Was aus den Kindern morgen werden kann

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Die Internationale Pädagogische Werktagung vom 17. bis 21. Juli in Salzburg widmet sich ganz dem Thema "richtige" Erziehung - für die meisten Eltern inzwischen ein höchst anstrengender Balanceakt.

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Die Internationale Pädagogische Werktagung vom 17. bis 21. Juli in Salzburg widmet sich ganz dem Thema "richtige" Erziehung - für die meisten Eltern inzwischen ein höchst anstrengender Balanceakt.

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Die kleine Lena ist zufrieden eingeschlafen, mit dem Bären im Arm. Jetzt, nach dem ausgiebigen Zubettgeh-Ritual schließt ihr Vater - wie millionenfach Mütter und Väter - sachte (im Idealfall!) die Kinderzimmertür ...

Immer häufiger stellen sich Eltern abends die Frage, ob sie ihre Kinder wohl auch weitsichtig auf ihr späteres, eigenständiges Leben vorbereiten. Was kommt auf Lena in Zukunft zu? Ist es richtig, ihr Bilderbücher über Freundschaften vorzulesen, behält dieser Wert auch später Gültigkeit? Welche Bildungspolitik erwartet die Kinder, mit welcher Frauenpolitik muss Lena später zurecht kommen? Jetzt sorgt der 5-jährige Moritz noch für seine kleine Katze; wird er so bleiben, werden die Lebensumstände so bleiben, dass sich Moritz Werte wie Treue und Fürsorge "leisten" kann?

Mütter, Väter, KindergärtnerInnen, LehrerInnen und PädagogInnen pendeln - wie schon Generationen vor ihnen - in ihrer alltäglichen Erziehungsarbeit zwischen Besorgnis und Unsicherheit einerseits und Vertrauen und Hoffnung andererseits. Bereiten wir die Kinder "richtig" auf das Leben vor? Sind wir noch glaubhafte, kompetente Vorbilder, denen Kinder vertrauen können? Ein Balanceakt, der anstrengend ist und der Entlastung braucht.

Die heurige, 49. Internationale Pädagogische Werktagung, findet vom 17. bis 21. Juli 2000 in der Großen Aula der Universität Salzburg statt und widmet sich dieser Gratwanderung der Pädagogik. Diese im deutschen Sprachraum in ihrer Konzeption einzigartige Veranstaltung ist eine geschätzte Station zum Auftanken und des Austausches, an der jährlich etwa 1.000 PädagogInnen und an Pädagogik Interessierte teilnehmen. Die Internationale Pädagogische Werktagung steht heuer unter dem Motto "Was kommt auf uns zu? Erziehen zwischen Sorge und Zuversicht". Vorträge und Werkkreise bieten kompetente Informationen, fruchtbringende Diskussionen vielschichtige Anregungen, kühne Visionen und heilsame Bestärkungen. Es geht um Standortbestimmungen, viele "Wohin" wollen geklärt und besprochen werden, "Angst" ist Thema mehrerer Arbeitskreise.

Den Eröffnungsvortrag von Universitätsprofessor Jürgen Zimmer trägt den Titel: "Die Verbesserung Mitteleuropas - vom Kinde aus. Oder: Wie es sein würde, wenn Kinder als Erwachsene das täten, was sich ReformpädagogInnen immer schon gewünscht haben." Die Furche sprach mit ihm in Berlin: Die Furche: Welche Visionen, helle wie dunkle, entwerfen Sie vom Erwachsenen aus?

Professor Jürgen Zimmer: Ich nehme Sie mit auf eine Zeitreise - Deutschland im Jahr 2048: Die ökonomische Festung Europa ist durch den auffrischenden Wind des Weltmarktes abhanden gekommen. Mehr als eine Milliarde LateinamerikanerInnen, AsiatInnen und AfrikanerInnen haben den Lebensstandard der Europäer erreicht und Deutschland ist zu einem "Gartenzwergland" geworden. Es hat seine Schlüsselindustrien - Stahl-, Kohle, Eisen, Auto- und Chemieindustrie verloren. Trachtenkapellen warten am Frankfurter Flughafen, empfangen die Touristenmassen aus dem Süden und beginnen, ihnen die Wünsche von den Augen abzulesen und sind rund um die Uhr im Dienst am Kunden aus aller Welt. Auch die Bauern in Vorarlberg sind von internationalen Hotelketten unter Vertrag genommen und schicken ihre Kühe als Kulisse weiterhin auf die Weide ... Hiermit will ich zeigen, was wird, wenn sich Europa sozusagen ohne Phantasie dem Weltmarkt aussetzt und keine eigenen Visionen entwickelt. Was dann übrig bleibt? Der Freizeiteuropäer.

Die Furche: Welche Visionen haben Sie vom Kinde beziehungsweise von erfolgreicher Reformpädagogik aus gesehen?

Zimmer: Eine zweite Zeitreise, wieder Deutschland; Kinder, die die reformpädagogischen Prinzipien spüren, machen damit Ernst, beginnen ihre Erkenntnisse umzusetzen. 14. September 2000 im Allgäu: Kinder eines reformierten Kindergartens, der integrationsorientiert arbeitet, wechseln in die Grundschule und sitzen nun in einem öden Klassenzimmer. Die Lehrerin besteht darauf, dass alle Kinder still sitzen und keine selbstständigen Projekte durchführen. Die Kinder legen ihre Schultüten weg und verwandeln nun die ganze Schule in eine Forschungsstation,in eine Lernwerkstatt mit Cafe. Sogar CNN berichtet nun live über diesen Aufstand: Kinder in Mitteleuropa verwandeln Schulen in Labors selbstgesteuerten Lernens. 2006: Erwachsene stellen fest, dass die Kinder gute Menschen sind. Sie schützen Schwächere, sie diskriminieren Andersartige nicht, überziehen Mitmenschen nicht mit Häme, treten nicht nach Unten, streben Versöhnung an, sind friedfertig und verantwortlich gegenüber natürlichen Ressourcen. Die Kinder halten also den Erwachsenen den Spiegel vor.

2049: Mitteleuropa hat sich gewandelt. Es ist eine multikulturelle, friedfertige Gesellschaft geworden. Die politischen Klassen der Vergangenheit haben sich aufgelöst, es gibt keine Seilschaften mehr. Es gibt auch nicht mehr links und rechts, sondern nur noch kreuz und quer. Politiker sind zugleich Künstler beziehungsweise umgekehrt. Die Mitteleuropäer gelten nun als offen, warmherzig, dialogfähig; sie sind Meister in intelligenter Bescheidenheit. Sie haben langlebige, einfache ökologische Produkte geschaffen: die Hose, den Fotoapparat, das Auto ... In Mitteleuropa gäbe es dann den sparsamen Umgang mit den natürlichen Ressourcen, Nachbarschaften werden wieder entdeckt. All dies haben die Kinder bewirkt: wie Millionen kleiner Asterixe, die den Zaubertrank des Druiden tranken.

Die Furche: Wie arbeiten ReformpädagogInnen konkret?

Zimmer: Es gibt Prinzipien, man kämpft darum, sie wirklich einzulösen, im eigenen Handeln zu verwirklichen. Zu den Prinzipien gehört eben die Verbindung von Lernen und dem wirklichen Leben, die Verbindung von Eigensinn und Gemeinsinn ...

ReformpädagogInnen sind keine Besserwisser, sie verstehen sich als AssistentInnen der Kinder auf einer Entdeckungsreise. Die Kinder eignen sich die Welt an und diese Aneignung der Welt führt zu sehr vielen Fragen. Gute PädagogInnen erleichtern hier den Kindern das Fragen. Wenn ich als Kind eine Situation bewältigen will, brauche ich Wissen, brauche Kompetenzen. PädagogInnen zeigen mir dann, wo und wie ich diese Kompetenzen selber erwerben kann. Der Unterschied zu konventioneller Schulpädagogik besteht darin, dass hier das Lernen von Schlüsselproblemen ausgeht. Ein Beispiel: Was muss ein Kind auf einer Nordseeinsel beachten, das ein Windrad zur Stromerzeugung konstruieren will? Woher beschafft sich das Kind die Informationen?

Wir lernen im Leben immer an Problemstellungen und sammeln dabei das Wissen, das wir brauchen, um diese Probleme zu lösen. Hier werden die PädagogInnen zu Mitforschern, sie sind nicht die Besserwissenden, sie sind BegleiterInnen und müssen oft eigene Wissenslücken eingestehen.

Die Furche: Wenn von kompetenten Menschen die Rede ist, die Kinder beim Forschen unterstützen und anregen, fallen einem die Großeltern ein. Welche Rolle spielt diese Generation in der Reformpädagogik?

Zimmer: Ich halte viel von der Einbeziehung der Groß- und Urgroßeltern. Sie verfügen über einen so reichen Schatz an Erfahrungswissen, der sonst verloren ginge. Wie hat man früher einen Zaun gemacht? Wie konservierte man die Lebensmittel? Welche Spiele und Lieder kennen die Großeltern ... Der reformierte Kindergarten arbeitet oft unter Einbeziehung der Großeltern, oft schon der Urgroßeltern: die kommen dann in den Kindergarten beziehungsweise in die Schule, spielen mit den Kindern alte Spiele, erzählen von früher.

Universitätsprofessor Jürgen Zimmer, Jahrgang 1938, ist Ordentlicher Professor an der Freien Universität Berlin für die Fachbereiche Erziehungswissenschaften und Psychologie; Gründer des Institutes für Interkulturelle Erziehung und Bildung, Mitarbeiter in zahlreichen Gremien, u. a. Deutsche UNESCO-Kommission, u. a. auch Gründer und Direktor der Intern. Akademie an der Freien Universität Berlin.

HINWEIS Informationen und Anmeldung zur Internationalen Pädagogischen Werktagung: Katholisches Bildungswerk, Kapitelplatz 6, A-5020 Salzburg. Telefon 0043-662-8047-511, Fax 0043-662-8047-522. Internet:www.kirchen.net/ka/pwt

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