7060471-1991_34_07.jpg
Digital In Arbeit

Die Ehe ist auch ein Lernprozeß

Werbung
Werbung
Werbung

Druck erzeugt Gegendruck - das ist nicht nur ein physikalisches, sondern auch ein psychologisches Gesetz, und so konnte es nicht lange ausbleiben, daß der feministische Druck auf die Männer zu Widerstandsbewegungen führen würde. In Bayern hat sich eine „Selbsthilfegruppe für Frauengeschädigte und ungeliebte Leute" konstituiert, die der wachsenden Not gegensteuern will. „Die Männer sind den Frauen verbal oft unterlegen und daher meist die Verlierer" klagt der Begründer, der Psychologe Hans Michael Krimm.

In der Alltagspraxis lassen sich Schwierigkeiten dieser Art nur bestätigen. Besonders die Ehe wird heute viel rascher und viel öfter problematisch, weil er sich in der Tiefe unverstanden und sie sich ungeliebt fühlt. Immer häufiger sind es nicht äußere Komplikationen, beziehungsweise die Charakterschwäche eines Partners allein, die die modernen Ehen so instabil werden lassen, sondern gewissermaßen künstlich gezüchtete Fehlvorstellungen, die das Paar unglücklich werden lassen. Sie sitzen der unwahren Ideologie von der angeborenen Gleichheit der Geschlechter auf und bewirken Zerstörerisches.

Eine Frau, die meint, ihr Mann sei ihr wesensmäßig gleich, ärgert sich über seine „Zugeknöpftheit" am Feierabend, nimmt Anstoß daran, daß er das Weinen des Kleinkindes überhört hat, fordert, er möge mehr fühlend zugewandt und weniger unvermittelt sexuell sein. Sie faßt dieses sein Anderssein als persönliche Lieblosigkeit auf und antwortet mit Gekränktheit. Ihre angelesenen Fehlerwartungen beherrschen die Szene und vergiften sie, so daß es gar nicht erst zu einer Entwicklung von Reifephasen in einer glücklichen lebenslänglichen Ehe kommt. Sie scheitert an einer Fehlplanung durch den Zeitgeist der Gleichheitsideologie.

Zu den dringenden Aufgaben der Kirche sollte deshalb heute eine in dieser Hinsicht hellwache Ehevorbereitung trauwilliger Paare gehören. Es ist in unserer Zeit unabdingbar, den jungen Menschen zu vermitteln, daß die Basis einer glücklichen Ehe darin besteht, den Partner in seiner Eigenart, in seinem Anderssein, ja mitsamt seinen Schwächen zu lieben.

Das heißt, es gilt ihn anzunehmen, ihn zu erkennen und als Frucht dieser Bemühung, zu verstehen suchen. Männer und Frauen sollten in der Ehevorbereitung lernen, was die wissenschaftliche Geschlechterpsychologie über die Verschiedenartigkeit von Mann und Frau aussagen kann, und sie sollten darüber hinaus erfahren, daß der Geist hellhöriger Bereitschaft zu echter Liebe - nämlich zum Verstehen - in einer sakramentalen Einstellung zur Ehe gelebt und erbeten werden kann.

Differenzierte Vorstellungen über den Lebensweg eines Paares sind unter den reißerischen Kampfparolen der Feministinnen in einer zukunfts-gefährdenden Weise im Schwinden begriffen und bedürfen der Vermittlung. So verdunkelt das angelernte Klischee das geduldige Annehmen von Durststrecken und verschiedenen Ehephasen. Schließlich kann selbst eine in der Hoch-Zeit der Liebe geschlossene Ehe nicht immer „Flitterwoche" bleiben. Sie pflegt über eine Zeit inniger Identifikation miteinander hinauszuschreiten in eine Zeit der Arbeitsteilung. Es entstehen verschiedenartige Beanspruchungen, die die gemeinsam verbrachte Zeit zwangsläufig einschränken.

Im allgemeinen geschieht das dadurch, daß die Frauen mehrere Kinder bekommen, wodurch sich der Haushalt vergrößert und die Beanspruchung durch die Kinder sich steigert. Getrennt zu marschieren, um etwas gemeinsam zu erreichen, wird zur akuten Notwendigkeit. Der Mann befindet sich in dieser Zeit häufig in einer Aufbauphase im Beruf, die vermehrte Anstrengungen und Überstunden erfordert, so wie die Arbeit mit kleinen Kindern häufig mehr als ein Full-time-job für die Frau bedeutet.

Aber selbst in einer kinderlosen Ehe oder in einer Ehe, wo die Familienmutter ihre Kinder durch Fremdpersonen großziehen läßt (wie es ja heute sehr üblich geworden ist), selbst also in einer Ehe, in der beide Partner berufstätig sind und nicht an einem gemeinsamen Arbeitsplatz stehen, folgt eine Phase, in der der nichtgemeinsame Alltag mehr im Mittelpunkt steht und das Leben bestimmt.

Diese Zeit ist mit ihrer meist großen realen Belastung oft auch die Phase einer zunehmenden Ernüchterung. An die Stelle der Einheit tritt sehr viel mehr die kritische Zweiheit. Die Hochphase, die die Kraft zur Selbstbeherrschung schenkte, ist vorüber, nun wird der „Schatten", das heißt, die dunkle Seite, nun werden die Schwächen dem Partner offenbar.

Nun erst sehen Adam und Eva sich eigentlich „nackt". Wie die Ehe sich künftig gestaltet, das hängt weitgehend davon ab, wieviele Bemühungen, wieviel Takt, wieviel Fairneß sie darauf verwenden, dieses Bloßsein wirklich auszuhalten, ja vor- und füreinander anzunehmen und zu bejahen. In dieser Phase der Ent-Täu-schung braucht ein Paar viel geistige und seelische Hilfe. Es braucht die Bereitschaft, voneinander lernen zu wollen, ebenso wie die Toleranz, eine nicht mehr änderbare Schwäche des Partners als ein Mitgeheiratetes zu akzeptieren. Dies braucht vor allem viel Bereitschaft zum Verzeihen.

Deshalb ist diese Phase, die meist innerhalb des ersten Ehejahrzehnts liegt, besonders schwer, aber sie ist auch unermeßlich wichtig.

Da diese Schwierigkeit im allgemeinen heute noch nicht gesehen wird, pflegt es nach der Phase der Arbeitsteilung in der Ehe heute zu einer Krise zu kommen, die meist in irgendeiner Weise große Ehenot heraufbeschwört. Das Bemühen miteinander um einen Konsensus, um eine Bereinigung, um eine Disziplinierung, von beiden füreinander vollzogen, kann aber einen neuen Anfang bewirken, ist guter Lohn nach einer oft mühsamen und schweren Prüfungszeit, bedeutet Sanierungsphase, wie ich sie nennen möchte.

Diese Phase steht auf einer viel bewußteren Ebene. Sie hat gerade durch Leid, Schmerz und seelische Verletzungen hindurch eine neue Reifestufe bewirkt, die zu mehr Respekt, mehr Behutsamkeit und mehr Takt nötigt.

In der Sanierungsphase muß das eigene Verhalten immer wieder revidiert werden, muß auch die eigene

Schwäche als ein Mitverschulder der Krise erkannt und bekämpft werden. In der Sanierungsphase erleben sich die Partner als Helfer im Leiden an den eigenen Schwächen.

Bemühten Eheleuten kann es so gelingen, ihre Liebe durch diese Phase in ein stilles und großes Altersglück hinüberzuretten, das einsetzt, wenn die Aufgaben an der Welt mehr und mehr getan sind. Diese Intensivierungsphase ehelichen Altersglücks wird aber grundsätzlich nur denen geschenkt, die nicht vergaßen, sich gegenseitig zu respektieren.

Dazu gehört auch, daß der Mann seine sexuellen Bedürfnisse nicht rücksichtslos durchsetzt, sondern daß das Erspüren eines gemeinsamen Seins oberste Prämisse der Liebe wurde. Wenn es der Frau gelungen ist, durch ihr „Ewig-Weibliches" den Mann „hinanzuziehen", wenn das Paar es geschafft hat, seine seelische Empfindsamkeit zu bewahren, ja, durch alle Nöte und Krisen hindurch zu steigern, darf es Philemon- und Bau-cis-Glück erwarten.

Eine glückliche, lebenslängliche Ehe ist nur auf dem Boden gemeinsamen Mühens möglich. Das ist eine sehr schwere Aufgabe, die sicher nur geleistet werden kann, wenn die Eheleute gegen alle modischen Einflüsterungen drei Grundlinien einhalten: Wenn sie erstens Ehe verstehen als eine gemeinsame Aufgabe an der Welt, die durch die Gründung und Bewahrung von Familie ihren handfesten Sinn bekommt, indem sie unmittelbar in die Zukunft hineinwirkt; wenn sie zweitens Ehe verstehen als eine gemeinsame Aufgabe füreinander, um sich gegenseitig behutsam und liebevoll zur Lebensreife voranzuhelfen; wenn sie drittens Ehe verstehen als eine gemeinsame Aufgabe für Gott, als ein gemeinsames Hinaufhorchen zu ihm, als ein Erhorchen der verschiedenen oder gemeinsamen Aufgaben, die miteinander und für Gott gemeinsam erbracht werden sollen.

In meiner Praxis habe ich die Erfahrung gemacht: Dieser Bezugspunkt ist es, der befähigt zum Durchhalten, zur Geduld, zum gegenseitigen Sich-Ertragen und Annehmen, zum Zurückstecken und zur Verantwortung. Dieser Bezugspunkt schafft klare Prioritäten und gibt von dorther Kraft zur Meisterung der Krisen.

Deshalb ist dieser Bezugspunkt auch für die Menschen unserer Zeit unerläßlich, wenn ihnen die,.Austernschale" Ehe zu einem farbigen, beschützenden, festen Gehäuse werden soll, das immer noch lebendig und kostbar das Verletzlichste und Herrlichste birgt, das wir auf Erden kennen: Die Liebe zu unserem Partner.

Auszug aus: ZEITLOSES MASS IN MASSLOSER ZEIT. Herder-Verlag, Freiburg 1991, 125 Seiten, öS 84,20.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung