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Löhne, Preise, Währung

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Unwillkürlich erschrak, wer die Beschlüsse der drei Kammern und des Parlamentes las, die den mit 1. August in Kraft tretenden neuen Löhnen und Preisen galten. Im allgemeinen nehmen die Menschen ja an der Volkswirtschaft mehr passiv als aktiv teil, nur eine Minderheit ist durch Beruf und Wissen instand gesetzt, wirtschaftliche Vorgänge richtig zu sehen . und zu beurteilen. Die vielen, welche wohl die Mehrheit des Volkes bilden, tun ihre Pflicht vom Morgen bis zum Abend, oft sogar mehr als ihre Pflicht, wie gerade die Zeit seit dem April 1945 in Österreich klar bewiesen hat, empfangen ihren Lohn oder Gehalt zur üblichen Stunde und vergleichen mit dieser Summe die Kosten der Lebenshaltung: Ernährung, Bekleidung, Wohnung, Bildung und sehr bescheidene Genüsse. Je weiter die Zeit voranschritt, desto stärker wurde auch die Diskrepanz zwischen dem Reallohn und den Kosten des täglichen Lebens, von größeren Aufwendungen, etwa für die Wiederherstellung einer gebombten Wohnung, Ersatz einer verbrannten Einrichtung oder geraubter Wäsche und Kleidung, gar nicht zu reden. Der Gegensatz zwischen Einkommen und Lebenshaltung wurde zur stärksten Sorge der berufstätigen Menschen und der Hausfrauen des Landes. Erweitert man nämlich den Begriff Lohn und Gehalt zum allgmeineren des Einkommens, dann hatten auch die Selbständigen als redliche Produzenten Grund genug, die Sorgen der Arbeiter, Angestellten und Beamten zu teilen. Einnahmen enthalten nicht nur das Einkommen im engeren Sinne, das ihnen verbleibt, sondern vor allem das Entgelt für die Herstellungskosten der von ihnen erzeugten Güter. Namentlich war es die Bauernschaft, deren Klage über die „Preisschere“ im Laufe des letzten Jahres immer lauter und vernehmlicher wurde. Sie verwies auf den geradezu unbegreiflichen Widerspruch zwischen den amtlichen Preisen, die sie für ihr Getreide und Vieh erhielten und den Preisen, die sie bezahlen mußten, wenn ihre Wirtschaft eine Maschine, eine Reparatur, oder — eine Arbeitskraft dringend benötigte. So bildete sich ein Chor von Beschwerden heraus, dessen Einzelstimmen von überall her aus allen Teilen des Volkes und Landes sich erhoben und schon ließen sich moralische und politische Begleiterscheinungen beobachten. Die in der Zeit der ■ Hitlerschen Zwangsherrschaft und durch den Krieg vergröberte Demoralisierung machte weitere Fortschritte, so daß die Sittengebote im Wirtschaftsleben noch weniger eingehalten wurden als früher. Und allenthalben waren Versuche am Werke, im trüben Wasser parteipolitische Vorteile zu erangeln.

Das ist m wenigen Strichen der Tatbestand vor dem 1. August. Die künstliche Plattform obrigkeitlich geregelter Preise und Löhne, die aus der früheren Ära notgedrungen zunächst übernommen werden mußte, war seither so zerlöchert und zerbeult worden, daß alles nach einer helfenden Hand schrie. Und es geschah etwas, was inmitten der wachsenden Unruhe e r-freulich überrascht: die Kammern der Landwirte, der gewerblichen Wirtschaft und der Arbeiter und Angestellten traten zusammen und einigten sich zuerst untereinander und dann mit der Regierung auf ein Programm von Maßnahmen, die ein neues einheitliches und in seinen inneren Spannungen, wie wir hoffen, wohl abgewogenes Fundament der Löhne und Preise schaffen soll. Dieses Programm wurde durch Beschlüsse des Nationalrates zur Regelung der Relation Preis, Lohn und zur Sicherung des Gleichgewichtes im Staatshaushalte ergänzt. Die drei wirtschaftlichen Kammern, das politische Parlament und die Regierung haben sich also rasch geeinigt. ?ie ließen sich von der dreifachen Tendenz leiten, eine Quelle wachsender Unruhe auszuschalten, die Produktionsfreude und Konsumkraft wiederherzustellen und schließlich den seit einiger Zeit angekündigten Schritt zur Befestigung der Schillingwährung vorzubereiten. Die Beschlüsse wurden überall mit so großen Mehrheiten gefaßt, daß sie — nach demokratischer Regel — wohl auch vom Willen der großen Mehrheit des Volkes in der Praxis des Alltags müßten getragen werden.

Aus reicher Erfahrung wissen wir, daß die Träger der Wirtschaftspolitik, in deren Bereich zunächst die Ereignisse vor dem 1. August gehören, sich mit Vorliebe auf die eigenständige Gesetzmäßigkeit dieses Gebietes berufen, besonders, wenn sie im Widerspruch zur öffentlichen Meinung geraten. Niemand wird leugnen, daß wirtschaftliche Dinge nach gewissen Erfahrungsregeln beurteilt werden sollen. Die Unzulänglichkeit der Verdienstspanne untergräbt die Arbeitsfreudigkeit des Produzenten, die Unzulänglichkeit des Lohnes die des Arbeiters und Angestellten. Umgekehrt ruft die Beobachtung zu großer Gewinne und übermäßiger Löhne oder Gehälter einzelner Gruppen leidenschaftlichen Widerspruch hervor. Eine Produktion wird hinfällig, wenn die Preise kaum die Gestehungskosten decken und keine Macht, auch .die der heute allmächtig sich dünkenden Staatsgewalt, ist imstande, längere Zeit eine solche Produktion zu erzwingen, weil sie vom natürlichen Rechtsempfinden des Volkes abgelehnt wird. Damit aber haben wir schon die Grenze der „Autonomie“ des Wirtschaftlichen angedeutet. Das Wirtschaftsleben wird in allen seinen Funktionen, Leitung und Durchführung, Erzeugung, Verteilung und Verbrauch, durch die Gebote der Sittenordnung ebenso verpflichtet wie jedes andere Gebiet des privaten und Gemeinschaftslebens. Wenn auch die Verantwortung für die sachliche Richtigkeit der Einzelheiten der Entschlüsse den Beteiligten zukommt, regt sich eine* gewisse Freude, die in dem schönen Zusammenklang der drei Kammern und der Majorität des Parlamentes ein gemeinsames Bekenntnis zur gemeinsamen sittlichen Verpflichtung erblickt. Eben dadurch erhält der Versuch eine grundsätzliche Bedeutung weit über die Grenzen Österreichs hinaus. Die nahe Zukunft wird lehren, ob dieses sittliche Bewußtsein stark genug ist, die großen Schwierigkeiten und — Risken zu bewältigen und in den vielen Einzelfragen, die nun sich melden,befriedigende Lösungen zu finden, ohne den Erfolg des 1. August wieder in Gefahr zu bringen.

Der mutige Versuch eröffnet die Aussicht auf einen baldigen weiteren Schritt zur Befestigung der Währung. Schneidet schon die allgemeine Regelung der Löhne und Preise tief in das Alltagsleben jeder Familie ein, so gilt dasselbe gesteigert von der Währungspolitik. Die volkswirtschaftlichen Theoretiker mögen hundertmal sagen, das Geld sei nur ein Mittel der Bewertung von Sach- und Dienstleistungen, im täglichen Leben empfindet man es anders. Das Volk beurteilt die Währungspolitik strenger als die Theoretiker, denn es muß jedes Experiment mit der Währung in harter Unmittelbarkeit erleiden, ohne sich wehren zu können. Um so größer ist die sittliche Verantwortung der zur Entscheidung Berufenen! Ein kluger Mann verglich einmal die Währung mit einer Frau: Jene sei am meisten zu rühmen,über deren Wert am wenigsten geredet wird. Amtliche Erklärungen haben die Lösung der Währungsfrage angekündigt. Kein Zweifel, daß dies die Unruhe vermehrt hat und das Gruseln, von dem eingangs die Rede war, kam auch daher. Man spürte plötzlich eine Gefahr, die Nähe eines möglichen Unglücks und die Notwendigkeit, es unter allen Umständen zu verhüten, auch mit Opfern und Verzichten. Ein Gruseln aber mußte auch die befallen, die von dem gottlob verhinderten Plane Kenntnis erhielten, das Experiment des Dezember 1945 zu wiederholen und noch einmal die Guthaben und Barbestände zu blockieren. Hier soll nicht der wirtschaftliche Widersinn ausführlich dargelegt werden, der eine solche lineare Maßregel diskreditiert, hier seien mit Nachdruck die sittlichen Bedenken hervorgehoben, die schon gegen die Praxis der bisherigen Kontensperre geltend zu machen sind, erst recht aber gegen eine schärfere und einseitigere Wiederholung. Die Währungspolitiker verlangen mit guten Gründen die Abschöpfung eines großen Teils des umlaufenden Geldes, um dessen inneren Wert zu heben. Abgesehen davon, daß dieser innere Wert von Güterproduktion und Güterverkehr abhängt, gebietet die sittliche Gerechtigkeit zu unterscheiden, ob und in welchem Grade die auf einem Konto aufgesparten Geldmittel aus Inflationsgewinn der nationalsozialistischen Zeit oder wucherischen Preistreibereien und Schleichhandelsgewinnen seither stammen, oder aber aus redlicher Arbeit. Desgleichen ist es eine sittliche Forderung, die Zweckbestimmung des Geldbesitzcs zu beachten. Bei der ersten Kontosperre begünstigte man mit Recht die Träger der Sozialversicherungen, dann gewährte man Ausnahmen in Einzelfällen, über die nichts Näheres bekannt ist, in zahlreichen Fällen jedoch wurden Gelder sozialer Fürsorge dadurch ihrer Widmung entzogen, daß die Konten bewährter Betriebsunterstützungseinrichtungen nicht von der Sperre befreit wurden — zum Schaden der Arbeiter. Auch wichtige Kulturinteressen wurden empfindlich geschädigt. Die Liebe der Wiener und Österreicher zum uralten Wahrzeichen Wiens, zum Stephansdom, hat in pracht-

vollem Schwünge beträchtliche Spenden, Spenden vom Schilling der Köchin bis zur Gabe der Wohlhabenden, seinem Wiederaufbau gewidmet, dessen Kosten ohne diese Mithilfe die Kirche nicht hätte erschwingen können. Wer könnte es begreifen, wenn der Staat, der zu diesem Wiederaufbau bisher keine Subvention bewilligte, wie es heißt, das gesperrte Spendenkonto zur Gänze beschlagnahmen wollte — aus dem Titel der Währungspolitik?

Wie die Regelung der Löhne und Preise, muß auch die Währungspolitik dem sittlichen Empfinden des Volkes Rechnung tragen. Keine Staatsgewalt wäre imstande, die schädlichen Folgen unsittlicher Handlungen aufzuhalten. Wir hoffen, daß die Ubereinstimmung der Beschlüsse des aus gehenden Juli als Beweis des sittlichen Ver-, antwortungsbewußtseins geschätzt werden darf und somit einen zuversichtlichen Blick in die Zukunft rechtfertigt Möge Österreich, sein Volk und seine Vertreter reicheren und mächtigeren Ländern voranschreiten im praktischen Bekenntnis zur Gebundenheit der Wirtschaftspolitik an die Sittenordnung!

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