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Solide Ausgangsbasis

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Österreichs W irtsoha f tssitu a tion zu Beginn des Jahres 1975 unterscheidet sich deutlich von jener in anderen westlichen Industrieländern. Das zeigen die nun vorliegenden Wirtsohaftsdaten des Jahres 1974 deutlich. Diese sind sowohl für die Bestimmung unserer wirtschaftlichen Position als auch für die Wei- terführung einer die gegebenen Chancen nützender Wirtschaftspolitik von ausschlaggebender Bedeutung.

Zu Beginn des Jahres 1974, als die gesamte Welt und auch die österreichische Öffentlichkeit noch unter dem Energie- und Erdölschock stand, ging es darum, die wirtschaftspolitische Strategie so rasch wie möglich den geänderten Verhältnissen anzupassen. Das bedeutete, global die Stabilisierungsbemühun- gen fortzusetzen, gleichzeitig aber der — auf Grund der internationalen Konjunkturentwicklung bestehenden — Gefahr von Beschäftigungseinbrüchen regional und sektoral entgegenzuwirken. Die Kon junkturpolitik für das Jahr 1974 verlangte eine doppelte Strategie.

Eine doppelte Strategie, die darauf ausgerichtet weiden mußte, die unumgänglichen Stabdüisierungsbemü- hungen angesichts der in vielen Bereichen der Weltwirtschaft eingetretenen Konjunkturabschwächung durch Maßnahmen der Beschäftigungssicherung zu ergänzen.

Zlur Erreichung dieser wirtschaftspolitischen Ziele wurden eine Exportoffensive eingeleitet, zusätzliche Maßnahmen für den Fremdenverkehr getroffen und die öffentlichen Investitionen besonders in gefährdeten Bereichen ausgeweitet.

Darüber hinaus wurden die Verhandlungen über die Lohn- und Ein- kammensteuersienikung mit dem Ziel geführt und abgeschlossen, den Wirtschaftspartnern eine an den konjunktur- und stabilitätspoliti- schen Erfordernissen orientierte Lohnrunde zu ermöglichen. Diese kurz skizzierten wirtschaftspolitischen Anstrengungen, die zu Beginn des Jahres 1974 unternommen wurden, haben dazu geführt, daß Österreich ein bemerkenswertes Ergebnis auf weisen kann. Dafür mögen einige Kennzahlen sprechen:

Bei ziemlicher Verschärfung der Beschäftlgungssituation in vielen Staaten Westeuropas und in den Vereinigten Staaten erreichten wir im Dezember 1974 mit 2,667 Millionen eine um 35.000 höhere Beschäftigungszahl als im Dezember 1973.

Die ohnedies geringe Zahl von Arbeitslosen ist im Dezember 1974 um rund 900 niedriger als vor Jahresfrist.

Das reale Wirtschaftswachstum im Durchschnitt der OECD-Staaten stagnierte 1974. Einige Staaten mußten reale Wirtschaftseinbußen hin-, nehmen, darunter die USA. Deshalb sprechen Wirtschaftsexperten vom schwersten Rezessionsjahr seit dem Ende des Zweiten Weltkrieges.

Mit einer Wachstumsrate von 4,5 Prozent nimmt unsere Wirtschaft innerhalb der westlichen Industrie staaten wiederum einen Spitzenplatz ein.

Die Stabilisierungsbemühungen waren erfolgreich. Mit 9,5 Prozent erreichten wir genau den Prognose- wert und gehören mit der Bundesrepublik Deutschland und Norwegen zu den drei Ländern mit der geringsten Preissteigerung.

Über die Entwicklung der Exportwirtschaft mangelte es anfangs 1974 nicht an besonders düsteren Prognosen, die aus den Schillingaufwertungen eine ernste Gefährdung des Exportvolumens herauslesen wallten. Die in den letzten Jahren aufgebaute Wettbewerbsstärke in Verbindung mit der Exportoffensive brachten der österreichischen Exportwirtschaft im Zeitraum Jänner bis November 1974 eine Ausweitung um 32,4 Prozent.

Der Fremdenverkehr hat sich nach einer gewissen Abkühlung im Sommer rasch wieder erholt.

Das Handelsbdianzpassivum Wird voraussichtlich nur wenig über dem Wert des Jahres 1973 zu liegen kommen; die Leistungsbilanz läßt einen gegenüber den prognostizierten 18 Milliarden Schilling wesentlich geringeren Abgang erwarten. Österreich hat also die aus Ölpreisexplosion und massiven Rohstoffverteuerungen resultierenden höheren Belastungen außerordentlich gut bewältigt.

Auf Grund dieser Entwicklungen gibt es in unserem Land seit nunmehr einem halben Jahrzehnt Hochkonjunktur.

Als Land ohne Krisen und Flauten verfügt Österreich über eine solide Ausgangsbasis, um die angesichts der sehr ernsten weltweiten Rezession sehr schwierige wirt- schaftspolitisohe Aufgabe des vor uns liegenden Jahres zu bewältigen.

Ein Hauptaugenmerk der Wirtschaftspolitik wird auch weiterhin die Bekämpfung des Preisauftriebs sein müssen.

Der in den letzten Jahren eingeschlagene stabilitätspolitische Weg wird — den konjunkturellen und strukturellen Erfordernissen angepaßt — fortzusetzen sein. Budget- und Geldpalitik werden auch weiterhin die Hauptlast der Stabilisierungsbemühungen zu tragen haben, doch bedarf es darüber hinaus preis- und einkommenspolitischer Ergänzungen. Dazu gehört auch eine Zurückhaltung bei den Einkom- menserwartungen.

Eine ausgewogene Wirtschaftspolitik trifft jedoch nioht allein Vorkehrungen zur Erreichung nur eines einzigen wirtsohaftspolitischen Zieles. Das war bisher schon Leitlinie der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung und wird es auch künftig sein, insbesondere im .Hinblick auf die aus der internationalen Konjunktur- und Beschäftigungslage erforderlichen Vorsorgen.

Im Vordergrund steht dabei die Haushaltspolitik des Bundes. Der Bund wird im laufenden Jahr allein aus dem Grundbudget 39 Milliarden Schilling zur Sicherung der Beschäftigung an Aufträgen an die Wirt schaft gelben. Das vorsorglich ausgearbeitete Konjunktureinsaitzpro- gramm und das Bausofortprogramm aber bieten darüber hinaus zusätzliche Möglichkeiten der Konjunktur- Steuerung.

Es heißt Finanzierungsgrößen und Finanizierungssalden falsch interpretieren, wenn sie losgelöst von der ihnen gegenüberstehenden güterwirt- schaftliohen und beschäftigungspolitischen Sphäre betrachtet werden. Konjunkturrichtig wurde in den letzten Jahren der Anteil der relevanten Budgetgrößen am Brütto- nationalprodukt zurückgeführt. So sank der Anteil des Budgets von 28,1 Prozent im Jahre 1969 auf etwas über 27 Prozent 1974; der Anteil der Finanzschuld, der 1969 13,1 Prozent betrug, konnte seither auf 10,3 Prozent gesenkt werden. Deutlicher zeigt sich die wahre Finanzierungsreserve des Staates aber darin, daß das Sozialprodukt in den letzten fünf Jahren um 84 Prozent, die Finanzschuld jedoch nur um 44 Prozent gewachsen ist.

Diese Entwicklung ist um so mehr hervorzuheben, als — die letzte Steuersenkung nicht mitgerechnet — in dieser Zeit zwei Steuersenkungen, die Beseitigung zweier Steuern und beträchtlicher Zollsenkungen fiskalisch zu verkraften waren. Außerdem wurde im Jahre 1973 eine Reihe einschneidender Umstellungen wirksam: Die Umstellung auf die Mehrwertsteuer, die Lohn- und Eimikom- mensteuerrefonm, der neue Finanzausgleich, das Arrangement mit den

Europäischen Gemeinschaften. Dabei ist hervorzuheben, daß die im Umstellungsjahr unvermeidliche Mehr- wertsteuerfinanzierungslücke entgegen ursprünglichen Prognosen weitgehend aus amgesammeiLten Kassenreserven bedeckt werden konnte.

Die Staatafinanaen sind in Ordnung, auch wenn die Tatsache des gegenüber dem Voranschlag erhöhten Abganges von der Opposition als Gegenbeweis dargestellt wird.

Die Gründe für den erhöhten Abgang sind zunächst in zusätzlichen Ausgaben gelegen, die im Laufe des Jahres notwendig geworden sind. Dazu zählen maßgebliche Zuwendungen an die österreichische Landwirtschaft, Aufwendungen für Anschaffungen der österreichischen Bundesbahnen und anderer Bundesbetriebe, Aufwendungen für Schul- und Hochschu’lbauten, höhere Beiträge des Bundes zur Sozialversicherung und höhere Personalaufwendungen, die letzten zwei Positionen auf Grund von im Parlament beschlossenen gesetzlichen Maßnahmen.

Diese Maßnahmen waren im Interesse der Beschäftigungssicherung, wichtiger strukturpolitischer Erfordernisse sowie auch einer reibungslosen Nahrungsmittelversorgung geboten. Im übrigen liegt diese Haushaltsgestaltung auch vom Standpunkt der Konjunktursteuerung auf richtigem Kurs. Österreich hat damit schon im Jahre 1974 einen wirtschaftspolitischen Weg beschritten, der angesichts der schweren Rezession inzwischen auch in anderen Staaten verfolgt wird.

Zur Erklärung des gegenüber dem Voranschlag höheren Abgangs muß selbstverständlich auch das hinter den Schätzungen zurückbleibende Umsatzsteueraufkommen erwähnt werden. Die Ursachen dieses Zurückbleibens werden nach Vorliegen der endgültigen Ergebnisse genau analysiert werden. Erst wenn diese Analyse verfügbar ist, wird darüber zu entscheiden sein, ob eine Anpassung des vollen Steuersatzes notwendig ist, um ein Aufkommen zu erzielen, das dem der alten Umsatzsteuer entspricht. In einem solchen Fall würde die Besteuerung der Güter des täglichen Bedarfs unverändert bleiben und somit eine stärkere soziale Differenzierung der Konsumbesteuerung eintreten.

Im Bereich des internationalen Wähnumgs- und Finanzgeschehens konnte die Stellung Österreichs als Hartwährungsland gefestigt werden. Die im Jänner 1975 in Washington gefaßten Beschlüsse bedeuten eine Stärkung der österreichischen Reserveposition im Hinblick auf unsere Goldreserven. Der künftige Abstimmungsmodus im Entscheidungsgremium des Internationalen Währungsfonds garantiert bei aller Anerkennung der Notwendigkeit zur internationalen Solidarität die Verfolgung einer den Bedürfnissen des Landes entsprechenden eigenständigen Politik.

Dieses starke Fundament der österreichischen Wirtschaft gilt es, mit allen zu Gebote stehenden Mitteln zu erhalten. Dies um so mehr, als sich die internationale Wirtschaft derzeit in »einem Stadium des Ungleichgewichts befindet, das in diesem Ausmaß seit der Nachkriegszeit nicht mehr eingetreten ist.

Vorrang für Vollbeschäftigung, eine auf die Maßstäbe der Preis- und Kostenauftriebsbekämpfung zugeschnittene Einkommenspolitik, sparsame Verwendung von nicht vermehrbaren Resourcen und Sicherstellung eines realen Wirtschaftswachstums in vernünftigem Ausmaß sind die Eckwerte, an denen sich die österreichische Wirtschaftspolitik auch in Zukunft orientieren wird müssen.

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