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Im Streß zwischen Eltern und Enkeln

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Welche Probleme haben Senioren heute? Langeweile sollten sie nicht kennen. Einerseits werden die Familienverhältnisse komplizierter, anderseits die Freizeitangebote reichhaltiger.

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Welche Probleme haben Senioren heute? Langeweile sollten sie nicht kennen. Einerseits werden die Familienverhältnisse komplizierter, anderseits die Freizeitangebote reichhaltiger.

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In den letzten 50 Jahren haben sich die Familienverhältnisse radikal verändert. Das betrifft unsere Senioren in besonderem Maße, nicht zuletzt aufgrund der rasanten technischen Entwicklung, sondern auch durch die ständig steigende Zahl von Scheidungen ihrer Nachkommen.

Wenn die erwachsen gewordenen Kinder den Familienhaushalt verlassen, haben die zurückbleibenden Eltern aufgrund der gestiegenen Lebenserwartung heute statistisch gesehen noch zirka 20 Jahre gemeinsamen Lebens vor sich. Einzelne Elternteile werden noch älter. Dadurch erleben sie weit öfter als frühere Generationen ihre Urenkel, ja ihre Ururenkel. Verwandtschaftsfamilien mit vier, fünf Generationen sind keine Seltenheit. Die Familie ist in die Höhe gewachsen, ist sozusagen „vertikal” geworden, auch wenn sie in der gleichen Generation meist weniger Kinder zählt. Diese Tatsache bezeichnen amerikanische Soziologen als „Bohnenstangen-Familie”.

In dieser neuen Situation müssen die nun „übereinanderliegenden” Generationen ein neues Verhältnis zueinander finden. Neue Probleme und Gegebenheiten sind zu lösen. Eine Neuordnung der Beziehungen zueinander wird durch die Tatsache erschwert, daß heute Alte und Junge kaum mehr in einem Haushalt leben. Die Großfamilie von früher ist fast kaum mehr vorhanden. In ihr waren Senioren nie einsam. Aber auch die Großfamilie von einst sollte man nicht romantisch verklären. Oft genug waren die Großeltern so dominierend, daß sich Sohn und Schwiegertochter nie ganz selbständig entfalten konnten, und die Pflege der Alten wurde nicht selten eher schlecht als recht erbracht.

Geändertes Leben, geänderte Werte

In unserer modernen Industriegesellschaft zwingen die Wohnverhältnisse die einzelnen Generationen der Familie dazu, in verschiedenen Haushalten zu leben. Im ländlichen Raum fördert die berufliche Mobilität das Abwandern der Jungen. Während die Generation der Väter in den fünfziger und sechziger Jahren noch das unangenehme Los von Tages- beziehungsweise Wochenendpendlern auf sich genommen hat, sind die Ansprüche der Jüngeren heute gestiegen. Sie suchen für ihre Familie am Arbeitsort eine Wohnung. Die Alten bleiben nicht selten im Dorf zurück. Telefon und Auto ermöglichen zwar eine „Intimität auf Distanz”, das wird aber sicher zu wenig sein, wenn altgewordene Eltern Hilfe und Pflege brauchen.

Getrennte Haushalte können für das gute Verhältnis von jung und alt sicher ein großer Vorteil sein. Wünschenswert wäre nur, daß sie nicht allzu weit auseinander liegen. Dann können im Redarfsfall die Großeltern auf die Enkelkinder aufpassen und die Jungen können sich um die Senioren kümmern.

Was das Miteinander der Generationen heute auch oft erschwert, sind die geänderten Lebensbedingungen und Werthaltungen, die sich in letzter Zeit sehr stark verändert haben. Während unsere Urgroßeltern noch ohne Elektrizität aufwuchsen, unsere Großeltern noch unter Aufregung zum Telefonhörer griffen, spielen die Enkel unserer Tage ganz selbstverständlich mit dem Computer.

Die Großeltern wurden zum Sparen erzogen, sie tätigten ihre Anschaffungen nur mit vorhandenem Geld. Die Enkel leisten sich drei Wochen Urlaub in Griechenland, auch wenn sie beträchtliche Bankkredite zurückzuzahlen haben.Dazu kommt, daß heute ganz andere Erziehungsstile angewendet werden, die mit denen der älteren Generation fast nichts mehr gemeinsam haben.

Arg empfinden die Älteren auch sehr oft die Moral der Jungen. So läßt die eigene Tochter den Enkelsohn einfach mit der Freundin auf Urlaub fahren, die andere Enkelin lebt mit einem Studenten zusammen, unverheiratet, obwohl sie bereits ein Kind miteinander haben.

Die Spannung steigt noch einmal, wenn die Großeltern religiös sind und sehen müssen, daß die Jungen nicht in die Kirche gehen, eventuell ihr Kind gar nicht taufen lassen und so weiter und so weiter.

Spannungen im Zusammenhang mit Werthaltungen werden umso schmerzlicher erlebt, je näher sich die Jungen und Alten stehen. Leben sie im gleichen Haus, so wird mehr kritisiert und Konfliktstoff angereichert, als wenn sie nur fallweise zusammenkommen.

Jahrhundertelang haben die Jungen von den Alten gelernt. Diese Vorstellung lebt noch in den Großeltern und Urgroßeltern. Die rasante Entwicklung unserer Zivilisation hat es jedoch mit sich gebracht, daß die Jungen längst von Gleichaltrigen lernen, auch in Dingen, in denen eher die Erfahrung des Alters zählt oder zählen sollte. Heute gibt es Bereiche, in denen es genau umgekehrt ist, da müssen die Alten von den Jungen lernen, ich denke da an den Bereich der Technik und Elektronik! . Trotz der neuen Entwicklung der Familie erweisen sich die verwandtschaftlichen Beziehungen der sogenannten „Bohnenstangenfamilie” in der Regel als gut und widerstandsfähig. Das Bewußtsein, daß sich erwachsene Kinder um ihre altgewordenen Eltern kümmern sollen, ist nach wie vor vorhanden. Die Hilfeleistungen sind aber nach wie vor wechselseitig. Sie gehen nicht nur von den Jüngeren zu den Älteren, sondern auch umgekehrt.

Eltern und Kinder versorgen

Durch die Mithilfe der Großeltern, durch ihre finanziellen Zuschüsse wird den Jungen oft erst die Lebensführung ermöglicht, die sie sich selbst wünschen. Natürlich bedeutet die Pflege der Senioren für die Jüngeren oft eine große Belastung. Die trifft am meisten Frauen der mittleren Generation. Früher war es so, daß, kaum waren die Kinder versorgt, bereits die alten Eltern zu pflegen waren. Heute müssen Frauen oft gleichzeitig die alten Eltern versorgen und auch auf die Enkelkinder schauen.

Nach wie vor ist die Familie eine wichtige Funktionsträgerin von Hilfe und Unterstützung in Krisensituationen. Durch das Leben in verschiedenen Haushalten, durch die Möglichkeit von Fremdhilfen bei der Kinderbetreuung und bei der Altenpflege kann es aber auch leichter zu Entfremdung und Entsolidarisierung kommen. Sehr auffällig zeigt sich das bei den heute oft sehr verworrenen Familienverhältnissen durch Scheidung und Wiederheirat. So ist es heute gar nicht selten, daß ein Kind nicht nur zwei Kinderzimmer, sondern sechs und mehr Großeltern hat.

Zwei Kinderzimmer, sechs Großeltern

In den „neuen” Familien gibt es nicht selten zwei Schwiegertöchter oder zwei Schwiegermütter. Es tut sich hier ein Neuland im Bereich der menschlichen Beziehungen auf, in dem es gilt, sich mit den neuen Problemen und Aufgabenstellungen vertraut zu machen und zu lernen, diese zu bewältigen. Die geänderte Welt bietet aber auch eine Vielzahl von Aktivitäten und Kontaktmöglichkeiten für Senioren an.

Anläßlich einer vom Bundesministerium für Jugend und Familie im September dieses Jahres organisierten Enquete mit dem Titel „Älter werden lohnt sich ” wurde eine Reihe von Mo -dellen vorgestellt, die ein aktives und erfülltes Alter ermöglichen und mit Sinn erfüllen können. Hier einige Beispiele:

■ Am Institut für Humanbiologie der Universität Wien wird gemeinsam mit dem BFI ein sechssemestriger Lehrgang mit dem Arbeitstitel „Der Mensch im Mittelpunkt” angeboten. Die Lehrinhalte sind biologisch orientiert und werden von Senioren seit nunmehr bereits zwölf Jahren gern in Anspruch genommen. Die Kurse finden zweimal in der Woche jeweils zwei Stunden statt. Horst Seidler lobt die Lernfähigkeit und Gewissenhaftigkeit seiner Hörer, die fast nie krank sind, Kuren und Urlaube nach den Vorlesungszeiten einrichten. Auskunft: Institut für Humanbiologie Tel.: 313-36/1389.

■ „Rent a Rentner” ist eine von der Rundesgeschäftsstelle der Jungen Wirtschaft Österreich eingerichtete Vermittlungsbörse, die Jungunternehmer mit pensionierten Führungs-kräften zusammenbringt. Die Idee die dahinter steckt ist, daß Erfahrungen und Kontakte erfahrener Manager jungen Unternehmern oft fehlen. Alfons Helmel, der Bundesgeschäftsführer der Jungen Wirtschaft Österreichs, stellt beiden Seiten eine Kartei zur Verfügung, damit Praxis- und Erfahrungsaustausch stattfinden können. Fragebögen können mit einem formlosen Schreiben unter der Telefonnummer 0222/501-05-3225 DW angefordert werden.

■ Eine ähnliche Zielsetzung hat ASEP (Austrian Senior Experts Pool), die das Wissen und Können emeritierter Fach- und Führungskräfte durch Beratungseinsätze nützt. Die Aufgaben werden vor allem für Entwicklungsländer sowie für die Reformländer benötigt. Hier werden Vergütungen und Ersatz sämtlicher mit dem Einsatz in Zusammenhang stehender Aufwendungen gewährt. ASEP steht mit den in aller Welt tätigen Senior-Expert-Services (SES) in Verbindung. Auskunft: Montag, Mittwoch, Freitag von 9-12 Uhr unter der Telefonnummer 43/1/711 35/2423 (1031 Wien, Schwarzenbergplatz 4).

Wo Senioren aktiv werden können

■ Wer mehr an mitmenschlichen, familiären Kontakten Interesse hat, findet reiche Betätigungsmöglichkeit im Service des Katholischen Familienverbandes namens „Oma-Dienst”. Hier werden laufend Aufsichtspersonen für Familien mit Kindern gesucht. Wünsche und Vorstellungen von seiten der Familien und der Frauen, die sich noch betätigen wollen, werden durch die Service-Stelle geprüft und koordiniert. Ein Anerkennungsentgelt von zirka 70 Schilling pro Stunde und keine Haushaltsarbeiten sind Grundbedingung für die Vermittlung. Vermittlungsadresse: 1160 Wien, Friedrich-Kaiser-Gasse 94, Tel.: 46 89 08 oder 46 36 68, Montag bis Freitag von 9-12 Uhr.

■ Wer Bewegungstraining und Kontakte sucht, findet beides beim „Seniorentanz”, der in sämtlichen Wiener Bezirken angeboten wird. Tanzen steigert nicht nur die geistige und körperliche Gesundheit, es bietet auch

'Gemeinschaft und eine Steigerung des Selbstbewußtseins älterer Menschen an. Kontaktadressen sind erhältlich über die ARGE Seniorentanz Wien: 1238 Wien, Valentingasse 24 (Frau Ilse Soukup), Tel. 88 92 338 (früh und abends), oder Frau Hertha Gotsche, Tel.: 406 26 88 (früh und abends).

■ Die „Arche Noah” unter Leitung von Friedrun Pleterski sieht ihre Aufgabe in der Erhaltung von Kulturgütern, Naturreservaten, Kulturpflanzen und Kulturlandschaften. Die Mitarbeit erfahrener älterer Menschen wird gefragt und gesucht. Wer sich für diese freiwillige Tätigkeit interessiert, erfährt Näheres unter der Wiener Telefonnummer 408 36 51 beziehungsweise 406 83 99.

■ Wer einfach Kontakt zu anderen älteren Menschen sucht, dem stehen monatliche Treffen im Hotel Hilton am Stadtpark zur Verfügung. Organisiert und betreut werden diese von Frau Friederike Rittersmann, Telefon 332 45 70.

Für Frauen ab 55 und Männer ab 60 Jahre bietet das ÖAMTGFahr-technikzentrum unter dem Kennwort „Seniorenkurs” Fahrtechnik- und Si-cherheitstrainings-Tage an. (Preis: öS 600,-) Auskunft über Termine in A-2524 Teesdorf, ÖAMTC-Fahrtech-nikzentrum.

Wer neue Initiativen setzen will und an einem Brückenschlag zwischen den Generationen mitarbeiten will, kann dies über EURAG Österreich, 1170 Wien, Curlandgasse 22/22, Tel.: 48 90 936.

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