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REVUE IM AUSLAND

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Die amerikanische Monatsschrift „Harper’s Magazine” bringt an der Spitze ihrer Juninummer — in der sie mit dem Abdruck von „C a t a 1 i n a”, dem neuesten, im Spanien des 16. Jahrhunderts spielenden Roman von W. Somerset Maugham beginnt — einen großen Aufsatz von William Vogt, dem Vorsitzenden der Konservierungsabteilung der Panamerikanischen Union, der unter dem Titel „Ein Kontinent gleitet in den Untergang” auf die Gefahren hinweist, welche den lateinamerikanischen Ländern durch die Übervölkerung und den Rückgang der landwirtschaftlichen Produktion drohen. Als Gründe für diesen Rüdegang, der sich vor allem in der katastrophalen Bodenerosion zeige, führt der Verfassser an: die klimatischen Verhältnisse, den Raubbau an den natürlichen Hilfsquellen, vor allem die rücksichtslose Abholzung, die teils wegen des Mangels an anderem Heizmaterial, teils wegen des Exports der zum Gerben verwendeten Quebrachorinde durchgeführt werde, die unrationellen landwirtschaftlichen Methoden, die zur Erschöpfung des Bodens führen, und schließlich die Untätigkeit der nach spanischer Tradition zu stark zentralisierten Regierungen und Verwaltungskörper.

„Die Vereinigten Staaten, die noch über reiche Bodenschätze verfügen, verwenden jährlich eine Billion Dollar zur Bodenkonservierung. Lateinamerika mit seiner viel größeren Bevölkerungszahl gibt nach Jahrhunderten der Zerstörung weniger als ein Prozent dieser Summe aus.”

Auch die Aktivität nordamerikanischer Holzhändler, der Bau der Panamerikastraße, die vielfach ungesunde Industrialisierung, für deren Produkte keine Märkte vorhanden seien, und das Streben nach dem nord- amerikanischen Lebensstandard wirkten sich nachteilig aus.

„Das soll nicht heißen, daß Lateinamerika die Verhältnisse nicht ändern und durch verbesserte ökologische Verwaltung den Lebensstandard seiner Bevölkerung nicht wesentlich heben könnte: es kann das doch nur durch eine grundlegende Änderung in der Praxis der Landnutzung und durch die Anpassung seiner Wirtschaft daran. Dennoch erläge es einer Selbsttäuschung, wenn es glaubte, den nordamerikanischen Lebensstandard erreichen zu können. Ein gebildeter Guatemala-Indianer faßte das grundlegende lateinamerikanische Problem gut zusammen. Ich hatte ihm zum erstenmal die Bedeutung der Löcher in den Mais- und Weizenfeldern und der Schoko- ladefarbe des vorbeiströmenden Flusses gezeigt. Er beobachtete das lange Zeit, mit mir im Regen stehend, und sagte dann: ,Ja, mein Land ist ein neues Atlantis. Es verschwindet unter den Ozean.’ “

In derselben Zeitschrift behandelt der .hriftsteller Merle Miller „Die Juchklub-Kontrovers e”, das heißt !en Streit zwischen den Buchhändlern und !en rund 50 amerikanischen Buchklubs, die furch ihre literarischen Berater bestimmte, ‘>ereits erschienene Bücher auswählen lasen, den Verlegern die Druckplatten abkau- ;n und die Bücher dann für ihre Mitglieder i riesiger Auflage zu wesentlich verbilligten reisen herausbringen, wobei die Tatsache, aß ein Budi von einem bekannten Buch- Hub („Book-of-the-month-Club”, „Literary Guild” u. a.) ausgewählt wurde, meist auch len Ladenverkauf des betreffenden Buches wesentlich steigert. Der Nachteil liege gewiß n der, allerdings durch die Konkurrenz der ‘Vichklubs selbst wieder eingeschränkten Uvellierung und Standardisie- u n g, ihr Verdienst darin, daß sie zwei Beistände in der amerikanischen Buchpro- luktion — die zu hohen Buchpreise md die zu geringe Zahl von Buchhändlern, vor allem in der Provinz — erfolgreich beheben.

„Die Buchklubs sollen ständiger Beobachtung und, wenn nötig, Kritik ausgesetzt sein — in ihrer Reklame, ihrer oft mittelmäßigen Auswahl, ihren gelegentlich derben Mitteln der Beeinflussung. Aber sie haben eine unleugbare Lücke im amerikanischen Buchhandelssystem geschlossen. Sie sind ein wenig wie Voltaires Gott: wenn Harry Sdierman und Harold Guinzburg sie in unserem Lande nicht eingeführt hätten, würde es jemand anderer getan haben.”

“Die in Zürich erscheinende „Neue Schweizer Rundschau” (nicht zu verwechseln mit der von uns schon öfter zitierten, im Benzinger-Verlag, Einsiedeln, erscheinenden „Schweizer Rund- s c h a u”, welche in ihrer Juninummer unter anderem interessante Artikel von Gustav Gundlach, „Die katholische Begründung des Privateigentums”, sowie von dem Engländer Arnold L u n n über „Die konservative Gegenbewegung in Religion und Politik” enthält) bringt in ihrem Juniheft nach der Frankfurter Rede Theodor P 1 i v i e r s „Über die Freiheit” eine Antwort Hermann H e s s e s an Max B r o d, der ihn gebeten hatte, für die Erkaltung des Friedens in Palästina seine Stimme zu erheben. („Eine äußerste Anstrengung aller Geistigen aller Völker müßte gemacht werden, um das zu verhüten und den Frieden wiederherzustellen.”) Hesse hält jede „geistige Scheinaktion, jedes Mahnen, Bitten, Predigen oder gar Drohen der Intellektuellen den Herren der Erde gegenüber für falsch, für eine weitere Schädigung und Herabwürdigung des Geistes, für etwas, was unbedingt und in jedem Fall unterbleiben sollte”. Das Reich der Dichter und Denker sei nun einmal nicht von dieser Welt, während das von der Masse getragene und mitbestimmte, keineswegs leichte, sondern vielfach schwerere Handeln der Politiker und Minister seinen besonderen Spielregeln gehorche.

„Wir anderen, wir Wahrer der geistigen Substanz, wir Diener des Wortes und der Wahrheit, sehen ihnen mit ebensoviel Mitleid wie Schrecken zu. Aber unsere Spielregeln, so glauben wir, sind mehr als Spielregeln, sie sind wirkliche Gebote, wirkliche Gesetze, ewige, göttliche. Ihrer Wahrung gilt unser Dienst, und wir gefährden ihn mit jedem Kompromiß, mit jedem Eingehen auf jene .Spielregeln’, sei es auch mit den edelsten Absichten!”

Er setze sich wohl der Gefahr aus, zu den verträumten Künstlernaturen gerechnet zu werden, die sich „im Elfenbeinturm einer ästhetischen Existenz” einschließen, „um sich ja nicht durch Berührung mit der rauhen Wirklichkeit die Stimmung zu verderben oder gar die Hände zu beschmutzen”. Dieser Vorwurf aber träfe ihn nicht, da er seit dem ersten Weltkrieg oft seine Stimme erhaben un/d der damals in ihm erwachten Verantwortlichkeit einen großen Teil seines Lebens geopfert habe.

„Aber ich habe dabei die Grenzen stets auf das strengste gewahrt, ich habe versucht, als Dichter und Literat meinen Lesern immer wieder die Mahnung an die heiligen Grundgebote der Menschlichkeit zuzurufen, niemals aber habe ich selbst versucht, die Politik zu beeinflussen, wie es in den Hunderten von Aufrufen, Protesten und Mahnungen der Intellektuellen immer und immer wieder feierlich, aber nutzlos und zum Schaden des Ansehens der Humanität geschah und geschieht. Und dabei will ich bleiben.”

Dieselbe Zeitschrift enthält aus der Feder des Wölfflin-Schiülers Hermann Uhde - Bernays einen Bericht über die aus Wölfflins Nachlaß von Joseph Gantner herausgegebenen „Kleinen Schriften” des großen, vor drei Jahren in Zürich verstorbenen Kunsthistorikers, die vor allem seinen geistigen Werdegang, den Einfluß von Jakob Burckhardt und Konrad Fiedler sowie den Gewinn aus der Begegnung mit Hans von Maries und Adolf Hildebrand deutlich hervortreten lassen.

„Masses ouvrižres” heißt die Monatsschrift der französischen Arbeitermission, deren Geist durch die beiden in Fortsetzung erscheinenden Artikel „D i e Bergpredigt” von Franęois Varilion und „Kleine Geschichte der Arbeiterbewegung” von Joseph Hours gekennzeichnet ist. Daneben enthält das Juniheft einen Bericht über die in Nondf raakreich versuchten „Familie nkolonien” (Ferienkolonien, in die nicht nur die Arbeiterkinder, sondern- ganze Arbeiterfamilien geschickt werden) sowie eine ergreifende Darstellung des Lebens der Fabrikarbeiterinnen, „Frauen und Maschinen” von Marie Allys:

„Die Maschine hat uns entmenschlicht, ent- weiblicht. Wir kennen nicht mehr die Achtung vor unserem Körper, vor dem der anderen. Wir kennen nicht einmal mehr unsere Berufung als Frau. Zu Lasttieren und Sklaven erniedrigt, wo ist unser menschlicher und weiblicher Stolz? Wir leiden nicht einmal mehr darunter. Wer aber kommt uns zu Hilfe, nicht von außen, sondern von innen, indem er mit uns lebt? Wer von euch wird es wagen, in unseren ,Kerker’ zu kommen, und uns helfen, ihm zu entrinnen? Ihr .Bürgersfrauen’, die ihr uns voll Mitleid betrachtet und die ihr euch sorgsam vor der Berührung mit uns hütet, versteht doch unsere Entschuldigung.”

Die Juninummer der „Frankfurter Hefte” enthält neben mehreren Artikeln zu der brennend aktuellen Frage der Währungsreform einen Beitrag von Clemens Münster, „W eltende und Wissenschaf t”, der, ausgehend von der heute wieder besondere stark die Geister beherrschenden Endzeiterwartung, die Ansicht der modernen Wissenschaft zu dieser Frage untersucht und dabei die Übereinstimmung der Antwort der Naturwissenschaften mit der des Glaubens feststellt.

„Wie jeder einzelne Mensch weiß, daß er sterben wird, daß er jederzeit sterben kann, aber nicht weiß, wann er sterben wird, so lehren Glaube und Wissenschaft die Menschheit, daß das Weitende kommt, daß es jederzeit eintreten kann, und daß es ungewiß ist, wann es eintreten wird. Wie der Tod in das Leben des einzelnen von seiner Geburt an hineingenommen ist, so das Weitende in die Geschichte. Aber wie es von jeher als erstrebenswert galt, gut sterben zu können, ohne den Tod sehr wichtig zu nehmen, so liegt es auch nahe, vom Weitende, seiner endlichen Gewißheit und seiner jetzigen Unwahrscheinlichkeit zu wissen und darüber die Folgerungen aus der Tatsache nicht zu versäumen, daß wir immer bis zum letzten Atemzug auch am Anfang stehen.”

Über „D ie Lage der Intellektuellen in Deutschland” berichten in demselben Heft Walter Weymann- Weyhe und Rüdiger Proske. Besonders der Bericht des zweiten enthält wahrhaft erschütternde, nahezu unvorstellbare Bilder von der katastrophalen, materiellen und geistig-seelischen Not der deutschen Intellektuellen und Kulturschaffenden, deren Bemühungen, trotz allem ihrer Verpflichtung gerecht zu werden, „im einzelnen, im kleinen, auf dem Platz, auf den jeder gestellt ist, doch echt, zäh und oft bewunderungswürdig sind”.

„Gerade deshalb aber sollte sich die Gesellschaft daran erinnern, daß auch sie ihrerseits Verpflichtungen gegenüber ihren Intellektuellen hat. Auch die Gesellschaft trägt eine Verantwortung dafür, daß ihre Intelligenz nicht in physischer Not verkommt. Das Streben nach einer geistigen Erneuerung, die nun einmal für die Zukunft eines Volkes entscheidend ist und die nur von den geistig schöpferischen Menschen bewältigt werden kann, scheitert, wenn diese Menschen ununterbrochen dem Hungertode nahe sind. Ein Volk kann nur als organisches Ganzes leben. Es spricht gegen seine geistige Gesundheit, wenn es die eigenen Lebensnotwendigkeiten nicht mehr klug zu erkennen vermag, wenn es zum Beispiel entweder ein dauernd existenzbedrohtes Industrieproletariat entstehen läßt oder wenn es an dessen Stelle ein Proletariat der Intellektuellen setzt.”

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