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Eugenische Wissenschaft und Praxis

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Das Wort „Eugenik“ wurde von Galton in seinem 1883 erschienenen Buch: „Inquiries into human faculty and its development“ geprägt. Er schreibt dort, die Fragen, die er meine, bezögen sich auf das, was man im Griechischen siysvfis nenne, nämlich „vom Ahnenerbe her gut, erblich mit wertvollen Eigenschaften ausgestattet“. Die Wissenschaft, die er Eugenik nenne, beschäftige sich mit allen Einflüssen, die besser geeigneten Erblinien eine bessere Aussicht geben, schneller als es sonst der Fall sein würde, gegenüber den weniger geeigneten den Vorrang zu gewinnen.

Sie ist eine praktische Wissenschaft, die tief in den Lebensstrom der Menschheit hineingreift. Zu ihren Aufgaben gehört es, der Entartung vorzubeugen und vorhandene hochwertige Erbanlagen zu fördern. Letztere ist die wichtigere und auch erfolgversprechendere. Denn wer das Gute fördert, bekämpft damit schon das Böse, und zwar auf die wirksamste Weise.

Sehr viel wurde in der Vergangenheit über das Ziel der Eugenik, die Entartung hintanzuhalten, gesprochen und geschrieben, von berufener und unberufener Seite. Wir müssen uns bewußt sein, daß die Eugenik bei ihren Maßnahmen gegen die Entartungserscheinungen im Erbstrom an das Naturrechtsprinzip gebunden ist, daß im Interesse des Gemeinwohls in das Recht des einzelnen nur insoweit eingegriffen werden darf, als es unbedingt notwendig erscheint.

Der Entartung des Erbstroms wird vorgebeugt, indem die, Träger dieser Anlagen aus dem Fortpflanzungsprozeß ausgeschaltet werden. Das Erbgut jedes Menschen enthält Anlagen, die teils aus dem väterlichen, teils aus dem mütterlichen Erbstrom kommen. Treffen gleiche Anlagen zusammen, setzt sich diese Anlage beim Nachkommen durch — dominante Vererbung. Kommen ungleichartige Anlagen zusammen, wird die schwächere durch die stärkere überdeckt und tritt beim neuen Lebewesen nicht in Erscheinung — rezessive Vererbung. Erst wenn in der Nachkommenschaft zwei gleiche rezessive Anlagen zusammentreffen, kommt diese Anlage zum Durchbruch. Viele Erbkrankheiten folgen den Gesetzen der rezessiven Vererbung. Da die Wahrscheinlichkeit des Zusammentreffens gleichgerichteter verborgener Anlagen bei Verwandtenehen in belasteten Familien sehr groß ist, verstehen wir die Gefährlichkeit solcher ehelicher Verbindungen.

Wie wollte nun eine dem christlichen Gedankengut fremde eugenische Richtung diese Probleme lösen? Ausgehend von der unbestrittenen Tatsache, daß die Nachkommenschaft der erblich leicht und mittel belasteten Familien im Durchschnitt verhältnismäßig größer ist als die der Erbgesunden, lag der Gedanke nahe, die Belasteten von der Fortpflanzung auszuschließen. Die schweren Fälle sind ohnedies meistens in geschlossenen Anstalten untergebracht. Die übrigen Fälle gedachte man durch Eingriffe, die Unfruchtbarkeit zur Folge haben, auszuschalten. 1933 erschien in Deutschland das „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“, das auch ohne Zustimmung des Betroffenen oder seines Sachwalters durchgesetzt werden konnte. Es handelt sich um die operative Sterilisierung, die in Unwegsammachung der Leitungswege aus den Keimdrüsen besteht. Das bedeutet einen ganz schweren Eingriff in die persönliche Freiheit des Menschen; eine verstümmelnde Operation

— und eine solche stellt die Unfruchtbarmachung dar — ist nur gestattet zur Rettung des Lebens. Sonst fällt sie immer unter das fünfte Gebot. Um übrigens die Möglichkeit, daß solche krankhafte Erscheinungen wieder zum Durchbruch kommen, nur einigermaßen durch diese Eingriffe unwahrscheinlich zu machen, müßten, wie ein Psychiater forderte, zum Beispiel nicht nur die Schizophrenen (= Spaltungsirresein) selbst, sondern auch die nichtkranken Kinder kranker Elternpaare, ferner die nichtkranken eineiigen Zwillingspartner von Kranken, weiter die Kinder aus Verbindungen von Kranken mit nichtkranken eineiigen Zwillingspartnern gleichartig Kranker, endlich die Kinder von nichtkranken Eltern, die beide eineiige Zwillingspartner von Kranken sind, sterilisiert werden (Luxenburger). Wir sehen, damit kommen wir ins Uferlose. Das würde

— abgesehen von grundsätzlichen Erwägungen — unweit mehr Geldsummen verschlingen als die Unterbringung der Kranken selbst in Anstalten, wo sie überdies durch geregelte, entsprechende Arbeitsleistung zu ihrem Unterhalt beitragen können und dabei gleichzeitig oft einer Besserung ihres Zustandes zugeführt werden.

In Konsequenz der Unfruchtbarmachung der Erbkranken wurde von vielen Autoren die eugenische Indikation zur Fruchttötung aufgestellt. Um mich nicht zu wiederhqlen, darf ich auf einen von mir in dieser Wochenschrift früher erschienenen Artikel verweisen: „Das ungeborene Leben“. Übrigens ist es nach dem heutigen Stand der Wissenschaft fast nie möglich, mit Bestimmtheit zu sagen, daß sich gerade in diesem Kind die erbliche Belastung auswirken wird.

Alle diese Lösungsversuche müssen scheitern, weil sie die gestörte sittliche Ordnung nur durch Maßnahmen regeln wollen, die wieder auf einen Bruch der gleichen Ordnung hinauslaufen.

Davon, daß man die Kranken einfach ganz beseitigen wollte und auch zum Teil beseitigte, wollen wir gar nicht weiter reden. Auch die Eugenik muß der Liebe untergeordnet bleiben — von allen anderen „Haltzeichen“ abgesehen, die durch schwere Gewissensverpflichtung jedem Menschen durch die Sittengesetze gegeben sind.

Berechtigte Forderung ist es, eheliche Verbindungen, die den gesunden Erbstrom gefährden, zu verhindern. Dies kann aber nur dadurch zu erreichen versucht werden, indem man auf freiwilligen Verzicht der Betroffenen hinarbeitet, nie durch Zwangsmaßnahmen von Seiten des Staates. Das besagt aber nicht, daß diejenigen, die sich über die Folgen ihres Vorhabens im Klaren sind und den Schritt trotzdem tun, in ihrem Gewissen frei sind. Eheberatungen, die in diesem Sinn verantwortungsvoll geführt werden, haben hier eine schöne Aufgabe zu erfüllen.

Das führt uns zu einem zweiten, ungleich schöneren Aufgabenbereich der Eugenik, zu den Maßnahmen, die den gesunden Erbstrom der Menschheit zu fördern geeignet sind. Im Mittelpunkt dieser Betrachtungen steht die Familie. Könnten wir diese zur absoluten Treue gegen die Lebensgesetze zurückführen, von denen der weitaus größte Teil abgewichen ist, würde sich weitere eugenische Erziehung ziemlich erübrigen. Dann wäre es Schluß mit den unnatürlichen Zwergfamilien, wo durch künstliche Eingriffe das Leben von der Schwelle gewiesen wird, ebenso mit den unnatürlichen Großfamilien, die dadurch entstehen, daß die biologische Zeit, die zwischen den Geburten liegt, verringert wird, wie dies zum Beispiel dadurch geschehen kann, wenn die Mutter nicht selbst stillt, auch wenn sie dazu fähig ist. Überdies ist in letzteren Familien die Säuglingssterblichkeit größer, weil natürliche Nahrung und mütterliche Pflege dem Kinde fehlt. Sicher wird man in diesem Zusammenhang auch das Bibelwort zitieren dürfen: „Suchet zuerst das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit und alles andere wird euch dazugegeben werden.“ Wer in den höchsten Fragen des Lebens gegen die göttliche Ordnung handelt, darf sich nicht wundern, wenn der Gott, dem er den Gehorsam gekündigt hat, nun auch ihm seine Hilfe verweigert.

So kommen wir zu den Faktoren, cfie nötig wären, um die Lebenslage der Familien so zu bessern, damit die Voraussetzungen für eine Normalehe und N o r m a 1 f a m i 1 i e gegeben sind.

Schon das Elternhaus muß in den jungen Menschen das Fundament legen für ein sparsames, opferfähiges, reines Leben. Eine geregelte, ernste Berufsausbildung hat das Erziehungswerk fortzusetzen. Zu fordern ist unbedingt die voreheliche Reinheit. In den Jahren der Reifung müssen die ureigenen Kräfte der beiden Geschlechter ihre natürliche Stauung bis zur fertigen Entfaltung finden. Eingriffe in die Naturordnung müssen sich bitter rächen in der weiteren Entwicklung und sind auch vom eugenischen Standpunkt verwerflich. Das wird in unserer Zeit viel zu wenig beachtet. Der junge Mensch soll nicht nur Wesen, Bedeutung und Heiligkeit von Ehe und Familie kennen, sondern auch über die Vorbedingungen r. nterrichtet sein, ohne deren Erfüllung eine erbgesunde Familie unmöglich ist. Um des Kindes willen, das den ersten Zweck der Ehe darstellt, ist die Unauflöslichkeit der Ehe zu fordern. Kenntnisse allein nützen nichts. Der junge Mann, das junge Mädchen muß auch die Kraft gewinnen, diese Erkenntnisse und Kenntnisse in die Praxis umzusetzen. Man möchte weinen, wenn man sieht, wie innerlich haltlos und äußerlich bar von allen primitiven Voraussetzungen junge Menschen oft eine eheliche Verbindung eingehen. Viel Eheleid und lebenslanges Unglück haben da seine Quelle.

Ein ungesunder Zustand ist es, wenn die junge Frau und Mutter einem außerhäus-lichen Erwerb nachgeht oder nachgehen muß, der sie ihren ehelichen und mütterlichen Pflichten nicht entsprechend nachkommen läßt; denn niemand kann zwei Herren dienen. Frauen, die einen Beruf voll erfüllen und gleichzeitig so Mutter sind, daß die Kinder in dieser Hinsicht nichts an Liebe und Obsorge vermissen, sind Ausnahmen. Freilich, auf eine berufliche Ausbildung vor der Ehe soll das Mädchen von heute nicht verzichten. Es hat damit einen Schatz erworben, den ihm niemand rauben kann und der ihm vielleicht in Jahren der Not zustatten kommen mag.

Alle jungen Menschen aber müssen zur Auffassung erzogen werden, daß die durch Berufsarbeit erworbenen Mittel nicht dazu da sind, um ihnen ein möglichst angenehmes und vergnügungsreiches Leben zu ermöglichen, sondern ihnen dazu gegeben sind, um dringende Lebensaufgaben zu erfüllen.

Auf die sozialen Forderungen eines entsprechenden Einkommens, das die Gründung und den Aufbau einer Familie gestattet, sei hier nur hingewiesen. Daß auf diesem Gebiet auch in unserer Zeit noch manches zu tun übrig ist, wird niemand bestreiten. Ich denke dabei an die manchmal katastrophalen Lagen junger Akademiker, wie auch an viele Heimarbeiter. Da reicht oft aller christliche Heroismus nicht hin, um eine naturtreue Ehe aufzubauen. In solchen Fällen müßte der Betreffende lieber verzichten, als eine Ehe wider die Natur zu führen. Woher aber sollen unsere jungen Leute diese innere Stärke nehmen, wenn sie in den vergangenen Jahren ohne sittlichen religiösen Halt aufwuchsen? Die Nachwehen jener Zeit werden noch auf lange hinaus Elend, innere und äußere Not zeugen.

Ein dringliches, aber schier unlösbares Problem von heute ist die Schaffung geeigneterWohngelegenheiten. Das Ideal wäre die eigene, wenn auch kleine Scholle für jede Familie. Die Minimalforderung eine Unterbringung, die jede Familie für sich sein läßt.

Die Beziehungen zwischen Familie und Staat sind also wechselseitige: letzterer muß um des Gemeinwohles willen der Familie besondere Sorge vom eugenischen Standpunkt aus angedeihen lassen, während der einzelne verpflichtet ist, bei seinen Ent-•scheidungen das gemeinsame Wohl mit zu berücksichtigen. Diese Beziehungen dürfen aber, wie eingangs erwähnt, nie zur Hintansetzung oder gar bewußtem Sichhinwegsetzen über die sittlichen Normen führen. Man darf auch nicht alles Heil allein von der Lösung der Milieufrage erhoffen, wie es auch falsch wäre, sich nur auf die gegebenen Anlagen des einzelnen Menschen zu stützen und alle exogenen Faktoren als nebensächlich abzutun. Erbhygiene in Verbindung mit der sozialen Hygiene mack. die Gemeinschaftshygiene aus. Darüber aber steht eine ernste Wahrheit. Ohne sittliche Erneuerung gibt es weder einen biologischen noch einen sozialen Wiederaufbau.

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