
Schule: Zum Sparen gut genug?
Volle Klassen. Fenster, die sich nicht öffnen lassen. Rassismus im Unterricht: Eine Pädagogin erklärt, warum der politische „Schönsprech“ an der Realität vorbeigeht - und was sie von Melisa Erkurts Buch "Generation haram" hält.
Volle Klassen. Fenster, die sich nicht öffnen lassen. Rassismus im Unterricht: Eine Pädagogin erklärt, warum der politische „Schönsprech“ an der Realität vorbeigeht - und was sie von Melisa Erkurts Buch "Generation haram" hält.
Nachdem wir letzte Woche einen neuen Flügel der Schule bezogen und Kisten ausgeräumt haben, stelle ich mir vor, wie ich mit Thomas Bernhard durch die Gänge flaniere; wie er einen Blick in die Legebatterien, Pardon: Klassenzimmer wirft; wie ich ihm von der Empfehlung des Bildungsministers erzähle, nämlich, dass wir keine Gruppenarbeiten machen und möglichst viele Stunden im Freien abhalten sollen. Ich zeige ihm, dass man die Gangfenster nicht einmal kippen kann. Bernhards Mundwinkel zucken, bevor er murmelt: „Angesichts des Todes ist alles lächerlich.“
Im riesigen Supermarkt gegenüber der Schule schweben maskierte Menschen wie Fische durch ein Meer. In unserer Klasse wird der Babyelefant höchstens im Biologieunterricht vorkommen – unterrichtet von einer Lehrerin, die bald in Pension geht, ergo zur Risikogruppe einer Krankheit gehört, bei der man unter anderem ersticken kann. Alles halb so wild, auf den Gängen wird ja Maske getragen.
Kinder als "Humankapital"
Ein Kollege erzählt, in seiner Schule seien nicht nur keine zusätzlichen Räume vorhanden, sondern – in seiner Klasse – die Höchstschülerzahl überschritten. Ein anderer berichtet, im neuen Flügel lassen sich nur die Oberlichten öffnen. In unserer Schule übrigens gibt es ab sofort drei zusätzliche Klassen, alle Räume sind voll belegt. Ich habe mir Masken mit Sichtfenster gekauft, damit die Kinder mein ganzes Gesicht sehen (ein Schild schützt mich und andere schlechter, sagen aktuelle Studien), und habe vor, mich nicht ohne Mund-Nasen-Schutz in die Klasse zu stellen, Risikopersonen gibt es auch in meiner Familie.
Anscheinend ist das Schulsystem zum Sparen gut genug. Doppelt seltsam in einer politischen Gemengelage wie der aktuellen: Ich suche zum Beispiel nach einer Antwort danach, warum partout nicht verstanden wird, dass es sich bei jungen Menschen, auch und vor allem bei jenen „mit Migrationshintergrund“, um – ich bleibe bewusst in einem Jargon, den die ÖVP versteht – Humankapital handelt. Ausgedeutscht: Es sind die Erwachsenen von morgen, die in den Klassen sitzen, und sie werden Erwachsene sein, die Expertinnen und Experten sind für das Leben zwischen und mit zwei Kulturen, zwei oder mehr Sprachen.
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