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Tatsache ist, daß die Mieten- und Wohnbaufragen zu den kompliziertesten der österreichischen Wirtschaft gehören. Allenthalben treten Mißstände auf, und die „Lösung“ drängt sich auf oder wird aufgedrängt: Die Mieten mögen „frefgegeben werden, dann stehe das Wohnungsparadies offen. Nun ist es zweifellos richtig, daß man ein Übel bekämpfen muß, auch wenn dies etwas kostet; zweifellos darf aber doch durch die Bekämpfung des einen Übels nicht ein noch größeres entstehen. Niemals also dürfte hier eine Formel gefunden werden, die den sozialen Frieden und die wirtschaftliche Stabilität im großen sowie auch das verständnisvolle Zusammenwirken von Vermieter und Mieter im einzelnen gefährdet. In diesem Zusammenhang wird eine Überprüfung in christlicher Schau im Sinne des Subsidiaritätsprinzips geraten scheinen. Bei der Größenordnung der hier bewegten Werte und dem allgemeinen Interesse an der Materie wird ein klein wenig Skepsis an allzu freier Privatinitiative gewiß gestattet sein; um nicht falsch verstanden zu werden: Privatinitiative bezüglich Mieten.

Hinweise auf Westeuropa werden von interessierter Seite nicht selten mit der Absicht gegeben, uhter Bezug auf dort höhere Zinse auch für Österreich Erhöhungen zu verlangen. Nun hinken aber nicht nur Vergleiche,, besonders wenn sie generalisieren, sondern gerade dann, wenn sie andere Komponenten außer Betrachtung lassen. Um nur eines herauszugreifen: Vielfach ist dort die Belastung mit Steuern und sozialen Abgaben (in denen ja auch das Kapitel Wohnung und anderes teilenthalten ist) weit geringer. Besonders illustrativ ist dies, wenn wir einen Sprung nach den USA machen, wo Bezüge bis 52.000 Schilling jährlich überhaupt steuerfrei bleiben! Ein Kräfteparallelogramm bleibt nur dann unverändert, wenn alle Komponenten gleich verändert werden oder unverändert bleiben. Unzählig sind aber auch all die anderen Unterschiede in den Verhältnissen der einzelnen Länder: Zum Beispiel hat in England der Bestand an Häusern, die vor 1919 erbaut wurden, nur etwa 48 Prozent des Gesamtbestandes, wobei von den neueren 52 Prozent nur an die 8 Prozent privat vermietet sind, während die vom Eigentümer bewohnten Räumlichkeiten einschließlich Wohnungseigentümer und Einfamilienhausbesitzer von den neueren Häusern etwa 45 Prozent, vom Gesamtbestand ein Drittel, ausmacht. Die Statistik zeigt hier also einen deutlichen und zunehmenden Zug zum Wohnungseigentum hin, was in einer Zeit drohender Vermassung als Zeichen einer mindestens teilweisen Verbreiterung der Eigentumstreuung nur aufrichtig begrüßt werden muß. Dänemark, das eine ähnliche Lage wie Österreich auf dem Wohnungsmarkt aufweist, hat vorsichtige Nachziehungen derart vorgenommen, daß ab 1955 jährlich zehnprozen-tige Erhöhungen erfolgten, was bis 1961 einer 60prozentigen Erhöhung der Vorkriegsmieten für Althäuser gleichkam. Auf Österreich übertragen würde das bedeuten, daß innerhalb von sechs Jahren die Relation von eine Krone = ein Schilling auf 1,6 Schilling gestiegen wäre. Von den erzielten Mehreinnahmen hat der Hauseigentümer die Instandsetzungen durchzuführen und eine Grundsteuererhöhung zu tragen. Die Schweiz, die trotz wirtschaftlicher Blütezeiten auch kriegszeitbedingte Kontrollen eingeführt hatte, konnte diese wieder abbauen und mit einer allgemeinen Mietenerhöhung um je 5 Prozent (I) in den Jahren 1954 und 1957 verbinden. Welchem österreichischen Mieter wird da nicht warm ums Herz, wenn er an seine Mietenerhöhung um das X-fache (oft mehrere hundert Prozent) wegen der Hausreparatur denkt! — Westdeutschland, das durch den Krieg einen beträchtlichen Teil seiner Wohnungen verloren,, aber gleichzeitig Millionen von Flüchtlingen als neue Einwohner erhalten hat, bietet ein Bild eigener Art: Kein Wunder, daß dort nicht nur Milliardenbeträge aus ERP-Mitteln herangezogen, sondern auch noch höhere Beträge für die Förderung des Arbeitnehmerwohnbaues verwendet wurden.

Am Thema vorbeigesprochen hat vor einiger Zeit ein international bekannter Fachmann, als er bei einer österreichischen Tagung solcherarty gegen einen Zinsstopp Stellung bezögen hat, als ob man jetzt und hier t vor der Frage stünde, ob man einen solchen einführen solle oder nicht. Ja, da gäbe es gewiß Bedenken. In Österreich besteht er aber in verschiedenen normativen Formen schon fast ein halbes Jahrhundert. Das Problem lautet also, ob man den Zinsstopp a b-schaffen und die Mietengesetze ändern solle; wenn ja, warum und vor allem mit welchen Folgerungen. Welche Risken wären auf anderen Gebieten zu übernehmen? Über all das aber schwieg der Fachmann.

Vom österreichischen Standpunkt aber können und dürfen auch gerade diese Gesichtspunkte nicht übersehen werden. Gewiß, Notstandsmaßnahmen im Krieg können recht sein, die Beibehaltung derselben in Friedenszeiten unrecht. In den zwanziger Jahren mögen wirklich in mehr als einem Fall Menschen um ihre bitter ersparte Altersversorgung durch eine harte, ja moralisch anfechtbare gesetzliche Regelung gebracht worden sein. Uns Menschen der sechziger Jahre nützt es nichts mehr, über das Damals zu rechten. Das Grundbuch zeigt, daß seither die meisten Liegenschaften ihren Eigentümer gewechselt haben — und zwar unter der gegebenen Rechtslage. Nach einer gewissen und verständlichen Flaute (etwa 2 Prozent) in den Jahren 1945 bis 1950, etwa 50 Prozent von 1950 bis heute. Von den seinerzeitigen Hausbesitzern aus der Zeit vor dem ersten Weltkrieg werden kaum 5 Prozent noch existieren. Vom ethischen Standpunkt aus mag man es gewiß als bedauerlich ansehen, daß heute, in einer Zeit der allgemeinen Wiedergutmachung, eine solche hier nicht erfolgen soll — aber sie kann eben leider nicht mehr - geschehen. Wie gesagt, heute erfreuen sich andere ihres Eigentums: Nicht selten sind es durch die Hochkonjunktur der jüngsten Vergangenheit hochgespielte Unternehmungen, Institute und ähnliches des In- und Auslandes. Eine derartige Entwicklung muß nicht nachteilig sein, sie braucht aber nicht noch dadurch zur Groteske gesteigert zu werden, daß man diesen Glückspilzen mit einem Federstrich ein wertgesteigertes Gut gibt. Nur der hat Anspruch auf einen Spekulationsgewinn, der auch ein Risiko zu übernehmen bereit war. Wo hatte aber jemand, der unter der gegebenen Rechtslage ein Objekt erstanden hat, auch. ein Risiko getragen? Mußte er vielle|cht wirklich fürchten, daß er über Nfcfit “seine MfetSr “ver-liert?

Nun wäre es weit gefehlt, glauben machen zu wollen, in der Mietenfrage sei gegenwärtig alles in Ordnung. Da sind die Härten der Mietenerhöhung bei Reparaturen (7), die berüchtigten Abbruchkündigungen (1924), der Ablösewucher, der Untermietwucher und ähnliches mehr. — Interessanterweise war es dem geübten Sucher nach einem Prügelknaben nicht schwer, einen solchen zu finden: Die einhellige Wut richtet sich gegen die Untervermieter. Der Umstand, daß es sich hier meist um ältere und schwächliche, politisch ziemlich unbedeutende Leute und Wählergruppen handelt, hat sie für ihre traurige Rolle geradezu prädestiniert. Daß sie sich noch einiges zu ihrer kläglichen Rente verdienen müssen, um überhaupt erst das Existenzminimum zu erreichen, kümmert dabei niemand; auch nicht, daß Privatzimmervermieter in ländlichen Gemeinden so viel und noch mehr verlangen. Nun gut, auch hier soll Wucherern nicht das Wort geredet werden. — Und die Ablöse ( Hier gibt es verschiedene Theorien; zunächst wird behauptet, die Ablöse bekommt der Vormieter für die Aufgabe seines Mietrechtes, der Verwalter als Mittler zwischen Interessenten und Eigentümer, jedenfalls aber nicht letzterer selbst. Soweit Version eins. Version zwei aber sagt, dies sei das Notventil für den Hauseigentümer, weil er eben keinen höheren Zins verlangen darf. Gewiß, auch eine Ablöse darf er nicht Verlangen, aber das tut er eben trotz Verbot — und niemand kann es verhindern. So die Ablöse im richtigen Verhältnis zu dem Wohnraum steht, ist ihr auch eine gewisse moralische Berechtigung nicht abzusprechen. Der Ruf nach Zinserhöhung wird dann meist auch mit einem Hoffnungsblinzeln auf die „gehorteten“ Wohnungen (Zahlen schwanken, doch dürften es an die 40.000 in Wien sein) ausgestoßen. Bleibt auf alle Fälle die Frage: Wie soll bei erhöhten Mieten verhindert werden, daß der Vormieter einen Betrag verlangt oder der Verwalter; wenn man die Version eins für richtig hält, steht man aber zur Version zwei: Warum vergeben die „Horter“ einer Wohnung diese nicht schon jetzt gegen die zwar verbotene, aber angeblich immer wieder angebotene und genommene Ablöse? Etwa nur ihres rechtlichen Denkens wegen? Das wäre dann freilich erfreulicher, als Pessimisten fürchten!

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