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Resignation - oder Kapitulation?

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Die Budgetdebatte im Parlament hat anläßlich der Behandlung des Kapitels „Justiz“ die Öffentlichkeit wieder mit den sich zuspitzenden Problemen der Strafrechtsreform beschäftigt. Das kommende Jahr wird die Entscheidung bringen, ob und wie die Reform des § 144 StG bewältigt wird. Denn immerhin ist die Frage seit dem Villacher Parteitag der SPÖ immer mehr von einer sachlichen auf eine parteipolitische Ebene gehoben worden: vor allem auch deshalb, weil seit Villach die sozialen Motive der Indikation wieder in der Agitation in den Vordergrund' gerückt wurden.

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Die Budgetdebatte im Parlament hat anläßlich der Behandlung des Kapitels „Justiz“ die Öffentlichkeit wieder mit den sich zuspitzenden Problemen der Strafrechtsreform beschäftigt. Das kommende Jahr wird die Entscheidung bringen, ob und wie die Reform des § 144 StG bewältigt wird. Denn immerhin ist die Frage seit dem Villacher Parteitag der SPÖ immer mehr von einer sachlichen auf eine parteipolitische Ebene gehoben worden: vor allem auch deshalb, weil seit Villach die sozialen Motive der Indikation wieder in der Agitation in den Vordergrund' gerückt wurden.

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Das soziale Ressentiment wirkt aber heute blaß und wenig überzeugend angesichts einer völlig geänderten sozialökonomischen Kulisse. Die Gesellschaft der Schnitzler-Ära existiert nicht mehr. Die Exponenten des Feudal- und Geldadels sind abgetreten, aber auch das schütz- und wehrlose Mädchen aus den armen Bevölkerungsschichten, wie überhaupt ein vergleichbares Proletariat, gibt es nicht mehr.

Die Breitenwirkung der Agitation zur Aufhebung des § 144 ist heute in einem weitaus höheren Grad Ergebnis des Geistes des Linksliberalismus, der zum Modetrend dieser Epoche in der westlichen Welt geworden ist. Der zeitgemäße Abtreibungsslogan lautet daher: „Der

Bauch gehört mir“, womit die absolute Verfügungsgewalt der Mutter über das werdende Leben zum Ausdruck gebracht wird. Das heißt aber auch, daß das Kind im Mutterleib nicht nur keinen Eigenwert, sondern auch keinen Soziailwert besitzt. Die Gesellschaft erklärt damit ihr völliges Desinteresse am Entstehen und Werden neuen Lebens. Sie beweist damit, daß sie sich der sozialen Funktion dieser Vorgänge nicht mehr bewußt ist und daß sie die Einsicht in die Wesenszusammenhänge ihrer eigenen Existenz bereits weitgehend eingebüßt hat. Sie verhält sich in dieser Hinsicht ähnlich wie bei der Zerstörung der Natur durch rücksichtslose und unkontrollierte Anwendung der Technik: aus Wurstigkeit und Gedankenlosigkeit, aber mehr noch aus Gier nach Luxus, Genuß und Profit riskiert sie ihr eigenes Verderben.

Das „Bauch-Recht“ wurde keineswegs zufällig von Vertreterinnen eines Berufsstandes proklamiert, der bereits Symbol der Wohlstandsgesellschaft geworden ist. Weder Armut noch Solidarität mit den Armen treibt die Spitzenverdienerinnen des Films auf die Barrikaden. Sie gefallen sich eher in der Rolle von Wegbereiterinnen einer neuen Gesellschaft, in der maximale Freiheit vor allem auch hinsichtlich des sexuellen Genusses herrscht. Für diese Mentalität gilt die Leibesfrucht als Abfall und Nebenprodukt des Genusses, welches dem Zufall entstammt und das man einfach zum Un-Wesen, zum Un-Menschen erklären möchte, um sich seiner entledigen zu können.

Man kann sich kaum vorstellen, daß sieh die Sozialistische Partei, sei es auch nur aus Opportunitätsgrün-den, bei einem Aktionsbündnis mit den treibenden Kräften dieser kulturellen Zerfallserscheinungen der bürgerlichen Welt besonders wohlfühlte. Die sozialistische Haltung wird primär durch die Fixierung an das historische Klischee bestimmt. Die sogenannte Fristenlösung bedeutet nichts anderes, als das Problem dort aufgreifen, wo man es 1934 zurückgelassen hat. Man kann aber doch die inzwischen auf allen Gebieten des menschlichen Lebens eingetretenen bedeutenden Veränderungen nicht einfach übersehen, aus denen sich zum Teil ganz neue Aspekte und Einsichten in die menschliche und sozialpolitische Problematik der Schwangerschaft ergeben. Der Bewußtmachung dieser Fakten kommt in der gegenwärtigen Phase der Rechtsentwicklung allergrößte Bedeutung zu. Nur durch eine umfassende Betrachtungsweise lassen sich einseitige, kurzschiüssige Entscheidungen vermeiden. Die Reduktion der Thematik auf Schlagworte, wie arm und reich oder fortschrittlich und konservativ, ist heute sachlich nicht mehr vertretbar. Sie führt eben zu Fehlentscheidungen wie die Fristenlösung, welche letzten Endes eine Weichenstellung für die Zerstörung weiterer Bastionen der Menschlichkeit darstellt. Welche Werte stehen auf dem Spiel?

Abtreibung ist Tötung. Die Befürworter der Abtreibung versuchen noch immer um diese Tatsache herumzukommen, indem sie die personale Dignität der Leibesfrucht negieren. Gerade in dieser Hinsicht hat die Humangenetik in den letzten Jahren außerordentlich bedeutsame Erkenntnisse gewonnen, die keinen Zweifel aufkommen lassen, daß der mit der Vereinigung von Ei- und Samenzelle in Gang gesetzte Entwicklungsprozeß in jedem, also auch im Anfangsstadium menschliches Leben im vollen Sinne des Wortes ist. Der Mutter obliegt während der intrauterinen Lebensphase ausschließlich eine Ernährungs- und Schutzfunktion. Die aktive Entfaltung aller bis ins Kleinste präformierten körperlich-geistigen Anlagen besorgt der kindliche Organismus selbst! In keinem Augenblick haben wir einen „undefinierbaren Zellhaufen“ vor uns, wie sich vor einem TV-Forumgespräch eine Journalistin ausdrückte, sondern einen höchst komplizierten und differenzierten Organismus, der sich kraft eines ihm innewohnenden Auftrages und Kräftepotentials völlig selbständig von Stufe zu Stufe entwickelt.

Leben ist ein fortschreitender Prozeß mit fließenden Übergängen, aber in jeder Phase eben menschliches Leben, denn ohne vorhergehende ist auch keine nachfolgende möglich, wenn auch die Effektivität dem jeweiligen Zustand entsprechend verschieden ist. Jeder Versuch, eine Markierung zu setzen, wann personales Leben schon beziehungsweise noch nicht vorhanden ist, entspringt reinem Zweckdenken, das durch die biologischen Vorgänge keine Bestätigung erfährt. Jeder solche Versuch inkludiert automatisch die Frage, wann beziehungsweise durch welche physischen Zustände bei Krankheit oder Alter menschliches Leben als nicht mehr existent angenommen werden muß, und ebnet unabsehbaren Perspektiven der Liquidierung von Menschen den „legalen“ Weg.

Das Recht auf Leben ist unteilbar. Somit ist der künstliche Abortus Tötung und, wenn ohne hinreichende Begründung ausgeführt, eben Mord. Es ist für die moralische Zuiässigkeit von ausschlaggebender Bedeutung, daß die Entscheidung erst nach einer streng objektiven und gewissenhaften Güterabwägung getroffen wird. Die Zuständigkeit kann unter einer solchen Voraussetzung nicht — wie dies heute vielfach unter Hinweis auf die Mündigkeit und Eigeever-antwortung gefordert wird — bei der Muttier liegen, weil sie ja Hauptbeteiligte efes Konfliktes und als solche einer objektiven Beurteilung kaum fähig ist. Die Zuständigkeit liegt aber auch nicht beim Arzt, weil er höchstens für den medizinischen Teil der Überlegungen in Frage kommt. ,

Die Anerkennung des Rechtes auf das Leben ist für den Bestand der Menschheit von so fundamentaler Bedeutung, daß der moderne Rechtsstaat selbst Kapitalverbrechen nicht mehr mit dem Tode ahndet und dem Rechtsbrecher jeder Kategorie ein ordentliches Gerichtsverfahren zusichert. Erscheint es demgegenüber nicht als reiner Hohn, wenn man auf der anderen Seite menschliches Leben generell zur Ausrottung freigeben will — ohne Nachweis triftiger Gründe, ahne objektive Überprüfung, bloß auf Grund subjektiver Entscheidung. Verlieren nicht alle Antikriegsparolen und alles Humanitätsgerede jede Glaubwürdigkeit, wenn im gleichen Atemzug die massenweise Vernichtung jungen Lebens als Beitrag zur Emanzipation, zur sozialen Besserstellung der Frau gepriesen wird? Wenn sich der Begriff der Unantastbarkeit des Lebens so einfach manipulieren läßt, dann hat jede Agitation Erfolgsaussichten, die sich die Liquidierung was immer für einer Gruppe oder Rasse zum Ziele setzt, sobald sie die „sozialen Vorteile“ richtig schmackhaft zu machen versteht und den traurigen Kern mit dem Mantel von Humanität und Fortschritt verhüllt.

Die momentane „Erleichterung“, die sich manche Frau von der Abtreibung verspricht, ist teuer erkauft. Wie jede Operation hat sie ihre Risken an Komplikationen und Spätfolgen, darüber hinaus bewirkt sie einen schockartigen Abbruch eines den gesamten Organismus erfassenden organischen Prozesses. Es ist daher aus biologischer Sicht völlig unrichtig, die Abtreibung mit einer Zahnextraktion oder einer Mandeloperation zu vergleichen. Ja, sie läßt sich nicht einmal dem Geburtsvorgang an die Seite stellen, weil dieser durch das Zusammenspiel hormonaler Prozesse während der Schwangerschaft systematisch vorbereitet wird und deshalb das naturgemäße Ende der Schwangerschaft bildet. Aus diesen Fakten wird verständlich, daß die Abtreibung auch ein psychisches Trauma darstellt, welches sich im Erlebnis von Angst, Schuld und Schmerz widerspiegelt und zu adäquaten psychischen Reaktionen führen kann.

Verlierer sind also die Frauen, weil sie momentaner und oft gar nicht ins Gewicht fallender Gründe und Vorteile wegen nicht unbeträchtliche Risken ihrer körperlichen und seelischen Gesundheit auf sich nehmen. Und nicht zuletzt, weil sie damit der sexuellen Ausbeutung durch den Mann Vorschub leisten, also das Gegenteil von der erstrebten Emanzipation erreichen.

Verlierer ist die Familie. Ehen ohne Kinder verdorren leicht, weil sie einer wesentlichen Sinnfunktion entbehren. Die Freistellung des Schwangerschaftsabtoucbes ist ein Anreiz, das eheliche Glück ausschließlich im Genuß und Komfort zu suchen und auf Kinder zu verzichten. Der erzieherische und charakterbildende Wert der Familie wird durch eine derartige Sozialpolitik immer mehr abgebaut und die Zersplitterung der Gesellschaft in „heimatlos“ gewordene, einander entfremdete Individuen gefördert.

Verlierer sind unsere Kultur und damit wir alle. Die Auswirkungen der De-facto-Freigabe der Abtreibung auf den Ärztestand und damit auf die Stellung und Aufgabe der Medizin in der modernen Gesellschaft dürfen nicht übersehen werden. In Ländern, in welchen auf Grund der gesetzlichen Duldung sogenannte Abtreibungskliniken gebildet wurden, wächst der Unmut und Protest der Ärzte, da sie sich zu Handlangern des Todes, zu modernen Scharfrichtern degradiert und zum Verrat am ärztlichen Ethos, das durch Jahrtausende hindurch Geltung besaß und im hippökratischen Eid den klassischen Ausdruck fand, gezwungen sehen.

Wie unsicher und brüchig die rechtliche Fundierung unserer Kultur bereits geworden ist, geht schon daraus hervor, daß maßgebende Politiker, Juristen und Ärzte die Rechtsauffassung vertreten, daß der Kampf um die Beibehaltung eines modifizierten § 144 schon deshalb illusorisch sei, weil die hohe Zahl geheimer Abtreibungen bereits eine neue Rechtslage sozusagen von unten her geschaffen habe, die mit legalen Mitteln und Strafsanktionen auch nicht mehr zu ändern sei. Sollte man da nicht gleich auch alle anderen Paragraphen, die mit höhen Dunkelziffern von Übertretungen besetzt sind, streichen? Das Strafgesetz würde dadurch sehr rasch erheblich reduziert und die Justiz „entlastet“ werden.

Das ist nicht mehr Resignation, sondern bereits Kapitulation vor der Aggression. Die Fristenlösung ist Aggression im großen Maßstabe, da sie das intrauterine Leben generell dem Messer preisgibt. Die Zeit ist nicht mehr ferne, in der man solche Methoden ächten wird, wie den Krieg, dem sie durchaus an die Seite zu stellen sind. Sie widersprechen dem menschlichen Ethos und können heute durch kombinierte Maßnahmen weitestgehend entbehrlich gemacht werden. Der Modellvorschlag der „Aktion Leben“ bietet ein Beispiel dafür.

Dieser Vorschlag zeigt allerdings auch, daß die humane Lösung des Schwangerschaftsproblems in mancher Hinsicht komplizierter und aufwendiger ist als die inhumane und blutige Methode der Abtreibung. Aber steht diese Ausgabe angesichts des großen moralischen und sozialen Schadens, den sie verhindert, nicht dafür? Und geben wir nicht für die mannigfachsten sozialen und hygienischen Bedürfnisse noch viel höhere Mittel aus? Es ist eben Merkmal einer zukunftsorientierten Sozialpolitik, daß sie das Gemeinwohl unabhängig von Opportunität und Belastungen im Auge behält. Somit stellt auch die politische Entscheidung, die hinsichtlich des Schwangerschafts-protblems getroffen wird, eine echte Bewährungsprobe nicht allein für die gegenwärtige österreichische Regierung, sondern für die österreichische Demokratie überhaupt dar.

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