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Historische Romane

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Der deutschsprachig historische Roman des 19. Jahrhunderts hit verschieden zeitgeschichtliche Wurzeln. Da steht zunächst das didaktische Interesse des professoralen Historienmalers, Georg Eberts „Ägyptische Königstochter“ — lehrsame Bereicherung des „Weltbildes“ eines Bürgertums, das sich gleichzeitig gefällt, seine Salons mit „historischen“ Garnituren zu zieren. Die Didaktik ist nicht ganz uneigennützig, wie etwa Professor Dahns „Kampf um Rom“ zeigt, ein Werk, dessen Wirken und Einfluß auf vier teutschtümelnde, germanenschwärmenide und romfeindiliche liberal-nationale Generationen nicht hoch genug eingeschätzt werden kann. Wie Dahns Gotenmythos zeigt, schaffen wir hier nicht nur in den trüben Gewässern des „Kulturkampfes“, sondern stehen an der authentischen Wiege jener zahllosen „historischen“ Romane, die alle ein Ziel haben: das „Nationalgefühl“, das heißt das Selbstbewußtsein des wilhelminischen Bürgertums zu wecken, zu stärken, die politischen Aspirationen der gegenwärtigen Stunde einzukleiden, wie es auf seine Weise der Münchner Faschingszug besorgte, in Sage, Legende, in „historische“ Bilderbögen. Diese Romane gleichen den Heldendenkmälern des Wil- helminums: „Barbarossa“ als Rauschebart und „Hermann der Cherusker“ … „Historie“ ist Bildungsmacht, ist Rechtfertigung und Legitimierung, farbige, gültige Aussage des eigenen Lebensgefühls, der politischen Ansprüche. „Die Sehnsucht nach dem tausendjährigen Reich“: dieses sieht das Bildumgsbürgertum seit der Mitte des 19. Jahrhunderts in der „Renaissance“ inkarniert, es ist vielsagend, daß das größte Werk dieser Professorenreligion nicht eigentlich ein Roman ist, sondern die hochberübmte Essayfolge eines großen Gelehrten und Künstlers, Jakob Burckhardts „Kultur der Renaissance in Italien“. In stürmischen Kadenzen verfällt nach Burckhardt, teilweise schon zu seinen Lebzeiten der historisch Roman. Er versandet und verwässert sich einerseits icn breiten Strom feld des politischen und konfessionellen „Weltanschauungsromans“, wird zum Lesestoff und Bildungsbuch der höheren Töchter beiderlei Geschlechts und bildet dergestalt ©ine Fortsetzung ohne Ende zu Carlyles „Über Helden und Heldenverehrung“, der erst der Film auf seine Weise Ende und Ablösung bringt. Andererseits wird er immer prätentiöser, geriert sich als Bibel und Fibel eines neuen Glaubens: Pantheismus und Gnostizismus, Nihilimus, Größenwahn und Eigendünkel, Blut- und Bodenkult verkleiden sich in Romanen, die hemmunglos die Geschichte plündern. Von der Eiszeit bis zur Völkerwanderung, von den Wikingern bis zur deutschen Mystik bleibt kein „hervorragendes Ereignis“, keine „große geschichtliche Erscheinung“ verschont.

Wie steht es in der Gegenwart? Einige vorliegende Erscheinungen zeigen, wie verschwommen und verwaschen und, objektiv gesehen, unehrlich das geistige Antlitz dieser Stunde ist. Da ist zunächst als Erbe des altliberalen Bürgertums der historisierende Roman, wie ihn jene talentierte Dame vertritt, die unter dem Namen Gerhart Ellert schreibt. Nach Attila und Karl V., Wallenstein und Michelangelo dürfen sich nun, in gepflegter Ausstattung sorglich betreut von der F. Speidelschen Verlagsbuchhandlung, „D ie Johanniter“ ( 600 Seiten, 16 Bildtafeln) und „Richelieu“ (450 Seiten) ihrer Gunst erfreuen. Von 1118 bis zur Gegenwart — die Geschichte eines Ritterordens, verflochten in die Wechselfälle der Jahrhunderte, welch ein ‘reizvoller Stoff für historisierende Kostümierungen iim Heiligen Land, in Zypern und auf Rhodos, auf Malta und in Rom. Ellert versteht es, Unterhaltungsromane zu schreiben, amüsant, farbreich bewegt. Daß sie dafür gerne ein historisches Kostüm wählt, ist ihre Sache. An uns ist es, dem artistischen Geschick volle Anerkennung zu zollen, als Randbemerkung jedoch darauf zu verweisen: mit einer Erfassung geschichtlicher Atmosphäre oder gar der konkreten geistig-seelischen Situation der hier in bunten Bildern aufgelösten historischen Fakten haben diese Werke nichts zu tun. Dies gilt auch für den „Richelieu“ — ungerecht wäre es, Carl J. Burckhardts „Richelieu“ im Hintergrund sichtbar werden zu lassen. Der Staatsmann, der ein neues Frankreich und ein neues Europa mitschuf, wird hier zum liebenswert-klugen, liebenswürdigen Gentleman einer französischen Spät„renaissance“. — Von Ellert kommend, betreten wir in Gertrud Fußeneg g e r s Roman „D ie Brüder von Laša va“ (Verlag O. Müller, Salzburg) anderen Grund. Die Romantik ist die Großmutter, die deutschibürgerliche Phraseologie der Jahrs nach dem ersten Weltkrieg ist die Mutter dieser Erzählung von den zwei feindlichen Brüder Christoph und Zdenko, die im Mitteleuropa des Dreißigjährigen Krieges zwischen Böhmen und Tirol, zwischen Prag, Melans und Magdeburg ihr redlich und unredlich Wesen treiben, bis beide durch Schuld und Gnad’ der Krönung ihres „Schicksals“ entgegenreifen. Dieses Werk der zweifellos begabten Erzählerin ist verschiedentlich über Gebühr emporgelobt, beziehungsweise herabgesetzt worden. Beides zu Unrecht. Gertrud Fußenegger weiß flott zu erzählen, sie ist wohl belesen in einer gewissen mittelständischen Literatur der letzten Jahrzehnte und versteht sich auf eine geschickte gekonnte Verwertung des Erlesenen. Dichtung ist diese Episodenmalerei nicht. Dies beweisen gerade jene Kapitel, die als Höhepunkte ihrer Historienschilderej angesehen werden müssen: das Bild Prags als „Die Stadt der Sünde“ (Seite 155 ff.) und des Brandes Magdeburgs (S. 261 ff.), Petitpoint-Stickerei, altfränkisch, eine Fülle netter und neckischer Einzelzüge. Nirgends aber gelingt Dichtung, die Verdichtung des ephemeren einzelhaften Geschehens zum gültigen Symbol. Bei der Schilderung des Brandes von Magdeburg fragt man sich unwillkürlich: Hat die Autorin keinen Brand einer Großstadt im letzten Krieg erlebt, zumindest von ihm gehört, hat sie etwa die gewaltige Schilderung des untergangsumwitterten Berlins in Bergengruens „Am Himmel wie auf Erden“ (Verlag „Die Arche“, Zürich) nicht gelesen? — Auch hier ist im letzten die Historie nur Maskerade, Einkleidung, ein Kolorit. Beachtenswert das völlige Absehen von tieferen seelischen, geistigen Auseinandersetzungen, ein Gegenwartsblick auf den Dreißigjährigen Krieg und etwa auf Le Fort zeigt, wie sehr in unserem Fall eine kluge Frau sich dem Wesentlichen verwehrt …

In Abstand sei auf zwei historische Romane verwiesen, die bei aller Gegensätzlichkeit der Anlage durch ein Gemeinsames sich auszeichnen: die ihnen zugrunde liegende, peinlich genaue, sorgfältige Erforschung des historischen Terrains, auf dem sie sich bewegen. „D as Netz des Bösen“ (Web of Lucifer) ist ein historischer Roman des Angloamerikaners Maurice Samuel (Humanitas-Verlag, Zürich, 610 Seiten). Ein Renaissanceroman, die Geschichte des Jünglings Giacomo Orso, der in den Kreis des Ce- sare Borgia gerät. Höchst skeptisch ergreift man den dicken Band, gewarnt durch die Elaborate des Huna-Kreises, und findet, überrascht, aufs feinste verarbeitet, geradezu ein Kompendium zur Kulturgeschichte dieser oft verzeichneten Epoche. Kleinere Schnitzer der Übersetzung (zum Beispiel Seite 62 „Reverend“ für Bischof) und einige diskutable Stellen vermögen den unerwartet günstigen Gesamteindruck nicht zu mindern. — Robert Braun legt in der Amandus-Edition (Wien, 374 Seiten) einen biographischen Essay über „Josephine von Schweden“ vor, der eine schöne Mitte zwischen Roman und Geschichtsschreibung einnimmt. Unter Verwertung eines ansehnlichen, bisher nicht veröffentlichten Materials gelingt es dem feinsinnigen Autor, die Gestalt dieser katholischen Königin Schwedens und Norwegens mit zahlreichen neuen Lichtern zu beleuchten. Eine tapfere Frau, die allein wider ihr Zeitalter, ihre Umwelt, ja oft ihre eigene Familie steht, ein später Nachglanz der alteuropäischen großen Gesellschaft, mit ihrem Ghanme, ihrer Lebenskunst, verwurzelt in einer absoluten Wert- und Lebensordnung — hineingestellt in die Nüchternheit der aufsteigenden industriellen Welt, des „neuzeitlichen“ Nationalismus.

Gerichtsbarkeit und Verwaltung im staatlichen und kanonischen Recht. Von Privatdozent Dr. Erwin Melichar. Verlag Manz, Wien.

In der neu entstehenden österreichischen Kirchenrechtsliteratur nimmt das vorliegende Werk einen Platz ersten Ranges ein. Es ist eine tiefgründige, wissenschaftlich erstklassige Untersuchung einer kanonistisdien Streitfrage, die durch die Kontrovers Mörsdorf-Köstler über das Bestehen oder Nichtbestehen einer kirchlichen Verwaltungsgerichtsbarkeit ausgelöst wurde. Melichar, der aus der Schule des Nestors der österreichischen Kirchenrechtslehre Rudolf Köstler hervorgegangen ist, meldet sich hier zum Wort, um den Problemen auf den Grund zu kommen, indem er die Parallelen und Verschiedenheiten von „Gerichtsbarkeit“ und „Verwaltung“ im System der Kirche und des Staates aufzuzeigen bemüht ist. Es ist dies kein einfaches Beginnen, da nur eine genaue Kenntnis beider Rechtsgebiete und -Systeme die Gewähr bietet, alle Hauptprobleme zu übersehen. Dies trifft auf Melichar zu, der sich in beiden Sparten als gründlicher Kenner erweist. Dadurch entgeht er auch der Gefahr, Parallelen um jeden Preis zu finden und bei den vergleichenden Untersuchungen das eine System in das andere zu passen. Denn das ist ja die große Gefahr, die von allem Anfang an dieser Kontroverse zugrunde lag, daß man das Kirchenrecht mit dem Auge des weltlichen Rechts untersucht und umgekehrt. Jede derartige Untersuchung kann aber nur von dem Standpunkt ausgehen, daß Kirche und Staat nicht nur zwei voneinander unabhängige Gesellschaftsordnungen sind, sondern auch zufolge der Verscbiedenartigkeit ihrer Ziele und Aufgaben ihr Rechtssystem eigenartig und daher voneinander verschieden entwickelt haben und fortbilden. Die klare Erkenntnis dieser Tatsachen geben den Untersuchungen Melichars ihren Rückhalt und führen daher zu Thesen, denen man mit geringen Ausnahmen ‘ voll zustimmen kann. Aber auch dort, wo man mit ihnen nicht völlig übereinstimmt, sind die Ausführungen äußerst anregend und fruchtbar, denn sie werden damit zu einer klaren Quelle weiterer Untersuchungen, etwas, was mit Recht nur von Werken mit wirklichem Wissenschaft- schaftlichem Wert gesagt werden kann. Wir können dem Verfasser, der als Dozent für Kirchen- und Verwaltungsrecht eine wertvolle Bereicherung der Wiener juristischen Fakultät ist, bestens zu seiner Arbeit gratulieren. Die gleichen Glückwünsche gelten aber auch seinem Lehrmeister Rudolf Köstler, denn Melichars Buch beweist, daß die Wiener Kirchenrechtsschule fruchtbare und wertvolle Arbeit zu leisten vermag.

Warum Atomzertrümmerung? Von A. K. S o- lomon. Übersetzt von W. Flöttmann. Verlag Ratzenhofer, Wien. Geb. S 42.50.

Die deutsche Ausgabe des Buches des bekannten englischen Fachmannes bedeutet eine sehr wesentliche Bereicherung und Ergänzung unseres allgemein verständlichen Schrifttums über Atomenergiafragen. Das Hauptgewicht liegt auf der historischen Schilderung des mühevollen und langwierigen Weges der Forschung der letzten 50 Jahre bis zum großen Ziel der Auslösung von Kettenreaktionen beim Atomzerfall und damit der Freisetzung ungeheurer Energien. Die Entwicklung der wichtigsten Methoden wird anschaulich geschildert und vor allem wird uns zum erstenmal voll zum Bewußtsein gebracht, welch ungeheure technische Anstrengungen und industrielle Leistungen zur Konstruktion der Apparatur und zur Beschaffung der Rohmaterialien nötig waren, um dieser fast übermenschlichen Aufgabe gerecht zu werden. Ein reiches und überaus interessantes Bildmaterial veranschaulicht diese Apparatur in ihrer steigenden Vollendung, die Arbeit in den Laboratorien, die beteiligten Forscher und zuletzt die furchtbaren Wirkungen der Atombombe. Treffliche Erläuterungen des Übersetzers in Form einer Erklärung der Fachausdrücke, einiger Tabellen und eines Literaturverzeichnisses beschließen dieses wirklich wertvolle Buch.

Grabstätten berühmter Männer und Frauen. Von St. Rechnitz. Verlag Gerlach Sc Wied- ling, Wien.

Den in den letzten zwei Jahren erschienenen Monographien verschiedener Autoren über einzelne Friedhöfg folgte nun diese mühevolle und fleißige Arbeit, die alle Gräberfelder Wiens und seiner Umgebung der heimatkundlich interessierten Öffentlichkeit erschließt und nicht weniger als 1800 Grabstätten bedeutender Persönlichkeiten verzeichnet. Daß bei der Aufzählung der längst aufgelassenen inne-rstädtischen Friedhöfe einer der größten, der von St. Ulrich, fehlt, daß zwischen Vorstädten und Vororten nicht unterschieden wird und daß man von „Mausoleums“ liest, mag als Schönheitsfehler gelten; was aber den Verfasser berechtigt, Sebastian Brunner das „Gegenteil rller Gesinnung“ anzudichten, ist unerfindlich. Störend wirken die vielen unrichtigen Name-nschreibungen, wie Dr. Richard Weisskirchner und Weißkirchner (statt Weiskirchner), Dr. Josef Neumayr (statt Neumayer), Gorup von Besancz (statt Besanec), Matthias Lanner (statt Martin), ja sogar Seipl (statt Seipel). Auch die Titulaturen stimmen öfter nicht, zum Beispiel Biograph statt Bibliograph, Kommandant des Maria-Theresia- Ordens, Präsident der Bühnengenossenschaft und dergleichen. Mehr Sorgfalt hätte das Buch ungleich wertvoller gemacht.

2. Die Darstellung verschiedener Neurosen und ihrer psychotherapeutwehen Heilung in stark filmwirksamer Verzeichnung.

3. Die Darstellung gewisser extremer Psychosen, von denen besonders die tragische Form der Schizophrenie zur Gestaltung einer durch die Symptome besonders aufwühlenden Filmhandlung herangezogen wird.

4. Die psychopathische Belastung gewisser Gesellschaftsschichten zur Verkündung bestimmter politischer Tendenzen.

5. Die Benützung neurotischer und vor allem psychotischer Krankheiten zur Gestaltung einer metaphysischen Traumwelt, vielfach noch dazu in Form der Satire oder der Filmkomödie.

Ich bin mir dessen bewußt, daß diese Aufzählung durchaus nicht erschöpfend ist. Sie umreißt nur in ganz groben Zügen die Themengruppen der besten Großfilme dieser Art und übersieht bewußt die zahlreichen kleineren „Trabanten“.

Unwillkürlich fragen wir uns, wohin nun eigentlich dieser außerordentlich gefährliche Weg führt, was man damit bezweckt und wozu ein derartiger Aufwand zur filmdramatischen Gestaltung seelischer und geistiger Schädigung inszeniert wird. Höhere ästhetische und ethische Absichten sind nur in den seltensten Fällen maßgebend. Durch die Darstellung des Kranken und Krankhaften aber Sensationslüste zu befriedigen und dadurch große materielle Gewinne zu erzielen, ist ein Verbrechen an der Gemeinschaft.

Wer als Helfer dieser Ärmsten gearbeitet hat, mit Hirnverletzten, Hirnerkrankten, mit Geisteskranken und Neurotikern gelebt und einen Blick in deren gestörtes und zersplittertes Seelenleben getan hat, kann ermessen, wie tragisch deren Leben ißt, soweit sie sich ihres Leidens bewußt sind, wie hart das Los derer, die sich ihrer Krankheit nicht mehr bewußt werden können, für die Angehörigen und die Gemeinschaft ist, wie ernst und verantwortungsvoll, wie schwer und aufreibend die Arbeit für alle ist, die es sich zur Aufgabe gemacht haben, diesen Menschen Heilung, Linderung oder zumindest eine Besserung ihrer Umweltbeziehung zu verschaffen. Niemand aus diesem Helferstab kann es jemals im Ernst einfallen, das Reservoir seiner reichen Erfahrungen anders als höchstens wissenschaftlich für das Gemeinwohl auszuwerten, geschweige denn zur Befriedigung niedriger Sensationsgier mit spannenden Unterhaltungsstoffen zu entwerten. Selbst dadurch, daß sich die Filme psychopathologischen Inhalts das Mäntelchen medizinischen Scheinwissens angetan haben, daß sie zur Erzielung größerer Spannungen Anamnesen und Therapien sehr fragmentarisch und abrupt in Bild und Ton vorführen, daß sie die ernste Stätte des Operationssaales mit allen Effekten optischer und akustischer Kulisserie darstellen und sogar aus Operationen mit übersteigerter Filmprogression die Wirkung aufpeitschender Filmimpressionen zu erzielen suchen, hat sich letztlich im Grunde gegenüber der eigentlichen Grundtendenz der allgemeinen Sensations- und Gruselfilme metaphysischen Inhalts gar nichts geändert. Diese Filme neuerer Prägung suchen ja schließlich nur, der fortgeschrittenen Aufklärung des Publikums Rechnung zu tragen und also mit dem Spannenden auch das Interessante zu verbinden.

Man könnte aus der Praxis zahlreiche Fälle seelischer Verwirrungen anführen, deren Wurzeln vielfach auf eine durch derartige Filme wachgerufene seelische Hypochondrie zurückzuführen sind. Wir lehnen durchaus nicht Filme ab, die mit psychologischem Ernst das Leben gestalten, die also in der Gestaltung des Lebens und der ständigen Polarität von Ich und Gemeinschaft alle mikrodramatischen Wahrheiten und Wirkungen mit psychologischer Genauigkeit beachten. Wir fragen aber, ob nicht auch der Film — und wer zweifelt heute noch an seinem künstlerischen Wert und einer ästhetischen Eigengesetzlichkeit? — ethische Verpflichtungen hat. Auf diese höhere Warte erhoben, sollte er sich aber rechtzeitig dessen bewußt werden, daß heute die Darstellang des seelisch Gesunden wertvoller ist als die des seelischen und geistigen Leidens.

Wie reich ist das Leben, wie unerschöpflich seine Stoffquelle durch die Problematik all seiner sozialen und weltanschaulichen Aufgaben! Selten wird da somatisch Bresthafte als Motiv für die Kunst verwendet; weshalb muß also immer wieder gerade das seelisch Kranke als Vorwurf für die Filmdichtung herangeholt werden, noch dazu in einer Zeit, die eher an uns die Aufforderung stellt, uns an der Bewährung des Starken im Kampf ums Dasein aufzurihten! Niemand verlangt den kitschigen Happy- End-Film, nur die Erhöhung des Filmstoffes urtd die Abkehr von der psychischen Destruktion. Wir verlangen Filme, die statt einer gesteigerten Verihlihung, den Weg in die Gemeinschaft zeigen, Filme, die bei aller Wahrung filmisher Wirksamkeit das gesunde Verhältnis von Ih und Gemeinschaft darzustellen suchen, statt den Menschen noch tiefer in sein eigenes Ich zu stoßen und damit sein psychisches Chaos zu vergrößern. Der Mensch soll das Kino verlassen, mit dem Bewußtsein, daß das heutige Leben mehr denn je einen gesunden Realismus für die sinnvolle und verantwortungsvolle Beherrschung seiner Aufgaben im Diesseits fordert und daß ihn eine wahre Gläubigkeit an die Harmonie einer göttlichen Weltordnung vor allen seelischen und geistigen Irrungen und Wirrungen bewahrt.

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