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Der Teufel ist's, der Seide spinnt

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Auf dem XXIV. Weltkongreß der „Pax Romana“, des Dachverbandes der Verbände katholischer Studenten und Akademiker aller Länder, in Wien vom 31. August bis 6. September, erregte der Vortrag, in dem der Nijmwegener Universitätsprofessor Dr. L. J. Rogier seiner persönlichen Meinung Ausdruck gab und dessen zweiten Teil wir im folgenden zum Abdruck bringen, Aufsehen. Rogier steht in der in den Niederlanden beheimateten Tradition des großen, offenen, erasmianischen, katholischen Humanismus, der neben Erasmus von Rotterdam auch der Erzieher Karls V., Hadrian von Utrecht, angehörte, der als Papst Hadrian VI. das berühmte Schuldbekenntnis der Kirche auf dem Reichstag zji Worms ablegen ließ. Heute noch stehen sich, wie die Diskussionen des hier vorgelegten Vortrages zeigen, in der gebildeten katholischen Welt wie damals dieselben zwei großen Lager gegenüber: ein „Integralismus“, der auch im akademischen Leben eine geschlossene Gesellschaft, schaffen möchte, möglichst abgeschlossen und abgeschirmt von Kommunikation mit der außerkatholischen und außerchristlichen Welt, und die hier vertretene .„offene Katholizität“, die der Ueberzeugung ist, daß der Katholik ein freies, vorbehaltloses Bekenntnis zur Freiheit wagen muß, um in der gegenwärtigen und kommenden weltweiten Auseinandersetzung glaubwürdig auftreten zu können. Es tut, nach Lesung dieser Rede, wohl nicht mehr not, auf die weltpolitische Bedeutung dieser Frontstellung im Ringen um das neue Gesicht Asiens, Afrikas, beider Amerika und nicht zuletzt Europas besonders hinzuweisen ... „Die Furche“

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Auf dem XXIV. Weltkongreß der „Pax Romana“, des Dachverbandes der Verbände katholischer Studenten und Akademiker aller Länder, in Wien vom 31. August bis 6. September, erregte der Vortrag, in dem der Nijmwegener Universitätsprofessor Dr. L. J. Rogier seiner persönlichen Meinung Ausdruck gab und dessen zweiten Teil wir im folgenden zum Abdruck bringen, Aufsehen. Rogier steht in der in den Niederlanden beheimateten Tradition des großen, offenen, erasmianischen, katholischen Humanismus, der neben Erasmus von Rotterdam auch der Erzieher Karls V., Hadrian von Utrecht, angehörte, der als Papst Hadrian VI. das berühmte Schuldbekenntnis der Kirche auf dem Reichstag zji Worms ablegen ließ. Heute noch stehen sich, wie die Diskussionen des hier vorgelegten Vortrages zeigen, in der gebildeten katholischen Welt wie damals dieselben zwei großen Lager gegenüber: ein „Integralismus“, der auch im akademischen Leben eine geschlossene Gesellschaft, schaffen möchte, möglichst abgeschlossen und abgeschirmt von Kommunikation mit der außerkatholischen und außerchristlichen Welt, und die hier vertretene .„offene Katholizität“, die der Ueberzeugung ist, daß der Katholik ein freies, vorbehaltloses Bekenntnis zur Freiheit wagen muß, um in der gegenwärtigen und kommenden weltweiten Auseinandersetzung glaubwürdig auftreten zu können. Es tut, nach Lesung dieser Rede, wohl nicht mehr not, auf die weltpolitische Bedeutung dieser Frontstellung im Ringen um das neue Gesicht Asiens, Afrikas, beider Amerika und nicht zuletzt Europas besonders hinzuweisen ... „Die Furche“

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Wir sollten vor der Freiheit keine Angst haben. Der katholische Wissenschaftler, der sich an der Forschung und dem Gedankenaustausch beteiligt, hat die Pflicht, den Standpunkt der Freiheit einzunehmen und seinen Partnern die Wahl zwischen Glauben und Nicht-Glauben zu lassen, und zwar nicht mit dem Nebengedanken — einer richtigen restrictio mentalis — bis auf weiteres, d. h. sobald die christliche Gesellschaft sich genügend wiederhergestellt hat, treten ganz andere Verhältnisse ein, sondern aus grundsätzlichen Erwägungen, nämlich, weil er die Gewissensfreiheit als ein Recht des Einzelmenschen anerkennt und nicht als ein zu tolerierendes Uebel, dessen Beseitigung man bis auf Näheres verschiebt. Sollte dies einem Katholiken nicht gestattet sein, so wäre ihm die Beteiligung am geistigen Verkehr der heutigen Gesellschaft nicht möglich, es sei denn, daß er sich selbst und anderen einen blauen Dunst vormachen wollte.

Wir wollen das Problem gleich am schärfsten stellen. Muß der Katholik es genehmigen und vorkommendenfalls z. B. als Minister, als Rektor oder als Mitglied der akademischen Behörde selbst dazu mitarbeiten, daß an der Universität wie im öffentlichen Leben der Atheismus gelehrt wird? Meine Antwort ist: ja, wenn es nur einem jeden erlaubt ist, ihn zu bekämpfen.- Es ist eben in dieser Hinsicht, daß — wie ich annehmen muß — hinter dem Eisernen Vorhang so schwer gesündigt wird. Sie müssen mir jedoch erlauben, hier ein Bedenken zu äußern: wenn Katholiken verlangen, daß die Verkündigung des Atheismus verboten werden soll, so scheint mir dieses ihr Benehmen das Spiegelbild des getadelten russischen Verfahrens. Es nützt uns nicht, dagegen einzuwenden, daß die Kirche und sie allein die Wahrheit vertritt und die Unwahrheit keine Rechte besitzt. Das wußten die Apostel auch, aber sie haben aus dieser Erkenntnis nicht die Schlußfolgerung einer pflichtgemäßen Freiheitsbeschränkung gezogen. Sie wären mit dieser Praxis freilich nicht weit gekommen.

Neben dem Hauptproblem des Atheismus gibt es noch eine Fülle spezieller Fragen, zu denen dasselbe zu bemerken wäre. Wo sie aufkommen, z. B. betreffs der Geburtenregelung oder der Sterilmachung, wird die öffentliche Universität den Standpunkt der Freiheit aller Weltanschauungen einnehmen müssen, vorausgesetzt, daß auch das Recht der Bekämpfung ungeschmälert bleibt. Die katholische Universität vertritt in allen diesen Fällen selbstverständlich die katholische Auffassung und bekämpft die Theorien der Andersdenkenden, jedoch immer mit Anerkennung ihres R e c h t e s, anders zu denken. Denn ich muß es wiederholen — dadurch, daß ich mit einem anderen Wissenschaftler in Diskussion trete, erkenne ich schon seine Freiheit, sein Recht auf eigene Meinung an. Füge ich einem Gesprächspartner zu: „Weil ich Ihren Standpunkt bekämpfen muß, habe ich auch die Pflicht, Sie mundtot zu machen“, so handle ich dem Grundgesetz des wissenschaftlichen Denkens zuwider. Eine katholische Universität, die sich nicht mit Anerkennung dieser Freiheit am wissenschaftlichen Gedankenaustausch zu beteiligen wünscht, i s t keine Universität.

Bisweilen frage ich mich, ob in der katholischen Christenheit, wenigstens in Europa, vielleicht noch das romantische Heimweh nach einem phantastisch, d. h. unhistorisch vergötterten Mittelalter letjt. Wir sollten uns jedoch im Ernst fragen: „Kann das Christentum seinen segensreichen Weg durch die Geschichte in d e r Weise angefangen haben?“ War es nicht Aufgabe der Apostel, Christi Lehre der Erlösung einer erstaunten, verärgerten, feindlichen Welt verständlich, annehmlich zu machen? In unseren Tagen steht die Kirche vor derselben Aufgabe. Wollen wir zurückblfcken, so sei es nicht nach dem Mittelalter, sondern nach dem christlichen Altertum. Es gilt, abermals einer von Christus entfremdeten Welt die P a x R o m a n a zu bringen!

Es ist eine herbe Frage, aber wir können nicht umhin, sie zu stellen. Hat sich die Kirche seit der Französischen Revolution je mit der modernen Gesellschaft abfinden können, in der „les droits de Thomm e“, die Menschenrechte, indem Maße communis opinio geworden sind, daß in manchen bischöflichen und sogar in einigen päpstlichen Aussprachen gelegentliche Anerkennungen ihres natürlichen Charakters vorkommen? Ich möchte, daß ich es glauben dürfte. Leider hat man bis heute noch Hintertiiren offengelassen. Es ist ein 'heikles Unternehmen, das festzustellen, aber es wäre Feigheit, ihm auszuweichen. Einst haben junge Katholiken sich dazu aufgemacht, die Revolution dadurch zu besiegen, daß sie sie tauften, aber die Enzyklika M i r a r i v o s vom 15. August 1832 schloß diese Perspektive mit einem Nebel ab und stempelte den Traum zum Irrtum. Seitdem galt es als katholische Pflicht, antirevolutionär zu sein. Der fremde Sohn der Kirche glaubte, er müsse ein Bekämpfer der Freiheit sein, denn er las in der Enzyklika, in der Gregor XVI. — um dessen eigene Worte zu gebrauchen — sich unter Tränen über den Zeitgeist ergoß, daß die Freiheit notwendigerweise mit dem Sieg des Unglaubens enden müsse. Deshalb hieß alle Befürwortung der Gewissensfreiheit deliramentum (Wahnsinn) und die Freiheit der Presse „eine Pest der Menschheit, ein Fluch der Erde, die futter unzähliger Ungeheuer, die zum Verderben der Welt“ im Europa der Juli-Revolution umgingen.

Hier stoßen wir auf etwas Zwitterhaftes, das dem europäischen Katholiken bis heute eignet und das leider“ seine'Lage im wissenschaftlichen

Verkehr ungünstig beeinflußt, ja geradezu schwächt, weil die nichtkatholischen Partner nicht genau wissen, wie sie mit ihm daran sind. Er versucht, die Bedenken mit dem distinguo von T h e s i s und Hypothesis in einem verschwommenen Hintergrund zu schieben. Es ist diese Theorie, die es ihm ermöglicht, bei der Ansicht zu beharren, daß les droits de I' h o m m e (die Menschenrechte) der Lehre der Kirche zuwider seien, und die ihm dennoch die Freiheit gibt, täglich sein Wohlgefallen an den dank dieser Irrlehre in fast aller Welt, wenigstens der zivilisierten, gang und gäbe gewordenen Zuständen zu haben: Freiheit des Gewissens, der Religion, des Unterrichts, der Presse, der Vereinigung, der Versammlung, konstitutionelle Monarchie oder selbst Republik. Und dennoch hält es schwer, all das mit „M i r a r i v o s“ und „Q u a n t a c u r a“ in Einklang zu bringen.

Bisher berührten wir das Verhältnis der katholischen Universijaten und der katholischen Professoren an öffentlichen Universitäten zur Kirche nur von der Seite. Es ist außer allem Zweifel, daß es keinem Katholiken erlaubt ist, etwas zu lehren, was von der Kirche verurteilt worden ist. Es ist ihm ohnehin unmöglich, denn im Augenblick, da er es täte, hörte er auf, katholisch zu sein. Daneben bleibt aber sein Recht, häufig sogar seine Pflicht bestehen, ohne Beschränkung von diesen verurteilten Lehren und ihren Apologien Kenntnis zu nehmen. Aus pädagogischen Rücksichten mag der Index der verbotenen Bücher noch immer seinen Nutzen haben, für den Wissenschaftler als solchen hat er keinen Sinn, und es scheint mir ein Anachronismus, wenn an katholischen Universitätsbibliotheken noch spezielle Erlaubnisse beim Ausleihen gefordert werden.

Mit diesen negativen Anforderungen ist leider noch sehr wenig gesagt. Der katholische Gelehrte, auch der katholische Theologe braucht die Freiheit für seine Forschungsarbeit, die seine tägliche Pflicht ist. Gott hat in Seiner Natur und auch in der Lehre Seiner Kirche der menschlichen Forschung sehr vieles zur Entdeckung überlassen. Er gab uns das irdische Leben und auch den Glauben als ein Kapital, mit dem wir wuchern sollen. Die Lehre der Kirche ist nicht ein Stück Eisenbeton, sondern ein blühender Baum. Sie ist nicht als Erwachsene in der Welt erschienen, wie Athena mittels eines Beilschlags dem väterlichen Haupt in voller Rüstung entstiegen. Gottes Offenbarung ist dem Menschen durch Gottes Weisheit in der Gestalt eines Samenkorns gegeben, d. h. als Objekt Seiner Pflege, als Nahrung Seiner Vernunft. Hätte Er es gewollt, so hätte Gott dem von Ihm erschaffenen Menschen alles offenbaren können. Da wäre nicht nur kein Mysterium mehr geblieben, sondern auch nichts vom reichen Ueberfluß der Rätsel, die die menschliche Vernunft in Jahrtausenden brockenweise zu lösen beschäftigt gewesen ist und wohl bis zum Ende der Zeiten beschäftigt bleiben wird. Können wir uns eine schönere Aufgabe, einen mehr fesselnden Beruf als diese Urbarmachung der göttlichen Offenbarung denken? Eben darin zeigt sich der Mensch als Gotteskind.

Dann müssen wir aber — nach den eigenen Worten Leos XIII. — das Risiko übernehmen. Alle Arbeit der Entdeckung und Urbarmachung fängt mit Erkundigung an und führt öfter, auf Irrwege. Man sollte dem fleißigen Sucher das Irren nicht lieblos 'verübeln und am allerwenigsten seine guten Absichten anzweifeln. Auf dem Weg zur Wahrheit sind viele gestolpert, und das wird immer unvermeidlich sein, aber man dürfte sich fragen, ob es dem allzu heiligen Eifer argwöhnischer Zuschauer nicht zu oft gelungen ist, den Blick kirchlicher Behörden zu blenden und dadurch Unheil und bisweilen sogar Unrecht denjenigen Gelehrten zuzufügen, deren Schicksal es war, die Wahrheit früher und schärfer zu sehen als andere. Natürlich siegt am Ende doch die Wahrheit, aber ein begangenes Unrecht ist oft nicht wieder gut zu machen. Der unglückliche Fall Galilei ist seit Jahrhunderten das klassische Beispiel von den Gefahren einer argwöhnischen Bevormundung der Wissenschaft. Die Erscheinung ist übrigens sehr alt. Immer wieder sieht man Pharisäer aufstehen, die ihre Kleider zerreißen, sobald ein Neuerer mitteilt, was er als Wahrheit entdeckt hat; in frommer Entrüstung rufen sie dann immer wieder: „Er lästert Gott!“ Aber was ist besser: Pharisäer zu sein oder solch ein Neuerer? ,

Man übertreibe den Fehler der Pharisäer nicht. Es wimmelt auch in der Geschichte der profanen Wissenschaften von Verkennungen genialer Neuerer, die jetzt als Wohltäter der Menschheit gefeiert werden, und wäre es nicht um das persönliche Leid, da brauchte man dies auch häufig gar nicht zu bedauern. Man sollte sich im Gegenteil freuen über eine Skepsis, die die beste Waffe des Akademikers ist. Descartes, Newton. Jenner, Semmelweis, Freud. Einstein wurden ja auch nicht bei ihrem ersten Auftreten für die Welt der Wissenschaft mit Beifallklatschen empfangen. Auch sie sind feindseligem Widerstand, Verdächtigung und selbst Verleumdung auf dem langen und oft qualvollen Weg zu Anerkennung begegnet.

Es kommt noch dazu, daß es sehr schwierig ist, in der neueren Kirchengeschichte einen zweiten Galilei-Fall zu finden; Das S c a n d a-1 u m der aufsehenerregenden und offenbar unvergeßlichen Entgleisung hat natürlicherweise in den amtlichen Kreisen der Kirche größere Umsicht herbeigeführt. Bannsprüche sind Seltenheiten geworden, selbst gegen die verwegensten Gelehrten. Leider hat aber bisweilen ein Ostra-zismus des Flüsterns um einen zum Schweigen verpflichteten Verdächtigen sein Wesen treiben können. Mit einem gewissen Schauder erinnern wir uns aus den letzten Jahren vor dem ersten

Weltkrieg des unseligen Integralismus als einer Epidemie unbesonnenen und geradezu lieblosen Eifers. Und es. ist, als ob solche Seuchen sich nie völlig auskränkeln; sie gleichen einem alten Adam, der nicht sterben kann. Aus den Resten abgeschnittener Wurzeln erhebt bei günstiger Witterung die alte Pflanze bald wieder den dummen Kopf. Dann wird dem Forscher das Leben bisweilen noch schwerer gemacht, indem ihm nicht die ihm zukommende Gelegenheit zur Selbstaussprache gegeben wird. Es ist einem gläubigen Gelehrten eine bittere Prüfung, schweigend weiterleben zu müssen unter der Wucht eines Verdachts, von dem ihm weder der Ursprung noch die Begründung bekanntgemacht werden.

Doch es wäre nicht richtig, das Bild zu schwarz zu malen und zu vergessen, daß solche Heimsuchungen auch ihren Segen haben. Sie können selbst Wissenschaftler zu Heiligen machen. Schlimmer ist es, daß die Forschung durch solche Kaltstellungen gelähmt wird. Sie nehmen Jüngeren den Mut, sich an der Arbeit zu beteiligen. Auf diese Weise könnte sich die Tragik des 19. Jahrhunderts wiederholen, wo die gläubigen Gelehrten sich von den Laboratorien fernhielten. Damals taten sie es aus Furcht vor dem antireligiösen Materialismus. Was wäre gewonnen, falls sie in späteren Tagen der Verdächtigung im eignen Kreis ausweichen sollten? In beiden Fällen ist es der Teufel, der Seide spinnt.

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