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Gegebenheiten der Koalitionspolitik ebenso wie sozialpolitische und wirtschaftliche Erwägungen werden den Gang der Verhandlungen über die mit 30. Juni dieses Jahres befristeten Wirtschaftsgesetze bestimmen. Eine der am meisten umstrittenen dieser behördlichen Regelungen ist wohl das Woh- nungsanfordérungsgesetz. Der einen Richtung, deren Forderung die völlige Beseitigung interventionistischer Bestimmungen ist, steht im Kampf der Meinungen auf der anderen Seite die Forderung nach Beibehaltung der Wohnungszwangswirtschaft gegenüber. Die Anhänger der liberalen Maxime versprechen sich, die Dinge wohl sehr vereinfachend, die Beseitigung der Wohnungsnot von der Befreiung von allen Interventionen, also vom freien Spiel der Kräfte. Dieses würde, so meinen sie, auf der Grundlage „echter“, Amortisation und Verzinsung gewährleistender Mietpreise das private Kapital für den Wohnungsbau interessieren und so die Wohnungsnot vergleichsweise rasch beseitigen.

Die Vertreter des anderen Extrems wieder gehen von der Voraussetzung aus, daß das „Dach über dem Kopf“ nicht ein beliebiges wirtschaftliches Gut sei, das man der Ver-

fügungsgewalt des einzelnen überlassen könne und treten für eine Beibehaltung der Bewirtschaftungsnormen ein. Sie, zumindest soweit sie dem Fähnlein der Unentwegten des äußeren Flügels angehören, erstreben, auf lange Sicht, eine Sozialisierung des gesamten Wohnungswesens. Nur die Vergesellschaftung des Hausbesitzes garantiere eine Milderung des Wohnungselends. Zwischen diesen beiden Außenpositionen gibt es natürlich eine Reihe von Kompromissen verschiedener Grade. Da sind etwa gemäßigte Sozialisten, die das Heil in einem teilweisen Abbau der Wohnungsbewirtschaftung sehen und der Privatinitiative zustimmend gegenüberstehen. Umgekehrt wieder stehen im Lager der Rechtsparteien gar nidit wenige, die das „laisser faire“ nur mit Einschrän kungen gelten lassen und mehr oder weniger straffen staatlichen Eingriffen das Wort reden.

Welcher ist nun der gangbare Weg? Ein abrupter Abbau der Maßnahmen im ohnedies neuralgischen Wohnungssektor würde, und dies wird von Einsichtigen wohl kaum angezweifelt, ein Chaos auslösen; anderseits zeigt es sich aber, daß auch der „soziale Wohnungsbau“ — trotz seinen sehr beacht-liehen Leistungen — mitsamt dem ganzen Wust der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen uns dem Ziel, der Bevölkerung ausreichenden Wohnraum zur Verfügung zu stellen, nur sehr langsam näherbringen. Radikalismen, gleichgültig welcher Art, werden jedenfalls nicht zu befriedigenden Lösungen führen.

Reälpolitisch möglich und richtig, zumindest im gegenwärtigen Zeitpunkt, wird offenbar der Mittelweg sein, also auch hier eine Art von sozialer Marktwirtschaft, wenn unter dieser eine Wirtschaftsform verstanden, wird, als deren Leitsatz „Soviel Freiheit wie möglich, soviel Zwang wie nötig“ anzusehen ist.

Nun hat die „Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft“ (SWA), nachdem sie schon mit einer Reihe anderer Schriften, so auch mit einem Vorschlag zur Neuordnung der Wohnungswirtschaft in Oesterreich an die Oeffentlichkeit getreten ist, sich mit einem beachtlichen Beitrag in die Diskussion über das Wohnungsanforderungsgesetz (WAG) eingeschaltet. Trotz aller Mängel des Gesetzes wird in dieser Arbeit die Frage nach seiner Zweckmäßigkeit — mit den weiter unten dargelegten Einwänden — bejaht, denn fiele die Anforderüngsmöglichkeit weg, wäre das knappe Gut „Wohnraum“ in Not- ständsfällen, Minderbemittelten also, noch schwieriger zugänglich, als dies heute der Fall ist. So lange es zuwenig Wohnungen gibt (die Knappheit wird in der genannten Studie auch mit statistischem Material überzeugend nachgewiesen), sei das WAG — bei gerechter Anwendung — ein Instrument, das eine Benachteiligung von Wohnungswerbern mit geringem Einkommen zugunsten von Zahlungskräftigen wenigstens bis zu einem Grad verhindert. Gegen dieses Argument wird wohl ein ernst zu nehmender Einwand kaum zu erheben sein. Erinnern wir uns zum Beispiel doch nur an die exorbitant hohen Preise knapper Güter auf den Schwarzen und Grauen Märkten der unmittelbaren Nachkriegszeit. In der Wohnungswirtschaft aber einen Ausgleich durch „echte“ Mietpreise zu schaffen, ist, wie dies auch von maßgeblicher Stelle erst kürzlich betont wurde, derzeit wirtschaftlich und sozialpolitisch einfach untragbar. Es können in diesem Aufsatz nicht allé von der SWA für eine Novellierung des Gesetzes gemachten Vorschläge erörtert werden. Lediglich das Gewichtigste sei hier flüchtig skizziert:

Empfohlen wird die Streichung des § 5 Ziff. 13 WAG, demzufolge einzelne Räume von Wohnungen, sofern die Zahl der Wohn- räumc die Zahl der den Hausstand bildenden Personen übersteigt (überzählige Wohn- räume), von den Gemeinden angefordert werden können. Ebenso stellt die Studie die Eliminierung des Kapitels „Ueberzählige Wohnräume“ (§ 6 Abs. 1—4) zur Debatte. Die SWA begründet diesen Vorschlag damit, daß es einmal in Kleinwohnungen, also in Wohnungen bis zu einer C röße von einem Zimmer und einem Kabinett, überzähligen Wohnraum selbstverständlich nicht geben kann. Im übrigen zeigen ja gerade die Belagszahlen der Kleinwohnungen besonders drastisch das Wohnungselend auf. Leider fehlt es hier an Raum zur auch nur auszugsweisen Wiedergabe der im genannten Elaborat enthaltenen sehr aufschlußreichen Tabellen. In den Kategorien der Mittelwohnungen aber (zwei, zweieinhalb bis drei Zimmer) — auch dies wird statistisch erhärtet’— gibt es, wohlgemerkt per saldo, zumindest in den Gemeinden, für die das WAG gilt, (d. s. die Bundeshauptstadt, die Statutarstädte und, mit Genehmigung des Landeshauptmannes, die Gemeinden mit mehr als 3000 Einwohnern), kaum einen überzähligen Wohnraum im Sinne des WAG. Natürlich wird man da und dort eine kraß unterbelegte Mittelwohnung finden, aber selbst in den ganz seltenen Fällen, da die gesetzlichen Voraussetzungen für eine Anforderung gegeben sind — nach § 6 (1) sind nur Räume mit separiertem Zugang oder solche, die nach baulicher Umgestaltung selbständig benützt werden können, anforderbar —, wird eine Einweisung fremder Personen in solche eventuell nicht oder nur unzureichend benützte Räume als ein Eindringen in die persönliche

Sphäre angesehen. Man denke dabei nur etwa an die gemeinsame Küchenbenützung, die bekanntlich nur allzu oft Ursache unliebsamer Reibungen ist. Die Großwohnungen endlich (mit mehr als drei Zimmern) hat der Gesetzgeber im Vorjahr aus dem Wirkungsbereich des WAG herausgenommen. Es wird noch in Erinnerung sein, daß damals die kommentarlose Verlautbarung dieser Novellierung erhebliches Aufsehen erregte. Dieser Schritt war sozialpolitisch gesehen durchaus gerechtfertigt, so weit es sich um den Verzicht auf die Anforderung von ganzen Wohnungen handelt. Die Mietpreise für solche Objekte sind ja derart hoch, daß sich Bewerber um sie nur in relativ geringer Zahl finden. Im Expose der SWA wird aber mit Recht darauf hingewiesen, daß es nicht verständlich ist, weshalb diese Wohnungen auch hinsichtlich der Anforderung von Wohnungsteilen neutralisiert wurden. Denn wenn es irgendwo anforderbaren überzähligen Wohnraum gibt, dann doch nur in dieser Gruppe. Gerade der Umstand, daß eine, sagen wir aus fünf oder sechs Zimmern bestehende Wohnung von nur einer oder zwei Personen bewohnt ist, wird als typischer Fall eines Unterbelages den Unwillen weiter Bevölkerungskreise hervorrufen. Derlei pflegt sich bekanntlich ziemlich rasch herumzusprechen. Nun ist aber kaum anzunehmen, daß der Gesetzgeber sich zu einer neuerlichen Novellierung dieses Passus entschließen wird. So wird also, nach dem bisher Gesagten, die Forderung der SWA, auf die Anforderung überzähligen Wohnraumes generell zu verzichten, als plausibel und durchführbar erscheinen.

Es ist der Oeffentlichkeit kein Geheimnis, daß die Ansuchen um eine Wohnungszuweisung nicht immer objektiv, in der Reihenfolge ihrer Dringlichkeit also, behandelt werden. So mancher Wohnungsbedürftige wird davon ein Lied zu singen wissen. Um nun die Unparteilichkeit in der Anwendung des Gesetzes zu gewährleisten, empfiehlt die Studie, die Gemeinden zu verhalten, ihre Anforderungsmaßnahmen am Ende eines jeden Vierteljahres zu publizieren. In Wien durch Verlautbarung in der amtlichen „Wiener Zeitung", in den übrigen Gemeinden beispielsweise durch Anschlag an der Gemeindetafel. Den § 15, der die Vormerkung der Wohnungsuchenden behandelt, solle in einem Absatz 4 folgender Passus an- gefiigt werden: „Die Reihung der Vor gemerkten hat die Gemeinde mit Bescheid vorzunehmen.’

Ohne Zweifel würde — zum Nutzen der Allgemeinheit — größere Publizität der wohnungsamtlichen Tätigkeit die Kontroll- möglichkeit durch die öffentliche Meinung fördern.

Die SWA vermerkt in ihrer Arbeit kritisch auch die unzureichende Ausgestaltung der Rechtsmittel, mit denen sowohl der Wohnungsuchende als auch der verpflichtete Hauseigentümer sich gegen Uebergriffe der Behörden zur Wehr setzen kann. Das WAG sieht weder ein Rechtsmittel gegen Entscheidungen der Gemeinden bei der Einreihung und Vormerkung der Wohnungswerber vor noch eines gegen die Verletzung der Bestimmung des § 16 Abs. 2, wonach die Gemeinde billige Wünsche des Hauseigentümers zu berücksichtigen hat. Rechtsmittel sollten auch in den angeführten Fällen erhoben werden können.

Schließlich — der Platzmangel zwingt zur Kürze — sei nur noch der Vorschlag gestreift, die von den Gemeinden dem Hauseigentümer eingeräumte Frist (mindestens 24 Stunden) für eine Vorbereitung auf ei e Besichtigung der Wohnung durch Amtsorgane (§ 2 Abs. 1), über deren Berechtigung sich übrigens auch streiten läßt, aus beruflichen, familiären usw. Gründen auf zum Beispiel drei Tage zu verlängern. Auch die in § 16 (3) dem Vermieter für das Erstatten eines Vorschlages für die Wohnungszuweisung zugestandene Frist von drei Tagen sollte auf sechs Tage erstreckt werden Schließlich erfordern solche Zuweisungsvorschläge doch sehr reifliche Ueberlegung. Es wäre zu wünschen, daß diese sorgfältig durchdachte Publikation der Arbeitsgemeinschaft und ihre Empfehlungen in den gegen wärtigen Verhandlungen nicht übergangen werden.

normen ausgehen können, sondern für die Strafbarkeit eines Verhaltens auch das Unrechtsbewußtsein und damit die Kenntnis der strafgesetzlichen Normen verlangen müssen.

Lehre und Rechtsprechung haben das österreichische Strafrecht den modernen Verhältnissen des 19. und 20. Jahrhunderts angepaßt. In glücklicher Verwertung von Erkenntnissen der Wissenschaft, wobei die Rechtsprechung dem Leitstern jedes wahren Juristen, der Gerechtigkeit, gefolgt ist, hat die Judikatur nicht allein die Worte des Gesetzgebers beachtet, sondern vielmehr auch den Gedanken, den er durch sie ausdrücken wollte, berücksichtigt. Man hat im Wortsinne oft nur die nächste Voraussetzung gesehen, den wahren Inhalt zu ermitteln. Sicherlich könnte man auf diese Weise noch Jahre hindurch ohne Herbeiführung einer Justizkrise mit dem geltenden Strafrecht das Auslangen finden. Nach dem Grundsatz, daß das Bessere der Feind des Guten ist, sollte ein besseres an Stelle des derzeit noch brauchbaren, aber nicht mehr ganz entsprechenden Strafgesetzes treten.

Wenn es trotz dieser Erwägungen, die meines Erachtens Allgemeingut sind, noch immer nicht zu einer seit hundert Jahren geplanten Strafrechtsreform gekommen ist, so ist es wert, diesen Gründen nachzugehen.

Das Strafrecht ist für jedes Volk von grundlegender Bedeutung. Seine Normen sind in ihrer Auswirkung tief einschneidend. Manche strafrechtlichen Bestimmungen rühren auch an entscheidende weltanschauliche Fragen. Ueber viele Grundfragen des Strafrechtes hat man seit Jahrzehntcntkeine Einigung gefunden, immer neue Probleme erstehen, so daß man meinte, immer noch zuwarten zu können, bis endlich eine Konsolidierung der Lehre hinsichtlich der grundlegenden Begriffe erfolgt. Die Erfahrung lehrt, daß wir einem solchen Zeitpunkt mehr denn je ferncstehen und daß man sich wohl mit relativ annehmbaren Ergebnissen begnügen muß.

Sicherlich ist es problematisch, ob das Strafrecht, dessen zentrale Aufgabe der Schutz der Rechtsordnung ist und das zur Kriminalisierung des Unrechts nur dann schreiten soll, wenn alle anderen Mittel des Rechtsgüterschutzes für die Bewährung der Rechtsordnung als nicht ausreichend erkannt werden, noch weiterhin ein Strafrecht bleiben oder durch eine soziale Verteidigung verdrängt werden soll.

Der Uebergang vom Tat- zum reinen Täterprinzip führt zur Aufhebung jeder Korrelation zwischen Tat und Sanktion. Wenn die Tat nur noch als Symptom größerer oder geringerer Sozialschädlichkeit des Täters bewertet wird, ethisch jedoch völlig indifferent ist, dann entfällt auch jede Notwendigkeit einer scharfen Abgrenzung der einzelnen Deliktstatbestände voneinander. Die weitere Folge wäre der Verzicht auf das Fundamentalprinzip des geltenden Strafrechtes: Kein Verbrechen ohne Gesetz. Die letzte Konsequenz ist die völlige Beseitigung des materiellen Strafrechtes und seine Ersetzung durch ein System von sozialhygienischen Maßnahmen. Sollte uns nicht das Strafrecht eine unüberschreit- bare Schranke jedweder Sozialpolitik bilden? Wäre nicht die Ersetzung des Strafgesetzes durch einen Kodex der sozialen Verteidigung mit dem Verzicht auf den im Strafgesetz festgelegten festen Bewertungsmaßstab für die Ausrichtung sozialen Ver

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