Soziale Marktwirtschaft ist nicht am Ende!
Unsere neu geprägte Marktwirtschaft darf sich mit gutem Recht deshalb sozial nennen, weil sie jedem einzelnen in einem nichtmanipulierten freien Leistungswettbewerb bessere Lebenschancen eröffnet. Dadurch, daß die Menschen auf Grund ihrer verschiedenen Begabungen oder sonstigen Eigenschaften nicht Gleiches zu leisten vermögen, kann das Leistungsprinzip, als Gegenstück zur persönlichen Freiheit, nicht außer Kraft gesetzt werden. Das sozialistische Prinzip — wie es zuletzt auch in der Regierungserklärung des deutschen Bundeskanzlers Schmidt zum Ausdruck kommt —, die geringen Einkommen auf Kosten der mittleren und selbstverständlich auch der höheren Einkommen immer stärker zu entlasten, ist in einer Leistungsgesellschaft, die unser aller Schicksal bestimmen wird, nur in Grenzen denkbar, aber nicht mit Gerechtigkeit gleichzusetzen.
Unsere neu geprägte Marktwirtschaft darf sich mit gutem Recht deshalb sozial nennen, weil sie jedem einzelnen in einem nichtmanipulierten freien Leistungswettbewerb bessere Lebenschancen eröffnet. Dadurch, daß die Menschen auf Grund ihrer verschiedenen Begabungen oder sonstigen Eigenschaften nicht Gleiches zu leisten vermögen, kann das Leistungsprinzip, als Gegenstück zur persönlichen Freiheit, nicht außer Kraft gesetzt werden. Das sozialistische Prinzip — wie es zuletzt auch in der Regierungserklärung des deutschen Bundeskanzlers Schmidt zum Ausdruck kommt —, die geringen Einkommen auf Kosten der mittleren und selbstverständlich auch der höheren Einkommen immer stärker zu entlasten, ist in einer Leistungsgesellschaft, die unser aller Schicksal bestimmen wird, nur in Grenzen denkbar, aber nicht mit Gerechtigkeit gleichzusetzen.
Diese Rechnung geht im übrigen schon allein unter Berücksichtigung der Größenordnung nicht auf. Wenn darauffolgend der deutsche Bundeskanzler trotzdem, um auch die Unternehmer zu streicheln, von der Notwendigkeit ausreichender Investitionen gesprochen hat, dann paßt das zusammen wie die Faust aufs Auge — es sei denn, daß man auf diese Weise den freien Unternehmer in staatliche Abhängigkeit zwingen will. Folgerichtig ließe sich daraus die Notwendigkeit einer staatlichen Investitionslenkung und -kontrolle ableiten. Von da aber bis zur kalten Enteignung ist dann nur noch ein Schritt.
Besonders bemerkenswert ist, daß der anonymen Schicht der Sparer überhaupt nicht Erwähnung getan wurde, obwohl sie gerade diejenigen waren, die um die Wiedererrichtung unseres Staates und unserer Gesellschaft durch Konsumverzicht und Spartätigkeit besonders verdient sind und darota belobigt zu werden verdienten. Tatsächlich aber sind sie vergessen, weil sie keine Gruppenmacht repräsentieren. Diese Schichten fallen heute trotz ihrer Verdienste ins Leere und müssen sich quasi mit Almosen abspeisen lassen.
Die Reduzierung der Gerechtigkeit auf Gruppenmacht und deren Einfluß auf Regierung und Parlament kann nachgerade zu einem Fluch werden. Wer zum Beispiel in den fünfziger Jahren 5- bis 6prozentige festverzinsliche Wertpapiere mit 30-bis 50jähriger Laufzeit mit einer gegenüber heute noch wesentlich stabileren Mark erworben hat, muß erfahren, daß der Ertrag aus seinem vermeintlichen Vermögen noch nicht annähernd die Teuerung auszugleichen vermag, und wer dazu weiter bedenkt, daß bei fortschreitender Inflation sein Nominalkapital nahezu wertlos geworden ist, wird kaum bereit sein, den Stolz der Regierung auf den Erfolg ihrer angeblichen Stabilitätspolitik zu teilen.
Die geistigen Schöpfer und Träger der Sozialen Marktwirtschaft waren sich dessen voll bewußt, daß jedwede angemaßte Gruppenmacht mit einer freiheitlichen Ordnung der Gesellschaft unvereinbar ist. Gruppenmacht auf Grund privatrechtlicher Verträge hat mit Freiheit nichts gemein. Leider scheint Macht offenkundig auch einer parteipolitischen Wertung zu unterliegen; denn sonst wäre es nicht denkbar, daß sich die Gewerkschaften unschuldsvoll die Hände waschen, die Unternehmer aber um so häufiger als reaktionäre Kapitalisten unter Anklage gestellt werden. Obwohl die Wirklichkeit mit all ihren ökonomischen Daten solche Behauptungen Lügen straft, scheint auch der Staat nicht mächtig oder willens genug zu sein, Gerechtigkeit gegen jedermann zu üben. Der ausgeschiedene Bundeskanzler Willy Brandt hat es selbst erfahren, wie gering doch im Grunde seine Macht gegenüber der Durchsetzungskraft einer Gruppe sogar im öffentlichen Sektor wirklich war. Daß nur die Unternehmer Nutznießer der Sozialen Marktwirtschaft seien oder sie allein über Macht verfügten, ist eine blanke Lüge.
Ringen um neue Machtpositionen
Die Verfechter der Sozialen Marktwirtschaft wußten genau und sprachen es auch aus, daß die Durchsetzung dieser Ordnung Stabilität vor-
aussetzt; aber sie wußten auch, daß nur eine von manchen Schlacken der Vergangenheit gereinigte Marktwirtschaft die Stabilität gewährleisten kann. Die Frage lautet also: Ist es eine allgemeine Verwilderung oder Überheblichkeit, die uns die Gesetze der Ordnung mißachten läßt, oder war es bereits das Ringen um neue Machtpositionen, was selbst nach Rückgewinnung der freien Konvertierbarkeit zu jenen Wettbewerbsverzerrungen führte, an deren Ende
— wie wir heute wissen — die Zerstörung der internationalen Währungsordnung stand?
Es sind etwas mehr als zwölf Jahre vergangen, seit ich unentwegt alle Bürger und Schichten des deutschen Volkes immer wieder mahnte, „Maß zu halten“, aber dafür nur Hohn und Spott erntete, bis sich der jetzige deutsche Bundeskanzler offenbar mit mehr Ernst auf diese Zeit zurückzubesinnen bemüßigt sah. Nach seiner Regierungserklärung ist es kaum noch vorstellbar, daß das der gleiche Mann sein soll, der noch vor wenigen Jahren die Inflation als „so ein Modewort“ bezeichnete. Allerdings oder hoffentlich wird ihm die in der Zwischenzeit wachsende Einsicht der Parteien und Fraktionen zu Hilfe kommen, die sich daran gewöhnt haben, alle dem Bundestag vorgelegten ausgabewirksamen Gesetze immer noch einmal aufzustocken.
Kein noch so guter Wille und kein noch so mitfühlendes Herz werden es je zustande bringen, daß ein Volk, als Ganzes und als Einheit betrachtet, über seine Verhältnisse leben und, für welche Zwecke auch immer, mehr verbrauchen kann, als es im arbeitsteiligen Zusammenwirken an Werten geschaffen hat. Zu dieser Selbstverständlichkeit muß die Erkenntnis treten, daß eine stetige Umverteilung des Volkseinkommens über ein gewisses Maß hinaus in der ersten Phase tendenziell zu einer Gleichmacherei hinführt, in der Verlängerung aber die Leistung absinken läßt und immer mehr Menschen in die „kollektive Sicherheit“ — eine typische contradictio in adjecto — zwingt.
Auch ist es gefährlich, darauf zu vertrauen, daß die Erfindung immer neuer Techniken oder die Schaffung immer neuer Institutionen das tief eingefressene Übel zu heilen vermöchten. An Konstruktionen dieser Art fehlt es gewiß nicht, aber zumeist bedenken ihre Erfinder den Anfang, nicht aber das bittere Ende. Ein besonders anschauliches Beispiel dafür ist, daß die hart erkämpfte Rückgewinnung der freien Austauschbarkeit der Währungen diese untereinander im Gleichgewicht hält
— solange man nicht durch falsche Wechselkurse in Verbindung mit einer falsch verstandenen Solidarhaftung Ungleichgewichtiges dennoch auf einen gemeinsamen Nenner bringen will. Daß Staaten in vorübergehender Bedrängnis einander Kredite gewähren, war von jeher eine gebräuchliche Übung und hat sich auch insofern als fruchtbar erwiesen, als mit Unterstützungen dieser Art zugleich auch die Disziplin der Schuldnerländer gestrafft wurde. Leider würden aber die Hilfeleistungen vergeblich werden, wenn der Zwang fehlte, im Empfänger-Land auf eine gute Ordnung bedacht zu sein.
Wesentlich differenzierter' ist vom
Grundsatz her die Entwicklungshilfe zu bewerten. Die christlichen Kirchen haben viel zur Linderung der Not, vor allem im Bereich der früheren Kolonialvölker, beigetragen. Aber damit ist es angesichts von deren Streben nach Freiheit und Unabhängigkeit allein nicht getan. Gewiß verkennen diese Völker oft auch die Schwierigkeit, in relativ kurzer Frist den Lebensstandard der fortschrittlichen Industrienationen einholen zu können, die in fast hundertjähriger Arbeit — gewiß nicht ohne Opfer und Mühen und auch nicht immer nach Maßstäben der Gerechtigkeit — zu so hoher Leistung gelangten. Daß die heute noch unterentwickelten Länder während der Ära des Imperialismus vdurch lange Zeit auch wirtschaftlich ausgebeutet wurden, rechtfertigt wohl ihr Verlangen nach Wiedergutmachung, wie anderseits anzunehmen ist, daß die heute Entwicklungshilfe leistenden Länder nicht zuletzt aus einem Gefühl des schlechten Gewissens jener Verpflichtung nachzukommen suchen.
Auch hier aber sind mindestens im Zeitmaß Grenzen gesetzt. Nur leistungsstarke Länder, die im Fortschritt bleiben, werden befähigt sein, noch höhere Ansprüche zu befriedigen. Aber daraus ist wiederum zu folgern, daß die Lösung auf diesem Felde nicht in einer Gleichmacherei liegen kann. Vielmehr ist anzunehmen, daß ein mehr oder minder großes Gefälle mindestens in wirtschaftlicher Beziehung noch längere Zeit nicht zu beseitigen sein wird. Die steigenden Rohstoffpreise, die eine Umverteilung des Reichtums in der Welt bezwecken sollen, werden nicht zu diesem Ziel hinführen, wenn gleichzeitig und nicht zuletzt aus eben diesem Grunde industrielle Fertigwaren und Investitionsgüter immer teurer werden.
Ich gehöre nicht zu jenen, die es sich allzu leicht machen, wenn sie in Kenntnis der großen Erfolge der Sozialen Marktwirtschaft den noch rückständigen Völkern die Nachahmung dieses Prinzips empfehlen. Eines schickt sich eben doch nicht für alle! Nicht minder unverantwortlich handeln aber auch jene Elemente, die als Rettung das Rezept des Kommunismus anbieten. Wenn die Angehörigen aller Rassen, die an westlichen Universitäten studieren, wahrnehmen müssen, daß wir selbst an dem sittlichen Wert einer demokratischen Ordnung zu zweifeln beginnen und um die Versöhnung mit dem Kommunismus fast um jeden Preis bemüht sind, dann stellt sich den betreffenden Entwicklungsländern nur zu verständlich die Frage,
ob es sich lohnt, den Umweg über eine demokratische Ordnung zu beschreiten, oder ob es nicht näher liegt, von Anbeginn an kommunistische Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme zu praktizieren.
Schuld daran, daß eine solche Entwicklung immerhin denkbar ist, tragen nicht zuletzt auch jene Gruppen, die die Soziale Marktwirtschaft nur in ihrem materiellen Gehalt begreifen und demgemäß ihr eigenes Handeln ausrichten. Im Rahmen dieser unserer Wirtschaftsordnung ist es gewiß nicht verwerflich, wenn die Bürger durch ihre Leistung privates und frei verfügbares Eigentum erwerben wollen. Aber der tiefere Sinn der Sozialen Marktwirtschaft be-
steht keineswegs allein in materiellem Gewinn. Indes wäre es weltfremd, nicht wahrhaben zu wollen, daß ohne materielle Grundlage auch der soziale Fortschritt nicht gedeihen Sann. “““^ *S'S“^? *“>“ wwefe
Es ist kaum denkbar, daß in einem Land alle Bürger an das, was ihnen Glück und Erfüllung sein soll, gleiche Wertmaßstäbe anlegen. Jene Pharisäer, die da glauben, über das Rezept für eine absolute und einem ganzen Volke gemäße Lebensform zu verfügen, stiften mehr Schaden als jene, die da fordern, in einem freien Lebensraum jeden nach seiner Fasson, aber auch nach seinem Gewissen, selig werden zu lassen. Manche Politiker erwecken demgegenüber den Eindruck, als ob man die Bürger nur ihrer individuellen Freiheit berauben und sie wie in einem Tierpark hinter Gittern hegen, pflegen und regelmäßig füttern müsse, um sie, so behütet und gesichert, die Freiheit vergessen zu lassen. Jene,
die allzu laut nach dem Staat schreien, sollten sich vor Augen führen, daß sich nur zu oft ein „Weniger an Staat“ segensreicher auswirken und der Würde der Menschen besser dienen würde.
Während sich die dazu sehr viel mehr berufenen Kirchen der Begrenzung ihrer Macht und ihres Einflusses zunehmend bewußt werden, maßen sich die Regierungen das Recht an, die Bürger jeweils „nach ihrem Bild formen“ zu dürfen. Das würde heißen, daß je nach dem Wechsel von Regierungsmehrheiten auch die Erziehungs-Methoden und -Inhalte einem willkürlichen Wechsel unterworfen würden. Bildungs-prbgramme, soweit sie nicht technisch und materiell zu umgrenzen sind, dürfen nicht in ihrer sittlichen Ausrichtung je nach der politischen Prägung der jeweiligen Parlamentsmehrheit völlig unterschiedlichen Geboten folgen; es müßte zur Verunsicherung der Jugend und zur Qual der meisten Eltern führen, wenn Lehrer ihre Pflicht mit politischer Ideologisierung verwechseln.
Der mit hohem Anspruch vorgetragene, an sich hohle Begriff der „Lebensqualität“ läßt jede Deutung von primitivsten bis zu höchsten sittlichen Werten zu. Daher hätten dessen Erfinder — wollri sie nicht als Scharlatane gelten — vornehmlich die Pflicht, mehr über die Substanz der Lebensqualität zu sagen. Was bisher erkennbar wurde, ist einmal die Vorstellung einer Regierung, daß sie zu bestimmen habe, was ihr zukommt und was dem Bürger verbleiben darf. Ferner daß es i h r obliege, nach Qualität und Quantität den Gemeinschaftsaufgaben gerecht zu werden und als notwendige Folge den Lebensspielraum der Individuen immer weiter einzuengen und am Ende darüber zu urteilen, wie der Bürger, die Steuerzahler und Verbraucher sich verhalten müssen, um ihrer Untertanenpflicht zu genügen. Gedanken von der Art sind ja bereits aufgekommen, daß der Staat zu entscheiden habe, wer über einen Pkw verfügen darf und wer öffentliche Verkehrsmittel in Anspruch nehmen muß.
Auch in welchem Umfang auf privatwirtschaftlicher Ebene produktive Investitionen zu billigen sind, möchte dann der Staat bestimmen — neben seiner angemaßten Eigenschaft als Sittenwächter wesentlich auch durch die Steuerpolitik, deren Einfluß auf Verbrauch, Spartätigkeit und produktive Anlagen unübersehbar oder doch nur in Grenzen meßbar ist.
Gesellschaft und Gemeinschaft
Macht allein macht dumm. Erst aus der Bindung der Macht an ein Ethos kann die Politik in einem tieferen Verständnis gerechtfertigt werden. Gerade jene Menschen, die staatsbewußt denken, fühlen und handeln, werden also nicht die Staatsmacht, wohl aber die Staatsgewalt in ihre Grenzen verwiesen sehen wollen. Wer Macht mit Gewalt gleichsetzt, verkennt die Verschiedenheit der sittlichen Qualität dieser Begriffe auf das gröbste. Während überdies echte, als Verantwortung empfundene Macht eine freiheitliche Ordnung voraussetzt oder sie doch anstrebt, bedeutet Gewalt gerade umgekehrt Unterdrückung der Freiheit. Jeder nach Freiheit verlangende Bürger wird deshalb Macht in unserer Deutung anzuerkennen bereit sein, während er hoffentlich nicht aufhören wird, sich der Gewalt zu widersetzen.