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Digital In Arbeit

Mensch zu Mensch

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Seltsam — im nüchtern-sachlichen, dem technischen Fortschritt dezidiert zugewendeten Nordamerika, dem Lande der smarten und businessfrohen Yankees, entwickeln sich geistige Strömungen, die geradezu auf einen sozialen Umbruch hinzusteuem scheinen. Ihren Ausgang nehmen sie vom wirtschaftlichen Bereich, ihr Ziel ist der Mitmensch. Versuchen wir zunächst, eine einigermaßen sinngetreue Auslegung für den Begriff zu finden, der heute „drüben“ in fast aller Munde ist, den der .human relations.

Die wörtliche Übersetzung lautet „mer schliche Beziehungen“, womit aber wohl kaum jemand auf den ersten Blick etwas anzufangen weiß. Man muß daher 6chon hinzufügen, daß die Mensch-zu- Mensch - Beziehungen im Werk- (Industrie.-) Betrieb gemeint sind. Deren Neugestaltung, die sich aus mehreren Gründen als notwendig erwiesen hat, wird zu einer Art von Postulat erhoben.

Schon in Unternehmungen mittleren Umfangs zeigt sich eine Erscheinung, die man als Betriebsfremdheit bezeichnet. Führen wir uns als Beispiel die Arbeit eines Metalldrehers vor Augen. Seine Aufgabe gehört bereits zu den qualifizierteren, seine Leistung ist der des angelernten Hilfsarbeiters etwa an der Stanzmaschine, der während der festgesetzten Arbeitszeit im wesentlichen nur mehrere tausend Male den gleichen Hebel bedient, weit überlegen. Und dennoch! Der Mann an der Drehbank wendet zweifellos am Support große Kunstfertigkeit auf, um eine durch Werkstattzeichnung oder mündlichen Auftrag vorgeschriebene Werkstücksform fehlerfrei herzustellen. Seiner Funktion wohnt bei weitem nicht die Monotonie des primitiven Stanzvorgangs inne. Aber auch er, der auf sein in mehrjähriger Lehrzeit erworbenes Können mit Recht stolz sein darf, wird möglicherweise, nicht zuletzt mit wachsender Arbeitsroutine, im Laufe der Jahre weniger berufsfreudig sein, dies im allgemeinen nicht, weil er sich vielleicht grämt, daß andere, leichter zu verrichtende Arbeiten zu besserem Verdienst führen, sondern weil ihn das Gefühl zu beherrschen beginnt, daß er sich bei seiner Arbeit nur mit einem sehr bescheidenen Teil seiner Persönlichkeit aus wirken kann, denn:

Es ist ein Irrtum, zu glauben, daß für die Mehrzahl der Menschen die Arbeit nur Mittel zum Zweck — des Gelderwerbs nämlich — bedeutet, sie ist ihnen durchaus Selbstzweck. Das ergibt sich aus einfachen psychologischen Erwägunge^ Die Wesens qualitäten sind bei den menschlichen Individuen nur dem Grade nach verschieden, in der Anlage aber in jedem einzelnen vorhanden. So ist auch der Gestaltungsdrang eine psychische Kraft, die zwar im Seelenleben der künstlerisch Schaffenden vorherrscht, indessen auch bei „gewöhnlichen“ Menschen nicht fehlt. Er ist unbestreitbar eine der seelischen Kräfte, die hinter dem Selbsterhaltungs- und Nahrungstrieb nicht sehr weit zurückstehen. Dieser Tatsache trägt aber der moderne industrielle Arbeitsprozeß meist nur ungenügend Rechnung.

Eine der Hauptursachen hiefür bilden die weitgetriebene Funktionenteilung und die fortschreitende Mechanisierung der Arbeitsvorgänge. Schon in Unternehmen mit nur hundert oder noch weniger Betriebsangehörigen geht dem einzelnen vielfach, ob er nun Schreibtischoder Werkbankarbeit leistet, der Überblick über die Zusammenhänge innerhalb des Betriebsganzen verloren. Oft ist es ihm unmöglich “geworden, den Zweck der eigenen Arbeit in die Betriebsaufgabe einzuordnen. Er verrichtet sie daher mehr oder weniger mechanisch und büßt eben dadurch einen großen Teil an Berufsfreude und an jener anspornenden Kraft ein, die aus der Genugtuung über die persönliche Leistung hervorgeht. Er fühlt sich, wie bereits gesagt, nur mit einem Teil seiner Persönlichkeit im Einsatz.

Daß es sich nicht nur in hochindustrialisierten Ländern, sondern beispielsweise auch bei uns so verhält, ergab eine Umfrage, die unlängst von der „Industrie-Zeitung der Werktätigen veranstaltet wurde. Es sollte ergründet werden, welche Gedanken sich Angestellte und Arbeiter über die Möglichkeiten zur „Verbesserung der Betriebsatmosphäre , anders ausgedrückt, die Stärkung des guten Einvernehmens zwischen Betriebsleitung und Belegschaft machen. Aus der großen Zahl der Einsendungen sei eine der charakteristischsten wiedergegeben, zumal auch sie — wie die meisten anderen — auf das Problem der Betriebsentfremdung eingeht. Der Einsender ist ein einfacher Weber und schreibt:

„Es kommt vor allem darauf an, was für ein Mensch der Arbeitgeber selbst ist. Er muß ein Vorbild für Arbeit und Pflicht sein … Man möge Broschürenreihen herausgeben, in denen der ganze Produktionsablauf eines Betriebes knapp und faßlich in Wort und Bild dargestellt wird. Dann mag der Arbeiter beim Lesen wohl das Gefühl bekommen: ,Ich bin nur ein kleines, winziges Rad in dem großen Produktionsablauf, aber ich weiß genau, wo ich stehe und was ich tue. Ich weiß auch, was vor mir getan werden mußte, damit ich jetzt diese Arbeit ausführen kann, und warum ich diese Arbeit tun muß, damit andere Weiterarbeiten können bis zur Fertigware.

Man wird nicht umhin können, die Berechtigung dieses Wunsches anzuerkennen, und wer Gelegenheit gehabt hat, sich längere Zeit in größeren Betrieben umzutun, weiß, daß dies die Denkungsart der Mehrzahl der Arbeiter und Angestellten ist Keiner will nur .Maschine oder „Nummer sein, was ihm aber zugemutet wird, wenn ihm der Blick auf die großen Betriebszusammenhänge, den Produktionsablauf und das Produktionsziel verwehrt ist. Es tritt dann die gefährliche Betriebsfremdheit ein, die, worauf schon hingewiesen wurde, Leistungsabfälle und damit für Unternehmer wie Arbeitnehmer gleichermaßen ideellen und materiellen Schaden zur Folge hat. Wie ist dem zu steuern?

Es gibt im wesentlichen drei Wege der innerbetrieblichen Information, die vielfach auch schon mit Erfolg begangen werden: die durch das Betriebsrätegesetz vorgeschriebenen Betriebsversammlungen, die Werkzeitungen und die Betriebsbroschüren. Betriebsversammlungen sind vom Betriebsrat einzuberufen. Es erscheint unschwer möglich, auf ihnen im Einvernehmen mit der Unternehmensleitung Fragen ans Gefoigscha f tekreisen über Betriebsprobleme, -einrichtungen und -Vorgänge aufzuwerfen beziehungsweise zu beantworten, wodurch allerdings im allgemeinen nur informatives Stückwerk geboten zu werden pflegt. Werkzeitungen können der betrieblichen Information wesentlich kontinuierlicher dienen, stellen aber eine finanzielle und administrative Belastung — zum Beispiel durch Bildung des notwendigen Redaktionsstabs — dar, die kleinere und mittlere Betriebe heute nur selten auf sich nehmen können. Am besten eignen sich Betriebsbroschüren für diesen Zweck, die einmal im Jahr alles Wissenswerte über den geschäftlichen Verlauf, die geschaffenen Verbesserungen und die wirtschaftlichen Erfolge des Betriebsjahrs instruktiv Zusammentragen, dadurch zu der gewünschten erschöpfenden Informationsquelle werden imd überdies bei entsprechender Gestaltung auch als Kundengeschenk werbenden Charakters verwendet werden können. Es empfiehlt sich., um den Verdacht der Sdiön- oder Schwarzfärberei gar nicht erst aufkommen zu lassen, ihre Herstellung einem betriebsfremden, erfahrenen und stilistisch gewandten Betriebswirtschafter zu übertragen, zumal dadurch dem Betrieb der unvermeidliche Aufwand an Zeit und Mühe abgenommen wird. Mehrere wirtschaftliche Unternehmen bedienen sich bereits solcher Mittel zur festeren Bindung ihrer Betriebsangehörigen an das Werk, da sie erkennen, daß auf diesem Wege am besten der anonyme Betrieb zur Betriebsfamilie wird, die sich zugunsten des wirtschaftlichen Erfolgs positiv und zielstrebig für die Betriebsidee einsetzt.

Dies ist aber nur eine der Aufgaben der betrieblichen Sozialpolitik, wenn auch eine der wichtigsten, da sie aus stumpfem „Menschenmaterial“ lebendigbejahende Mitarbeiter macht. Der Idee der „human relations liegt vor allem auch die Erkenntnis zugrunde, daß die private Sphäre des einzelnen Betriebsangehörigen keineswegs eine betriebsunwichtige Angelegenheit ist. Die Berücksichtigung dieses Umstands setzt aber etwas sehr Wesentliches voraus: die Gabe der Menschenbeurteilung und Menschenbehandlung durch den .Vorgesetzten“. Der Chef als .Tyrann oder Despot figuriert zum Glück wohl nur noch Me and da is den Witzblättern Dennoch werden von seiten des .managements , wozu man in den USA alle, vom Generaldirektor bis zum Werkmeister, rechnet, mancherlei Fehler begangen. Zählen wir die gravierendsten auf: Das Herauskehren des Vorgesetzten, weil man nur so die Autorität wahren zu können glaubt, mangelnde Orientierung nach unten , die durch tägliche Kurzrapporte so leicht möglich wäre, Rechthaberei und Dünkel, wodurch die Arbeitsmoral leidet, übertriebenes .Spitzenmanagement“ statt weitgehender Dezentralisation, Interesselosigkeit gegenüber Anregungen und Erfindungen aus Arbeitnehmerkreisen statt der Förderung jeglicher Sonderleistung, ewige Tadelsbereitschaft, aber niemals Lob und Anerkennung, Führung einer geheimen „Kon- düite“ auf Grund von nur allzuoft in die Irre gehenden Urteilen „Vertrauenswürdiger“, statt offener turnusmäßiger Leistungsbewertung, bei der sich der Zu Beurteilende verantworten kann, fehlende Anteilnahme an den privaten Verhältnissen des Betriebsangehörigen, persönlich-affektive statt sachlicher Einstellung, Unfähigkeit, Konflikten, die im Betrieb hie und da unausbleiblich sind, auf den Grund zu gehen und sie durch geeignete Maßnahmen zukünftig auszuschalten usw.

Zweifellos beruhen solche .faux pas der leitenden Persönlichkeiten in den Betrieben nicht immer auf Charaktermän- geln oder gar angeborener Bösartigkeit, deshalb sind sie aber nicht weniger betriebsschädlich. Das österreichische Kuratorium fÜT Wirtschaftlichkeit hat aus dieser Erkenntnis heraus daher schon seit längerer Zeit Kurse für die .Vorgesetztenschulung veranlaßt, deren Wert von allen, die sie besucht haben, voll anerkannt wird, und die auch schon viel Segen gestiftet haben. „Seelische Betriebshygiene ist ein moderner Zweig der Sozialwissenschaft, der in ßeiner praktischen Anwendung dazu führen soll, daß der in abhängiger Stellung im Wirtschaftsleben Tätige wieder mehr gilt. Es soll dem gesunden Geltungsbedürfnis auch des letzten Hilfsarbeiters Rechnung getragen werden, der ja einen großen Teil seines Lebens an der Arbeitsstätte, dem Betrieb, verbringt, der eine unentbehrliche Zelle des großen volkswirtschaftlichen Ganzen darstellt. Wie im Organischen kann aber auch im Wirtschaftlichen ein Organismus nur gesund sfein, wenn seine einzelnen Zellen voll funktionsfähig sind. So gesehen, stellt die Verbesserung der „human relations“ im Betrieb eine der wichtigsten soziologischen Aufgaben unserer Zeit dar.

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