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Gerechtigkeit in der Wohnungswirtschaft

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Wohnungsbeschaffung und Sicherung gerechter Wohnungsbedingungen zählen heute zu den vordringlichsten wirtschaftspolitischen, sozialen und auch für die Bevölkerungspolitik bedeutungsvollen Problemen. Die nachstehende Veröffentlichung ist bestimmt, Anregung und Unterlage einer sachlichen Diskussion zu sein. Ihr Thema steht schon allzu lange auf der Tagesordnung, als daß noch ein längeres Ausweichen möglich wäre. Hier verlangen Lebensfragen des Volkes Antwort. Es kann diese Antwort vielleicht verschieden lauten, aber sie wird in Erwägung aller zwingenden Tatsachen gegeben werden müssen. „Die Furche“

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Wohnungsbeschaffung und Sicherung gerechter Wohnungsbedingungen zählen heute zu den vordringlichsten wirtschaftspolitischen, sozialen und auch für die Bevölkerungspolitik bedeutungsvollen Problemen. Die nachstehende Veröffentlichung ist bestimmt, Anregung und Unterlage einer sachlichen Diskussion zu sein. Ihr Thema steht schon allzu lange auf der Tagesordnung, als daß noch ein längeres Ausweichen möglich wäre. Hier verlangen Lebensfragen des Volkes Antwort. Es kann diese Antwort vielleicht verschieden lauten, aber sie wird in Erwägung aller zwingenden Tatsachen gegeben werden müssen. „Die Furche“

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Ungerechtigkeit gegen einzelne, gegen große Bevölkerungsschichten, gegen ganze Völker ist weitgehend die Ursache unseres heutigen Elends. Sie ist auch die Ursache unserer weite Bevölkerungskreise so schwer drückenden Wohnungsnot. Prüfen wir ohne parteipolitische oder gar demagogische Nebenabsichten, wo auf dem Gebiete der Wohnungswirtschaft .n den letzten Jahrzehnten Unrecht geschah.

Der mögliche jährliche durchschnittliche Reinertrag aus der Hauswirtschaft stellt die reelle Grundrente dar. Ihre Kapitalisierung ergibt den Grundwert, die potentielle Grundrente. Die Grundrente wird also in doppelter Form bezogen, nämlich als jährlicher Reinertrag und als Grundwert, der beim Verkaufe des Grundstücks im Grundpreise realisiert wird. Der Preis eines unbebauten oder eines abbruchreifen Hauses richtet sich nach dem Ertrag des bestmöglichen auf der Liegenschaft zu errichtenden Hauses, der auf Grund bereits bestehender Häuser gesdiätzt wird. Auf diese Weise ergab sich in Wien vor dem ersten Weltkriege je Quadratmeter ein Grundpreis von durchschnittlich 30 Kronen an der Peripherie, 300 Kronen in den inneren Bezirken, 700 Kronen in der Mariahilfer Straße und am Ring, 3000 Kronen in der Kärntnerstraße. Um diese Werte zu erlangen, mußte daher ein Quadratmeter Grund in der Kärntnerstraße bei dreiprozentiger Kapitalisierung einen Reinertrag von jährlich 9 0 Kronen über die Verzinsung und -Tilgung des Baukapitals hinaus als reine Grundrente abwerfen.

Nach Auffassung führender Sozialökonomen ist die Grundrente nicht als Belohnung irgendwelcher produktiver Tätigkeit, sondern als Regulator des wirtschaftlich richtigen Aufwandes von Kapital und Arbeit auf den Boden aufzufassen, der auch in einer sozialistischen Wirtschaft vorhanden sein muß, wenn die Regelung nicht durch bürokratischen Zwang mit all den Folgen einer Zwangswirtschaft erfolgen soll. Die Grundrente hat daher die Aufgabe, die Nachfrage nach der knappen Bodennutzung zu beschränken. Diese Knappheit ist aber keine absolute, weil der städtische Boden durch Straßen, Straßenbahnen, Eisenbahnen, Le gung von Anschlußleitungen vermehrt werden kann. Durch diese Anlagen und die Errichtung öffentlicher Gebäude, wie Schulen, Theater, Post, Ämter usw., er halten die städtischen Grundstücke ihren Wert. Di Produktion und Erhaltungskosten dieser Anlagen zahlt weitgehend die Allgemeinheit, weswegen ihr auch die in der städtischen Grundrente enthaltene Verzinsung und Amortisation dieser Produktionskosten gebühren, wie sich aus folgendem Beispiel ergibt. Als das Sperrschiff in Nußdorf beim Donaukanal angebracht wurde und die Roßauer Lände vor Überschwemmungen gesichert war, stiegen hier die

Grundpreise pro Quadratmeter von 5 fl. auf 150 fl. Die Grundbesitzer bereicherten sich dadurch auf Kosten der Allgemeinheit um Millionen, denn das Sperrschiff kostete der Gemeinde 1 Million fl.

In der Zeit vor dem ersten Weltkrieg suchte man durch die Hauszinssteuer, die insbesondere fiskalische Zwecke verfolgt hat, die Grundrente zu treffen. Die Hauseigentümer mußten ungefähr 40 Prozenit des Mietzinses an Steuer und Zuschlägen ab-

führen. Da die Steuer praktisch vom Bruttozins eingehoben wurde, traf sie nicht die Rente, sondern wurde auf die Mieter überwälzt. Dadurch erhöhte die Steuer die Mietzinse tatsächlich um ungefähr 50 Prozent und wurde zu einer ungerechten, hohen, umgekehrt progressiven Einkommensteuer. Die Mieter mußten die hohe Steuer und die Renten aufbringen, aus denen die Steuer hätte geleistet werden sollen, und wurden dadurch doppelt belastet.

Die gesetzliche Mietzinsregelung, der Wohnungsbau der öffentlichen Hand und der gemeinnützigen Wohnungsvereinigungen nach dem ersten Weltkriege sollten die

Renten beseitigen. Ist aber dieses neue System gerecht, das wir nun seit 30 Jahren haben? Wer eine mietergeschützte Wohnung besitzt, zahlt im Durchschnitt 3 Prozent seines Einkommens als Mietzins, während die Mieter von Goldzinswohnungen ein Vielfaches zu leisten haben und in der ganzen übrigen Welt für die Miete 20 bis 25 Prozent des Einkommens aufzuwenden sind. Der Mieter behält daher seine große Wohnung, auch wenn er alleinstehend ist, während gleichzeitig kinderreiche Familien oder Wohnungslose keine Wohnung oder nur eine um sehr viel Geld erhalten können. Jener treibt auf Kosten dieser einen Wohnungsluxus; vergibt er einen Teil der Wohnung in Untermiete, so bezieht er ein schönes müheloses Einkommen, eine Mieterrente. Diese Ungerechtigkeiten sind kaum kleiner als die oben dargestellten vor dem Jahre 1914. Oder ist es gerecht, daß Personen mit normalem Einkommen beinahe umsonst schöne neue Gemeindewohnungen beziehen, die größtenteils aus den Mitteln derer gebaut wurden, die noch in den schlechten alten Wohnungen hausen müssen? Sie be-

ziehen Subventionsgewinne. Die Mieter von Wohnungen und Geschäftslokalen in guter und bester Lage beziehen gegenüber jenen in schlechteren Lagen eine Differentialrente. Ist es gerecht, daß der Ausgebombte als Baukostenbeitrag für eine sogenannte Aufbauwohnung bis 50.000 S zahlen soll, wenn er wieder zu einem eigenen Heim kommen will, während jene, die von den Bomben verschont blieben, beinahe umsonst wohnen? Ist es gerec h t, daß der Hauseigentümer für seine Leistung in vielen Fällen aus dem Hause nichts erhält und daß die Mieter häufig nicht einmal zu den Instandhaltungen entsprechend beitragen wollen? Aber auch den Fall angenommen, alle Wohnungen und Geschäftslokale würden in das Eigentum der Gemeinden übergehen und würden von ihnen um jenen Mietzins vermietet werden, der die Gestehungskosten deckt, so würden die Mieter der Wohnungen und Geschäftsräume der besseren Lagen daraus bedeutende Differentialrenten gewinnen. Die Folge wären noch größere Protektion und Korruption bei der Wohnungsvergebung, als wir sie jetzt bereits haben. Nur nebenbei sei bemerkt, daß dieses System die persönliche Freiheit unterbindet, den Wohnungsbedarf nicht zu befriedigen vermag, sondern ihn aufbläht, und den Wohnungsneubau von Steuereinnahmen abhängig macht, wodurch er in wirtschaftlichen Krisenzeiten, in denen er besonders dringend wäre, völlig zum Erliegen kommt.

All die aufgezeigten Ungerechtigkeiten und Unzulänglichkeiten beider Systeme sind beim Eigenheim, beim Eigentum an der Wohnung nicht möglich. Das Eigenheim konnte sich aber vor 1914 in den österreichischen Städten nicht entwickeln, weil die Baugründe im Hinblick auf die hohen, aus den Miethäusern zu erwartenden Erträge für Eigenhäuser viel zu teuer 'waren, weil die Bauordnungen den Miethausbau begünstigten, Kreditinstitute Eigenheime beinahe überhaupt nicht belehnten und die selbstbewqhnten Eigenheime, obwohl sie keine Ertragsobjekte sind, durch die Hauszinssteuer auch so hoch be steuert wurden wie die Miethäuser mit ihren hohen, von den Mietern stammenden Erträgen. Der Eigenheimbesitzer konnte die Steuer auf niemand überwälzen. Die Erwerbung von Eigentum an Wohnungen, die Jahrhunderte hindurch in Österreich nicht selten war, wurde im Jahre 1879 aus formalrechtlichen Gründen, tatsächlich aber wohl aus der kapitalistischen Einstellung der Zeit heraus, die nur die Mietkaserne begünstigte, verboten.

Ganz abgesehen von den sozialen, hygienischen, volkspolitischen Gründen, müßte das Ziel unserer Wohnungswirtschaft, um in ihr wieder die Gerechtigkeit zu verwirklichen und besondere Gewinnmöglichkeiten auszuschließen, das Eigenheim, die Eigenwohnung sein. Auf dieses Ziel ist unsere wohn wirtschaftliche Gesetzgebung auszurichten. Beim Eigenheim und bei der Eigenwohnung kann nur die Differentialrente in begünstigten Lagen entstehen. Sie kann aber durch eine laufende Besteuerung des Wertes, ähnlich der Vermögenssteuer, wobei kinderreiche Familien besonders berücksichtigt würden, und anläßlich des Verkaufs durch eine Wertzuwachsabgabe ohne Schwierigkeiten erfaßt werden. Eine Steuerüberwälzung ist hier nicht möglich.

In Österreich ist jedoch in den Städten das Mietensystem noch weitaus überwiegend. Die in diesem System jetzt herrschende Ungerechtigkeit und dasdaraus entstehende wohnungswirtschaftlichc Chaos, insbesondere die doppelte, ja vielfache Mietzinsbildung — nämlich minimale Mietzinse für Altwohnungen und vielfach zu hohe für neue Wohnungen —, müssen beseitigt werden, wenn die Kriegsruinen wieder aufgebaut, zu ihnen nicht neue Ruinen kommen sollen und der Wohnungsneubau zur Beseitigung der Wohnungsnot gedeihen soll. Hiebei kann eine Rüdekehr zu dem eingangs geschilderten sogenannten Hausherrensystem der Zeit vor dem ersten Weltkriege mit all seinen Fehlern nicht mehr in Frage kommen. Die einzige möglichst gerechte und wirtschaftliche Lösung dieses schwierigen Problems ist in einer solchen schlagartig oder stufenweise durchzuführenden Erhöhung der Mietzinse der Altwohnungen gelegen, daß sie in ein richtiges wirtschaftliches Verhältnis zu den Mietzinsen in den neuerrichteten Häusern gebracht werden können. Die Mietzinserhöhungen müßten in entsprechenden Löhnen, Gehältern und Renten ihre Deckung finden. Mit den Mietzinserhchungen ist eine weitgehende Abschöpfung der daraus entstehenden Gewinne zugunsten des Wohnhäuserwiederaufbaus und des Wohnungsneubaus zu verbinden. Bei einer solchen An- glžchung der Mietzinse können auf Seite der Mieter in Zukunft keine ungerechtfertigten Gewinne entstehen Durch eine progressive Besteuerung der Nettoerträge der Miethäuser — ähnlich der Besteuerung der Einkünfte aus Vermietung und Verpachtung —, wobei der Progression der Prozentsatz zugrunde gelegt wird, in welchem sich die Netto- zur Bruttomiece verhält, können sicher alle eingangs aufgezählten möglichen Gewinne der Hauseigentümer je nach der Höhe des Steuersatzes und der Progression so weit getroffen werden, a 1 s man sie treffen will, dadurch würde die reelle Grundrente getroffen und damit die Grundpreise niedrig gehalten werden. Der Hauseigentümer kann sich dabei die Betriebs-, Verwaltungs- und Instandhaltungskosten und bis zur erfolgten Tilgung der Herstellungskosten auch diese und die Verzinsung der jeweils noch nicht getilgten Herstellungskosten abziehen. Ist der übrig- bleibende Nettoertrag im Vergleiche zum Bruttomietzins niedrig, so wird ein niedriger Steuersatz angewendet, ist der Nettoertrag verhältnismäßig hoch, so unterliegt er einem hohen Steuersatz. Damit wird jedes Haus, so wie bei der Einkommensteuer jeder Steuerträger, nach seiner individuellen Steuerkraft besteuert. Eine .Überwälzung dieser Steuer ist nicht möglich. Bei diesem Verfahren kann ein Höchstmaß an Gerechtigkeit auch im Mietensystem sowohl für die Hauseigentümer als auch für die Mieter verwirklicht werden und die Besorgnis über eine mögliche Entstehung neuer hoher Hausherrenrenten aus Mietzinserhöhungen beseitigt werden. Indem diese Nettoertragsbesteuerung — sie ist das spezifisch Neue des ganzen Vorschlages — den wirtschaftlichen Gegebenheiten folgt,

erhält der Bauherr eines neuen Hauses in 30 bis 40 Jahren die von ihm selbst oder durch Hypotheken aufgebrachten Herstellungskosten entsprechend verzinst aus den Mietzinsen zurück. Bis dorthin sind die Neubauten, wenn sie inzwischen keinen Nettoertrag abwerfen, praktisch steuerfrei. Dadurch wird die Neubautätigkeit stark gefördert und doch jeder Subventionsgewinn, der aus allgemeinen Steuerbefreiungen oder der Gewährung niedrig verzinslicher Darlehen aus öffentlichen Mitteln ansonsten entstehen kann, sofort erfaßt werden. Instandsetzungen und Verbesserungsarbeiten werden nicht — wie jetzt im Mieterschutzsystem — sosehr den Gewinn, sondern die Steuer schmälern und daher den Hausbesitzer veranlassen, Instandsetzungen und Verbesserungen gerne durchzuführen, wodurch die Mieter aus ihren erhöhtet Leistungen auch einen Nutzen haben werden. Bei diesem System werden wirtschaftlich nicht gerechtfertigte Mietzinserhöhungen dem Hauseigentümer wegen der Progression des Steuersatzes nur sehr geringen Nutzen bringen. Dadurch wird ein organischer, in der Wirtschaft begründeter und daher besser wirkender Mieterschutz gebildet als der jetzige, auf den Zwangsmaßnahmen beruhende, der praktisch ein Schutz der glücklichen Wohnungsbesitzer gegen die Wohnungslosen ge-

worden ist. Durch diesen organischen Mieterschutz kann bei Beibehaltung des Kündigungsschutzes die freie Mietzinsbildung in absehbarer Zeit zugelassen werden. Denn jede ungerechtfertigte Mietzinssteigerung wird durdi deren weitgehende Wegsteuerung vor allem die Mittel für den Wiederaufbau und Wohnbauförderungsfond vermehren, wodurch der Wohnungsbedarf eher befriedigt wird und vorher gestiegene Mietzinse wieder sinken werden. Der aus diesen Steuermitteln gebildete Wohnungsbaufond wird zu einer Art Ausgleichskasse zwischen den höheren Gewinnen der Häuser in guter Lage oder jener Häuser, deren Herstellungskosten bereits getilgt sind, und den größeren Lasten der Neubauten. Dadurch kann das gesamte Mietzinsniveau niedriger gehalten werden als in anderen Ländern.

Die Durchführung dieses Vorschlags würde eine gerechte, aber auch wirtschaftlich richtige Lösung des schwierigen Mietenproblems bringen. Es würde aber auęh bei schrittweiser Verwirklichung der Ansiedlung der Bevölkerung durch die Hoffnung, endlich wieder unbewegliches Vermögen im Eigenheim oder in der Eigenwohnung erlangen zu können, in dieser ohnedies so wenig hoffnungsvollen Zeit vielen wieder neuen Lebensmut gegeben und damit ein Ziel gesteckt werden, wofür es sich auch- lohnt, zu sparen und Opfer zu bringen.

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