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Malerhände - bunte Wände

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VERTRÄUMT BLICKT DAS ALTE SCHLOSS inmitten des weitläufigen Parks auf den Besucher, der über eine schmale Steinbrücke und durch ein großes, offenstehendes Tor in den rechteckigen Innenhof der Festung tritt. Das also ist Schloß Leesdorf, und hier befindet sich die „Meisterschule des österreichischen Malerhandwerks“.

Plötzlich durchbricht der schrille Ton einer Schulglocke die winterliche Stille, ein Tor fliegt auf und eine Schar Jugendlicher in weißen Mänteln stürzt in den Hof. Verwundert betritt man das Haus — welche Farbenpracht! Jede Wand, sogar die Decke und die Aufgänge im Stiegenhaus sind über und über mit Mustern und Ornamenten verziert. Kein Fleckchen Mauer ist unbenutzt geblieben; von der einen Wand sticht ein klares und farbenfrohes Landschaftsmotiv ab, von der Decke wiederum hebt sich ein besonders schönes und verzweigtes, rot-goldglänzendes Rosettenornament ab. „Das alles sind Übungsarbeiten unserer Schüler“, erklärt Direktor Kaulfersch, der die Schule nun schon seit 27 Jahren leitet.

292 Malergesellen — der jüngste ist 18 und der älteste 35 Jahre alt — und sechs Gesellinnen beherbergt diese „Schule“ derzeit. Aber für diese Institution paßt der altgewohnte Begriff „Schule“ nicht so recht. Die 22 unterrichtenden Lehrkräfte führen wohl ihre jüngeren und älteren Schüler in die Geheimnisse der Malkunst ein, aber eine Unterrichtsstunde ist hier wesentlich gelockerter als in sonstigen berufsbildenden Lehranstalten. „Wir können doch nicht zu einem Familienvater, der hier die Schule besucht, einfach sagen: das oder jenes darfst du nicht machen. Es gehört oft eine große Portion pädagogischen Feingefühls dazu, einem solchen Erwachsenen etwas zu verbieten oder zu befehlen“, versichert einer der Lehrer, ein akademischer Maler.

Obwohl ein kameradschaftlicher Kontakt zwischen Lehrkräften und Schülern besteht, hat diese berufsvervollkommnende Institution doch eine festumrissene „Hausordnung“. Von Montag bis Freitag wird täglich von 8 bis 18 Uhr unterrichtet. Um 23 Uhr ist „Nachtruhe“, und nur gegen einen von der Schulleitung ausgestellten Passierschein darf man nach dieser streng eingehaltenen „Sperrstunde“ in das in drei verschiedenen Häusern untergebrachte Internat zurückkehren.

Jede Schulstunde besteht aus fünfzig Minuten Unterricht. Um 11.30 Uhr eilen alle Schülerinnen und Schüler zur „Futterkrippe“, denn da ist Mittagspause. Im ebenerdig gelegenen Speisesaal herrscht um diese Stunde ein turbulentes Treiben, an einem der langgestreckten Tische wird gerade über eine neue Aufgabe heftigst diskutiert, während zwei Tische weiter ein paar besonders Hungrige voll Hingabe und Begeisterung ihr reichhaltiges Mahl verzehren.

„WIR KOMMEN KEINEN ABEND vor 23 Uhr nach Hause“, meint der Leiter der Schule, „denn nach Unterrichtsende, um 18 Uhr, gibt es ja noch Sonderkurse für Spezialgebiete. Na, und da werden dann die verschiedensten Probleme — aber nicht nur solche, die unsere Schule betreffen — gewälzt. Das hat einen großen Vorteil, denn da kann man die Schüler pädagogisch in diese oder jene Richtung lenken.“ Erfahrungen werden ausgetauscht, und man erzählt von „zu Hause“, denn der eine stammt aus dem Burgenland, der andere aus Tirol, und ein dritter kommt gar aus Schweden oder Italien. Österreich ist mit allen seinen Bundesländern an dieser Lehrstätte vertreten, und alle sprechen sie die gleiche Muttersprache, aber ein jeder mit seinem „Heimatakzent“.

Drei Klassen muß der Schüler absolvieren, und eine vierte, die Aufbauklasse, kann er, wenn er will, ebenfalls besuchen, um das bei allen Malbetrieben hochgeschätzte Abgangszeugnis zu erlangen. Mit diesem Zeugnis wird er auch sofort zur Meisterprüfung zugelassen.

Aber was ist der Vorteil eines Besuches dieser Schule gegenüber der „normalen“ Lernzeit der Malergesel-

len? „Und ob diese Schule einen Vorteil bedeutet“, versichert ein junger Schüler, der sich gerade bemüht, möglichst naturgetreu eine vor ihm aufgestellte Reisetasche mit schwarzer Kohle auf seinen Zeichenblock zu bannen. „Hier beginnt das Schuljahr am 1. November und dauert bis zum 30. April, also gerade über die tote Zeit in unserem Beruf. Im Sommer können wir dann praktizieren, denn wir müssen außer den drei Unterrichtssemestern auch ein volles Jahr Praxis für die Meisterprüfung haben. Da arbeiten wir in den Ferien zwischen der ersten und zweiten sowie zweiten und dritten Klasse. Nicht nur, daß wir uns ein halbes Jahr der Gesellenzeit erspart haben — aber was lernen wir doch alles hier! Das könnten wir in einer normalen Gesellenzeit niemals schaffen.“

Nun, und wie sieht der Lehrplan einer solchen Institution aus? In der ersten Klasse werden Deutsch, Geometrie, gewerbliches Rechnen, Farbenlehre, Fachkunde und Maltechnik, Anstrich- und Lacktechnik, Lasurtechniken, ornamentale Schrift, Zeichnen und Malen nach der Natur, Entwurfzeichnen, Stilgeschichte, farbige Gestaltung von Baukörpern, Räumen und Möbeln, Schriftverkehr und praktische Übungen an der Wand unterrichtet. In der zweiten Klasse kommen noch Staatsbürgerkunde und Wirtschaftsrecht, Maßberechnung, Perspektive, heraldisches Zeichnen und Malen und Steuer- und Versicherungswesen dazu. In der dritten Klasse wird der Lehrplan um ein weiteres fach, nämlich Kalkulation, erweitert.

Während in der ersten Klasse größtenteils praktischer Unterricht betrieben wird und in der zweiten das Hauptgewicht auf dem „gestaltenden“, Unterricht ruht, soll der Schüler in der dritten Klasse die Kenntnis erwerben, „was aus dem Pinsel herausgeht“. Denn nun muß er ohne Behelfsskizze gleich auf die kahle Wand mit dem Pinsel „losgehen“. Er bekommt langsam das Gefühl, wie er aufdrücken muß, um eine Blattrebe betont stark

oder einen Zweig äußerst duftig, zu gestalten. $

KEINE LEHRBÜCHER, KEINE BEHELFSLEKTÜRE und keine Skripten

gibt es in dieser Schule, zum Unterschied von anderen Fortbildungsstätten. Hier lernt man ebenso mit der Spachtel wie mit der Schreibfeder umzugehen. Die schrägen Wände des Treppenhauses sind voll von den zierlichsten Kunstschriften..

Jedes Fleckchen Wand, jede freie Fläche wird hier „ausgenutzt“. Sogar die Kleiderschränke der einzelnen Schüler sind bunt bemalt. Mancher Kasten erinnert an einen antiken Bauernschrank, nur die Aufschrift „Anno 1960“ verrät das wahre Alter dieser Bemalung. Auf einem anderen Kasten ist jede Wand mit einem ande-

ren Muster in Farben ausgestattet.

Im zweiten Stock dieses alten Schlosses, dessen Besitzer bis zu Beginn des 12. Jahrhunderts zurückverfolgt werden können, ist ein großes Anschlagbrett an der Wand. Hier werden jede Woche die besten Arbeiten der vergangenen fünf Unterrichtstage ausgestellt. Da warten dann die Schüler von Woche zu Woche gespannt, ob sie „diesmal auch dabei“ sind. Gleich neben dem Anschlagbrett ist die „Materialausgabestelk“. Hier bekommt man Pinsel, Lacke, Walzen und Farben.

„Eine Menge Geld verschlingt unsere Materialbeschaffung jedes Jahr, aber wir spüren das nicht“, behauptet der Vater der Schule voll Stolz, „denn das ist eine Spende der Lack- und Farbenindustrie. Wir sind für jede Spende dankbar“, fährt Professor Kaulfersch fort, „wir brauchen viel Geld und daher auch viele Subventionen.“ Die Schule wird größtenteils von der Bundesinnung der österreichischen Malermeister erhalten. Das Bundesministerium für Unterricht greift dieser in Österreich einzigartigen Schule mit einigen Subventionsposten tatkräftig unter die Arme.

ALS VIERMONATIGER VORBEREITUNGSKURS wurde die Meisterschule im Jahre 1925 gegründet, die 1948 in Wien, im Wirtschaftsförderungsinsti-tut, ihre Heimstätte hatte.

„Leider müssen wir dieses uns so liebgewonnene Schloß bald wieder verlassen“, bedauert eine ungefähr zwanzigjährige, etwas robuste Schülerin. „Wir haben aber schon etwas Neues“, fährt sie fort, „wir werden bald nicht mehr nur Pächter sein, denn mit zahlreichen Unterstützungen, wie den Bundesministerien für Unterricht, für Handel und Verkehr, der Kammern und Wirtschaftsförderungsinstitute, ist es unserer Schule gelungen, eigenen Grund und Boden zu erstehen.“

Schloß Braiten, ebenfalls in Baden gelegen, konnte von der Schule gekauft werden. Es gelang sogar, das Nebenhaus, eine ehemalige Fremdenpension, dazuzuers tehen. Leider ist dieses weitläufige und zwei Stockwerke hohe Gebäude in einem äußerst verwahrlosten Zustand. Doch da helfen schon die Schüler fleißig zusammen, daß es hier so bald wie möglich wohnlich wird. Fußböden werden gelegt, Fensterrahmen gestrichen, Betten aufgestellt und die Wände natürlich selbst verputzt. Die Außenfront des Hauses und die einzelnen Räume sollen be-

sonders sauber und „standesgemäß“ bemalt werden. Das ist man doch seinem Berufsstand schuldig!

*

AUCH IM ALTEN HAUS, im Schloß Leesdorf, sieht es aus, als würden die Zimmerwände ständig frisch ausgemalt werden. Denn jede Woche heißt es an zwei Schultagen — meistens Montag und Dienstag —: „wir gehen auf die Wand“. Da werden dann die verschiedensten Maltechniken ausprobiert: Wie wirkt dieses Muster? Drückt jenes Ornament nicht zu. sehr den Raum? Da werden die wißbegierigen Gesellen mit allen Tücken und

Vorteilen ihres „Arbeitsfeldes“ vertraut gemacht. Aber schon am Mittwoch müssen die Kunstwerke wieder abgewaschen, die Wände ausgetrocknet und für den nächsten Ansturm sorgfältig präpariert werden.

Während die kahlen Zimmerwände auf neuen „Schmuck“ warten, werden Schilder bemalt, Teilstücke von Möbeln und Musterbretter mit Kammzugtechnik bearbeitet, ein originelles Sgraffito entsteht im Treppenhaus oder auf dem Flur.

In einer Klasse bemühen sich gerade die Schüler, ein altes Hauswappen zu „entziffern“. Sie lernen „Wappenlesen“, denn jede Farbe hat eine bestimmte Bedeutung, die in die Schwarzweißskala übersetzt wird. Später müssen diese Lernenden selbst Haus-, Landes- oder Innungswappen entwerfen und ausarbeiten. Im nächsten Unterrichtsraum zaubert jeder der zwanzig Burschen einen anderen Vorschlag für ein Kaffeehaus auf die Staffelei. Der eine würde dieses Gemälde als passend empfinden, während der nächste eine ganz andere, viel kräftigere Farbenzusammensetzung für seinen Entwurf wählt.

Oft sind den jungen Künstlern zahlreiche zu berücksichtigende Punkte für einen Entwurf vorausbestimmt, aber wie verschieden sehen doch die fertigen Arbeiten aus! Der eine liebt helle Pastelltöne, während der andere ein kräftiges Rot oder Braun vorzieht. Da wird einem beim Vergleichen der Arbeiten erst so richtig die eigenwillige Persönlichkeit eines jeden Schülers bewußt.

In einigen Räumen wird jetzt schon fleißig für die jedes Jahr wiederkehrende Schlußausstellung gearbeitet. Der eine Raum wird als Espresso ausgestattet, während ein anderer einen Entwurf für einen Sitzungssaal verkörpern soll. Ein Stockwerk höher entsteht zwischen einem Modesalon und einer Heurigenstube ein Kinderzimmer. Die Schlußausstellung ist der Stolz der ganzen Schule, denn hier erfährt man neben zahlreichen Farbentwürfen für ein Wohnhaus auch gleich die kompletten Materialberechnungeri dazu. Diese Ausstellung wird von Exkursionen aus ganz Europa besucht. Da wandern in den schulfreien Sommermonaten Polen und Engländer, Ungarn und Schweizer, West- und Ostösterreicher durch die Räume. „Schau, einer von uns zu Hause!“ wird so mancher ausrufen, denn unter jeder Arbeit stehen fein säuberlich Name, Klasse und Bundesland des „kleinen Künstlers“.

DAS PULSIERENDE TREIBEN UND SCHAFFEN des Schulalltags beginnt wieder im November. Erfahrungen werden ausgetauscht, „Neue“ in die Hausordnung eingeweiht, und die Ältesten bereiten sich schon langsam auf die Abschlußprüfung vor.

Vielleicht steht mancher der Absolventen dann in irgendeinem Gebäude auf seiner hohen Leiter und denkt ein wenig sehnsüchtig - während sein Pinsel über eine weiße Fläche huscht — an diese Schule zurück, der er doch so viele neue und vorteilhafte Kenntnisse zu verdanken hat.

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