sicher aber überlegter, als manchmal angenommen wird. Aus dieser Erwägung vertraue ich übrigens auch darauf, daß die österreichische Bevölkerung der gegenwärtig aktuellen Frage der Arbeitszeitverkürzung mit entsprechendem Realismus und Weitblick gegenübersteht. Wir wissen alle, daß jeder Kuchen nur einmal verzehrt werden kann. Im Dienste der funktionsgerechten Erfüllung ihrer Produktions- und Dienstleistungsaufgaben kann die Wirtschaft keine „Unternehmergeschenke“ verteilen, denn die unrichtig eingesetzten Mittel würden unweigerlich dort fehlen, wo man sie braucht Mit anderen Worten bedeutet dies, daß die für die verkürzte Arbeitszeit im Betrieb zusätzlich nötigen Kosten beispielsweise vom Fond für Investitionsmittel oder für durch Rationalisierung mögliche Lohnerhöhungen abgezogen werden müßten. Ein klarer Uberblick über die effektiven gesamtwirtschaftlichen Auswirkungen einer Arbeitszeitverkürzung wäre allerdings erst auf Grund der Ergebnisse der Erhebungen des Beirates für Wirtschafts- und Soziälfragen möglich. Nur sachlich fundiertes Unterlagen-raatenial läßt sachliche, objektive Entscheidungen zu. Jede andere Lösung wird schwerlich ohne den Verdacht politischer Demagogie durchführbar sein.

Wie schon erwähnt, stellen die Erwartungen der Wirtschaftsteilnehmer wesentliche Einflußgrößen der Wirtschaftsentwicklung dar. Sie sind aber nicht meßbar und können daher nur in ihren Auswirkungen erfaßt werden. Die Vielfalt von Zusammenhängen und Bestimmungsfaktoren macht eine isolierte Beurteilumig einzelner Erscheinungen sehr schwierig und unsicher. In noch viel stärkerem Maße aber muß man sich vor Pau-schalurteilen hüten. Wie oberflächlich und leicht durchschaubar damit bisweilen argumentiert wird, erkennen wir, wenn wir folgendes Beispiel betrachten: Der österreichischen Unternehmerschaft wird manchmal Mangel an Initiative und Risikobereitschaft vorgeworfen. Österreichs Unternehmer seien zu trad&tionaiistisch und zuwenig auf die Erzielung von Extragewinnen durch Pionierleistungen bedacht Damit sollten offenbar Zaghaftigkeit und Schwäche als Mentalitätsrnerkmale herangezogen werden, während zur gleichen Zeit und aen gleichen Unternehmern gegenüber zeitweise noch immer Vokabel wie „Machtpolitik“, „Profithunger“ und ausbeuterische Gesinnung“ zu hören sind. Aus solchen widerspruchsvollen Vorwürfen werden wir keine Antwort auf die Frage nach einer anfälligen typischen Mentalität“ finden. Ebenso wie die optimistischen oder pessimistischen Erwartungen der Unternehmer im Konjunkturverlauf nicht Ausdruck einer — wechselnden — Untemehmermentalität sind, hat auch die zitierte Zurückhaltung und Besonnenheit reale ökonomische Ursachen. Außerdem sollten wir das namentlich in jüngster Zeit wachsende Interesse hochentwickelter ausländischer Industrien an Kooperation und österreichischen Unternehmungen nicht übersehen.

Wer die Unzahl verwaltunigsrechtlicher Schranken, steuerrechtlicher Probleme und der — gemessen am wesentlichen Durchschnitt — enorm hohen Steuerlasten kennt, wer an die Schwierigkeiten auf den ausländischen Märkten, an den ständigen Preisdruck durch die in- und ausländische Konkurrenz und schließlich an den wachsenden Lohnauftrieb denkt, der die Kostenschere immer weiter öffnet, der wird nicht von Schwäche, sondern vom bewundernswert dynamischen Einsatz der Unternehmer sprechen können. Tatsächlich hat die Unternehmerschaft nie resigniert, sondern trotz aller Hemmnisse durch verläßliche Erfolge ihren Beitrag zum Wachstum, Wohlstand und Ansehen unserer Wirtschaft geleistet.

Ich glaube nicht an irgendwelche Merkmale einer „leistungshemmenden Mentalität“, wohl aber meine ich, daß gewisse wirtschaftliche Gegebenheiten — auch das gesamte „Klima“ überhaupt — auf die Dauer leistuingshemmend wirken können. Dazu brauchen wir aber keine Seelenkur, sondern lediglich eine schrittweise und zielstrebige Fortsetzung des bereits eingeschlagenen Weges der Reform und Erneuerung. Im einzelwirtschaftlichen Bereich bedeutet dies unermüdliche Aufbauarbeit für Rationalisierungen und Produktivitätssteigerungen, im Bereich der Gesamt-wirtschaft Sicherung der Stabilität und bestmögliche Leitung und Koordinierung aller ökonomischen Kräfte.

Ich habe also keine Bedenken, daß es den Wirtschaftsteilnehmern in Österreich an Aufbauwillen und Bereitschaft zu Höchstleistungen fehlen könnte. Die Ergebnisse unserer Wirtschaftsanalyse halten durchaus Vergleichen mit dem Ausland stand. Wir müssen uns nur, gleich auf welchem Platz wir stehen, als Wirtschaftspolitiker, als Unternehmer, ebenso wie als Arbeitnehmer und als Konsumenten bemühen, möglichst wenig auf kurzfristig positiv erscheinende Maßnahmen bedacht zu sein. Das Wachstum einer Volkswirtschaft ist ein langfristiger Prozeß. Zu seiner Vergrößerung sind Maßnahmen nötig, die wir auch auf die Dauer gesehen verantworten können, mögen sie vielleicht im Augenblick auch manchmal unpopulär sein. Wenn wir alle uns diesen Weitblick bewahren, können wir mit Recht, eine gesunde und stetige Ausweitung unseres Nationalprodukts erhoffen.

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