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V. Unsere Schulkinder und die Freizeit

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Das gute Buch beginnt sich langsam durchzusetzen. Trotzdem ist auf diesem Gebiete noch viel Aufklärungsarbeit notwendig.

Daß die Geschäftsleute zu den geistig regsamsten Bevölkerungsschichten zählen, geht auch aus den Bücherentlehnungen hervor, denn ihre Kinder kommen gleich nach den Kindern von Akademikern und Maturanten. An 3. Stelle stehen die Bauernkinder. Man liest zwar gerne, scheut aber oft die Geldausgaben für den Ankauf von Büchern. Die Buchentlehnungen der Kinder der übrigen Berufsstände bewegen sich zwischen 20 und 33,8%. Der Buchklub der Jugend hatte bereits große Erfolge, doch müßte noch mehr als bisher für das gute Buch geworben werden. Noch wertvoller und erfolgreicher wäre es, wenn die führenden Männer der einzelnen Berufsstände einen Aufklärungsfeldzug für das gute Buch starten würden und sich für die Errichtung von Dorf- und Gemeindebüchereien einsetzten. Auch der Ausbau der Schulbüchereien ist dringend notwendig. Am besten auf Landes- bzw. Bundesebene.

Daß auch in bäuerlichen Kreisen mehr Bücher gekauft werden, zeigen uns die häufigen Büchergeschenke, die die Bauernkinder in der Umgebung Wiens bekommen; dort betragen sie bereits 40%, während sie inr Weinviertel 20%. im Mostviertel 14,3%, im Industrieviertel 10,8% und im Waldviertel nur 9% betragen.

Die Musikpflege liegt in vielen Dörfern sehr im argen. Es lernen nur noch wenige Kinder ein Musikinstrument, so daß der Bestand der Musikkapellen in der Zukunft in Frage gestellt ist. Am besten steht es noch in den Städten und Märkten, weil dort noch Musiklehrer vorhanden sind. Ein Musikinstrument lernen die Kinder von:

Die Kinder von Weinhauern erlernen häufiger aus praktischen Erwägungen heraus ein Musikinstrument Heurige!. In der Umgebung Wiens sind es 27,2% und im Weinviertel 16,1%.

Aehnlich ist es auch mit dem Singen. Von zehn Schulkindern singen im Durchschnitt nur vier bis fünf zu Hause Schul- und Volkslieder. Für das Volkslied besteht die größte Gefahr, daß es vom modernen Schlagerlied verdrängt wird, denn es singen bereits Schlagerlieder Kinder von:

Der Radioempfang schwankt zwischen 46 und 73%. Am wenigsten hören die Kinder von:

Hingegen hören sehr häufig die Kinder von Hilfsarbeitern, Facharbeitern, Geschäftsleuten, von Angehörigen freier Berufe 72% und Angestellten 73.1 %. Es gibt aber auch Kinder, bei denen zu Hause kein Rundfunkgerät vorhanden ist, zum Beispiel in jeder 8. Familie eines Rentners Kriegerwitwe, jeder 10. Familie eines Angehörigen freier Berufe, jeder 14. Familie eines Hilfsarbeiters, jeder 17. Familie eines Bauern, jeder 25. Familie eines Angestellten und jeder 30. bzw. 50. Familie der übrigen Berufskreise.

Das Fernsehen übt, wie die obenstehende Tabelle erweist, einen besonderen Reiz auf unsere Schulkinder aus.

Ungemein groß ist die Zahl der Schulkinder, die bei Schulausflügen, Wallfahrten oder Gesellschaftsreisen in andere Bundesländer kommen. Im Durchschnitt sind von zehn Schulkindern sechs bis sieben bereits in einem anderen Bundesland gewesen.

In einem anderen Bundesland Wien waren die Kinder von:

Leider kennen in vielen Schulklassen die Kinder wohl etwa Salzburg, wissen aber nur wenig von der nächsten Umgebung der Heimat. Heimatkundliches Erwandern wäre dringend geboten, besonders in Schulen mit vorwiegend nichtbäuerlichen Kindern.

Die Streusiedlungslage und die oft recht ungünstigen Empfangszeiten erlauben es vielen Bauernkindern nicht, an Fernsehsendungen teilzunehmen. Das gleiche gilt auch für den Besuch von Kinos und Sportveranstaltungen.

Auffallend gering ist die Zahl der Bauernkinder, die ins Ausland kamen. Nur langsam setzt sich auch bei den Bauern die Sitte durch, auf einige Tage in den Urlaub zu fahren.

Die Reisen sind für den Unterricht wertvoll: sie erweitern den geistigen Horizont. Besonders im Gebirge und in den Streusiedlungen trifft man noch Schüler an, meist sind es solche der Unterstufe, die mit den Eltern noch keine Reise Wallfahrt gemacht haben; vereinzelt findet man sogar noch Kinder, die noch nie mit der Eisenbahn gefahren sind.

Zu allen Zeiten wurde von den Erwachsenen über schlecht erzogene Kinder geklagt. Die Gegenwart hat aber daraus ein Schlagwort gemacht. Die vielen Nörgler legen aber nie Rechenschaft ab, ob nicht auch zu ihrer Kinder- und Jugendzeit ähnliche Verhältnisse herrschten. Die Lehrpersonen des Landes Niederösterreich stellten fest, daß jedes siebente Kind im Durchschnitt oder genauer 14,5% schlimm bzw. mangelhaft erzogen ist. Meistens liegen fehlerhafte Erziehungsmethoden vor, manchmal ist auch erbliche Veranlagung schuld.

Dort, wo Vater und Mutter einer Beschäftigung nachgehen, ist der Prozentsatz jener Eltern, die sich um die Erziehung der Kinder wenig kümmern, oft hoch, doch kann man keine Regel aufstellen, da es gerade hier sehr viele Ausnahmen gibt, wie aus der Uebersicht zu ersehen ist. Bei vielen Doppelverdienern müssen die Kinder sehr früh zu selbständigem Handeln erzogen werden. Diese Tatsache bringt viel Gutes. Die Kinder werden für den Lebenskampf gut vorbereitet, aber die Gefahren sind meistens größer. „Müßiggang ist aller Laster Anfang", heißt ein altes Sprichwort, und wenn in der Erziehung viele Fehlschläge vorkommen, so sind sie auf dieses Konto zu buchen.

Der Hauptgrund, warum sich die Eltern um die Erziehung der Kinder wenig kümmern, ist in erster Linie im Verfall des Familienlebens zu suchen. Weiter schaffen noch Arbeitsüberlastung, Ermüdungserscheinungen und Nervosität ein ungünstiges Erziehungsklima. Das richtige Erziehungsklima ist nur dort zu finden, wo die Eltern die Kinder mit Liebe, Geduld und Gerechtigkeit erziehen. Viele „finden hierzu keine Zeit“ mehr: die Verlockungen der „Vergnügungsindustrie“ sind zu groß …

Beängstigend hoch ist der Prozentsatz der Doppelverdiener. Da und dort reicht der Verdienst des Vatörs nicht aus, um eine Familie ernähren zu können. Viele aber wollen möglichst rasch einen hohen Lebensstandard erreichen. Nur der Doppelverdiener kann sich leichter ein Auto, einen Kühlschrank, ein Fernsehgerät und eine moderne Wohnung anschaffen und sich außerdem noch eine Urlaubsreise gönnen. Soziologen, denen das Wohl der Familien am Herzen liegt, fordern schon seit langem den gerechten Familienlohn und die halbtagsweise Beschäftigung der Mütter in der Wirtschaft.

Trotzdem steht es mit der Erziehung der Kinder nicht so schlimm, wie es oft dargestellt wird. Vor allem hat man bei aller Kritik immer die Lage in der Großstadt im Auge. Der niederösterreichische Landesdurchschnitt weist 33% sehr gut, 52,4% gut und nur 14,5% mangelhaft erzogene Kinder auf. Die Akademiker und Maturanten erblicken in der Erziehung ihrer Kinder eine ihrer Hauptaufgaben, denn fast 68% ihrer Kinder sind sehr gut erzogen, und nur jedes 26. Kind, das sind 3,8%, aus diesen Kreisen weist eine mangelhafte Erziehung auf. Dann folgen die Kinder von:

80% aller Eltern halten ihre Kinder schon frühzeitig zu häuslichen Arbeiten an, ausgenommen die in freien Berufen schaffenden Eltern und die Bauern in der Bannmeile Wiens, die nur zu 65 bzw. 58,6% ihre Kinder zu häuslichen Arbeiten heranziehen. Im Bauernhaus wird im Durchschnitt nur jedes 25. Kind von den Eltern und besonders von den Geschwistern bedient. Die Kinder, die keinen Pflichtenkreis haben und mit der Freizeit nichts anzufangen wissen, lungern auf den Straßen und Plätzen.

Leider müssen 17.9% aller Bauernkinder schwer arbeiten, so daß sie an ihrer körperlichen Entwicklung Schaden leiden. Im Mostviertel sind es sogar 23%, und in manchen Berggemeinden, wo die Not an landwirtschaftlichen Arbeitskräften sehr groß und der Einsatz von landwirtschaftlichen Maschinen gering ist, werden oft schon die Kinder der Unterstufe zu schweren Arbeiten herangezogen. Da es keine reinen Bauerndörfer mehr gibt und diese Kinder schon früh an ihrem eigenen Körper die schwere Last der Bauernarbeit zu verspüren bekommen, wird in den Kindern aus den Kreisen der Kleinbauern der feste Entschluß reif, kein Bauer und auch kein Landarbeiter zu werden. Diese Kinder sehen, daß es die Kinder von Angehörigen anderer Berufsschichten weit besser haben, denn nur jedes 20. Kind eines landwirtschaftlichen Arbeiters und nur jedes 30. beziehungsweise 40. Kind von Angehörigen anderer Berufsschichten wird ebenfalls zu schweren Arbeiten herangezogen. Viele landwirtschaftliche Arbeiter und Kleinbauern fordern immer wieder ihre Kinder auf, einen leichteren Beruf zu ergreifen. Die Besitzer zahlreicher lebensunfähiger Zwergwirtschaften haben sich in den letzten Jahrzehnten um einen anderen Beruf umgesehen und vielfach ihr Haus oder ihre Gründe verkauft, so daß in der Großstadtsphäre Wiens viele Wirtschaften verschwunden sind.

Heute gibt der Traktor und der Motor den Arbeitsrhythmus an, bereits die vorschulpflichtigen Kinder kennen sich mit dem Schalten des Traktors gut aus. Das Verhältnis zu den Haustieren hat sich geändert, das Interesse für Pferde hat stark nachgelassen. Von den Bauernkindern, die zu Hause einen Traktor haben, dürfte es nur noch wenige geben, die nicht fahren können; in der Umgebung Wiens sind es 27,5%, im Waldviertel 23,8% und im Mostviertel 23 %! Alle Fragen, die mit Maschinen Zusammenhängen, erwecken das Interesse der heutigen Bauernjugend. Sie betrachtet mit Stolz ihre Maschine, die ihr viel Arbeitskraft und Schweiß ersparen hilft. Man kann überall die Beobachtung machen, daß im Maschinenzeitalter ein neues, gesundes bäuerliches Berufsethos im Entstehen ist.

Viele Klagen über die Kindererziehung würden sofort verstummen, wenn ein gesundes Familienleben vorhanden wäre und wenn die Schulkinder einen kleinen Pflichtenkreis an häuslichen Arbeiten zugewiesen erhielten, der sie vor dem Nichtstun und vor den Gefahren der Straße bewahrt.

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