Und was ist mit den Kindergärten?
Elementarpädagogische Einrichtungen gehören zur kritischen Infrastruktur – führen aber ein Stiefkinddasein. Ein Gastkommentar über einen bildungspolitischen Irrweg.
Elementarpädagogische Einrichtungen gehören zur kritischen Infrastruktur – führen aber ein Stiefkinddasein. Ein Gastkommentar über einen bildungspolitischen Irrweg.
Krippe, Kleinkindgruppe, Kindergarten, Hort – also alle Elementaren Bildungseinrichtungen (EB) – werden in Sonntagsreden oder am kommenden Tag der Elementarpädagogik am 22. Jänner von Politikern und Politikerinnen als essenziell beschrieben. Dennoch sind diese Statements nur Lippenbekenntnisse: Sobald es um die Bereitstellung notwendiger Finanzen, Ressourcen, Wertschätzung, Respekt – oder wie aktuell um den Gesundheitsschutz – geht, zeigen sich die Verantwortlichen weniger verbindlich. Pädagoginnen (nur 0,9 Prozent der Belegschaft sind männlich) haben sozial und liebevoll zu sein. Forderungen sind unerwünscht. Und das Kindeswohl? Auch Nebensache. Die Eltern wiederum werden als (zahlende) Kundinnen gesehen, die berechtigte Ansprüche stellen können – oder auch nicht.
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Ich beschreibe eine Situation, die nicht neu ist. Aber Corona hat sie sichtbarer gemacht. Wie in den vergangenen Lockdowns sind Elementare Bildungseinrichtungen erneut auf sich gestellt. Mit relevanten Informationen versorgt man sie unzureichend, und auch eine einheitliche Regelung gibt es nicht. Etwa wie der Notbetrieb – für alle, „die es brauchen“ – konkret aussehen soll. Welches Kind darf kommen und welches nicht? Darf überhaupt eines kommen oder jedes? Und wer entscheidet das?
Reduktion zur Aufbewahrungsstätte
Gerne wird vergessen, welche wesentliche Rolle Kindergärten, Horte und Co. für die Bildungsbiografie eines Kindes spielen: Sie gehen dort ihre ersten außerfamiliären Bildungsschritte! Auch jenen, die sich weniger für das Vorankommen der Jüngsten interessieren als für die Wirtschaft, sei gesagt: Ein gut ausgebauter Elementarbildungsbereich stärkt genau die. Auf lange Sicht. Ganz zu schweigen von der gesamt gesellschaftlichen Stabilität. Einschlägige Einrichtungen sind viel mehr als Aufbewahrungsstätten für erwerbstätige Mütter und Väter, auch wenn sie in öffentlichen Debatten oftmals darauf reduziert werden.
Eine Frau mit einem großen Herzen und zwei gesunden Händen – viele Politiker glauben bis heute, dass es für den Elementarbereich nicht mehr an Kompetenz braucht.
Die Systemrelevanz der EB kam bisher in keiner pandemiebekämpfenden Maßnahme zu tragen. Bedacht wurden die Bildungsorte Schule und Universität, die Wörter „Kindergarten“ oder „Elementarpädagoginnen“ kamen in der Krisenkommunikation aus so gut wie keinem bundespolitischen Mund. Und wenn, dann nur auf Nachfrage. Dass der Bildungsminister bei den Testungen tatsächlich das „Kindergartenpersonal“ erwähnt und berücksichtigt
hat, ist ein Ausnahmefall, der die Regel bestätigt. Freilich blieb auch hier bis zuletzt unklar, wer die Tests umsetzen soll oder dafür verantwortlich ist. Überhaupt bleiben vielfach Ungewissheit und Unübersichtlichkeit.
Auch die Frage, wie es Pädagoginnen und Assistentinnen mit Mund-Nasen-Schutz halten sollen, ist offen. Einerseits ist Alltagsmaske (genau wie Abstand halten) in der Praxis mit Kleinkindern quasi unmöglich, andererseits sind die Mitarbeiterinnen dem Virus und seinen Mutationen schutzlos ausgeliefert. Jede Ordinationsgehilfin ist besser vor einer potentiellen Ansteckung geschützt. Aber für sie gilt es auch nicht, eine Beziehung zum Patienten aufzubauen. In der Elementarbildung dagegen ist das ein, wenn nicht der Grundpfeiler. Weiter wird geraten, auf Desinfektionsmittel zu setzen. Soll das angesichts des Infektionsgeschehens der Weisheit letzter Schluss sein? Auch der Hinweis, die Kinderzahl gering zu halten, geht an der Realität vorbei. Dafür bräuchte es Pädagoginnen! Die fehlen aber seit Jahren.
Angemerkt sei auch, dass nicht wenige von denen, die noch da sind, zur Risikogruppe gehören und aus Solidarität zu Kindern und Kollegen die Stellung halten. Gerade jetzt in der Krise zeigt sich, dass es für elementarpädagogische Bildungs- arbeit spezielle Fähigkeiten und Ressourcen braucht. Im Lockdown gilt es, Kontakt zu Kindern und Eltern zu halten – was aber dadurch erschwert wird, dass es in vielen Einrichtungen an technischem Equipment fehlt. Deshalb greifen die Pädagoginnen auf ihre privaten Geräte zurück. Angesichts der massiven Unterbezahlung (ein Bruchteil eines Lehrergehalts) ist das eine Zumutung. Doch das ist nicht die einzige Herausforderung. Viele Kinder und Familien sind mittlerweile gar nicht mehr greifbar, einige nicht in Österreich. Für Kinder mit Deutschdefiziten bedeutet das, dass sie einen Einbruch in ihrer deutschsprachigen Entwicklung erleben werden. Klar ist, dass die Krise bei allen Kindern Spuren hinterlässt. Sie erleben Unsicherheit, Angst – und sie sind weit weg von einem verlässlichen Lebensrhythmus. Auch Kinder im Kindergarten vermissen ihre Freundinnen, Freunde und Bezugspersonen. Eine Elementarpädagogische Einrichtung ist auch eine Art unabhängiges Lebensumfeld, das gerade Heranwachsenden Halt gibt. Meine Erfahrungen zeigen, dass EB und deren Mitarbeiterinnen innerhalb der Bildungspolitik keinerlei Priorität haben. Ja, tatsächlich spielen sie eine untergeordnete Rolle. Wie ist es sonst zu erklären, dass Mitarbeiterinnen in der Elementarpädagogik nicht wie das Gesundheitspersonal erste Priorität beim Impfen haben?
Darüber hinaus brachte die Covid-19 Pandemie fast alle Versäumnisse der letzten Jahrzehnte an die Oberfläche. Jetzt rächen sich längst fällige, aber nicht realisierte Investitionen, die den Elementaren Bildungsbereich hätten stärken sollen. Auch zentrale Erkenntnisse aus Praxis und Wissenschaft wurden ignoriert.
Vorrang beim Impfen gefordert
Ein Beispiel ist die Ausbildung der Pädagoginnen, die längst reformiert gehört. Ganz zu schweigen von den Rahmenbedingungen. Stichwort „Kinder/Pädagog(inn)en-Relation“. Tatsächlich glauben wohl viele Politikerinnen und Politiker noch immer, dass für junge Kinder „eine Frau mit großem Herzen und zwei geschickten Händen“ genügt. Und ohnehin haben Mütter daheim zu sein. In der Bildungspolitik machen sich die Scheuklappentaktik und das antike Rollenbild dieser Tage besonders bemerkbar. Und jetzt? Seit 1999 fordern viele Organisationen und Einzelkämpfende ein Bundesrahmengesetz für den Elementaren Bildungsbereich (die Entwürfe liegen im Bildungsministerium und bei den Parteien). Darin sollen bessere Mindeststandards verankert werden. Der Föderalismus verhindert das. So wie ein grundlegendes Studium der Elementarpädagogik verhindert wird, weil sich die Gemeinden die teuren Pädagoginnen nicht leisten wollen oder können.
Wenn nicht bald alle Entscheidungsträger aufwachen und enorm und umfassend in die EB investieren – Erwachsenenausbildung, ausgebildete Pädagoginnen (wieder) in den Beruf bringen und halten, Kinderanzahl reduzieren, österreichweite Qualifikation für Assistenz und Leitung, Zeit für jedes Kind, Team- und Elternarbeit –, stellt sich die österreichische Bildungs- gesellschaft noch mehr infrage.
Die Autorin ist Bildungsaktivistin und ehemalige Vorsitzende des ÖDKH (Verband für Kindergarten- und HortpädagogInnen).
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