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Digital In Arbeit

Das Ei des Kolumbus

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Eugene S c h u e 11 e r, der „Vater des Leistungslohnes”, ist am 23. August 1957, 76 Jahre alt, gestorben. Der untenstehende Beitrag sollte die Einleitung zu einem Memoirenwerk sein: als letztes Wort des bedeutenden französischen Industriellen und „Sozialpraktikers” erhält er nun doppeltes Gewicht. „Die Furche”

Da ich anfänglich selbst Arbeiter war, bevor ich zum Unternehmer aufstieg, begann ich mich früh mit dem Problem der Entlohnung zu beschäftigen und wurde dadurch gezwungen, mich dem Studium der allgemeinwirtschaftlichen Fragen zu widmen. Meine Eltern waren Bäcker und ließen sich 1875 in Paris nieder. Zu dieser Zeit wurden die Kinder gezwungen, ihren Eltern zu helfen: Ich mußte von meinen frühesten Jahren an als Lehrling arbeiten, während ich noch Schüler war, und als Arbeiter, obwohl ich nebenbei zu studieren versuchte. Meine Eltern hatten große wirtschaftliche Schwierigkeiten in ihrer Bäckerei, und ich war gezwungen, meine Studien zu unterbrechen und in die Fabrik zu gehen. Ueberrascht mußte ich dort feststellen, daß die Arbeiter, obwohl sie zwölf Stunden anwesend sein mußten, wenig und schlecht arbeiteten. Was mich aber noch mehr überraschte, ( war die Gleichgültigkeit, mit der Meister und Unternehmer dieser mangelhaften Arbeit gegen- , überstanden. Auch die Arbeiter, welche normal arbeiteten, wurden nicht besser entlohnt als die , Faulpelze. Der Arbeitsrhythmus des Personals war ein sehr geringer.

Meine Eltern konnten die Schwierigkeiten ( ÜbetsdudgiuJch ww’d .Qxaniiei .Präparatpr-ajk.. der Sorbonne. schließlich Chemiker in der In«“ dustrie und Chef eines Laboratoriums für pharmazeutische Produkte.

Nachdem ich einige Ersparnisse gemacht hatte, verwirklichte ich meinen Wunsch, vollständig unabhängig zu sein, um mich auch mit der wissenschaftlichen Forschung beschäftigen zu können. Ich begann mit einem winzigen Betrieb, in dem ich mein einziger und eigener Arbeiter war, gleichzeitig mein Vertreter. Ich erzeugte, verkaufte und lieferte selbst meine Produkte. Das war ein schwieriger Anfang. Sehr bald fehlte mir das Geld, doch ich suchte keine Hilfe. Nur ganz langsam ging es aufwärts.

Nach einiger Zeit konnte ich einen, dann mehrere Arbeiter anstellen. So lange es mit möglich war, mit meinen Arbeitern gemeinsam zu schaffen, war der Arbeitsrhythmus, dank meiner Gegenwart, vollkommen normal. Als aber meine Geschäfte besser gingen, war ich gezwungen, mehrere Werkstätten einzurichten, dann eine ganze Fabrik, dann zahlreiche Fabriken, und ich stellte fest, daß der Arbeitsrhythmus nicht jener war, den ich erhoffte.

So versuchte ich in meinen Werkstätten systematisch, die verschiedensten Formen der damals bekannten Entlohnung anzuwenden, um die Arbeiter an ihrer Arbeit zu interessieren: Akkordlöhne, Einzelprämien und Gewinnbeteiligung.

Diese Versuche erstreckten sich über eine Periode von mehr als 30 Jahren, von 1907 bis 1937. Trotzdem ist es mir nie gelungen, meine Arbeiter zu einer normalen Leistung anzuspornen. Ich konnte das alles viel besser als andere beurteilen, denn ich war in der Lage, sämtliche Arbeiten meiner Arbeiter selbst auszuführen. Den Arbeitern mangelte es nicht an Mut. Sie sahen nur, daß eine Erhöhung der Arbeitskadenz über einen gewissen Durchschnitt eine Verschlechterung ihrer Entlohnung mit sich brachte. Wie oft gab ich ihnen Versprechungen ab, aber sie wollten mir nicht glauben.

Ich gestehe, daß ich in diesen 30 Jahren trotz aller Versuche mit neuen Lohnsystemen gescheitert bin, und auch heute noch glaube ich nicht, daß man wirklich gute Leistungen durch Akkordlöhne erzielen kann. Nach meiner Meinung kann ein System, das die individuelle Leistung oder die Anzahl der Stücke in einem Betrieb entlohnt, nicht ein Maximum an Leistung hervorrufen. Im Gegenteil, es werden immer wieder Schwierigkeiten auftauchen und eine ungesunde Atmosphäre wird der Arbeit nur hin derlich sein. Dadurch wird aber auch die Qualität der Endprodukte in Frage gestellt, denn in der Hast, mehr zu produzieren, um mehr zu gewinnen, wird die Genauigkeit und Sauberkeit der Arbeit nur zu oft vernachlässigt. Die Ausschüsse belasten dann die Allgemeinkosten eines Betriebes. Ich wage schließlich zu behaupten, daß das System des individuellen Akkordes in gewissen Branchen sogar die Berufsehre der Arbeiter berührt. -

Ich habe auch eine gewisse Gewinnbeteiligung versucht, konnte jedoch feststellen, daß sie in der Praxis kein besonderes Interesse unter den Arbeitern gefunden hat. Der jährliche Lohn wurde dadurch nur geringfügig erhöht, und da diese Beteiligung erst mehrere Monate nach Ablauf der damit verbundenen Produktion erfolgte, kam sie zu spät, um dadurch zu besserer Arbeit anzureizen. Natürlich gestehe ich, daß ich auch die Produktion in der Gesamtheit erhöhen wollte. Was ich jedoch in erster Linie wünschte, war, .die Herzen meiner Arbeiter für den’Betrieb ‘zu gewinnen. Ich wollte, daß diese Menschen so wie ich geistig und materiell am Leben des Betriebes, seiner Entwicklung und seinen Erfolgen teilnehmen. Nichts berührte mich schmerzlicher als ihre Unbeteiligtheit: Sie kümmerten sich weder um die Erfolge noch um die Schwierigkeiten meiner Geschäfte.

Schließlich mußte ich auf einem ganz anderen Weg die Lösung des Problemes finden. In das Jahr 1928, also den Höhepunkt der Prosperität nach der Anwendung des Planes Hoovers, fiel meine erste Reise nach den USA. Vorher hatte ich mich eine Zeit in der Sowjetunion aufgehalten, wo man mich im Rahmen der NEP ersucht hatte, den Trust Prophopla (photographische und plastische Artikel) zu entwickeln. Die Sowjetunion befand sich damals in einer der schwierigsten Epochen ihrer Wirtschaftsgeschichte. Alles war unorganisiert, alles fehlte. Der Kontrast des materiellen Niveaus der beiden Nationen beschäftigte mich immer stärker. Ich besuchte die Vereinigten Staaten in meiner Eigenschaft als Direktor der französischen Filiale der Gesellschaft Valentine in New York. Jeder der drei Direktoren dieser amerikanischen Gesellschaft besaß drei Wagen. Der Verkaufsdirektor hatte zwei. Jeder dritte oder vierte Arbeiter kaufte sich ebenfalls einen Wagen und erschien im Auto vor der Fabrik. Die Ausdehnung des Parkplatzes war größer als die eigentliche Fabrik. Nicht nur, daß die Arbeiter ihre eigenen Wagen besaßen, sie waren auch Besitzer ihrer Häuser, die mit Radioapparaten, Waschmaschinen, Kühlschränken und den besten Apparaten ausgestattet wurden.

Als im November 1929 der Krach an der New-Yorker Börse erfolgte, fiel ich aus allen Wolken. Die industriellen Werte stürzten um 30, 40, 50 Prozent. Viele Betriebe mußten schließen, ebenso mehrere hundert Banken. Die drei Direktoren von Valentine mußten ihre Wagen und ihre Häüser verkaufen, während die Gesellschaft durch eine Bank „gefressen wurde”, welche die Direktion auswechselte. Ich verfolgte mit einem Gefühl der Angst die Krise und konnte nicht -verstehen/ -wie -ein- so großes- Land, das über sämtliche Rohstoffe tm größten Ausmaß verfügt, das wunderbar ausgerüstet ist, derart von der Prosperität in die Not sinken konnte.

Was war geschehen? Ich begann, die Entwicklung der wirtschaftlichen Konjunktur in allen Details zu studieren und verglich die Statistiken der Prosperitätsjahre mit denen der Krise. Warum — fragte ich mich — ist die amerikanische Wirtschaft, die 1929 eine Produktion von 85 Milliarden erreichte, 1933 auf 50 Milliarden gesunken?

Ich brauchte sehr lange dazu, bis ich (1932) eine Studie über die Löhne im Gebiet von New York in die Hand bekam. Diese Statistik zeigte, daß die Löhne 1925 bis 1929 ungefähr die gleichen geblieben waren: Sie bewegten sich um 27 Dollar pro Woche. Ich wußte jedoch, daß die amerikanische Produktion 1925 60 Milliarden Dollar erreicht und daß sie in den letzten vier Jahren ungefähr 50 Prozent zugenommen hatte. Nun war mir alles klar: Die Löhne hatten das gleiche Niveau beibehalten, obwohl die mechanisierte Wirtschaft sich immer mehr ausgedehnt hatte! Die Produktion von 1925 bis 1029 war von 60 auf 85 Milliarden gestiegen. Wenn also im Jahre 1925 der individuelle Wochenlohrf von 27 Dollar einer globalen Pro« duktion von 60 Milliarden gegenüberstand, konnte doch derselbe Lohn von 27 Dollar nicht die erhöhte Produktion von 85 Milliarden des Jahres 1929 aufnehmen! Wenn die erhöhte Produktion des Jahres 1929 durch den Verbraucher gerade noch absorbiert wurde, dann geschah dies ausschließlich durch das Spiel der Kredite. Kredite für den Verbrauch, Kredite für die Produktion, Kredite für die Spekulation. Ganz Amerika hat im Zeitalter der Prosperität in einem Kartenhaus von Krediten gelebt, und es genügte der Krach Hatry in London, der den Sturz der Werte an der New-Yorker ‘Börse einleitete, um es zu Fall zu bringen.

Ich hielt als absolute Wahrheit fest, daß eine Wirtschaft, die aus wie immer gearteten Gründen ihre Produktion von 100 auf 12 0, 130 oder 150 erhöht, dem Verbraucher die Möglichkeit geben muß, diese Produktion aufzunehmen. Es muß eine kongruente Progression von Produktion und Verbrauch hergestellt werden. Dies geschieht über die Löhne und Gehälter, die Honorare der frei Schaffenden, die Gehälter der Funktionäre, die

Gewinne aus den Investierungen. Wenn also die Produktionskurve von 100 auf 115 oder 120 steigt, so muß die Kurve der Löhne und Einkommen von 100 ebenfalls auf 115 oder 120 mitsteigen.

Diesen Imperativ drücke ich folgendermaßen aus:

Es ist notwendig, daß die Gesamtheit der Faktoren der Wirtschaft proportional zur Produktion steht.

Die Wirtschaft ist proportional.

Die Wirtschaft gehorcht den zahlenmäßigen Proportionen. Diese meine Ansicht steht in formeller Opposition zu dem grundlegenden Gesetz der klassischen Wirtschaft, dem Gesetz von Angebot und Nachfrage.

Das letztere behauptet:

Vermehrte Nachfrage läßt die Preise steigen, vermehrtes Angebot senkt die Preise. In Ziffern ausgedrückt: Steigt die Produktion um 5 Prozent, müssen die Preise um 5 Prozent gesenkt werden; erhöht sich die Produktion um 10 Prozent, müssen die Preise um 10 Prozent gesenkt werden; und paradoxerweise: wenn die Produktion um das Doppelte, von 100 auf 200, vermehrt wird, müssen die Preise um die Hälfte, von 100 auf 50, gesenkt werden. Dieses Gesetz kennte bei den nur kleinen Varianten der Produktion in Anwendung gebracht werden, wie wir sie in der Handarbeit und der Landwirtschaft des 19. Jahrhunderts finden Es ist aber nicht mehr gültig, wenn die Produktion sehr schnell, um 10, 15 oder 20 Prozent, steigt. Wenn durch eine einfache Erhöhung der Arbeitskadenz oder eine Vereinfachung der Methoden ohne Erhöhung der Kosten die Produktion von 100 auf 105 oder 104 erhöht wird, so kann das nicht im selben Ausmaß bei 10, 15 oder 20 Prozent erfolgen. In diesem Eventualfall müssen die Maschinen vermehrt, die Fabriken vergrößert, zusätzlich Rohstoffe angekauft werden, höhere Kredite den Käufern gewährt, d. h. also zusätzliche Kosten eingesetzt werden. Es ist daher unmöglich, die Verkaufspreise zu senken. Im Gegenteil, einer massiven Erhöhung der Produktion entspricht eine Erhöhung der Ausgaben, und am Anfang werden auch die Gestehungskostenpreise davon betroffen.

Als Industrieller, der sein ganzes Leben dazu verwendet hat, die Produktion zu erhöhen, konnte ich aus Erfahrung feststellen, daß jede umfangreiche Erhöhung der Produktion mit einer Erhöhung der Kosten verbunden war. daß ich mehr Betriebskapital benötigte und es für mich unmöglich war, die Preise zu senken. Aus diesen Gründen verstärkte sich in mir die Richtigkeit des Gesetzes der Proportionalität.

Ich schloß daraus: die einzige Methode, die „amerikanische Krise” zu verhindern, wäre gewesen, die Löhne proportional der Produktion zu erhöhen. Wenn die Produktion um 10 Prozent erhöht wird, so ist es wohl nicht möglich, die Preise um 10 Prozent zu senken, es ist jedoch möglich, den mittleren Durchschnitt der Löhne zu erhöhen. Angenommen: In einem Betrieb steigt die Produktion von 100 auf 110 Millionen. Es ist, wie gesagt, nicht möglich, die Preise um 10 Millionen zu senken, denn für diese zusätzlichen 10 Prozent mußten 10 Prozent zusätzlich an Waren eingekauft, Geldmittel in Gebäuden und Maschinen bereitgestellt und der Kredit der Käufer um 10 Prozent erhöht werden. Aber es erscheint durchaus möglich, die Löhne um 10 Prozent zu erhöhen. Diese repräsentieren im allgemeinen nur 20 Prozent der Gestehungskosten, sie’steigen also von 20 auf 22 Millionen. Wird also der Markt durch 110 Millionen Waren anstelle von 100 Millionen beschickt, so werden zu gleicher Zeit in den wirtschaftlichen Kreislauf 10 Prozent zusätzlich an Ankauf von Rohstoffen, an Gemeinkosten und an Löhnen gesandt, und der Ueberschuß der Kaufkraft kann diese Erhöhung der Produktion absorbieren. Dadurch wird ein gewisses Gleichgewicht zwischen Produktion und Konsumation wiederhergestellt.

In diesem Moment sah ich die langgesuchte Lösung meines Problems: ein Lohn, der nicht nur jeden Arbeiter, sondern die Gesamtheit des Betriebes interessiert.

Ich stellte daraufhin eine einfache Regel auf.

Je mehr man produziert, desto größere Löhne muß man geben;

je mehr man Löhne gibt, um so mehr wird konsumiert;

je mehr konsumiert wird, um so mehr kann wieder produziert werden.

Wir finden uns einer automatischen Regelung gegenüber, die viel’stärker ist als die von Angebot und Nachfrage: Die allgemeine Regel lautet demnach: „Erhöhte Produktion verlangt proportional erhöhten Loh n.”

Es ist nun notwendig, eine einfache Berechnungsbasis zu finden, die für jedermann ver- . stündlich ist. Nehmen wir einen Betrieb, der

DIE FURCHE

SEITE 18 / NUMMER 87 14. SEPTEMBER 1957

100 Millionen Umsatz in einem Monat gemacht hat und 20 Millionen an die Arbeiter gegeben hat. Durch die Eijiöhung der Produktion werden 22 Millionen ausgeschüttet, aber die Löhne können ebenfalls auf 24, 26 oder 30 Millionen erhöht werden. Natürlich kann man als Ausgangsbasis nicht bloß den Vormonat oder auch ein Jahr heranziehen, sondern muß den Effekt einer ganzen Reihe von Jahren studieren.

Die erste Anwendung dieses Leistungslohnes wurde in einem meiner Betriebe 1937/193 8 eingeführt, der während zehn Jahren 300 Millionen Umsatz gemacht und 60 Millionen Löhne ausgezahlt hatte. Die Proportion der Löhne zur Produktion war also 20 Prozent. Ich sagte damals meinen Arbeitern. „Ihr erhaltet keinen Lohn mehr nach dem alten Begriff, Ihr werdet nicht mehr nach Stunde oder Stück bezahlt, sondern euer Lohn wird ein Prozentsatz der Produktion. Dieser Prozentsatz ist 20 Prozent. Derzeit sind eure gesetzlichen Löhne 200.000 Fr. pro Monat, für eine Million Umsatz. Wenn iin nächsten Monat mit dem gleichen Personal 1,100.000 Fr. Umsatz erreicht werden, steigen eure Löhne auf 220.000 Fr. Gelangen wir zu 1,200.000 Fr., so werden eure Löhne auf 240.000 Fr. erhöht. Gelingt es uns, 2,000.000 Umsatz zu’ erzielen, so sind eure Lehne mit 400.000 Fr. beziffert. Ihr seid daher ebenso an dem Betrieb interessiert wie ich.” Aber gleichzeitig setzte ich hinzu: „Wenn Ihr in einem Monat nur 800.000 Fr. Umsatz erzielt, so erhaltet Ihr — auf dem Papier — nur 160.000 Fr. Nun sind aber eure Löhne durch das Gesetz m:t 200.000 Fr. garantiert. Wir schreiben also auf das Konto der Löhne ein Defizit von 40.000 Fr., das wir wieder zurücknehmen, sobald durch eine Erhöhung der Produktion eine heue Erhöhung der Löhne möglich ist.” Diese so einfache Regelung war jedoch noch zu schwierig für zahlreiche Arbeiter; selbst meine engeren Mitarbeiter verstanden nicht die Grundsätze meiner Idee. Ich führte den Leistungslohn in einem Monat ein, von dem ich wußte, daß wir aus Saisongründen den Verkauf um 30 Prozent er höhen würden. Und tatsächlich erhielten die Lohnempfänger um 30 Prozent mehr. Sie begannen den Mechanismus dieses Leistungslohnes zu begreifen, und sofort wurde ein Gefühl der Zufriedenheit spürbar. Die Schwierigkeiten began-

nen, als in einem Monat 40 Prozent zusätzlicher Lohn, im folgenden Monat aber nur 30 Prozent gegeben werden konnte. Die sofort auftauchende Unzufriedenheit wurde verstärkt, als aus Saisongründen die Produktion gleich oder sogar unter .dem Durchschnitt lag. Durch diese Situation wurde die Verteilung der Prämie gestoppt. Die Kalkulation des Leistungslohnes lag sogar unter der Basis der gesetzlich fixierten Löhne. Als die Produktion wieder anstieg, wurde die Prämie dazu verwendet, den Betrieb zu kompensieren. In diesem Moment behauptete das Dersonal, daß der Leistungslohn unterdrückt wurde. Wie in allen Betrieben wurde jedoch auch bei uns eine eigene Kommission eingesetzt, die das Recht hatte, die Bücher einzusehen und dabei die Kalkulation des Leistungslohnes auf Grund der Tatsachen als richtig anerkannte. Erst nach Jahren und nach einer wirklichen wirtschaftlichen Erziehung ist es den Mitgliedern dieser Kommission gelungen, die Variationen des Leistungslohnes so zu erklären, daß sie allgemein verständlich wurden. Es. ist selbstverständlich, daß der Leistungslohn nur dann funktionieren kann, wenn dahinter eine stabile Währung steht, die nicht fortwährend entwertet wird.

In der Tat, gelingt es einem Betrieb, durch fortdauernde Anstrengung die Löhne zu erhöhen, und werden dann durch eine autoritäre Entscheidung der Regierung die gesetzlichen Löhne ebenfalls gehoben, so sind die Arbeiter in einem Betrieb mit Leistungslohn gegenüber ihren Kameraden anderer Betriebe, die keinerlei Anstrengungen gemacht haben und in den Genuß der allgemeinen Lohnerhöhung kommen, defavorisiert. Weil aber der Leistungslohn in einer Wirtschaft mit nicht stabiler Währung sehr delikat ist, suchte ich die Giünde für die Inflation, und in welcher Weise man diese verhindern könne. Ich stellte dabei fest, daß ein wichtiger Faktor der Inflation die Unfähigkeit der Steuerorganisation ist, die dem Staate zur Ausführung seiner Aufgaben nicht die entsprechenden Mittel zur Verfügung stellt, und ersann die „Steuer der Energie”. Aber das ist eine ganz andere Geschichte.

Die bisherigen Erfahrungen zeigen, daß die Anwendung des Leistungslohnes auch in einer ungeordneten Wirtschaft durchführbar ist. Er ist gerecht wirksam und dynamisch.

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