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VON NEUEN BÜCHERN

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Die weiße Rose. Von Inge Scholl. 124 Seiten. — Unter einem fremden Stern. Von Lotte V a e p c h e. 123 Seiten. — Beide im Verlag der Frankfurter Hefte. Frankfurt am Main 1952

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Die weiße Rose. Von Inge Scholl. 124 Seiten. — Unter einem fremden Stern. Von Lotte V a e p c h e. 123 Seiten. — Beide im Verlag der Frankfurter Hefte. Frankfurt am Main 1952

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„Für uns ist das Nachkriegseuropa weniger ein Problem, von Grenzen und Soldaten, von überladenen Organisationen und großen Plänen als die Frage, wie das Bild des Menschen in den Herzen unserer Mitbürger wieder aufgerichtet werden kann." Dieses Wort des Grafen Hermuth von Moltke zu seinen Kreisauer Freunden ist heute noch so bedeutsam wie vor zehn Jahren, als es gesprochen wurde. In ihm liegt der ganze Geist einer echten Widerstandsbewegung beschlossen, der Geist, der auch die Münchner Studentenrevolte beseelte.

Es waren sehr junge Menschen, die sich im. Jahre 1942 zusammenfanden, um die „Aktion der Weißen Rose", wie sie es nannten, im Rahmen ihrer Universität, später im weiteren Umkreis deutscher Städte zu unternehmen. An politischer Erfahrung brachten sie nicht mehr mit als ihre eigene Enttäuschung in der Hitlerjugend, an deren Reinheit sie kindlich naiv geglaubt hatten, an Kenntnis ihrer Zeit nicht mehr, als jeder Mensch damals aus dem Alltag erwerben konnte. Ihre Waffen bestanden in Zitaten aus Goethe und Laotse, einem Vervielfältigungsapparat und Malerfarbe, in einem reinen Herzen und dem Glauben an die Macht des Guten. So ausgestattet und ihres eigenen Mutes kaum bewußt, nahmen sie es auf sich, die Botschaft von der Würde des Menschen in die vom Bösen beherrschte Welt zu tragen. Ein paar Koffer voll Flugzettel, die zu Sabotage und Widerstand aufriefen, ein paar Aufschriften an Mauern „Nieder mit Hitler! Freiheit!" — das waren ihre Leistungen, ihre „Verbrechen“.

Daß es dabei um mehr ging als um dies Äußere, hatten nicht nur die alarmierten Gesinnungsfreunde, sondern auch ihre Gegner begriffen, und es ist kein Zufall, daß der berüchtigte Präsident des Staatsgerichtshofes, Freisler, eigens nach München flog, um selbst die Verhandlung zu leiten. Es ist kein Zufall, daß schon vier Tage nach der Verhaftung des 24jährigen Medizinstudenten Hans Scholl aus Ulm, seiner kaum 22jährigen Schwester, der Studentin der Biologie und Philosophie Sophie Scholl, und des 23jährigen Medizinstudenten Christoph Probst aus München das Todesurteil über die drei Angeklagten ausgesprochen und durch die Guillotine noch am gleichen Tag, dem 22. Februar 1943, vollstreckt wurde. Die anderen Beteiligten, Alexander Sdimorell, Willi Graf und der Münchner Professor für Psychologie und Philosophie Kurt Huber, wurden wenige Wochen später hingerichtet. Sie nahmen den Tod an, wie sie ihr Leben und ihre schwere Aufgabe des einsamen Widerstandes angenommen hatten, aufrecht und einfach, gläubig und tapfer. Was man in diesen jungen Menschen und ihrem Lehrer hatte treffen und ausrotten wollen, den Geist der Freiheit und Menschlichkeit, der in so ergreifender und überzeugender Reinheit in ihnen zutage getreten war, das konnte man nicht erreichen. Er hat in jener schweren Zeit — und für alle Zeiten — geholfen, das Bild des Menschen zu retten.

Um dieses Sinnes willen hat Inge Scholl das Erinnerungsbuch an ihre Geschwister und deren Freunde geschrieben. Als legitime Verwalterin ihres geistigen Erbes, ihrer Bilder und Dokumente erzählt sie die Geschichte der „Weißen Rose“ ohne Prätension und ohne Ausschmückung, einfach und echt wie eine Volkssage „von rechtem Tun und Lieben und was des Menschen Hort . Sie erzählt sie für die Jungen, die heute zur Universität kommen und damals, als es geschah, noch in die Volksschule gingen; aber auch für alle anderen, nicht zuletzt für die, welche „über dem Problem von Grenzen und Soldaten" nun doch das Bild des Menschen vergessen haben.

Es ist ihr an Leib und Leben nichts geschehen, der Autorin dieses Buches, die der jüdische Teil einer sogenannten „privilegierten Mischehe" war. Sie überstand die Jahre des Nationalsozialismus zuerst in der scheinbar noch bürgerlichen Ordnung einer Pension, eines eigenen Haushalts, später — allerdings schon „inoffiziell" — in der leeren Wohnung von Freunden, dann im Krankenhaus und schließlich im Schutz eines Benediktinerklosters, das großzügig Flüchtlinge aller Art in seine Mauern aufnahm. Und doch: Es war ein Leben „unter fremdem Stern". Hunger und Fliegerangriffe, Wohnungselend und körperliche Arbeit bis zur völligen Erschöpfung waren dabei nur die Begleiterscheinungen allgemeiner Art, die Feindseligkeit der Um gebung vielmehr, Verfolgung und Isolierung, Schikane und Entwürdigung, Bedrohung und Rechtlosigkeit in immer anderen Formen, Tag für Tag, Stunde für Stunde, nicht zufällig, sondern systematisch, nicht von ungefähr, sondern von den Mitmenschen gewollt und gewirkt, das waren die eigentlichen Leiden dieser Frau, wie vieler ihresgleichen. — Ist das nicht alles vorbei, und sollte man nicht aufhören, darüber zu reden und zu schreiben? Viele werden die Autorin oder den Verlag so fragen. Doch nicht diese, nur das Gewissen vermöchte Antwort darauf zu geben. Das Gewissen würde sich erinnern, wo der einzelne selber dem Sog der Zeit nachgab, sie wüßten genau, daß die Versuchung, den Nächsten zu verraten und zu verkaufen, stark war und immer wieder gefährlich stark sein wird. Bekennt die Autorin doch selbst, daß sie, die ohne Stern gehen durfte, sekundenlang einen Widerstand überwinden mußte, als ein Arbeitskollege mit dem gelben.Judenstern sie aufforderte, ihn ein Stück Wegs zu begleiten. Diesen inneren Widerstand, mag er nun Angst heißen oder Egoismus, Selbsterhaltungswunsch oder Animosität, Mangel an eigenem Urteil oder an Liebe, kann man nicht völlig aus der Welt schaffen; man kann nur lernen, ihn zu überwinden. Darum ist das Buch wichtig: als Erinnerung und Aufforderung, Bericht und Mahnung.

Dr. Elisabeth L i e b 1

„Die Verantwortung des Geistes." Von Erich Kahler. S.-Fischer-Verlag, 1952. 298 Seiten.

„Verantwortung des Geistes’ ist nicht nur der Titel, sondern das Hauptmotiv — im ursprünglichen Wortsinn — dieser vierzehn „Bemühungen" um ein neues Bild, um eine neue Wissenschaft vom Menschen. Es geht um die Rettung des Humanen beim einzelnen, bei den Völkern und in ihrem Zusammenleben. „Aber die Aufgabe einer moralischen Heilkunst besteht nicht nur darin, uns durch die Integration unseres Weltbildes und unserer Gesellschaftsform diesem Ziel näher zu bringen, sondern zugleich und vor allem die Mittel zu kontrollieren, die dabei verwendet werden sollen. Das Ziel heiligt nicht die Mittel, sondern meist ruinieren die Mittel das Ziel. Wenn wir nicht das Ziel schon in den Mitteln vorbereiten, durch die Pflege menschlicher Sensibilität und Verantwortung, dann schwindet es auf dem Weg, und wir erreichen es nie.“ Der Bogen der Essays ist weit gespannt von allgemeinen Themen („Was ist der Mensch", 1920 — „Das Schicksal der Demokratie", 1945) über kulturpolitische Betrachtungen („Ursprung und Wandlung des Judenhasses", 1939 — „Das Problem Deutschland", 1944) bis zu speziellen Studien und Einzeldarstellungen („Säkularisierung des Teufels" in Thomas Manns „Doktor Faustus“ — Porträts von Wolfskehl und Beer-Hofmann). Am wenigsten befriedigt die Antwort des Autors auf die Frage „Was ist ein Gedicht?" Aber das liegt zum Teil in der Natur des Gegenstandes. — Im ganzen: ein bis zum Rande mit guten und wertvollen Ge danken erfüllter Essayband, den der Verlag nobel ausgestattet hat.

Prof. Dr. H. A. Fiechtner

Kommt der „Vierte Mensch"? Sechs Beiträge von W. Röpke, A. F. U t z, F. W. B ü r g i, J. Gebser, V. Gitermann, J. Hersch nach einer von Radio „Studio Bern“ gesendeten Vortragsreihe. Europa-Verlag, Zürich- Wien-Stuttgart 1952. 83 Seiten.

Die Mitwirkenden, durchwegs Schweizer Professoren, besprechen Alfred Webers Kultursoziologie mit dem Ausblick auf den „Vierten Menschen". Dieser sei der a-mentale Barbar von morgen, der heute den „Dritten Menschen“, den abendländischen, ablöse, wie dieser 500 Jahre vor Chr. den „Zweiten Menschen", den magischen, und dieser hinwieder in der vorgeschichtlichen Zeit den „Ersten Menschen", den zoologisch noch (mit-) bestimmten Zweifüßler, abgelöst habe. Zunächst: Keiner der Besprecher weiß, daß A. Webers „Soziologie" die gleichen endzeitlichen Dimensionen aufweist wie alle großen Soziologieentwürfe: so das positivistische Industriesystem der Saint-Simon und Auguste Comte, die idealistische Geist- und Gesellschaftsdialektik Hegels und die materialistische Umstülpung davon bei Marx und Lenin, die Sozialphilosophie Kierkegaards, die Rassensoziologie Gobineaus und so fort. Hingegen wird fraglos im Detail Treffsicheres über den „Vierten Menschentypus" ausgesagt; dies von Utz, vor allem von Gebser. Er zeigt, daß der „Vierte Mensch“ kein künftiger, sondern als ein defizienter Mensch in jeder Kulturkrise vorhanden sei. Und er zeigt, daß dieser fragmentarische Mensch, diese Kümmerform von homo sapiens unter uns, nur überwunden werden könne durch den — (m. E. im christlichen Leben liturgisch erst aufzuerweckenden!) — „Auferstandenen"!

Univ.-Prof. Dr. August M. K n o 11

österreichisches Strafprozeßrecht. Von Dr.

Ernst L o h s i n g. Vierte Auflage neubearbeitet und ergänzt von Dr. Eugen S e r i n i. Verlag der österreichischen Staatsdruckerei, Wien. 707 Seiten. — System des österreichischen Strafverfahrensrechtes. Von DDr. Hermann R o e d e r. Universitätsverlag Wagner, Innsbruck. 551 Seiten.

Knapp hintereinander sind im Buchhandel zwei Werke über den österreichischen Strafprozeß erschienen, die beide eine empfindliche Lücke schließen: das System R o e d e r s wird dem Studenten verläßlich den Weg weisen. Das Werk Lohsings hingegen, das zuletzt 1932 (in dritter Auflage) erschienen und seit Jahren vergriffen ist, muß als das Standardwerk bezeichnet werden; von Serini auf den letzten Stand gebracht, wird die Neuauflage jedem Praktiker unentbehrlich sein.

DDr. Robert D i 11 r i c h

Mitteilungen des Oberösterreichischen Lan- desarchivs. II. Band. Oberösterreichischer Landesverlag. 187 Seiten.

Die Reihe wertvoller Beiträge für die Geschichte Oberösterreichs eröffnet A. Lhotsky mit einer textkritischen Untersuchung über die „Oberösterreichische Fassung der sogenannten Wiener Annalen", deren Veröffentlichung aus sprachlichen wie inhalt

Herr Domenach, erkennen, daß diese Zielsetzung für die Welt und vor allem für die Deutschen ein anderes Gesicht erhalten muß, wenn sie von Ihrer Seite vorgetragen wird! Und um bei den größeren Zusammenhängen zu bleiben: die Welt ist heute erfüllt von hochgerüsteten Armeen, und das ist für mich eine gefährlichere und aktuellere Drohung als die „deutsche Gefahr". Mögen Sie den Mut finden, Herr Domenach, erst dann um die deutsche Waffenlosigkeit Sorge zu tragen, wenn Sie alles getan habeij, etwa Frankreich, die Sowjetunion und die USA davon zu überzeugen, daß der Glaube an Rüstungspotential und gedrillte Menschlichkeit ein selbst- und brudermörderischer Aberglaube ist. Und nochmals: verlangen Sie doch endlich von Ihren volksdemokratischen Freunden, daß man überall so frei gegen die Sol- datifizierung und Kasernierung des eigenen Volkes protestieren darf, wie heute in Deutschland! Freilich ist solches Handeln mühsam und nicht opportun. Aber es scheint mir den Forderungen Christi eher zu entsprechen als Unterschriftensammlungen und Friedenskonferenzen im Schatten schwerster Waffen.

Es sei Ihnen versichert, daß ich, vorbehaltlich der Zustimmung der freigewählten zuständigen Instanzen meines Landes, an Ihren künftigen Konferenzen überaus gerne teilnehmen werde, sofern ich noch erwünscht bin. Es ergibt sich allerdings, daß ich dies nicht als Mitglied Ihres Initiativkomitees tun könnte, sondern lediglich als kritisch beobachtender Freund, den Sie um sein unbefangenes,

von Gewissen und Überzeugung getragenes Urteil gebeten haben.

Damit glaube ich übrigens, der Haltung Ihres Vorgängers in der Redaktion des „Esprit", Emmanuel Mounnier, nahezukommen, der aber leider von den Kommunisten, denen brüderlich nahe zu sein er sich so sehr bemühte, in einer Weise abgetan und als „Verräter“ gebrandmarkt wurde, die Ihnen, Herr Domenach, gerade anläßlich dieser Diskussion zu denken geben sollte. Haben Ihre Freunde in der KP sich wirklich so auffallend verändert, daß Sie Ihnen, dem Sachwalter des Erbes Emmanuel Mounniers, nun plötzlich ohne jede Reserve an die Seite treten können? Oder — ist das möglich geworden, weil eben doch Sie einen prinzipiellen Fehlschluß zu begehen im Begriffe sind, der Sie zur Zusammenarbeit mit Kommunisten mehr geeignet macht als Emmanuel Mounnier? Finden Sie es nicht von tiefer Bedeutung, daß Sie aus meinen Worten ohne mein Wollen den gleichen Vorwurf herauslesen, dep, die Kommunisten in aller Öffentlichkeit Ihrem verehrten Vorgänger gemacht haben: den Vorwurf des „Verrats"?

Damit ist keine Anklage gegen Sie erhoben, sondern nur in aller Offenheit vorgebracht, was unsere Diskussion allein fruchtbar zu machen imstande ist. Vergessen Sie bitte nicht, daß es sich dabei um die Worte eines Christen handelt, dessen brüderlicher Gefühle Sie und alle Ihre Freunde gewiß sein dürfen.

In Hochachtung Ihr

Dr. Albert Massiczek

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