6541494-1946_43_05.jpg
Digital In Arbeit

Debatte um die Schule

Werbung
Werbung
Werbung

Seit dem Kompromiß, mit dem die drei Parteien den Streit um Schulkreuz und Schulgebet vorläufig abschlössen, ist bekanntgeworden, daß damals auch von neuen Schulgesetzen geredet wurde, die nach dem Wunsche der Sozialisten und Kommunisten bereits im nächsten Sdiuljahre in Kraft treten sollten. Das erklärt das Aufleben der öffentlidien Schuldebatte. Die Programme der Parteien sind hinlänglich bekannt. Nun hat der jüngste Beschluß der Bisdtöfe bei aller vornehmen Ruhe des Tones nachdrücklich erinnert, daß die Gesetzgeber gut tun werden, vor ihren Beschlüssen die Verständigung mit der Kirche zu suchen.

Das so einfadi klingende Wort Schulfrage umschließt eine Fülle ernster Probleme. Die Schule steht nun einmal mitten in unserem persönlichen, Familien- und Volksleben. Sie is ein widitiges Institut der Kultur. Sie hat vitale Bedeutung für Kirche, Staat und Wirtschaft. Sie besitzt ein autonomes Eigenleben, eine ihr Wesen ausdrückende innere Gesetzmäßigkeit, deren Verletzung Funktionsstörungen zur Folge hat. In der jetzigen Diskussion treten besonders hervor die Zielsetzung der Schule, ihr Verhältnis zu Religion und Kirche sowie die organisatorische und methodische Gestaltung. Die meisten Sprecher beschäftigen sidi mit den Problemen, ob die Schule konfessione'l werden, interkonfessionell bleiben oder gar religionslos werden soll, ferner, ob die geltende Gliederung durch Einführung einer achtklassigen „Einheitsschule“ mit einem Überbau von allerlei „Oberschulen“ radikal verändert und die „Arbeitsschule“ ausgedehnt werden soll.

Die heutigen sozialistischen Sdiulpolitiker berufen sich auf die vor mehr als zwanzig

Jahren in Wien vorgenommenen Experimente des verstorbenen sozialdemokratischen Staatssekretärs und dann Stadtsdiul-ratspräsidenten Otto G 1 ö c k e 1, als dessen Testamentsvollstrecker sie sich erklären, ein Hinweis, der die Orientierung erleichtert.

Die Beziehung der Schule zur Kirche wurde zuletzt vor rund achtzig Jahren durch die bekannten Kulturkampfgesetze großbürgerlicher Liberaler in der Maienblüte des kapitalistisdien Aufstieges geregelt. Damals beschlossen antiklerikale Mehrheiten in Abgeordnetenhaus und Herrenhaus gegen den Protest der Bischöfe die Trennung der Sdiule von der Kirche und die Zurückdrängung der Religion als Erziehungsfaktor auf die geringe Rolle eines mit wenigen Stunden ausgestatteten Gegenstandes unter vielen Der Kirche blieb die Erteilung der missio canonica und die Mitwirkung bei der Zulassung des Lehrbuches; bei den religiösen Übungen war sie auf ein Einvernehmen mit behördlidien Organen angewiesen und keine Vorkehrung schützte das religiöse Wissens- und Erziehungsgut gegen eine allfällige antireligiöse Tendenz in den vielen anderen Lehrstunden, sofern sie nicht geradezu gegen das Strafgesetz verstieß. Darum hat die Kirche immer wieder nach der konfessionellen Schule gerufen, deren gesamter Unterricht harmonisch auf das Erziehungsziel gerichtet ist.

Wo allseits der gute Wille besteht, lassen die heute geltenden, seit der liberalen Ära da und dort verbesserten Gesetze die Möglichkeit guten Zusammenwirkens aller Faktoren in Schule und Erziehung zu, doch bleibt es ein labiler Zustand, der von heute auf morgen umgestürzt werden kann. Verlangt der Staat mit vollem Rechte, die Schule müsse ihren Beitrag leisten, auf daß die Kinder des Staatsvolkes zu tüchtigen Staatsbürgern erzogen werden, so hat die Kirche das gleiche Recht zur Forderung, daß die Schule ihre Mithilfe nidit verweigern dürfe, um die Kinder des christlichen Volkes zu guten Christen zu erziehen. Ein Widerspruch der beiden Begehren besteht nicht. Der gute Christ wird immer zugleich ein guter Staatsbürger sein. Er wird nur dann in eine grundsätzliche Opposition gedrängt werden, wenn etwa die Beherrscher durch Verweigerung der Gewissensfreiheit und anderer Grundrechte, durch eine kirchenfeindliche und unsittliche Politik das christliche Gewissen vergewaltigen wollen. In solchen Fällen wird aber jeder freie Mann sich zur Abwehr berechtigt halten.

Die Erfahrungen einer langen Zeit, die mit der siebenjährigen Tyrannis des Nationalsozialismus abschloß, haben alle freiheitsliebenden Österreicher belehrt, daß d i e Grund- und Freiheitsrechte eines starken institutionellen Schutzes bedürfen. Die Verurteilung der Kriegsverbrecher in Nürnberg hat gewiß ein furchtbares“ Mene tekel upharsin an die Wände der Regierungspaläste in der ganzen Welt geschrieben, sie konnte aber die gefährliche Virulenz des Bazillus nicht abtöten, der immer die Machthaber zur Hybris verführen will. Und dieser Bazillus verlacht Staats- und Parteigrenzen. Wer kann es der Kirche verargen, daß sie die möglidiste Sicherheit für die Erfüllung ihrer göttlichen Sendung auch auf dem Gebiet der Erziehung begehrt? Die Interessen und Recht • cer Eltern, des Staates und der Gesellsdia: anerkennend, läßt sie keinen Zweifel, daß sie in einer loyalen Verständigung mit dem Staate den besten Weg sieht, um den Einklang aller Faktoren zu gewährleisten. i

Die sozialistische Forderung der „E i n-heits- und Arbeitsschule“ ist auch von anderen Gesichtspunkten her zu beurteilen. Sie enthält sicherlidi einen welt-anschaulidien Kern, die Annahme eines klassenhaften Schulunrechtes an den proleta-risdien Kindern; die Argumentation legt jedoch das Sdiwergewicht auf psychologischpädagogische Erwägungen, aufgeschönt mit dem Verlangen einer Erhöhung der Allgemeinbildung. Der neuralgische Punkt ist hier die Theorie, daß nicht im zehnten, sondern erst im vierzehnten Lebensjahr die Untersdieidung der Begabungsrichtung möglich sei, daher in städtischen — von den ländlichen Verhältnissen sei nicht gesprochen — Schulen nicht vier, sondern acht Jahre lang allen Kindern ein einheitlicher gemeinsimer Unterricht gegeben werden solle. Dann erst sei zu entscheiden, ob das Kind einem Berufe zugeführt werde oder eine „Oberschule“ besuchen dürfe, von denen der Weg zu den Hochschulen (ühre.

Die Grundfrage, wann das eigentliche Mittelschulstudium beginnen dürfe, zwingt zur weiteren, ebenso entscheidenden Frage, ob in einer solchen „Oberschule“ der für die Erhaltung unseres Bildungs- und Kulturniveaus und unserer beruflichen Tüchtigkeit unentbehrliche Wissensstoff bewältigt werden kann.

Schon vor zwanzig Jahren hat man gegen diese Art der Schulgliederung eingewendet, daß die Ausschaltung der Aufnahmsprüfung zu einer bedenklichen Senkung des Leistungsniveaus führen müsse, verglichen mit den Erfolgen der bisherigen Mittelschule. Dazu tritt ein weiteres Bedenken. Da in Widerspruch mit der sonstigen Strenge der Einheitsschultheorie angenommen wird, daß im zehnten Jahre die Nicht begabung doch schon festgestellt werden könne und für diese Kinder ein minderwertiger Schulabschluß vorgesehen werden müsse, hat man auch mit dem Widerstand der Eltern gegen eine Diskriminierung jener Kinder zu rechnen, die in der von Glöckel „Allgemeine Mittelschule“ genannten Stufe vom zehnten bis zum vierzehnten Jahre versagen, daher absinken müßten.

Die praktische Erfahrung hat die B e-denken der Fachkreise bestätigt, sie haben daher mit überwältigender Mehrheit die Glöckelsche „Schulreform“ abgelehnt. An ihre Stelle traten 1927 zwei Gesetze, die, einstimmig beschlossen, zwar etliche Narben parlamentarischer Kompromisse tragen, jedoch manches gute Neue mit dem erprobten Alten vereinigen. Hat / seither die psychologische Forschung und pädagogische Erfahrung wirklich so viele neue und grundstürzende Ergebnisse gezeitigt, daß nunmehr das Urteil anders ausfallen müßte und man sich jetzt in das damals abgelehnte allgemeine Experiment an den Kindern hineinstürzen darf, oder soll man auch heute sich begnügen, die Mängel der Mittelschule auf eine Art und Weise zu verbessern, die nicht gleich Bestand und Wesen von Schultypen bedrohen, die so glänzende Beiträge zum Ruhme Österreichs geleistet haben?

Den hohen Wert der Schule, die wir bis zum Einbruch der braunen Hyksos besaßen, konnten wir in den langen Jahren der Gefangenschaft in Konzentrationslagern erfahren, die uns Möglichkeiten internationaler Vergleiche von seltenem Umfange boten. Wir waren überrascht und glücklich, daß unsere Schule den Vergleich mit der des Auslandes ohne weiteres aushielt, denn unsere Arbeiter, Bauern und , Akademiker erwiesen sich in Wissen, Bildung und Denkschulung gleichwertig, ja sogar nicht selten den anderen überlegen. Dürfen wir diesen Vorsprung gefährden, jetzt, wo alles darauf ankommt, daß die junge Generation die bestmögliche Bildung erhält und mit allem erforderlichen geistigen Rüstzeug ausgestattet wird?

Das „Arbeit s“-Prinzip, das den Schüler anhält, sein Wissen mit zu erarbeiten, ist seit langem ein Gemeingut der pädagogischen Theorie und Praxis. Auch zur Zeit Glöckels stritt man nicht um das Prinzip, sondern um das Maß. Man wehrte sich gegen die Übertreibung, als ob ohne Anstrengung des Gedächtnisses ein ansehnliches Wissen erworben werden könnte. Mehr als je muß heute die Schule zum Ernste des Lebens erziehen. Das Spiel soll gewisse Kräfte auslösen, nicht aber alles beherrschende Methode sein. Wer in der Jugend nicht lernt, anstrengende ernste Arbeit zu leisten, wird im Leben nicht viel leisten. Darum sei die dilettantische Idee, die in der Schuldebatte auftauchte, daß man eine Art Schnellsiedekurse einrichten solle, um ehestens den Ersatz für die angeblich zu „konservativen“ Beamten, Ingenieure und Kaufleute von heute aufzuzüchten, der Kuriosität halber bloß erwähnt. Wohl aber gebührt unsere nachhaltigste Unterstützung allen Bemühungen, begabter, aber mittelloser Jugend die Tore zum höheren Studium zu öffnen und so immer neue, aus dem Schöße des schaffenden Volkes aufsteigende Talente an die führenden Stellen gelangen zu lassen.

Seit dem März 1938 hat unsere gute Schule schwere Wunden und Schäden erlitten, sie bedarf der Erneuerung und Hilfe. Sie soll in Zukunft noch mehr als früher nicht nur Mittlerin von Wissen und Fertigkeiten, sondern auch Denk- und Charakterschule sein, sie soll mithelfen, die Seele unserer Kinder zu formen und ihre sittliche Kraft zu stählen. Dies sind Ziele, wert der opferfreudigen Hingabe-der Lehrer, von deren Persönlichkeit viel mehr abhängt als von manchen gutgemeinten Paragraphen, wert der Eintracht der Gesetzgeber und der Einsicht ihrer Vollzieher. Mögen sie alle sich vor Augen halten, welche große Verantwortung sie vor Gott und unserem Volke tragen!

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung