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Sehnsüchte und Wirklichkeit

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Zehn Jahre trennen uns noch von der Jahrtausendwende. Für Österreich ist im Bereich Bevölkerung ein „Szenario 2000“ (sogar „2050“) relativ leicht zu erstellen, aber eher schwer in den Bereichen Familie und Kirche. Laufen die gesellschaftlichen Trends so weiter wie bisher?

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Zehn Jahre trennen uns noch von der Jahrtausendwende. Für Österreich ist im Bereich Bevölkerung ein „Szenario 2000“ (sogar „2050“) relativ leicht zu erstellen, aber eher schwer in den Bereichen Familie und Kirche. Laufen die gesellschaftlichen Trends so weiter wie bisher?

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Die öffentliche Diskussion zu Ehe und Familie wird an den Makroin-dikatoren wie Heiratsbereitschaft, Geburtenzahl und Scheidungshäufigkeit geradezu festgemacht. Üblicherweise dienen die sechziger Jahre unseres Jahrhunderts dabei als Ausgängswerte. Darauf bezugnehmend wird dann entweder in kulturpessimistischer Sicht der schon immer gewußte Niedergang der Kultur, oder in libertär-eman-zipatorischer Sicht, der unausweichliche Durchbruch zur vollen Freiheit des Individuums (endlich) bestätigt gefunden. Dieses Instrumentalisieren von Ehe und

Familie für die jeweils eigene Ideologie, stellt auch einen zynischen Umgang mit den Hoffnungen und Nöten von Menschen dar.

Eine zweite Vorbemerkung erscheint notwendig: Es gibt keine Anhaltspunkte, daß die Entwicklung von Ehe und Familie in der Geschichte vorgegebenen Gesetzmäßigkeiten folgt, weder zum Besseren noch Schlechteren, was immer auch jeweils darunter verstanden werden mag. Es treten vielmehr reversible und irreversible Trends auf, deren Dauerhaftigkeit und Auswirkung kaum vorhergesagt werden kann. Hätte zum Beispiel der Trend der unehelichen Geburten vor und nach 1900 angehalten, wären im 20. Jahrhundert nur noch solche Geburten zu erwarten gewesen.

Auf der Verhaltensebene ist die heutige Situation im Verhältnis zu den sechziger Jahren gekennzeichnet durch geringere Heiratsbereitschaft und Kinderzahlen sowie mehr Scheidungen. Zum Verlauf dieser Veränderungen ist darauf zu verweisen, daß sie in den siebziger bis Anfang achtziger Jahre größer war als danach, sodaß in etwa von einer Stabilisierung auf den heute erreichten Niveaus ausgegangen werden kann.

Auf der Einstellungsebene hat sich bezüglich der zentralen Bedeutung von Ehe und Familie wenig verändert, denn beiden wird hohe Priorität für ein sinnvolles Leben zugeordnet, insbesondere bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen. Allerdings besteht keineswegs die Bereitschaft, diese Lebensformen als unbefragte Selbstverständlichkeit für das eigene Lebenskonzept anzusehen. Jedenfalls wird die förmlich geschlossene Ehe nicht als Grundlage intimer Partnerschaft angesehen, wenngleich das Verständnis davon die zentralen Werte der Ehe beinhaltet, nämlich Liebe, Treue, Verbindlichkeit und das Ja zum Kind.

Verschiedene Versuche der „freien“ Liebe und ähnliches haben weder Verbreitung noch soziale Anerkennung gefunden. Allerdings erweist sich die Ehe weiterhin als Grundlage der Familie. Zwar lebt die überwiegende Zahl - sie wird auf 80 Prozent geschätzt - vor der Heirat intime Partnerschaft, wenn jedoch ein Kind unterwegs oder geplant ist, wird meist geheiratet, zumindest bei Erstheiratenden. '

In welchen Größenordnungen sich die Entwicklungen bewegen, zeigen die Daten in der Tabelle überblicksmäßig.

Dabei sehen wir bei den Eheschließungen innerhalb des dargestellten Jahrhunderts einen Höhepunkt 1951 und 1961. Tatsächlich zeigen weitere Analysen, daß die hohen Heiratsraten von über 90 Prozent in den sechziger Jahren eher eine Erscheinung jüngeren Datums darstellen; derzeit liegen diese bei 70 Prozent.

Die Zahl der unverheiratet zusammenlebenden Paare liegt bei etwa acht Prozent aller Paare und ist in den achtziger Jahren nur geringfügig gestiegen. Davon etwa zehn Prozent sind als sogenannte „Protestler“ anzusehen, also weniger als ein Prozent aller Paare.

Die Geburtenzahlen zeigen dagegen in diesen 100 Jahren einen eindeutigen Trend in Richtung weniger Kinder, wobei vor allem die Zahl der Drei-und-mehr-Kin-der-Familien zurückgegangen ist. Allerdings zeigt sich neuerdings auch eine deutliche Tendenz dahingehend, daß der Kinderwunsch aufgeschoben und dann später nicht mehr realisiert wird. Dadurch steigt die Zahl der kinderlos bleibenden Frauen beziehungsweise Paare. Dieses Faktum verbunden mit den gestiegenen Lebenserwartungen und der geringen Kinderzahl sowie des frühen eigenen Haushaltes der Kinder, fördert die Ein- und Zweipersonenhaushalte.

Die Zahl der unehelich Geborenen ist bis in die siebziger Jahre absolut gesunken und erst in den achtziger Jahren wieder auf den Ausgangswert gestiegen. Ersteres entspricht dem allgemeinen Geburtenrückgang, letzteres wird durch Maßnahmen im Bereich des Karenzgeldes mitgefördert.

Die Scheidungszahlen zeigen ebenfalls einen eindeutigen Trend, allerdings steigend. Die Entwicklung der siebziger Jahre einfach fortgeschrieben, würde erwarten lassen, daß im Jahr 2000 zumindest jede zweite Ehe geschieden wird. Derzeit ist die Scheidungswahrscheinlichkeit knapp unter 30 Prozent. Dabei tritt eine Häufung der Scheidungen im zweiten und dritten Ehejahr auf, sodaß in den ersten fünf Ehejahren etwa 40 Prozent der Scheidungswahrscheinlichkeit „verbraucht“ sind.

Mit der Zunahme der Ehescheidungen tritt verstärkt das Phänomen der Mutter/Vater - Kind(er) Familien auf oder jenes der Stiefeltern beziehungsweise Stiefgeschwister. Letzteres stellt auch keine neue Erscheinung dar, denn diese gab es in früheren Jahrhunderten zufolge der geringen Lebenserwartung und des Altersunterschiedes der Eltern gar nicht selten, ohne den vorhandenen Unterschied übersehen zu wollen.

Derzeit deutet nichts darauf hin, daß die Veränderungen bis zum Jahr 2000 umfassender und/oder tiefgreifender sein werden, als bisher. Es kann im Gegenteil davon ausgegangen werden, daß eine gewisse Stabilisierung eingetreten ist. Auch wird als Folge zunehmender Überforderungserscheinungen Familie verstärkt öffentlich thematisiert.

Unberücksichtigt, weil bisher kaum analysiert, bleibt die mögliche Auswirkung der Informationstechnologie auf weite Bereiche der Arbeitsorganisation.

Was bedeutet die oben beschriebene Entwicklung zum Beispiel für die Familien? Jedenfalls nicht nur Probleme. Die Zunahme von unverheirateten beziehungsweise kinderlos verheirateten Frauen und Männern, kann durchaus für die Familie positive Auswirkungen haben - abgesehen davon, daß es zwar ein in der Würde des Menschen begründetes Recht auf Heirat gibt, aber keine Pflicht dazu. Es kann davon ausgegangen werden, daß manche Überforderungserscheinungen der Kernfamilie gerade durch das Fehlen solcher „Onkeln und Tanten“ mitbedingt wird. Dem wird schon heute durch neue Formen der Wohngemeinschaft von Familien und Alleinstehenden zu begegnen versucht.

Der „Verlust“ der weiblichen Normalbiographie läßt eine gewisse Vielfalt dahingehend zu, daß manche Frauen ihrem selbst gewählten Lebenskonzept folgen können und keine Kinder mehr vorweisen müssen, dafür andere eher sogar mehr Kinder, als bisher möglich waren, haben können.

Nicht übersehen werden soll, daß offenbar eine Schere zwischen der Verhaltensebene und der Einstellungsebene, also zwischen können und wollen bezüglich Ehe und Familie zu bemerken ist. Dieses menschliche Dilemma hat sicherlich mehrere ursächliche und bedingende Faktoren, jedenfalls dürfte das Hauptproblem aber nicht auf der Einstellungsebene liegen, sonst gäbe es ja dieses nicht. Das würde bedeuten, daß die zweifellos erforderlichen Maßnahmen auf gesellschaftlicher Ebene nicht bei den Idealen anzusetzen brauchten. Dies zu tun, würde die Gefahr erhöhen, daß Ehe und Familie zunehmend als Ideal gesehen werden, das im Lebensalltag aber nicht verwirklichbar ist, ausgenommen für einige wenige vielleicht.

Die Sehnsüchte sind ungebrochen vorhanden. Ihre Verwirklichung in der gemachten Welt im Lebensalltag scheint immer mehr Zusatzmotivation zu benötigen, weil es an Stützmechanismen fehlt. Hier gibt es für die Politik ein reiches Betätigungsfeld: Dabei geht es nicht um Familienförderung, auch wenn es dafür gute Gründe gibt, sondern Wahlfreiheit, Chancengleichheit und soziale Gerechtigkeit. Dazu gehört die Gleichwertigkeit von Familientätigkeit mit Berufstätigkeit und den daraus zu ziehenden Konsequenzen.

Der Autor ist Direktor des Instituts für Ehe und Familie in Wien, einer Gründung der Österreichischen Bischofskonferenz.

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