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Geschichte Chinas und seiner Kultur

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Nachdem Krieg und Bombardierungen (zum Beispiel in Leipzig) unter den deutschsprachigen Beständen zur chinesischen Geschichte wohl radikal aufgeräumt haben, und der Tod unter den führenden deutschen Sinologen gerade in dieser Zeit reiche Ernte hielt (von dar älteren Generation starben A. Forke und Franke) — von der jüngeren Generation wurde ein Großteil durch die politische Entwicklung ins Ausland vertrieben —, ist es um so freudiger zu begrüßen, wenn nun Chinesen selbst die so entstandenen Lücken auszufüllen suchen. So gab Lin Tsiu-sen, der früher den Kultursektor an der chinesischen Gesandtschaft in Berlin betraute, eine zweibändige Geschichte des Fernen Ostens heraus (China und Japan im Spiegel der Geschichte. Erlenbach-Zürich 1944/46). die allerdings stark kriegsbedingt und dadurch subjektiv geraten ist, so daß sie trotz einer Fülle glänzender Em-zelstudien und Charakteristiken gerade für den europäischen Sucher auf dem Gebiet ostasiatischer Geschichte nicht in, Frage kommt. Dagegen legt T s u i Chi eine zuerst englisch (unter dem Titel “A short History of Chinese CiviMsation“) erschienene Geschichte seines Volkes vor, die eher den Forderungen einer erstell Orientierung und Einführung entspricht („Geschichte Chinas und seiner Kultur.“ Deutsch von W. M. Treichlinger, mit einem Vorwort von E. H. von Tscharne r. 492 Seiten. Zürich, PanVerlag 1946).

m 31 Kapiteln baut der Verfasser die Geschichte seines Volkes aus den sagenhaften Anfängen bis in das harte und grauenvolle Ringen der beiden Ostvölker im Jahre 1941, Stufe für Stufe, auf. 16 Kartenskizzen veranschaulichen den geschichtlichen Werdegang, den er, auf eine Fülle chinesischer Quellen und Literatur gestützt r(im Anhang III Quellennachweis, Seite 477 bis 485 werden sie im einzelnen namhaft gemacht), dem abendländischen Leser vor Augen führt. Dabei vermeidet er es, wie der Schweizer Sinologe Ed. Horst von Tscharner mit Recht in seiner kurzen Einführung betont, den abend-ländisdien Leser mit einer verwirrenden Fülle chinesischer Namen zu überschütten, ohne jedoch in eine farblose und langweilige

Darstellungsart abzugleiten. Schon der Umstand, daß Tsui Chi in die politische Entwicklung auch die Geschichte der geistigreligiösen und materiellen Kult'ir Chinas überall geschickt einzuflechten- weiß, behütet ihn vor einer leblosen und gestaltlosen Darstellung. Wer aber mehr Namen und Daten wissen will, findet sie im Anhang I „Tafel der Dynastien, Herrscher und Zeitdevisen“ (Seite 441 bis 457), und für die dramatisch bewegte Zeit der letzten 100 Jahre im Anhang II „Wichtige Ereignisse der letzten 100 Jahre“ (Seite 458 bis 476).

Als besonderer Vorzug des Werkes verdient „die mutige Aufrichtigkeit und nationale Selbstkritik“ (von Tscharner) hervorgehoben zu werden, mit der diese Geschichte Chinas geschrieben ist. Sie ist weit entfernt von der alles verhimmelnden Darstellungsart jener Chinaliebhaber, die in chinesischer Weisheit das Heil der Welt erblicken und Taoismus oder Konfuzianismus an Stelle des angeblich überlebten Christentums setzen möchten. Sicher, Tsiu Chi liebt sein Vaterland und seine uralte Kultur, aber .nicht in blinder Verehrung, sondern in sachlicher Wertschätzung. Den europäischen Leser wird allerdings die Verwendung mancher Legenden und Sagen, zumal für die erste Zeit der „fünf Kaiser“, etwas überraschen, aber die Art und Weise, wie das geschieht, zeigt doch, daß es dem Autor mehr auf den Ideengehalt, der durch sie ausgedrückt wird, ak auf konkrete Tatsachen und Taten ankommt. Zudem zieht er bereits die reich ausgebaute chinesische Archäologie in den Rahmen seiner Darstellungen und weiß die alten Zeichen auf den Schildkrötenschalen und Orakelknochen auf höchst verständliche Weise für den europäischen Leser zu deuten. (Eine Auswertung dieser Funde vom religkms-wisscnschaftlichen Standpunkt aus versuchte der chinesische Priester Tien Tcheu-Kang in seiner Freiburger Dissertation: L'Idee de Dieu dans les huit premiers classiques chinois. Ses noms, son existence et sa nature etuidee 1 la furniere des decouvertes archeologiques. Fribourg en Suisse 1942, 244 Seiten.) Geschickt weiß der Verfasser die Wechselfälle der letzten Jahrhunderte, so wie sie sich für die Entwicklung der chinesischen Gesdiichte auswirkten, in je drei Kapiteln: „China und die Westmächte“ und „China und Japan“ darzustellen. Das erste dieser Kapitel ward

logischerweise dem „Eindringen des Christentums“ gewidmet. Tsiu Chi steht dem Christentum irn allgemeinen wohlwollend gegenüber und spricht besonders von den Jesüitenimissionaren der ersten Epoche (Ricci und seinen Nachfolgern) mit wirklicher Hochachtung und Wärme. Aber gerade in diesem Kapitel macht sich doch die einseitige Benützung chinesicher Quellen störend bemerkbar. So spricht der Verfasser wohl von der Missionstätigkeit der Nestorianer, aber nicht von jener der spätmittelalter-lidien Franziskaner unter der Mongolenherrschaft, als unter Johannes von Monte Corvino in Kambalek (= Peking) bereits ein Erzbistum mit entsprechenden Suffra-ganbistümern errichtet wurde Während speziell diejesuitenmissionare amKaiscrhof ehrenvolle Erwähnung in verschiedenen chinesischen Quellen finden, schweigen diese Quellen, und auch der Verfasser von der hingebenden Arbeit der Missionare (der Jesuiten und anderen Orden) in den Außenprovinzen des Reiches. Und weil für die chinesischen Quellen nach dem staatlichen Verbot des Christentums bis zur erzwungenen Duldung durch die ungleichen Verträge, das Christentum im Reiche der Mitte keine Existenzberechtigung hatte, so weiß auch der Verfasser vom lebendigen Weiterbestand der katholischen Kirche durch alle Jahrhunderte hindurch und zwar trotz allen Hemmnissen und vielfach blutigen Verfolgungen nichts zu berichten. Wenn der Verfasser bemerkt: •■Die katholischen Priester . . ., die unter der Dynastie der Mandschu nach China kamen, betrugen sich gönnerhaft und schulmeisterlich und setzten sich dadurch in Gegensatz zu den Chinesen“ (Seite 283). so müssen wir gestehen, daß er damit eine psychologisch feine und für viele Missionare zutreffende Charakterisierung anbringt, die jedoch in dieser Verallgemeinerung wiederum kaum zutrifft. Sonst wäre das Erstarken der Kirche zum Beispiel in der Provinz Szetschwan unter den Missionaren des Pariser Missionsseminars schwer verständlich, ebensowenig wie der krönende Abschluß dieses missionarischen Frühlings che Synode von Szetschwan im Jahre 1803. da sich mit dem Märtyrerbischof von Szetschwan, dem Seligen G. T. Ehifresse, nicht weniger als dreizehn chinesische Priester versammelten, um gemeinsam die Grundlinien missionarischen Vorgehens festzulegen, die sich für ein Jahrhundert lang segensreich und fruchtbar erwiesen. Das Christentum war also nicht tot, wie man aus dem Schweigen des Verfassers vermuten könnte, der selbst im letzten Kapitel, wo er mit gedämpftem Optimismus einen Ausblick in die Zukunft bietet, vom Christentum im Reich der Mitte keine Silbe mehr verrät.

Aber angesichts der wirklich großen Aufgabe, auf knapp 500 Seiten eine zusammenfassende Schau einer viel tausendjährigen Geschichte und Kultur zu bieten, wird jeder Spezialist auf seinem Gebiete diese oder jene Lücke entdecken. Es bleibt aber trotzdem das Gesamturteil bestehen, daß die Geschichte von Tsui Chi eine Leistung darstellt, die nicht so leicht überboten werden kann. Und gerade weil diese Geschichte mit so viel Verständnis für das ganz anders gear-, tete europäische Denken geschrieben wurde, ist sie so recht geeignet. eineBrücke zu schlagen vom westlichen zum östlichen Denken und damit auch vom westlichen zum östlichen Menschen.

Prof. Dr. joh. Beckmann, Freiburg i. S. *

„Neues Lfcht auf die Kirche.“ Von F. M.

Braun. Benziger, EinsiedeJn 1946. 200 Seiten.

Uns in Österreich gehen die Komtrovets-fragen um die Theologie des Protestantismus weniger nahe, während sie in Deutschland und in der Schweiz immer wieder die gesamte theologische Diskussion uberformen. ..Die neue, in ihren Ausmaßen und Folgen noch gar nicht überblickbare Erschwerung des Diasporaproblems durch die Flüditlingsströme, läßt uns nun aber überall darauf achthaben, welche innere Entwicklung der Protestantismus nimmt. Der Pietismus Schleiermachers, der — durch Harnack und Holtzmann historische verbrämte — Moralismus Ritschis, auch die jüngere Strömung der konsequenten Eschacologie scheinen nunmehr im wesentlichen überwunden zu sein. Die bedeutendsten Theologen des heurigen Protestantismus machen gegen che genannten Gruppen sehr ernst geltend: man habe sich vergriffen an der Transzendenz Gottes und am übernatürlichen Ursprung des Christentums, einen untragbaren Ausgleich zwischen der Lehre Jesu und dem modernen Rationalismus versucht, die Religion Christi zu einer seichten Ethik herabgewürdigt und kein Verständnis für das menschliche Schicksal gehabt. Darüber hinaus wird deutlich gemacht, wieviele Ansichten durch außerbiblische Vorstellungen und durch Rücksichten dynastischer oder disziplinarischer Art bestimmt waren. Nun vollzieht sich eine theologische Durchdringung des Protestantismus, die von mutigen Forschungen über das Wesen der Urkirche ausgeht and an einem Kirchenbegnff gelangt, der sich

dem Katholizismus bedeutsam annähert. Der Wandel des Kirchenbegnffs, wie ihn der gelehrte Verfasser belegt, weist über das nein Theologische auf einen geistesgeschichtlichen Tatbestand — auf den Übergang vom Individualismus des letzten halben Jahrtausends zu einem neuen {Jniversalismus. Die Idee der Großkirche tritt — nach Überwindung der alten Zusammen-sdilulkheorie — wieder hervor. Ob die Una Sancta greifbarer in die Nähe'rückt? Das letzte Wort dazu wird wohl nicht von der Faditheo-logie gesprochen. Die Führung des Protestantismus ist in den letzten Jahren von den Fakultäten und Professoren auf die Kirchenmänner übergegangen. Dadurch ist die Spaltung geringer, aber die Unio nicht leichter geworden. — Das Buch von Braun versichert uns jedoch wertvoller Fortschritte im Sinne eines neuen „Erwachens der Kirche in den Seelen“. Seine theologische Studie über den Protestantismus verstärkt für östereich den Wunsch nach einer sozialpsychologischen Untersuchung über die Entwicklung des Jostphinismus und Liberalismus, die aus dem religiösen Bereich längst herausgefallen sind. P. Dr. Rob. Svoboda

„Komödie“. Zeitschrift für künstlerisches Theater, geleitet von Benno Fleischmann in Zusammenarbeit mit Max Meinecke und Hans Rutz. Verlag Erwin Müller. Heft 1 bis 3.

Unter den gegenwärtig erscheinenden Kunst-zeitsdiriften verspricht die „Komödie“ der Umschlagplatz echten Theatergeistes und redlicher Kunstbemühung zu werden Schon im ersten Heft umreißt Benno Fleischmann das Wesen dieser Theaterzeitschrift aus dem Geist der Komödie, wenn er ausführt, daß das Wort „Komödie“ tiefer als bisher verstanden werden will, daß es also atmosphärebildend wirken soll. „Die Komödie“, so führt Fleischmann ans, „ist gewissermaßen der geometrische Ort und der Kristallisationspunkt alles geistig Lebendigen und Wirksamen in der Theaterkunst der Neuzeit.“ Die Manen Shakespeares werden in dieser Zeitschrift beschworen, und ihre Mitarbeiter wollen dem geistigen Werden dieses Theaters der Neuzeit behutsam nachspüren, daß es uns wieder fruchtbar werde in der Gegenwart. Wie denn anders könnte die beschworene Atmosphäre besser zum Ausdruck gebracht werden, als durch Mozarts kosmisches . Werk „Die Zauberflöte“, der Benno Fleischmann seinen Eröffnungsessay gewidmet hat. Organisch schließt sich an dieses erste Heft das zweite aus der Salzburger Festspielwelt und leitet damit zum jüngsten, das dem romanischen Theater gewidmet ist. Es ist ein besonderes Verdienst, daß neben den Abhandlungen Proben aus der zeitgenössischen Theaterliteratur, wie Ferdinand Bruckners Szene aus der „Historischen Komödie“ und Jean Cocteaus Szene aus der „Höllenmaschine“ oder Max Meineckes „Fragment einer Narrenkomödie“ den Lesern vermittelt werden. Die besten Geister, wie Hugo von Hofmannsthal read Lernet-Holenia, haben ich mit zeitgenössischen Künstlern vereinigt und bilden den Krstallisa-tionskern, um den das Pandaimonion theatralischer Gestaltung in Wort und Bild zusammenschießen kann. Dr.1 Viktor Suchy

„L'univers concentrationaire“. Von David R o u s s e t, Editions du Pavois, Paris 1946.

Ein französischer Kommunist zeichnet hier Buchenwalde mit einer angesichts des gräßlichen Gegenstandes oft unheimlich anmutenden Sachlichkeit, als wäre er selbst bloß Zuschauer gewesen. In den ersten Kapiteln werden Menschen — allerdings zumeist Kriminelle — geschildert, wie sie im Kampf ums nackte Dasein gegenüber den SS und den „Capos“ zu kriecherischen Scheusalen herabsinken und gegen ihre Mithäftlinge sich wie Bestien benehmen. Später entwirft der Verfasser ein Bild dieser besonderen „Welt der Konzentrationslager“, der Methoden der SS, der Rolle der Lager- und Blockältesten, die zunächst ausschließlich den Reihen der Kriminellen, später auch der Kommunisten entnommen wurden, und die „brüderliche“ Zusammenarbeit der SS mit diesen „Altesten“ bei der Beraubung und Benachteiligung der Häftlinge, deren Verpflegung zum großen Teil in den Schleichhandel wanderte.

Nach der Heranziehung der deutschen Kommunisten als Lagerchargen besserte sich die Lage der Franzosen, jedoch betont der Verfasser, daß der deutsche Kommunist der einzige echte „Internationale“ zu sein scheint. Als die französischen Kommunisten eines Abends sich in der Ecke einer Baracke mit dem Gesicht zur Heimat versammelten und durch einige Minuten Schweigen de Gaulle ehrten, machte ihnen der bis dahin als sanft gegoltene deutsche kommunistische Blockälteste eine wütende Szene und drohte ihnen schärfste Maßnahmen an, wenn sich eine solche „nationalistische“ Demonstration wiederholen sollte.

Abgesehen von einigen mitleidig-hämischen Bemerkungen über die ernsten Bibelforscher, findet sich in dieser Schrift keine Notiz über die Haltung gläubiger Menschen, die der Verfasset offenbar nicht kennengelernt hat. So ist es vielleicht auch zu Erklären, daß er im Menschen überall nur das Tier sieht, was den Wert des Buches wesentlich mindert. Dr. J. L. S.

„Weltkirche und Weltfriede.“ Ansprache und Kundgebungen de Heiligen Vaters Pius XII. in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Rex-Verlag, Luzern 1946, 45 S.

Die saubere und übersichtlich geordnete Broschüre ist das zehnte Heft einer Reihe und enthält die Texte der päpstlichen Ansprachen am 2. Juni und zu Weihnachten 1945, das Kinderrundschreiben vom 6. Jänner und die Ansprache vom 20. Februar 1946.

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