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Freiheit und Verant wortung

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Die Zeit nach der Wahl und nach der Bildung der neuen Regierung hat der Bevölkerung noch nicht die erwartete Ruhe gebracht, die notwendig wäre, um die vielen ernsten und entscheidenden Fragen zu lösen, die im Zusammenhang mit der Weltlage in politischer und wirtschaftlicher Hinsicht dem neuen Kabinett präsentiert wurden. Es ist ein bunter Strauß nicht allzu erfreulicher und äußerst delikater Herbstblumen.

Die Pfundabwertung des September hatte weit über das von ihr erwartete Maß hinausgehend das Preis- und Lohngefüge Westeuropas erschüttert und dadurch den in radikaler Opposition stehenden Parteien die Möglichkeit gegeben, erneut die Preis- und Lohnspirale in Bewegung zu setzen. Daran war das Kabinett Queuille gescheitert. De Gasperi sah' sich im eigenen Kabinett der Unentschlossenheit und Opposition gegenüber. Auf der anderen Seite hatte Deutschland, um der englischen Pfundabwertung zu begegnen, die Rückkehr zur Wirtschaftspolitik des Jahres 1914 angebahnt. Seine Forderungen nach weitestgehender Freigabe des Handels zwischen den einzelnen Staaten und der freien Ein- und Ausfuhr leitete ein neues Kapitel in der Nachkriegswirtschaft ein.

Diesen Auseinandersetzungen ist auch Österreich nicht entgangen. Die abtretende Regierung unternahm das gewagte Experiment, sich der Abwertung zu entziehen, sei es, daß man in die Debatten der Wahlzeit nicht dieses stachelige Thema werfen wollte, sei es, daß man der Ansicht war, die weltweiten Auswirkungen dieses Schrittes Sir Stafford Cripps’ noch nicht genügend beurteilen zu können. Auf der anderen Seite wurde gerade in dieser Zeit ein Handelsvertrag mit Westdeutschland abgeschlossen, der alle die Grundsätze der wirtschaftlichen Liberalisierung beinhaltet und unserer Industrie die Möglichkeit zur Ausweitung ihrer Erzeugung gab.

Bei Betrachtung aller dieser Tatsachen kommt man zum Kernstück der alles überschattenden Frage: Besitzt die neue Regierung alle jene Voraussetzungen, um von der politischen Seite her der Wirtschaft des Landes die notwendige Ordnung zu gewährleisten? Besitzt der Staatsbürger genügend Disziplin, um den Verantwortlichen die richtige Unterstützung geben zu können?

Die letzten Wochen haben den 1 Platz für die Antwort noch offen gelassen. Obwohl sich die Mehrzahl des Volkes bei der Wahl für eine freie Wirtschaft ausgesprochen hatte, war es doch der einen Koalitionspartei in geschickten Verhandlungen gelungen, einen Schlüsselpunkt im österreichischen Wirtschaftsgefüge an sich zu bringen. Es ist müßig, über die Beweggründe zu diskutieren, die der Mehrheitspartei diesen Entschluß verständlich gemacht haben. Tatsache bleibt, daß von diesem Zentralpunkt aus, mit einem großen Portefeuille von Macht bevorschußt, der Kampf um die Planung und Verstaatlichung erneut aufgenommen werden wird. Das unterirdische Grollen, das diesem Kampf vorausgeht, ist auch bereits zu hören. Man erfährt, daß die gesamte verstaatlichte Wirtschaft konzentrierter „umgeplant“ werden soll, es eine Selbstverständlichkeit sei, daß die aus dem deutschen Eigentum an den österreichischen Staat zurückfallenden Betriebe ebenfalls zum Großteil verstaatlicht werden sollen, und man befürchtet, daß die bereits begonnene Verpolitisierung der .Wirtschaft noch viel schärfere Formen annehmen wird. Dazu kam, daß eine Gruppe von unverantwortlichen Spekulanten, denen man wohl keine Parteizugehörigkeit, sondern nur staatspolitsche Unverläßlichkeit zum Vorwurf machen kann, die Unentschlossenheit in der Frage der Angleichung unserer Währung an die durch die Pfundabwertung geschaffene Lage als Konjunktur ausnützte und eine wirtschaftspolitisch nicht zu verantwortende Preissteigerung sich entwickeln konnte. Darauf. war es politischen Unruhestiftern ein. leichtes, in Form von Streiks und Neuforderungen das Echo dazu darzustellen.

Kundgebungen und Forderungsprogramme einer Delegiertenkonferenz des österreichischen Arbeiter- und Angestelltenbundes, der Gewerkschaft der Bau- und Holzarbeiter und der Hauptleitung der Mittelschullehrergewerkschaft haben in den letzten Tagen die Beunruhigung charakterisiert, die von der Wirtschaft her in breite Schichten der Arbeitnehmerschaft und der geistigen Berufe eingedrungen ist. Die drohende verhängnisvolle Wechselwirkung zwischen den Preissteigerungen der letzten Wochen und den antwortenden Forderungen nach höheren Löhnen, dieser Schraubengang ohne Ende, ist wieder einmal offenbar geworden. Es ist Zeit, uns die Wirklichkeit vorzuhalten, die nur von uns selbst abgeändert und gebessert werden kann.

Wir sind ein bitter armes Land geworden und dürfen uns nicht dadurch täuschen lassen, daß fremde Hilfe gegenwärtig mit mildem Schleier vor der oberflächlichen Beobachtung die Wahrheit verdeckt. Unsere Aufgabe besteht, kurz gesagt, darin, die Gesamtleistung unserer Wirtschaft innerhalb von zwei bis drei Jahren so zu erhöhen, daß wir nach dem Aufhören der Marshall- Plan-Hilfe imstande sind, unsere Bevölkerung aus eigenem zu ernähren und zu erhalten. Das erheischt Steigerung der Erzeugung in Industrie und Landwirtschaft und Vergrößerung der sichtbaren und unsichtbaren Ausfuhren in bedeutendem Ausmaß, damit die lebensnotwendigen Einfuhren bezahlt werden können. Es erheischt ferner sparen, um es zu erreichen, daß wir uns selbst erhalten können und die erforderlichen wirtschaftspolitischen Maßnahmen nach Stärke und Zeitpunkt so wohlabgewogen treffen, daß die notwendigen Anstrengungen nicht durch unnötige Reibungsverluste überhöht werden und auf die Schultern der einzelnen g e r e c h t verteilt werden. Die notwendigen moralischen Energien dazu werden aufgebracht, wenn jeder seinen Teil Verpflichtungen erfüllt.

Die vor uns liegenden Probleme mit den typischen Konflikten zwischen sozialer Zielsetzung und ökonomischen Erfordernissen in einem schwankenden weltwirtschaftlichen System, in welchem Österreich naturgemäß keine selbständige Rolle zu spielen vermag, sind außerordentliche, doch der Mut, ihre Lösung mit Optimismus in Angriff zu nehmen, wird dadurch bestärkt, daß wir auf verhältnismäßig beachtenswerte Erfolge in der Flottmachung unserer bei Kriegsende ausgeplünderten und mit einem erstarrten Lenkungssystem ausgestatteten Wirtschaft hinweisen könnep. Die Fortschritte in der Produktion, das Ausmaß der Wiederherstellung alter und neuer Verbindungen auf dem Weltmarkt, die erzielte Vollbeschäftigung und der im allgemeinen bisher erhaltene Arbeitsfriede hatten große Leistungen und Opfer zur Voraussetzung, die von allen Schichten der Bevölkerung verständnisvoll gebracht worden sind. Nur Ahnungslose konnten erwarten, daß die in ganz Europa im Gang befindliche große strukturelle Umschichtung, deren Ausgangsdaten ja nicht von uns bestimmt werden konnten, stets in stillem Gleichmaß verlaufen würde.

Aus dem durch den Krieg und die Not der Nachkriegszeit auferlegten System der Zwangswirtschaft hat Österreich die ersten Schritte zu einer freieren, leistungsfähigeren Marktwirtschaft zurückgelegt. Jeder Konsument, welchem Wirtschaftssystem er auch anhängen mag, konnte die erzielten Erfolge im Alltag verspüren, wenn er einsichtig und gerecht urteilte. Doch nun zeigt sich auch hier, daß alles seinen Preis besitzt und' daß wir die Vorteile der freien Marktwirtschaft nicht ohne Selbstdisziplin und Strenge erringen konnten. Es müssen nicht wenige wieder lernen, daß Freiheit nicht Zuchtlosigkeit bedeutet und daß die Entlassung aus dem engen Gehege der Bewirtschaftung nicht zu einer Freilassung egoistischer und wucherischer Triebe werden darf. Die Preisausschreitungen der letzten Wochen mit den bekannten Ursachen: Währungsabwertungen einiger dreißig „Weichwährungs“-Länder, eine delphischorakelhafte Verlautbarung der letzten Regierung zur österreichischen Währungsfrage, die spekulativen Vorwegnahmen der Wirkungen befürchteter Maßnahmen durch die Geschäftswelt, die tückisch berechnete Erschütterung des Vertrauens durch interessierte politische Kreise mit Hilfe der falschen Formel „Herabsetzung des Außenwertes des Schillings ist gleich Herabsetzung seines Binnenwertes“, haben die verwundbarste Stelle des marktwirtschaftlichen Systems offenbar werden lassen. Die zwangswirtschaftlichen Methoden der Vergangenheit hatten dem Unternehmer und Händler zwar Hemmnisse und Beeinträchtigungen auferlegt, aber das normale wirtschaftliche Risiko, die Unsicherheit des Marktes, brauchte er nicht zu tragen. Die Last der Konkurrenz war für lange Jahre eindeutig zum Verbraucher verschoben, der an dem Wettlauf um Ware sich beteiligen mußte, während fast jeder Produzent eine monopolartige Stellung innehatte,

die so mancher rücksichslos ausnützte. Diese Moral ist augenscheinlich noch nicht überall überwunden.

Jeder ruft nach Freiheit der Wirtschaft, aber viele sind noch nicht gewillt, die sozialen Pflichten der Freiheit zu tragen. Jeder Unternehmer, aber auch jeder Wirtschaftszweig weiß gute Gründe, um für seine eigene Schutzbedürftigkeit zu argumentieren und um gegen alle seine Wirtschaftspartner Maßnahmen zu empfehlen. Und es ist ein grobes Mißverständnis, die Rückkehr zum freien Markt als Möglichkeit zu verstehen, konzernierte oder kartellierte Unternehmermacht wiederherzustellen. Gewiß sind Unternehmer und Händler nicht die einzigen, unter denen so manche Berufsgenossen schlechte Gewohnheiten aus der Vergangenheit mitschleppen. Aber es muß klar sein, daß diejenigen Schädlinge ihres Standes sind und verhindern, daß diesen weitere wirt-

schaftliche und soziale Verantwortung vom Staat übertragen wird, die nun die verbliebene oder neu überlassene Initiative in nutznießerischen Exzessen, im „Beutemachen“, in Steuerumgehungen und in internen wettbewerbausschaltenden Marktvereinbarungen entfalten. Es gebe niemand dem anderen, dem Staat oder den Verhältnissen die Schuld, um einige soziale Rücksichtslosigkeit und menschliche Unzulänglichkeit zu bemänteln! Der Unternehmer, der Produzent und Händler stehen heute im Scheinwerferlicht der kritischen Öffentlichkeit, die mit scharfen Augen beobachtet, wie er die ihm gebotene Freiheit zu nützen weiß. Es sei nicht vergessen: der Wille zur individuellen Wirtschaftsfreiheit, wie er sich auch noch in den loseren, demokratisch bestimmten planwirtschaftlichen Systemen zeigt, ist nicht mehr so stark und so. ungebrochen, daß er ein Versagen der Wirtschaftsfreiheit sicher überstehen würde. Nicht nur der Wirtschaftserfolg, sondern auch die Wirtschaft g e s i n- n u n g haben sich heute vor der Kritik zu bewähren. Dabei gilt, was die klassischen Theoretiker des Wirtschaftsliberalismus, die Männer von höchstem moralischem Bewußtsein waren, sehr gut gewußt haben, daß die Politik de Ellenbogens und der brutalen Ausnützung des Eigeninteresses noch immer die schlechteste Politik war, die an ihrer eigenen Kurzsichtigkeit scheitern muß.

Die Verantwortung des freien Unternehmertums ist in dieser Stunde sehr groß: in seine Hand ist es gegeben, den Gegensatz zwischen Kapital und Arbeit, der ein Jahrhundert lang das wirtschaftliche, soziale und öffentliche Leben vergiftet hat, nicht wieder in dem Augenblick aufkommen zu lassen, da ihm durch das Vertrauen der Führer von Wirtschaft und Staat die ersehnte Freiheit zurückgegeben wurde.

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