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Der Hände Arbeit

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Das geringfügigste Handwerk, sobald es mit Liebe zur Sache und also aus persönlichen und nicht aus bloß sachlichen Motiven getrieben wird, wird auch eben dadurch zu einer ehrenhaiten Hantierung; es erhebt sich zur Kunst, es wird geadelt. Jedes Geschält des bürgerlichen Lebens kann durch den Geist, in dem es verwaltet wird, zu einem freien und ehrenvollen erhoben werden; ausschließend für den Ertrag geleistet, — sagt die innere Stimme, daß es ein unfreies, unehrliches und daher verächtliches Gewerbe sei. Aber wenn das ganze bürgerliche Leben mit allen seinen Funktionen auf Gott und seine Haushaltung bezogen wird, dann gibt es überall nur einen Maßstab, nämlich den der Ehre. Nicht das Streben nach dem Erwerbe, nach dem Ertrage schändet; es gehört ebenso notwendig in die große Haushaltung Gottes, als die freie Ergebenheit und die Liebe zum Werke. Aber schandebringend ist das ausschließliche Streben nach dem sächlichen Haben auf Unkosten des persönlichen Seins.,

• Adam Müller (1779—1829): „Von der Notwendigkeit einer theologischen Grundlage der gesamten Staatswissenschaften und der Staatswissenschaft insbesondere.“

„Die Erde sei verflucht in deinem Werke; mit viel Arbeit sollst du von ihr essen alle Tage deines Lebens!“ Mit diesen harten Worten führte der Herr der Welt der Hände mühsame Arbeit in das Erdenlebcn dar Menschen ein. Fluch und Strafe und unendliche Mühsal sollte sie bedeuten. Aber wie es bei jeder Strafe des weisen und gütigen Gottes ist: sie verkehrt sich in Segen und Gnade, wenn sich der Mensch demütig — seine grenzenlose Armut mutig erkennend — in sie hineinstellt. Was ist der Hände Arbeit seit Jahrtausenden den Menschen geworden! Lebenssinn, Lebensfreude, Aufstieg zu Kultur, Weg zu persönlichem Glück!

Es war eine besondere Gnade des Schicksals, daß im letzten Jahrzehnt so vielen Intellektuellen, die ihre Stellung und rein geistige Beschäftigung in Schulen und Ämterft infolge politischer Zwangsmaßnahmen verloren, der Wert und der Segen der Händearbeit aufging. Daß sie die sichere und problemlose Befriedigung der Handarbeit erfuhren, ihren heilsamen Anspruch auf Sammlung, ihr Lösen von krampfhaften Assoziationen, ihre Anregung zu besinnlichem Nachdenken und ihren wundersamen, vergessenmachenden Trost in Leid, Enttäuschung und Sorge.

Arbeit wird durch zwei Wesensmerkmale definiert: Arbeit ist ein zweckgerichtetes Tun im Gegensatz zum Spiel; Arbeit ist ein soziales, auf Nutzen und Wohl anderer abzielendes Tun im Gegensatz zu jeder l'art-pour-l'art-Tätigkeit.

Somit wendet die Arbeit ihr Doppelantlitz einerseits dem Individuum, andererseits der Gemeinschaft zu. Sie beansprucht die Fähigkeiten des Arbeitenden, ruft sie auf, steigert sie, potenziert sie; denn nicht zufrieden mit dem einmal erreichten Zweck, zeigt sfe neue, höhere Zwecke auf, treibt weiter^ sofern sich ihr der Mensch nur willig und völlig zur Verfügung stellt. Jeder eifrige Arbeiter hört den Appell der Arbeit, ihren vorwärtstreibenden, zur Vollendung des Könnens spornenden Ruf. Und so belohnt treue Arbeit wie nichts anderes: nicht nur mit dem tiefen Schlaf gesunder Nächte, nicht nur mit dem frohmachenden Gefühl getaner Arbeit und erfüllter Pflicht; sie lohnt vor allem mit der Entwicklung der Fähigkeiten des'Arbeitenden ins Ungeahnte; sie dankt ihm mit einer langsamen, aber sicheren Führung hinein in Arbeitsverfeinerungen, Arbeitserkichterungen, Arbeits-erfindüngen, die der Anfänger nie geahnt.

Rechte Arbeit kommt aber auch der Gemeinschaft zugute. Daß sie für andere getan wird, daß sie andern nützt, das Leben erleichtert und verschönt, das macht nicht nur ihren höchsten Zweck aus, sondern hebt den Arbeitenden über sich hinaus. So verbindet die Arbeit die Menschen, bezieht sie aufeinander, führt sie zueinander hin. Sie weckt in ihnen alle guten Absichten der Hilfe, gibt Einsicht in anderer Bedürfnisse und in anderer Leistungen Macht die Arbeit durch ihre Zweckrichtung findig, behende, klug, vorsichtig und umsichtig, so weckt sie durch ihre Beziehung auf die Gemeinschaft Herz und Gefühl und macht den Arbeitenden gut und hilfsbereit und dienstfertig.

Es“ mag nun manchem scheinen, daß der Hände Arbeit wohl eine nicht unwesentliche Leistung für die Gemeinschaft bedeute, daS sie aber dem Individuum wenig gebe, daß sie vor allem die geistig*.! Kräfte des Menschen verkümmern las-.e. Solcher Meinung gegenüber braucht nur erinnert werden an die lebenstüchtige Klugheit der arbeitenden Stände, an den oft erfahrenen „Hausverstand“ der Hausfrau. Und nur ein wenig angedeutet sei es, welche hervorragende Eigenschaften und geistige Qualitäten zum Beispiel die Schneiderin braucht, wieviel Phantasie, Kombinationsfähigkeit, Menschenkenntnis, Intuition! Daß ein Tischler neben seinem Wissen über Material und Bearbeitungsmöglichkeiten auch eine starke Raumphantasie und ein ausgeprägtes Stilgefühl braucht, das machen sich auch wenige Menschen klar! Übrigens — überall gibt es versumpfende Menschen, da und dort; wer immer aber mit Freude und innerer Anteilnahme arbeitet, der wächst mit allen seinen Kräften an seiner Arbeit.

Lauter denn jemals geht heute der Ruf nach der Hände Arbeit an die Menschen. Es ist doch so, daß die kommenden Jahre eine ganz große Epoche der Händearbeit bringen müssen. In diesem gebombten, durch die Kriegsfurie zerstörten und geplünderten Erdteil gibt es ungezählte Ruinen, die Tausende von Bauleuten und Facharbeitern auf den Plan rufen; da sind Millionen Möbel, die ausgebessert oder neu erzeugt werden sollen; da sind ekelhaft verschmutzte Gebäude, die harte Reinigungsarbeit beanspruchen; Millionen Menschen benötigen dringend Kleider, Wäsche und Schuhe, Hausrat und Geschirr. Dazu kommt die fortschreitende Überalterung unseres Erdteiles. Hunderttausende alter Menschen wollen von jungen Händen verköstigt, bedient, gepflegt werden. Das alles bedeutet Händearbeit, schwere, mühevolle, aufbauende, ausbessernde, reinigende, pflegende, dienende Händearbeit.

Langen aber auch Hände nach dieser Arbeit? Ist vor allem die Jugend bereit, manuelle Arbeit zu leisten? Wir wissen, daß dem nicht so ist. Neben 6000 Studenten der Medizin, 4000 Studenten der Rechte, 5000 Studenten der Philosophie, neben 10.000 Handelsakademikern, 6500 Handelsschülern und 20.000 Schülern der Obermittelschule finden sich mit Mühe einige hundert Lehrlinge für die Gewerbe der Schneider, Schuhmacher und der Modisterei; kaum einige tausend Lehrlinge für Maurer und Zimmermann, für Tischler und Schlosser. 12.000 Mädchen studieren in den staatlichen Mädchenmittelschulen, trotzdem das Arbeitsamt konstatiert, daß einem Angebot von 235 weiblichen Angestelltenberufen 4600 Mädchen und Frauen nachfragen und daß andererseits in Bekleidungsgewerben für 3500 freie Stellen nur 175 Bewerber da sind und daß sich für 16.000 Hausgehilfinnenposten, darunter sicher 1000 „gehobene“ Stellungen, nur 1500 Arbeitswillige melden.

Es wäre eine billige Geste, die Schuld an diesem unheimlichen Abrücken der Jugend von der manuellen Arbeit nur der jüngsten Vergangenheit zuzuschieben. Mag immerhin die Jugend in Arbeitsdienstlagern und Kasernen eher gelernt haben, wie man sich von der Arbeit drückt; die Abneigung gegen der Hände Arbeit leitet . sich von weiter her. Sie gründet in der typisch bour-geoisen Lebenshaltung lang vergangener Jahre. In der Auffassung, daß man seinen Kindern zu einem „besseren“ Berufe verhelfen müsse, in dem Gegenwart und Zukunft gesichert sind durch ein auskömmliches, fixes Einkommen, eine beruhigende Alterspension, am besten garantiert in der fixen Staatsanstellung. Der „Fixangestellte“ war der bürgerliche Berufstyp. Sein Einkommen war gesichert in mageren und in fetten Zeiten, der Monatserste hob ihn weit hinaus über den kleinen Handwerker, dessen Kunden nicht zahlten, und über den kleinen Kaufmann, der die Gewalt der Konkurrenz stets fürchten mußte.

Nun hätte die hinter uns liegende Zeit alles getan, um diesen bürgerlichen Sicherheitstraum zu vernichten. Sie hat bewiesen, daß es für keinen Besitz und_ keine Stellung eine Sicherung gibt: daß man alles verlieren kann: den durch Jahrhunderte in der Familie ererbten Grundbesitz, die von der Urahne ererbten Möbel, die durch eigene Ersparnisse erworbene Wohnung, den Schmuck der Mutter und das Vermögen des Vaters, das Safe in Her Bank und die fixe Staatsstellung! Daß aber zwei tüchtige, arbeitsfreudige, arbeitsgelernte Hände au dem Kostbarsten gehören, was man aus einem totalen Zusammenbruch, aus völliger Verarmung retten kann.

Zudem haben uns die Zeiten, die wir erlebten, tiefer in den Wert der verschiedenen Existenzmöglichkeiten hineinsehen lassen. Es ist gar nicht so, daß der Beamte ein freies, frohes und arbeitsleichtes Dasein hat, er ist sogar in höheren Stellungen unglaublich kontrolliert, korn'giert, unselbständig und unfrei. Er ist hineingezwängt — besonders bei Staatsstellungen — in ein wohl notwendiges, aber höchst hemmendes Paragraphenmieder. Eigenschaften, die ihn in jedem Privatunternehmen vorwärtsbringen würden, Phantasie, Schwungkraft, Ideenfülle, Tatenfreudigkeit, kann er nicht gebrauchen und er hat sich damit abzufinden, daß sie in Aktengräbern eingeschläfert werden oder er braucht ein außeramtliches Steckenpferd, ein richtiges hobby, an dem er sie verwertet. Der kleine Handwerksmeister hingegen kann seine neuen Ideen sofort in die Tat umsetzen, ohne einen „Akt hierüber anlegen“ zu müssen; er kann die Zahl seiner Arbeiter vermehren, kann jede Konjunktur ausnützen, ohne gehindert zu sein. Sein Avancement hängt von seinem Fleiß und seiner Tüchtigkeit ab. Der geschickte manuelle Arbeiter der • Zukunft wird — die Gegenwart beweist es schon — seinen Lohn diktieren, da die Nachfrage das Angebot weit überschreiten wird. Die Unternehmer werden — wie dies aus der Schweiz berichtet wird — sich gegenseitig die Arbeiter aus- und hochsteigern. Zudem steht dem Handwerker die ganze Welt offen, denn der Mangel an Facharbeitern ist ein Weltproblem. Wohin soll sich der Absolvent der Mittelschule wenden, wenn er trotz bester Kenntnisse in Latein und Trigonometrie keine „Anstellung“ findet?

Dazu kommt, daß Österreich, um seinen notwendigen Import decken zu können, an den Export denken muß. Wie überall, so kann die Schweiz auch hier als Vorbild dienen. Dort hat man, wie die Zeitungen berichteten, im letzten Bilanzjahr Stickereien im Werte von achtzig Millionen Franken ausgeführt! Dort läuft die Textilindustrie, die Uhrenerzeugung auf vollen Touren und der Fremdenverkehr hat die Höhe der Vorkriegszeit erreicht. Sicher wird auch Österreich seine Chancen für den Export haben, es wird seine modischen Erzeugnisse, alle die scharmanten Dinge'der Geschmacksindustrie wieder ausführen können. Vorausgesetzt, daß Hände dafürf geschult sind!

Wie können wir die Jugend für die manuelle Arbeit gewinnen? Das ist eine Frage, die für die Zukunft der Jugend und des Vaterlandes von größter Bedeutung iit. Sie müßte der Grundgedanke jedes neuen Schulprogramms, das Leitmotiv jeder Schulreform sein.

Es gibt in Schulfachkreisen beste Ideen üafür. Da wäre die Einführung eines Werkunterrichtes in der Pflichtschule, kein ,. neuer Gedanke, sondern schon gefordert von allen bedeutsamen Pädagogen und großen Schulreformern. Da wäre die originelle Idee, das von allen Seiten geforderte neunte Schuljahr mit manueller Arbeit auszustatten, beruflich gerichtet für die Burschen, hauswirtschaftlich für die Mädchen. Dann ist vor allem notwendig eine Neuorganisation der Berufsberatung, die Eltern und Kinder verstärkt betreut und führt. Dazu gehören Elternabende und Elternversammlungen, die aufklären über Vorteile und Annehmlichkeiten, über Lohnverhältnisse und Aufstiegsmöglichkeiten in den manuellen Berufen. Endlich wird auch die Schulverwaltung daran denken müssen, die Zahl der Mittel- und Handelsschulen abzubauen und durch Berufs- und Fachschulen zu ersetzen. Wenn heute zum Beispiel 25 staatlichen Mädchenmittelschulen mit 12.207 Schülerinnen nur 9 staatliche Frauenberufschulen gegenüberstehen mit 3466 Schülerinnen, dann zeigt es sich ganz klar, wo der Hebel anzusetzen ist.

Mit Recht hat vor nicht langer Zeit ein kluger Gewerbetreibender, der auch in seiner Innung eine Rolle spielt und die Verhältnisse gut überblickt, gemeint, daß die jungen Menschen heute nicht mehr gerne Schneiderlehrlinge, Schuhmacherlehrlinge, Tischlerlehrlinge usw. sein wollen. Nicht, daß die jungen Menschen absolut ablehnend der manuellen Arbeit gegenüberstünden; aber dem „Lehrbuben“ haftet ein gewisses Odium an, das so manche von der Wahl eines solchen Berufes abhält. Es müßten, so meinte der Innungsmeister, vielleicht mehr denn je die Fachschulen in den Vordergrund treten, um den Gewerben den Nachwuchs zu sichern. In einer Fachschule auf Tischler oder Schneider gleichsam zu „studieren', das mache vielen den Beruf schmackhafter und begehrenswerter. Und wenn andererseits gerade von Seiten der Hausgehilfinnen es begrüßt und gefordert wird, daß d*r Beruf der Haushalthilfe ein „gelernter“ Beruf werde, so zeigen diese Tatsachen von verschiedener Seite her auf, welches die Schulen der Zukunft sein werden: es sind die Berufsfachschulen, die durch eine gewisse Allgemeinbildung, aber auch durch ernsto und schwere Arbeitsverpflichtung den manuellen Arbeiter der Zukunft bilden.

Der Hände Arbeit! Wem wäre sie nicht heilig im Gedenken an seiner Mutter nimmermüde Hände! Wem rtchiene sie nicht groß und unvergänglich im Anblick edler Bauten! Wem bedeutete sie nicht die notwendigste Arbeit, wenn er dankbar den Laib Brot anschneidet und sich in den warmen Wintermantel hüllt!

Wenn unsere Jugend wieder gerne nach der Hände Arbeit greift, dann braucht uns auch um ihre sittliche Haltung nicht mehr bange sein. Immer wieder kann man es in den Berufsfachschulen beobachten, wie wunderbar die Arbeit erzieht, wie sie den jungen Menschen genau, reinlich, ordnungsliebend, ruhig, besinnlich, nachdenklich und wie sie ihn vor allem lozial macht! Das bewiesen die „Fortbildungsschüler“, die Tausende von Spielzeugen für arme Kinder zum letzten Weihnachtsfest in ihrer Freizeit bastelten; das zeigten die Schülerinnen der Frauenberufsschulen in ganz Österreich, die aus selbstgespendetem Altmaterial fast 2000 Kleidungsstücke für arme Kinder herstellten, 2500 Stück Spielzeug fabrizierten, 200 Kilogramm Lebensmittel herschenkten. Und das mit einer Freude, einer Selbstvergessenheit, einer Aufopferung, die kalte Lehrzimmer nicht spürte und lange Überstunden nicht nachrechnete, die mit Tränen innerer Ergriffenheit die Gaben reichte und zutiefst erschüttert in dem Elendsquartier heimatloser Menschen unerwartete Weihnachtsfreude aufleulhten ließ.

Diese Jugend'ist unsere beste Hoffnung! Ihr froher Arbeitsoptimismus verspricht uns inmitten einer Krise ohnegleichen eine schönere Zukunft!

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