ACAB, U-Bahnaufgang Favoriten - © Foto: Tobias Steinmaurer / picturedesk.com

Die Schul-Lehren aus Favoriten

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Die Türken! Die Kurden! Die Österreicher! Um solche Schablonen bei Jugendlichen aufzubrechen, braucht es das nie lockerlassende Gespräch. Schulschluss-Reflexionen einer NMS-Lehrerin nach den Ereignissen von Wien-Favoriten.

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Die Türken! Die Kurden! Die Österreicher! Um solche Schablonen bei Jugendlichen aufzubrechen, braucht es das nie lockerlassende Gespräch. Schulschluss-Reflexionen einer NMS-Lehrerin nach den Ereignissen von Wien-Favoriten.

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Das Leben ist weder Tragödie noch Komödie, weder Musikantenstadl noch Hochamt, sondern etwas von allem: Das ist eine Erkenntnis, die direkt mit demokratiepolitischer Bildung zu tun hat. Denn sie lehrt uns, dass starre Zuordnungen absurd sind, auch wenn Ideologen aller Richtungen uns anderes weismachen wollen – und diese Lehren mit ihrer wohltuenden Einfachheit so verführerisch sind; dazu passt, was der deutsche Soziologe Martin Schröder vor kurzem der Zeitschrift Stern erzählte, nämlich dass Menschen umso zufriedener seien, je patriotischer sie sind. Das hieße doch, auf Wien umgemünzt, dass lauter zufriedene Menschen unlängst in Favoriten brüllend und fahnenschwingend durch die Straßen gezogen sind?

R. war – er hat gerade die vierte Klasse unserer NMS am Stadtrand von Wien absolviert – einer meiner interessantesten Schüler. Als Zwölfjähriger wusste er, wann in der Türkei gewählt wird, und las er ein türkisches Buch über die Geschichte der Osmanen. Als ich im Unterricht über ein Foto sprach, das Erdoğan mit einem weinenden Mädchen in Uniform zeigte, meldete sich R.s Vater in der Direktion.

„Zeit im Bild“ als Hausübung

Aber auch das: R. war einer der besten Geschichteschüler, ein kluger Frager, mitfühlend mit den Opfern vergangener Kriege und heutiger Attentate und immer für ein Gespräch bereit. Am Abend vor dem Zeugnistag schrieb er mir ein Mail: Ich würde doch sicher etwas über die Ereignisse in Favoriten wissen wollen; es folgten Sätze, die wohl jemand sagt, der ein Erdoğan-Fan ist. Ich fischte ihn aus dem Pulk Schüler heraus, die auf Nimmerwiedersehen aus dem Schulhaus trabten, und gab ihm meinen letzten Ein-Minuten-Input mit: „Denk daran, was wir immer wieder besprochen haben. Es gibt nicht DIE Österreicher und DIE Italiener, es gibt auch nicht DIE Türken und nicht DIE Kurden. Und halt dich von den Grauen Wölfen fern.“ – R. nickte.

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