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Wohnrecht und Unrecht

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Zu den dringendsten Probeimen, die einer Lösung bedürfen, gehört unsere Mietengesetzgebung.

Das Mietengesetz stellt ein dauerndes, krasses Unrecht dar — ein Privilegium für die, die mietengeschützte Objekte innehaben — einen Nachteil für alle anderen. Wer nicht zur privilegierten Klasse der Altmieter gehört, die oft um Bagatellbeträge Wohnungen, Werkstätten und Geschäftslokale innehaben, muß diesen gegenüber bedeutende Nachteile in Kauf nehmen.

Durch das Mietengesetz werden große Mengen Wohnraum, ohne benutzt zu werden, blockiert, was automatisch auf die frei zu vergebenden Wohnungen preislich eine Aufwärtstendenz bewirkt (es ist auch niemand bereit, Wohnraum, den er über kürzere Zeit nicht benötigt, zu Wohnzwecken zur ■ Verfügung zu stellen beziehSngs,-weise zu vermieten, da er in der.Praxis bei Eigenbedarf nicht die Möglichkeit hat, diesen Wohnraum wieder selbst zu benützen). Die Vorrechte, die ein Altmieter auf Grund dieses Gesetzes in Anspruch nehmen kann, beruhen auf keinerlei Verdienst, noch sind sie eine Maßnahme zum sozialen Ausgleich (denken wir an Geschäftsleute, höhere Beamte und so weiter, die solche Objekte zu Preisen innehaben, die weit unter ihrem Gebrauchswert liegen) — sie beruhen vielmehr auf blindem Zufall. Dieses Gesetz in seiner heutigen Form ist der Kurzsichtigkeit und Couragelosigkein von Generationen von Politikern zu danken. Es stellt ein ständiges Unrecht

in unserer Gesellschaft dar — ein Unrecht, das Haß und Neid erzeugt und die Rechtlichkeit unserer gesamten Gesetzgebung in Frage stellt. Es kommt dazu, daß hier eine Kategorie von Eigentum praktisch enteignet ist, denn jeder Eigentümer von Mieterschutzwohnungen hat außer Ärger und Unannehmlichkeiten von den ihm gehörenden Objekten nichts, es sei denn, daß er sich durch Ungesetzlichkeiten, die man ihm im allgemeinen straflos

nachsieht, diskriminiert. Der vom Hausbesitzer wie vom Mieter (meist bei Untervermietung) betriebene Wucher, begangen an den materiell Schwächsten, an jungen Ehepaaren und alleinstehenden Untermietern, müßte, so möchte man meinen, den Gesetzgeber allein schon veranlassen, Abhilfe zu schaffen. Dazu kommt die durch diese Zustände heraufbeschworene Unmöglichkeit, Wohnungen zu wechseln, zum Nachteil vieler Arbeiter.

Begünstigte und Geschlagene

Aber auch innerhalb der vom Mieterschutz Begünstigten gibt es kein Recht. Durch den unterschiedlichen Erhaltungszustand von mietengeschützten Objekten hat nicht selten ein vom Glück Begünstigter für eine Vierzimmerwohnung eine Bagatelle zu entrichten, während ein anderer für Zimmer und Küche in einem Bassenahaus 300 Schilling und mehr aufbringen muß — bedingt durch die Baufälligkeit des Objektes. Ein Betrag von 300 Schilling aber übersteigt den Wohnwert derartiger Wohnungen beträchtlich.

Der wirkliche Arbeiter, der sich kaum eine Mehrzimmerwohnung in solide gebauten Häusern leisten konnte, ist so ständig im Nachteil einem meist kleinbürgerlichen Kreis gegenüber (aber auch oft sehr reichen Leuten gegenüber), der diese solide gebauten Objekte innehat.

Daß bei der heutigen Familien- und Wohnungspolitik die kleinen Familien

meist über große, die großen über kleine Wohnungen verfügen, ist eine durch die Erfahrung bestätigte Tatsache. Diese Zustände sind unhaltbar — Abhilfe wird immer notwendiger. Eine wirklich gerechte, gedeihliche Lösung kann nur dann zustande kommen, wenn alle betroffenen Gtuppen zur Einsicht gelangen, daß diese bestimmte Lösung in weiter Sicht für alle Vorteile bringt. Die Maßnahmen aber, die man trifft, müssen soweit irgend möglich, unbürokratisch durchgeführt werden.

Wohnungspolitik — Familienpolitik

Es wäre also vorzuschlagen: Der gesamte Bestand an Altwohnungen soll neu bewertet, dem Zustand und der Lage nach in Kategorien eingeteilt werden. Pro Minderjährigen soll ein im Gesetz vorgesehener Betrag als Mietzuschuß an die Familien geleistet werden. Die heute geübte Art des Mietzuschusses ist das summarisch Pa-

radoxeste, was man sich überhaupt vorstellen kann. Dieser Mietzuschuß muß selbstverständlich auf Minderjährige beschränkt bleiben, er soll lediglich kinderreichen Familien die Möglichkeit geben, ihr Bedürfnis an Wohnraum zu befriedigen.

Der Erwachsene aber muß endlich einsehen, daß er für alles, was er genießt, was er verbraucht, den vojlen Gegenwert zu leisten hat. Abgesehen davon, daß die heutigen Zustände auch ein Unrecht gegen den Eigentümer mietengeschützter Objekte darstellen, führen sie dazu, daß immer weitere Kreise der Bevölkerung ihre Initiative nicht mehr auf ehrliche, schaffende Arbeit, sondern nur mehr zur Erhaschung irgendwelcher, in den Gesetzeslücken als Möglichkeit bestehender Vorteile verwenden (es ist eine Tatsache, daß eine gesunde Wohnungspolitik nur in Abstimmung mit einer gesunden Familienpolitik möglich ist — beides ist aufs engste verbunden).

Ein Wohnraum pro Person

Für alte und alleinstehende Personen müssen Kleinstwohnungen errichtet werden, um ihnen nach der Aufgabe ihrer zu Wohnungszwecken nicht mehr ^benötigten Großwohnung eine selbstständige, ununiformierte Existenz zu ermöglichen. Auch würde ich vorschlagen, den Kündigungsschutz auf einen Wohnraum pro Person zu beschränken. Es ist selbsverständlich, daß der aus öffentlichen Mitteln subventionierte Wohnbau weiter gefördert werden muß — jedoch dürfen diese Wohnungen nur an Bedürftige, d. h. an solche abgegeben werden, die über keinen Wohnraum verfügen oder bereit sind, ihren bisher innegehabten Wohnraum ohne daraus materielle Vorteile zu ziehen, an andere abzugeben.

Ein freies Weiterverkaufen oder ein über den eigenen Bedarf Inanspruch-nehmen von vom Staat subventioniertem Wohnraum muß unterbunden werden. Wenn eine derartige Wohnung aufgegeben wird, soll sie einer dazu eingerichteten Treuhandstelle zum ursprünglichen Preis, plus Abzahlung, minus Abnützung, übergeben werden. Wer mehr als einen Wohnraum pro Person in Anspruch nehmen will, soll seinen Wohnbedarf privat befriedigen und dafür frei nach Vereinbarung be-ähle3ft34ir,6tt:|3|M,. 9 !3i>noi sii>

Die Reihenfolge dieser Maßnahmen: Zuerst ein gesundes Familiengesetz, das einen Mietzuschuß pro Minderjährigen gewährt, sowie Erstellung von Kleinstwohnungen für Alleinstehende und Alte; dann Beschränkung des Kündigungsschutzes auf einen Wohnraum pro Person und im Anschluß daran eine durchgehende Neubewertung alles kündigungsgeschützten Wohnraumes.

Diese Maßnahmen wären geeignet, auf kurzem Weg eine Normalisierung herbeizuführen. Jeder rechtlich denkende Mensch aber hätte das Gefühl, daß hier Recht und Gesetz identisch sind.

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