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ÜBER POLITIK UND FREIHEIT

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Kein Wort ist in der neuesten Zeit so oft ausgesprochen worden als das Wort Freiheit; aber man kann ohne Übertreibung behaupten, daß unter Hundert, die es ausgesprochen, kaum einer ist, der weiß, was das sei. Viele meinten, weil Wir unter der vorigen Regierung nicht frei waren, so gelte jetzt alles nicht mehr, was früher gegolten hat; andere meinten, die Freiheit bestehe darin, daß man alles tun dürfe, was man nur wolle. Wieder andere glaubten, jetzt dürfe man gar keine Begierde mehr unterdrücken; denn sonst sei man ja gar nicht frei, und manche, die sich gar keinen Begriff machen konnten, meinten zuletzt, die Freiheit sei etwas, was uns alle überhaupt glücklich mache. Mehrere glaubten endlich sogar, daß die Freiheit völlige Gleichheit sei, daß keiner dem anderen mehr Achtung schuldig sei, daß Tugend, Bildung und Vernunft den einen Menschen nicht besser mache als den andern, der sie nicht hat, ja daß die Verständigeren und Gebildeteren der Freiheit gerade schädlich seien, weil sie den beliebigen und außerordentlichen Forderungen der anderen entgegentraten. So meinten die Leute.

Diese Freiheit wäre so verworren, wie der babylonische Turm; sie wäre aber auch verbrecherisch und würde uns unter die Tiere herabstürzen. Bei ihr wäre keine Familie mehr möglich und kein Eigentum. Diese Freiheit wäre die der Tiere, die auch tun dürfen, was sie wollen, aber gegen die man auch tun darf, was man will. So frei waren damals die Menschen, als sie noch ganz wild waren und noch nicht zum Schutze in einen Staat getreten waren. Es durfte jeder alles tun; aber wenn zwei zusammengingen und einen erschlugen, so hatte dieser keine Hilfe, und er war das unfreieste Ding, das man sich in der Welt denken kann. Darum traten sie aber zusammen in den Staat, machten Gesetze, die sie schützten, und setzten eine Gewalt ein, die die Gesetze aufrecht hielt. Jetzt waren sie frei, und jetzt konnte sie keiner mehr zwingen.

Die menschliche Freiheit ist also etwas ganz anderes als pure Ausgelassenheit. Wir sind freilich in einem Stücke alle ganz gleich, aber nur in diesem einzigen Stücke, nämlich wir haben alle vor Gott die nämliche Pflicht, immer besser, rechtschaffener und sittlicher zu werden. Diese Pflicht hat Arm und Reich, Groß und Niedrig, Mächtig und Schwach. Diese Pflicht macht den Menschen zum Menschen und unterscheidet ihn von dem Tiere, das weder Tugend noch Laster kennt. Diese Pflicht hat der Mensch allein, und er darf in derselben nicht gestört werden. Das aber ist die menschliche Freiheit, daß keiner den Menschen in der Pflückt der Sittlichkeit und Tugend stören darf. Keiner darf den Menschen stören, wenn er sich ein Weib in der Ehe verbindet, wenn er Kinder hat und sie in Gottesfurcht und Rechtlichkeit erzieht, wenn er sich durch ehrliche Arbeit ein Vermögen zu erwerben oder das von seinen Eltern empfangene zu erhalten sucht, wenn er sich und die Seinigen immer edler zu machen und immer mehr mit Kenntnissen zu bereichern strebt. Er darf aber auch zur Erreichung dieser Dinge von keinem andern etwas fordern, wodurch der andere dann seine Pflichten nicht erfüllen könnte. Dadurch sind wir dann alle frei, dadurch sind wir dann alle gleich. Darum verlangt gerade die echte Freiheit die meiste Selbstbeherrschung, die Bändigung seiner Begierden, die Gerechtigkeit, daß man dem andern nicht zu nahe trete, daß man sich nicht willkürlich räche, sondern einen Schiedsrichter einsetze, der den Streit ausgleiche, und daß man für sich eher zu wenig fordere, als zu viel. Darum ist die echte Freiheit viel schwerer auszuführen, und verlangt einen viel tüchtigeren Mann, als die Schreier wissen und sind, die für sich einen ungeheueren Haufen von Freiheit verlangen,

für andere nichts.

„Über die Freiheit

Die Welt ist gefüllt mit der Schar der Gleichgültigen oder gar Rohen in bezug auf alles Große, mit den sogenannten guten Menschen, die niemandem weh und niemandem wohl tun, mit einigen Geschäftsmännem, mit einigen, die mit Krieg und Frieden spielten, mit Künstlern, die in hohen Schwärmereien leben, mit Gelehrten, mit Oharaktermenschen, mit Weisen und Toren — und da ist das beste die Erquickung an einzeln stehenden, großen und guten Menschen, die Liebe zu ihnen, das Aufschauen zu diesen Säulen und das Empfinden, daß der Mensch etwas Erhabenes ist — und nach diesem ist das Beste die Neigung und Liebe der Menschen zueinander, die gut sind, ohne Gründe, eben nur, weil Liebe und Neigung da ist, und an dieser lassen Sie uns halten und sie uns bewahren, wir wollen zu den rechtlichen Menschen ge-

hören, wenn uns auch Größe versagt ist, und uns so wacker lieben, als wären wir die größten, darin sollen sie nichts vor uns voraus haben.

Selbst die höchsten Staatsstellen sind klein gegenüber der eigentlichen Weise des menschlichen Lebens. Ich ginge nach diesen Dingen nicht, die ihnen anklebende Ehre ist Spielzeug für Schwache, Machtbewußtsein nährt nur Menschen, die eben eine andere Macht in ihrem Herzen nicht haben; Wirksamkeit für die Menschen ist schon eher etwas, was lockt; aber wenn man für die anderen noch wirkt, indem man sein innerstes Selbst aufgibt, so ist dies eine Unförmlichkeit oder sogar Sünde — das Höchste, was bei Staatsstellen locken könnte, wäre die Aussicht, das Hohe, das Göttliche, das eigentliche Reich des Himmlischen auf der Welt fördern zu können, das ist es, was verführen könnte, Wünsche ehrgeiziger Art zu hegen; aber wenn die Millionen Schwierigkeiten erwogen werden, und wenn ein anderer aus dem Herzen quellender Weg da ist, für Hohes und Herrliches zu wirken, ein vielleicht ergiebigerer Weg — soll man da nicht lieber wünschen, diesen zu gehen und den Wunsch nach irdischer Ehre und Macht für kleiner zu achten!

Wer sittlich frei ist, kann es staatlich sein, ja ist es immer. Selbst Tod ist süßer, als solch ein Leben, wo Sitte, Heiligkeit, Kunst, Göttliches nichts mehr ist, und jede Tierheit ein Recht zu haben wähnt, hervor zu brechen; ja nicht bloß hervorzubrechen, sondern zu tyrannisieren. Das Tier kennt nicht Vergleichung mit dem Gegner, sondern nur dessen Vernichtung. Sind diese Menschen frei? Früher lag der Stein der Polizei auf ihren Lastern, jetzt treten dieselben auf, und die Besitzer werden von ihnen zerrissen. Sind sie frei? Darum gibt es nur das einzige Mittel: Bildung!

An Gustav Heckenast

Jeder Mißstand, jedes Übel (von jeder Seite) wird nur durch das gesänftigte, edle, ruhige aber allseitig beleuchtende

Wort gut — und das Wort gebrauchen wir so selten recht, oft wird es eine Zündfackel, oft wird es kurz beiseite geschoben und die Gewalt gebraucht, die nur noch mehr verwirrt, die Gemüter von jeder Seite mißtrauischer macht, Verzagtheit, Ohnmacht, Zügellosigkeit, Despotie und Reaktion hervorruft, und in vielen Fällen nicht einmal die gewünschte Frucht, sondern oft die Mißfrucht erzeugt.

Ich bin ein Mann des Maßes und der Freiheit — beides ist jetzt leider gefährdet. Nicht in der Alleingewalt, sondern in der Verteilung liegt sie. So lange die Leidenschaft forthastet und nie genug gegen den Gegner getan zu haben meint, ist meine Stimme nicht vernehmlich und sind Gründe nicht zugänglich. Deshalb bin ich stumm, bis man Meinungen überhaupt sucht, nicht mehr bloß Meinungsgenossen, Betrübend ist die Erscheinung, daß so viele, welche die Freiheit begehrt haben, selber von Despotengelüsten heimgesucht werden; es ist auch im Gange der Dinge natürlich: wer den Übermut anderer früher ertragen mußte, wird, sobald er frei ist, nicht etwa gerecht, sondern nun sei-

Adalbert Stifter hat nicht nur als Dichter und Maler Bedeutendes geleistet, sondern auch in Aufsätzen und Briefen zu grundlegenden politischen Fragen Stellung genommen. Durch die politischen Wirren und Auseinandersetzungen seiner Zeit kannte Stifter die bedrohlichen und zerstörenden Gewalten, denen er jedoch das Bild der Ordnung durch das „welterhaltende Gesetz“ entgegenstellte. Sein Menschenbild gründet im Wesentlichen auf der sittlichen Auffassung der Freiheit, die dem einzelnen volle Entfaltung im Wirken in der Gemeinschaft sichert. Diese Freiheit ist nur durch die Verstandesbildung und durch die Vernunft des Menschen gewährleistet. Das Wirken Stifters im Schuldienst steht im engen Zusammenhang mit seinen politischen Absichten. Diese hat der Dichter außerdem in der Gestalt Risachs im „Nachsommer“, im „Witiko“ und in der „Mappe meines Urgroßvaters“, aber auch in den Erzählungen unter verschiedenen Aspekten weit über die aktuellen Anlässe seiner Zeit hinaus gültig dargestellt. Seine in Aufsätzen und Briefen dargelegten Auffassungen über Politik und Freiheit sind nicht nur für das Verständnis der Dichtungen Stifters erhellend, sondern wohl auch für unsere Zeit bedenkenswert. i nerseits übermütig; das ist der große Unterschied, aus Gehorsam gehorchen, oder aus Achtung vor dem Gesetz. Die früher bloß gehorsam waren, die werden nun willkürlich, und möchten, daß man ihnen gehorsame, die ihrem Inneren eigenen Gesetze Genüge taten, tun es auch jetzt, und sind gerecht. Solche sind Männer der Freiheit, die andern müssen es erst werden.

Wer ein echter innerer Ehrenmann war, ist es auch jetzt noch, ja sein Gold hat Gelegenheit noch mehr zu leuchten als früher. Er gab sich auch im alten Systeme seine Gesetze selber, und diese bestehen noch. Darum ist die Freiheit allein der Probestein der Charaktere, und sie macht auch allein die großen Menschen möglich. Selbstbeherrschung bis zur Opferung des Lebens, Maß bis zur Verleugnung der heißesten Triebe ist nur in der Freiheit möglich; denn sonst kann es als Gebundensein, nicht als Selbstbestimmung vorliegen. Unter manchen, die ich kannte, sind die sprudelndsten Stürmer jetzt die, die früher die Schwächsten waren. Sie können sich eben selber nicht widerstehen. Das ist der Stoff zu Tyrannen. Der feste freie Mann läßt dem anderen auch Festigkeit und Freiheit, ja er achtet ihn nur, wenn er beides hat; seine Waffe ist gegen den Freien das Wort, gegen den Angreifer das Schwert. Möge ein günstiger Gott alle unsere Männer segnen, daß sie bei so vielen herrlichen Eigenschaften unserem uralten Fehler der Uneinigkeit nicht wieder unterliegen, und die Ohnmacht des schönen Landes forterben. Möge Europa sich bald ln der teils neu errungenen, teils schon länger bestandenen Freiheit festigen und ordnen — sonst gehen wir bei dem Auftauchen so vieler nicht meßbarer Gewalten einer düsteren Zukunft entgegen.

An Gustav Heckenast

Ich weiß recht gut, daß ich viel verlange, und daß sich das Menschengemüt nicht über das Knie brechen lasse: aber wenn nur vorerst die Schwankenden, Wankenden, Unentschiedenen sich fest und für immer auf diie Seite der Charakterfestigkeit und Selbstbezwingung stellten, wenn sie den Grundsatz der Einigung und kraftvollen Beruhigung durchweg als den ihrigen befolgten, statt zu warten, bis sie sich

1 für das oder das erklären, dann wäre schon viel gewonnen, nach und nach ziehen sich die ihnen angrenzenden Schattierungen auch zusammen, und die sich überall und nie versöhnen wollenden äußersten Teile müßten zuletzt sich fügen — freilich müssen sie das zuletzt allemal; aber wenn nur dieses zuletzt nicht zu spät ist.

Was aber den allergrößten Schaden bringt, sind die unreifen Politiker, die in Träumen, Deklamationen und Phantasien herumärren, und doch so drängen, daß nur das Ihrige geschehe. Könnte jeder, der die Sache nicht versteht, dies nur auch mit solcher Gewißheit wissen, wie daß er keine Uhr machen kann, und würde er auch mit so viel Bescheidenheit begabt sein, das, was er nicht kann, auch nicht machen zu wollen — so wäre uns fast aus aller Verlegenheit geholfen.

Möge der Himmel das schöne Land und die herrliche Stadt beschützen, daß seine Bewohner, die fast den schönsten Schatz von Gemüt und Herz bewahrt haben, auch Rat, Weisheit, Mäßigung bewahren, daß sie (auf beiden Seiten) die Leidenschaft nicht hören mögen, die hier zu Befürchtungen, dort zur Rache anspornt, sondern, daß sie wie entzweite Freunde anfangen, nicht mehr das Böse aneinander, sondern das Gute zu sehen, und daß so die Einigung, die Versöhnung und, als schönste Tochter beider, die Kraft hervorgehe.

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