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Wirtschaftliche Wahrheit

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Seit 1. August ist das Lohn-Preis-Abkommen der Kammern in Kraft. Es ist ein wirtschaftspolitischer Waffenstillstand, in dem alle Beteiligten sich dahin einigten, das Niveau der Preise und Löhne zu heben, an den Wertrelationen jedoch nichts Wesentliches zu ändern und bis zum Ablauf einer dreimonatigen Stillhaltefrist an dieser Regelung festzuhalten. Der Sinn dieses Waffenstillstandes konnte nur der sein, während dieser Frist die Voraussetzungen für einen dauerhaften Wirtschaftsfrieden zu schaffen. Die Verhandlungen, die zu dem Abkommen •geführt hatten, waren ja durch die zunehmende Beschleunigung der Erhöhungen von Löhnen und Preisen seit Beginn dieses Jahres ausgelöst worden. Es bestand die'Gefahr, daß diese Bewegungen in unkontrollierbare Inflation ausarten würden und so war der Entschluß durchaus berechtigt, zunächst einmal „das Ganze halt“ zu blasen, um aus der Periode des Sichtreibenlassens herauszukommen und Zeit für durchgreifende Maßnahmen zu gewinnen. Das Stillhalteabkommen verlangte weitgehende Selbstdisziplin alllcr B“riligten. Die zu ergreifenden Maßnahmen aber, mußten so angesetzt werden, daß sie den Kern des gesamten Fragenkomplexes fassen.

Dieser Kern wurde durch den letzten Monatsbericht des österreidiischen Instituts für Wirtschaftsforschung mit überzeugender Klarheit herausgeschält. Es gilt den gefährlichen Zirkel, in dem sich die österreichische Wirtschaft befindet, durch energischen Zugriff zu brechen, sich zur wirtschaftlichen Wahrheit zu bekennen und echte Wertrelationen wiederherzustellen. Die Dynamik inflationistischer Tendenzen wird durch gewisse Mißverhältnisse innerhalb der Wirtschaft verursacht. Die Leistungen der österreichischen Wirtsdiaft sind aus bekannten Gründen noch verhältnismäßig gering. Die Zuschüsse durch auswärtige Hilfe genügen nicht, um ein friedensmäßiges Güteraufkommen zu ermöglichen. Die reale Grundlage, die das Niveau des allgemeinen Lebensstandards bestimmt, ist daher schmäler als im Jahre 1937, das selbst wahrlich nicht als ein Jahr der Hochkonjunktur bezeichnet werden kann. In Notzeiten führt die Herstellung eines freien Marktes dazu, daß die Preise, die bis zu einem Ausgleich von Angebot und Nachfrage steigen, unverhältnismäßig hoch sind. Die Rückkehr zum freien Markt war in Österreich aus sozialpolitischen Gründen nicht gangbar. Von den Befürwortern des freien Marktes wird allerdings eingewendet, daß die hohen Preise zu einer gewaltigen Ankurbelung der Produktion und damit schließlich dazu geführt hätten, daß eine einigermaßen befriedigende Versorgung in überraschend kurzer Zeit wieder erreicht worden wäre. Wie dem auch sei, man entschloß sich zu einem anderen Weg, nämlich zur Rationierung aller lebenswichtigen Güter und zur gebundenen Preisbildung. Auch dieses System einer gebundenen Wirtschaft kann sich der Wirkung gewisser Gesetzmäßigkeiten des Wirtsdiaftslebens nicht entziehen. Gebundene Preise erfüllen nur dann ihren Zweck, nämlich der Güterversorgung auf einem niederen und daher breiteren Preisniveau, wenn in ihnen echte, das heißt knapp, aber wirtschaftlich richtig kalkulierte Kosten ihre Deckung finden. Geschieht dies nicht, so sind die Produzenten gezwungen, auf andere Weise Kostendeckung zu suchen oder in Konkurs zu gehen. Gebundene Preisbildung ist daher nur wirksam, bei straffer, aber wirtschaftlich vernünftiger Preisdisziplin. D i e Mängel des österreichischen Bewirtschaftung s- und Preiskon t r o 11 a p p a r a t s haben bisher das Entstehen einer solchen Disziplin nicht gefördert. Sie haben im Gegenteil dadurch, daß* sie in einzelnen Fällen die wirtschaftlidie Rechtfertigung für ein Ausweichen auf den Schwarzen Markt geliefert haben, die allgemeine Neigung dazu verstärkt. ,

Auch auf der Nachfrageseite gibt es Störungsfaktoren, deren Ausschaltung eine Voraussetzung wirtschaftlicher Befriedung ist. Rationierung und Preisbindung sind nur durchzuhalten, wenn auch die Einkommensbildung auf sie abgestimmt ist. Auch in diesem Punkte wurden in Österreich entscheidende Fehler gemacht, indem Lohnerhöhungen gefordert und durchgesetzt wurden, deren gütermäßige Deckung fehlt und in absehbarer Zeit auch dann fehlen wird, wenn es gelingt, sämtliche offenen und versteckten Produktionsreserven zu mobilisieren. Das im Vergleich zu den wirtschaftlichen Möglichkeiten relativ hohe Lohnniveau mußte immer wieder zu einem Durchbrechen der amtlichen Preisschranken führen und damit die Vorteile wieder aufheben, die die Arbeiterschaft sich gerade von diesen Lohnerhöhungen erwartete. Dieser Vorgang hat sich bereits mehrmals wiederholt und könnte noch beliebig oft wiederholt werden zum Schaden der Arbeiterschaft und zum Schaden der gesamten Wirtschaft.

Die bisherige österreichische Wirtschaftspolitik könnte ohne allzu große Härte als eine Wirtschaftspolitik der inneren Unzufriedenheit charakterisiert werden. Es bewahrheitet sich wieder einmal der Satz, daß Maßnahmen, die wirtschaftlich falsch sind, auch menschlich unbefriedigend sein müssen. Die Umkehr dieses Satzes ist von derselben zwingenden Konsequenz. Die Inkonsequenz der Wirtschaftspolitik aber vertieft die Notlage des Volkes. Die Notlage lähmt und stört die Wirtschaft und erleichtert jenen ihre gewissenlose Arbeit, die von dieser Notlage persönlich oder politisdi profitieren. Es ist untragbar, den Lebensstandard unseres Volkes in seinem jetzigen Tiefstand zu belassen. Es ist aber auch unvernünftig und gefährlich, unerfüllbare Hoffnungen zu erwecken. Die Stillhaltefrist muß in erster Linie der Wieder, herstellung des Vertrauens dienen. Der Arbeiter muß endlich wieder das begründete Vertrauen gewinnen, daß alle in gleicher Weise an, unserer Not tragen, daß niemand Sondervorteile für sich in Anspruch nimmt. Die verantwortlichen Männer der Wirtschaft müssen wissen, daß die Arbeiterschaft keine Forderungen stellt, die unerfüllbar und daher unvernünftig sind. Man muß offen über diese Dinge reden und damitbeginnen, in aller Öffentlichkeit festzustellen, was in Österreich produziert wird und was damit geschieht. Wenn das Volk dann weiß, wie viel oder wie wenig zur Verfügung steht und warum jeder einzelne zur Zeit nicht mehr bekommen kann, wird der erste Schritt getan sein, nicht nur in Richtung auf soziale und wirtschaftliche Beruhigung, sondern auch auf eine loyalere und freundlichere Zusammenarbeit.

Am Beginn einer neuen Parlanientssession, vor Ablauf des Stillhalteabkommens der Kammern steht Österreich vor der Aufgabe, seinen sozialökonomischen Kurs zu revidieren. Es kann dies mit Erfolg nur in einer sachlichen, ruhigen, nicht durch Demagogie getrübten Atmosphäre tun, die die Rückkehr zur wirtschaftlichen Wahrheit und zu einer sozialen Wirtschaftspolitik erlaubt.

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