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Der Jugend ein Haus

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DURCH EIN GLASFENSTER in der Trennungswand zweier Räume winken die hellen Türme der Votivkirche beziehungsreich in die Schule und kommt von der Universität her ein schwesterlicher Gruß. So wie der Wiener Heinrich Ritter von Ferstel die Blüte mittelalterlicher Baukunst dort drüben mit dem lichten Pfeilerwald, der hochstrebenden Chorbildung in verjüngter Gestalt wieder erstehen ließ; so wie dieser Architekt die Universität im Stile der Renaissance baute, so ist er im reizvollen Wandel seiner Baugesinnung zum Schöpfer des Hauses geworden, bei dessen Betreten man sich eher angesichts des Treppenhauses in einen südlichen Palast versetzt glaubt.

Als das Haus in die Annalen der Wiener Schulgeschichte eintrat — gemäß einer privaten Stiftung Kaiser Franz Josephs I. —, regte sich nicht nur die Fülle historischer architektonischer Erinnerungen, sondern es brach sich eine in wirtschaftlicher, sozialer und politischer Hinsicht neue Zeit Bahn. Die kaiserliche Entschließung, vom Geburtstag des Herrschers 1869 datiert, fällt nicht bloß in das Jahr des Reichsvolksschulgesetzes und der Vollendung der Wiener Hofoper, sondern ebenso ins Jahr der Gründung der Wiener Künstlergenossenschaft, des Wiener Bankvereins und — in das Jahr, da am 13. Dezember auf dem Trabrennplatz eine mächtige Arbeiterkundgebung stattfindet. Im Jahr vorher waren die Hochschule für Bodenkultur, das Künstlerhaus, die Kunstgewerbeschule entstanden und — haben sich politische Vereine, wie das katholisch-politische Kasino, der deutschdemokratische Verein, der liberale Bürgerklub und der Wiener tschechische Arbeiterverein, gebildet. Neue Schichten der Bevölkerung strebten nach oben. Das durch die kaiserliche Entschließung entstandene „ Maximilians-Gymnasium“ entsprach den Bildungsbestrebungen des durch die wächsende Industrialisierung und die lange Friedenszeit zu Wohlstand gekommenen Bürgertums der Gründerjahre, zu dem sich der Handel und die Beamtenschaft eines weiten Reiches gesellten.

WENN MAN IN DEN ALTEN KLASSENKATALOGEN blättert, entrollt sich alleir schon aus den Namen der Lehrer und Schulet ein Stück Lokalgeschichte, die eigentlich in sicli die Dynamik barg, ins Weite zu wirken, die Weite zu gestalten. Und so, wie die Zeit sich wandelte, so wechselten in ihrem Verlaufe die Namen des Schulbaues. Als Maximilians-Gymnasium gegründet, hieß es — als drüben der Platz vor der Votivkirche nicht mehr Maximilianplatz, sondern Freiheitsplatz benannt wurde — in der Ersten Republik einfach im Volke das „Wasagymnasium“ nach dem Namen der Gasse, in der es sich befand. Nun zeigen die Schülerkataloge viele aus den Kreisen der mittelständischen Intelligenz kommende Namen, die oft genug, wie es eben die Lage der Anstalt mit sich brachte, ein Überwiegen der Söhne von Ärzten, von Rechtsanwälten und Richtern, von Gewerbetreibenden und von Menschen mit bestimmten, zur Universität orientierten Berufsgattungen erkennen lassen. Trotz der Einengung des großen Völkerreiches konnte die früher ausgeübte Wirkungskraft auch in der Ersten Republik, freilich in einem mittelbaren Sinn, gewahrt bleiben — viele Absolventen trugen den Ruf der Schule ins Ausland.

Das Jahr 193 8 brachte einen jähen Einschnitt, und mit diesem Jahr begann eigentlich schon das, was Jahrzehnte hindurch „die Frage Wasagymnasium“ heißen sollte. Das Schulhaus wurde von der „Gauleitung Niederdonau“ als Bürohaus in Anspruch genommen, das Wasagymnasium mußte in die Räume des aufgelösten geistlichen Schottengymnasiums unter dem Namen „Staatsgymnasium Wien Freyung“ einziehen.

Nach dem Schluß des zweiten Weltkrieges galt das Haus Wasagasse 10 als „Deutsches Eigentum“ und wurde wieder ein Parteiheim, diesmal für die KPÖ. Durch die Wiedereröffnung des Schottengymnasiums wurde „die Wasagasse auf der Freyung“ jahrelang unterstandslos und verlor neuerlich seinen Namen. Denn in der Not-

Unterkunft in der Bundesrealschule Wien I hieß die Schule, ganz zeitgemäß zu einer „vertriebenen Person“ geworden, einfach „Bundesgymra-sium Wien IX“.

*

DIE ÄMTER SIND HARTNÄCKIG, wenn es sich um zu gewinnende Büroräumlichkeiten handelt. Kaum daß die Partei aus dem Hause Wasagasse 10 ausgezogen war, meldete sich schon wieder die niederösterreichische Landesregierung, nunmehriger Besitzer des Baues, und gedachte dort unter anderem ein Archiv einzurichten. Die Situation schien hoffnungslos, und in den Zeitungen riß das Thema „Wasagymnasium“ nicht mehr ab.

Aber Aktien und selbst geplante Archive sind doch etwas wert. Universitätsdozent Dr. M i k o-1 e t z k y, damals Obmann des seit je sehr attraktiven Elternvereins, gelang ein beachtenswerter Fund. Die kaiserliche Stiftungsurkunde, die man allgemein als verloren angesehen hatte, kam aus den Tiefen eines Aktenschrankes zum Vorschein, während die Schüler noch in den Tiefen von Kellerräumen, in Wanderklassen, Ausweichräumen und Dependencen hausten. Einwandfrei wurde der ursprüngliche Charakter des Hauses als Schule erwiesen, und der Amtsschimmel setzte sich abschiedswiehernd ab.

Mit dem Ankauf des Gebäudes durch den im Jahre 1957 abgeschlossenen Vertrag durch den Bund war die Bahn frei. Das Bundesministerium für Handel und Wiederaufbau handelte und baute getreulich seinem Namen, der Nationalrat setzte sechs Millionen ins Budget, das Bundesministe-rium für Unterricht machte für die Einrichtung, welche von Grund auf neu erfolgen mußte, in tatkräftiger Initiative zwei weitere Millionen locker. 1955 war das Erdgeschoß des Hauses adaptiert, im Schuljahr 195 5/56 mit sieben Klassen belegt; in den Jahren 1957 bis 1959 kam es zur baulichen Erneuerung und einer modernen Erfordernissen entsprechenden Umgestaltung des ersten und zweiten Stockwerkes.

EIN GANG DURCH EINE SCHULE ist immer für den Altgewordenen eine Rückschau. Wenn man sich, wie wir, vor der festlichen Eröffnungsfeier durch die in der Stille des Nachmittags liegenden Zimmer geleiten läßt, mischt sich in den Rückblick ein unwillkürliches Aufseufzen: „Jung müßte man wieder sein!“ Man soll aber nicht allzuviel in der Vergangenheit kramen und sagen: „Die da haben es besser als wir.“ Denn auch in der Innenarchitektur und in der technischen Zweckmäßigkeit einer Schule wandelt sich die Zeit, wachsen selbstverständliche Ansprüche. Und — vergessen wir am Rande auch nicht: nicht alle, oder sagen wir hoffnungsvoll, mit einem Blick zu den höchsten amtlichen Instanzen, noch nicht alle Mittelschulen haben es so schön.

Aber der „Fall Wasagasse“ hat gezeigt, was die Initiative von schulverständigen Eltern zu erreichen vermag und was dank der dazukommenden Unterstützung von oben und nicht zuletzt dank dem beispielhaften Zusammenwirken des Lehrkörpers, der jetzt 3 5 bis 40 Professoren zählt, zustande kommen kann.

ZUSTANDE KOMMEN KANN BEISPIELSWEISE eine Schulgalerie. Sie hat den Vorzug, systematisch, erzieherisch und schmückend zu sein. Sie ist mit den rund 300 Bildern, durchweg vortreffliche Kunstdrucke' und glänzende Vergrößerungen von Photos, die alle mit einem feinen Fingerspitzengefühl für die Bildinhalte gerahmt sind, geradezu eine Reise durch die Welt, eine bebilderte Kunstgeschichte, ein Lob-Gesang der österreichischen Heimat.

Das muß man schrittauf. schrittab gesehen haben: Wie schön ist unser Österreich! Dies den Schülern sozusagen täglich vor Augen zu führen, war eine prächtige Idee, wohl wert, nachgeahmt zu werden. Der opferfreudige Elternverein und ein dankenswerter Zuschuß des Stadt-chulrates für Wien haben ein sinnvolles Konzept verwirklicht. In der Aula findet sich der Besucher vor Schülerarbeiten; im Renaissance-Treppenhaus hängen Photographien römischer Grabungsfunde der Heimat („Austria Romana“); in den neuzeitlichen Gängen Bilder des Alpenlandes Österreich und Architekturdenkmäler des Landes aus sieben Jahrhunderten. Den Klassenschmuck bildet eine nach Alter und jeweiligem Auffassungsvermögen sowie in Abstimmung mit dem Lehrstoff erfolgte Bilderwahl aus den repräsentativen Kunstepochen von der Romanik bis zum Impressionismus.

ZUSTANDE KOMMEN KANN ZUDEM eine Symphonie des Geistes, wie er in dieser Form vielleicht nur in einem humanistischen Bildungsideal zu finden ist. Der gegenwärtige Direktor ist selbst Musiker, und wie er mir sagte, lebt in dem Hause auch eine musikalische Tradition. Nicht zufällig hängt an einer Wand des vorbildlich gestalteten Musiksaales das Bild Erich Kleibers. Er war Wasagymnasiast, ebenso wie Josef Krips und Richard Maux. Intensive Musikpflege ist daher in diesem Hause selbstverständlich: es gibt jährlich Ostermessen, Hausmusikabende und Musikfeste zu verschiedenen Anlässen. „Nichts ist dankenswerter“, sagt der Direktor, „als in den Herzen der jungen Menschen den Sinn für das Schöne und Edle zu wecken. Was vermag hier alles die Musik!“

Die musische Bildung ist hier kein Schlagwort, das sehen war bei den übenden Gymnasiasten in dem grandiosen Festsaal mit den großen Kristallustern und dem zweckmäßig gebauten Podium. Hier werden nicht nur Melpomene und Polyhymnia, sondern auch Euterpe und Kal-liope daheim sein. Schließlich haben hier außer berühmt gewordenen Musikern auch später wohlbekannte Künstler der Feder die Schulbank gedrückt: Stefan Zweig (der jetzt nicht mehr so grämlich über das Haus schriebe wie in seinem Erinnerungsbuch „Die Welt von Gestern“), ferner Felix Braun, Robert N e u m a n n, der in den USA weilt, Oskar Maurus Fontana und von den Jüngeren (Absolvent 1939) Harald Z u s a n e k.

Damit die Reihe der berühmten Wasagymna-siasten nur einigermaßen vollständig wird, müssen Karl Landsteiner (der Erforscher der Blutgruppen und Nobelpreisträger) sowie die Universitätsprofessoren Michael Haber-1 a n d t, Arthur Hochstetter und Richard Wettstein genannt werden. Als Lehrer (1894 bis 1939 war an der Anstalt ein Probandenseminar) wirkten in der Wasagasse beispielsweise Karl E x n e r, Heinrich Schenkel, Johann H u e m e r, die Philologen Franz Kappelmacher, Karl M r a s, Hugo J u r i n k a, der bekannte Geograph Fritz M a-chatschek und noch viele andere.

SO VERSTEHT MAN DEN BRÜCKENSCHLAG zwischen den Zeiten in einem Hause, das die Wirrnisse der Zeiten überdauerte. So ist es begreiflich, daß bei der Adaptierung die bauliche Tradition gewahrt geblieben ist und nicht in eine falsch verstandene Modernität geriet. Das kann man in den Lehrzimmern ebenso beobachten wie an der Art, in der man die Restaurierung des Festsaales im Voriahr einfühlsam vornahm und den Stil der achtziger Jahre auswog mit einer unserem Zeitempfinden entsprechenden Farbtönung und Innendekoration. Form und Geist: nicht bloß im Bau. sondern auch im Handeln der Menschen — ein Akkord. Es hat seinen besonderen Sinn, daß in dem Hause, das einer privaten Stiftung eines Herrschers sein Entstehen verdankt, nun die Gesamtheit für das Fortkommen der Begabten zu sorgen versteht. Die „Fiedler-Vogelsang-Stiftung“ des Wasa-gymnasiums (das offiziell Bundesgymnasium Wien IX heißt) verteilt jedes Jahr an zwei begabte Schüler Stipendien. Dem Elternverein ist es durch Zuschüsse gelungen, die Ferienaktionen ebenso zu aktivieren wie die Skiwochen. Die Dotierung der Schülerlade mit den entsprechenden Mitteln wird jeder schätzen, der weiß, was beispielsweise schon der Schüler der 1. Klasse für Schulbücher ausgeben muß: drei- bis vierhundert Schilling. Und das nur für ein Jahr!

AM ENDE DES SCHULJAHRES, etwa -m Juni, wird eine Festschrift von besonderem Gehalt und von ganz eigener Bedeutung herauskommen. Darin werden prominente Gelehrte auf das unerläßliche Gewicht des humanistischen Gymnasiums und den Wert der alten Sprachen für die Schulung klaren Denkens und Forschens hinweisen. Gutta cavat lapidem, meinte Ovid. Und: „Das Klassische... ist das, was die Seele frei macht“, schrieb Fontane.

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