Zur Identität gehören keine Kinder

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Die Suche nach Selbstbestimmung führt immer öfter in die bewußte Kinderlosigkeit (siehe dazu auch Seite 1).

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Die Suche nach Selbstbestimmung führt immer öfter in die bewußte Kinderlosigkeit (siehe dazu auch Seite 1).

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Unserer Gesellschaft gehen die Kinder aus. In einer Zeit, in der der Umweltschutz bereits zum guten Ton gehört, drohen mittlerweile Kinder zunehmend zum "knappen Gut" zu werden.

Sieht, oder noch ärger: hört man dann doch einmal Kinder in einem Park herumtollen oder gar die Beschaulichkeit einer Straßenbahnfahrt stören, wird jene unsichtbare Spaltung der Gesellschaft, die sich längst vollzogen hat, offensichtlich: hier jene, die sich naserümpfend und entnervt abwenden, froh, sich nicht selbst die Mühe mit Kindern angetan zu haben, dort die anderen, die beschämt ob des öffentlichen Aufsehens, sich wieder ein Stück mehr von ihrer Mitwelt ausgegrenzt fühlen.

Daß bei uns wie in allen Industriegesellschaften immer weniger junge Leute Kinder großziehen - in Österreich wird die Zahl der Geburten in den nächsten zehn Jahren um mehr als 1000 jährlich weiter zurückgehen - ist aus allen demographischen Statistiken bekannt. Während für diese Entwicklung materielle Ursachen (vor allem für das Erhalten eines Kindes) wohl weniger ausschlaggebend sind und auch gar nicht so sehr die selbstverständlich gewordene Berufstätigkeit von Frauen (mit den damit verbundenen Problemen der Vereinbarkeit von Familie und Beruf), dominieren heute ganz andere Beweggründe für die Kinderlosigkeit, und das in Zukunft wohl noch stärker.

Denn Hand in Hand mit der unübersehbaren Kinder- und Elternunfreundlichkeit unserer Gesellschaft (Beispiel Arbeitszeiten) geht eine zunehmende bewußte Kinderlosigkeit, die Ausdruck jenes Lebensstils ist, der durch die zentralen Werte Unabhängigkeit, Selbstbestimmung und Flexibilität gekennzeichnet ist. Es ist der Lebensstil, den der Mainzer Soziologe Norbert Schneider treffend mit "erwachsenenzentriert" bezeichnet, in dem Elternschaft nicht als eine Form der Selbstverwirklichung verstanden wird und damit mit einer ausschließlichen Karriereorientierung als schlicht inkompatibel gilt.

Dazu kommt freilich auch die im Sinne des ausgeprägten Bedürfnisses nach Unverbindlichkeit zunehmende Instabilität von Partnerschaften. Wie soll man sich für ein Kind entscheiden, wenn gar nicht sicher sein kann (oder will), daß das Zusammenleben mit dem Partner funktioniert und zwar möglichst lange? Genauso wie für einen Gutteil der Menschen eine feste Partnerschaft oder gar eine Ehe bereits eine Zumutung darstellt, muten sich eben auch immer weniger junge Leute zu, Kinder großzuziehen. Womit die für das Aufziehen von Kindern zentralen Probleme "Verantwortung" und "Zeit" angesprochen sind.

Frei und ungebunden Es ist auch zu beobachten, daß sehr viele Menschen, die sich bewußt gegen Kinder entschieden haben, damit auch auf die eigene Kinderzeit reagieren, in der sie offenbar nicht immer die besten Erfahrungen mit Geborgenheit, Zuneigung und dem Teilen des eigenen Lebens gemacht haben. Diese negative Spirale könnte aber immerhin durch den Umstand unterbrochen werden, als heute Kinder in der Regel nur mehr bewußt und gewollt zur Welt gebracht werden und dann auch unter entsprechenden Bedingungen aufwachsen können (was freilich keine Garantie ist).

Schließlich spielt in der Entscheidung zur Kinderlosigkeit natürlich auch der alte Traum von der ewigen Jugend eine entscheidende Rolle, jener machbare Traum des Hinausschiebens von Freiheit und Ungebundenheit, der sich heute wie nie zuvor und das für jede Altersgruppe unbeschränkt inszenieren läßt. In einer Zeit, in der ein unerschöpfliches Unterhaltungsangebot die Möglichkeiten zur Konsum- und Spaßmaximierung ins Grenzenlose steigern - und auch die Wirtschaft lebt zunehmend davon ("Erlebnis-Einkaufen", "Event-Tourismus") - stehen Kinder, die eben vor allem einmal Zeit, Verzicht und Übernahme von Verantwortung erfordern, eigentlich nur im Weg.

Es macht dazu im Vergleich kurz gesagt eben keinen Spaß, rund um die Uhr für ein abhängiges Wesen verantwortlich zu sein. Denn das heißt: für einige Zeit mehr oder weniger ans Zuhause gefesselt zu sein, die Kinder wickeln, waschen, anziehen, des Nachts immer wieder aufstehen, mehrere Mahlzeiten täglich zubereiten, Spiele erfinden, aufpassen, sich um Babysitter kümmern und diese bezahlen, auf den Spielplatz gehen, unzählige Ärzte aufsuchen, zwischendurch ein bißchen erziehen, sich in die kindliche Seele hineindenken, Streit schlichten, trösten, die Freizeit organisieren, später dann Hausaufgaben machen, in der Schule vorsprechen, usw. Diese Liste ist bekanntlich endlos.

Was liegt also näher, als auf Kinder als Störfaktoren eines selbstbestimmten Lebens mit allen möglichen Optionen einfach zu verzichten? Allerdings: In welcher Weise werden denn diese Optionen tatsächlich genützt?

Dazu kommt, daß der Begriff "Familie" nicht nur in Zeitgeistmedien mit bereits hoffnungslos konservativen und vorgestrigen Werten assoziiert wird - wobei nur verwundert, welch hohe Glaubwürdigkeit, ja Lebensrelevanz solche Meinungsmacher bei kritischen und kulturell gebildeten Konsumenten genießen. Wenn Kinder aber heute noch irgendwo umworben sind, dann jedenfalls in der Werbung, wo die "Kids" (wie Kinder grundsätzlich nur mehr genannt werden dürfen) verstärkt als kaufkräftige Werbeträger für Designerkleidung oder nun auch Handys eingesetzt werden, sodaß eine Aufwertung von Kindern und Familie in Zukunft überhaupt nur über diese Schiene möglich erscheint.

Biedere Idylle Andererseits muß auch die Rückfrage erlaubt sein, ob nicht das von Familienlobbyisten propagierte Familienbild als allzu biedere und handgestrickte Idylle oder als vor allem auf herkömmliche Familienformen beschränktes Idealbild eine oft eher abschreckende und ausschließende Wirkung in der öffentlichen Meinung entfaltet hat. Ein etwas mutigeres In-unsere-Zeit-Setzen und "Vergegenwärtigen" der Lebensform Familie würde vielleicht das Zusammenleben mit Kindern denkmöglicher erscheinen lassen.

Denn es wäre extrem gefährlich, die Grundwerte der Moderne, Freiheit und Selbstbestimmung, für tatsächlich unvereinbar mit einem familiären, fürsorglichen oder allgemein gesagt "nichtproduktiven" Lebensstil anzusehen; denn dies wäre das Ende jeglicher Solidarität und überhaupt jedes gesellschaftlichen Zusammenhalts. Es geht vielmehr darum, Wege aufzuzeigen, wie der eigene Lebensentwurf und das Zusammenleben mit Kindern und Partner in durchaus konstruktiver Beziehung stehen könnten und das Bewußtsein zu fördern, daß Kinder für die Entwicklung der eigenen Identität und der Selbstverwirklichung nicht unbedingt hinderlich, sondern vielleicht sogar impulsgebend und bereichernd sein können im Sinne einer ganzheitlichen Persönlichkeitsbildung. Da dies offenbar alles andere als selbstverständlich ist, müßte über solche Fragen eine intensivere Auseinandersetzung etwa mit jungen Leuten (als künftige Eltern) geführt oder später auch junge Eltern in diesem Sinne begleitet werden.

Es soll hier nicht die simple Formel "Mehr Kinder braucht das Land" vertreten werden. Aber im Interesse einer auch in Zukunft menschenwürdigen Gesellschaft erscheint es unabdingbar, die krampfhafte Fixierung auf das Ich und die Gegenwart zu relativieren, zugunsten der Einlösung des Menschenrechts, Kinder zu haben und mit ihnen zu leben.

Der Autor ist stellvertretender Abteilungsleiter im Familienministerium.

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