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Unter dem Doppeladler

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UNTER ÖSTERREICHS FAHNEN. Von Herbert v. Patera. Verlag Styria, Graz-Wien-Köln. (Vorliegende Auflage in Kommission bei der Versandbuchhandlung P. Cieslars Nachfolger, Graz. Nicht im österreichischen Buchhandel.) 360 Seiten, 214 Bilder. In Leder. Preis 260 S

Es klingt wie ein Märchen, daß im Jahre 1931 das Heeresministerium die „Überlieferungspflege im österreichischen Bundesheer“ mit 500 Bildern in 20.000 Stück, je 2 (zwei) Schilling, in wenigen Wochen restlos verkauft hat. Jede Truppe des Bundesheeres fand darin ihre Familiengeschichte, und die Tradition wurde wirksam belebt. 1953 erschienen die „Österreichischen Pioniere der Luftfahrt“ von Hans Low, die Entwicklung der militärischen Luftfahrt bis 1938 darstellend, 1956 folgte „Die Flagge Rot-Weiß-Rot“ von Friedrich Wallisch, gewidmet der Geschichte der k. u. k. Kriegsmarine, und 1958 schloß sich die Bildermappe „Zu Wasser, zu Land und in den Lüften“ von Anton Böltz an, zur Erinnerung an die „Bewaffnete Macht der österreichisch-ungarischen Monarchie“. Man hat somit Altösterreichs Soldaten nie vergessen, und es ist hoch-erfreulich, daß nun Herbert von Patera sein ausgezeichnetes Buch „Unter Österreichs Fahnen“ auf Anregung des Generaldirektors Dr. Karl Maria Stepan verfaßt hat. Von der „Überlieferungspflege“ unterscheidet es sich dadurch, daß es die habsbur-gische Armada seit Maximilian I. als Ganzes im Werden und Vergehen schildert, ohne auf die innerösterreichische territoriale Militärgeschichte einzugehen, wir haben es also mit einer wertvollen Ergänzung der oben angeführten Erinnerungswerke zu tun.

Der Verfasser hat sich eine umfangreiche Aufgabe gestellt: Organisation und Ergänzung, Sold und Verpflegung, Bewaffnung und Ausrüstung, Heeres- und Kriegsgeschichte, vor allem aber die Uniformierung der Truppen und noch mancherlei kulturgeschichtliche Kapitel. Alles noch durchweht von inniger Liebe zum Vaterland, welchen Begriff man jetzt als „naiv“ und „altväterlich“ zu bezeichnen wagt, alles getragen von echtem Patriotismus, den man jetzt so gerne durch die farblose „Staatsgesinnung“ zu ersetzen versucht. Patera hat — wie so viele österreichische Liebhaber der Heeres- und Uniformkunde — nie den bunten Rock getragen, um so anerkennenswerter bleibt seine vielseitige Leistung auf zahlreichen Gebieten, auf denen nicht einmal ein studierter Berufssoldat immer ganz bewandert sein kann. Es wäre deshalb auch ebenso kleinlich als ungerecht, auf diese und jene Unrichtigkeiten im Text oder auf schon überwundene Legenden vom Hofkriegsrat über Erzherzog Johann und Radetzky bis zu Benedek und Conrad hinzuweisen, das Ganze muß gewürdigt werden und ihm gebührt Lob. Daß die Schlachtentabelle auf Seite 150 ff. nicht mit der zitierten Quelle übereinstimmt, fällt auch nicht ins Gewicht.

Viel Beachtung verdienen die Illustrationen, die — soweit es sich um Zeichnungen handelt — von Gottfried Bils stammen, den wit bereits aus der „Flagge Rot-Weiß-Rot“ kennen. Bills ist ein außerordentlich begabter und in seiner Manier bewundernswerter Uniformzeichner, und Österreich muß sich glücklich schätzen, einen solchen hervorstechenden Künstler zu besitzen. Allerdings drängt sich bei vereinzelten Figuren die Frage auf, wieweit man bei der Wiedergabe von Uniformen einer vergröberten Skizzierung den Vorzug vor zur Geltung gebrachten Einzelheiten geben darf. Napoleons Mahnung „Soignez les details!“ müßte für das Uniformzeichnen erstes Gesetz sein. Die Gefechtsskizzen sind in der überwiegenden Mehrzahl bestens gelungen, viele in ihrer Ausdtuckskraft einzigartig, manche freilich, wie Wien 1683, Mannheim 1799, Solferino oder König-grätz, unvorteilhaft. Zu sagen bliebe noch, daß die überhandnehmende Unsitte, Bild- und Blattrand übereinfallen zu lassen, von jedem Bibliophilen abgelehnt werden muß, daß gerade für Radetzky ein besseres Porträt hätte gewählt werden können und daß das Schlußbild vom Gardebataillon vor der

Neuen Hofburg auch vom zweiten Bundesheer nur mit Stirnrunzeln betrachtet werden dürfte.

„Künstler und Gelehrte im Waffenrock“ nennt sich eine Liste von Berufssoldaten, die außerhalb ihres Berufes Großes geleistet haben. Es ist hoch-erfreulich, daß eine solche Liste erstmals der Öffentlichkeit geboten wird. Der Autor erläßt selbst eine freimütige Einladung, an der Ausgestaltung dieser Liste mitzuarbeiten, und tatsächlich kann die derzeitige Personenauswahl nur als ein erster Versuch gelten. Die Anfänge einer solchen Zusammenstellung reichen über ein Jahrzehnt zurück. Im Kriegsarchiv bestand der Plan, ein Lexikon, „Soldaten in Zivil“, herauszugeben, und die Unterlagen wurden gesammelt. Doch gut Ding braucht Weile. Ob Lebende in die Liste aufzunehmen sind, bleibt zu überlegen, denn den dauernden Wert bestimmt erst die Nachwelt. Nimmt man sie aber auf, dann sollte man auf weniger bekannte zugunsten wirklich schöpferischer Personen verzichten; in der gebotenen Liste fehlen zum Beispiel der Dichter Henz, der Entdecker der Zistersdorfer Ölvorkommen Fr. Musil, der führende Graphiker Teubel oder der bedeutendste lebende Mathematiker Weitzenböck. Aber auch unter den Toten erscheint da und dort ein Austausch angezeigt. Wir suchen vergeblich — um nur ganz wenige zu nennen — die Weltrekordflieger Bier und Blaschke, den Erschließer Äquatorialafrikas Lux, den Außenminister Kälnoky, den Erfinder des Stereoautographen Orel, den Maschinenindustriellen Ring-hoffer, den bahnbrechenden Geodäten Sterneck, den ersten Planer der Semmeringbahn Stregen und den Komponisten Benatzky. Auch ehemalige Militärzöglinge und die Kriegsmarine sollten berücksichtigt werden.

Unser Wunsch geht nun dahin, der Verlag Styria möge an Stelle der vorliegenden Prachtausgabe ein richtiges billiges Volksbuch auf bescheidenem Papier und in schlichtem Einband als 2. Auflage herausbringen. Die Zentralstellen sollten die drei Bücher von Low, Wallisch und Patera bei allen Wettbewerben der Jugend und der Soldaten als Preise verteilen, die Buchhändler aber werden eingeladen, die genannten Bücher vor Weihnachten in den Auslagen zur Schau zu stellen, damit diese wertvolle Erziehungsliteratur dorthin gelange, wohin sie gehört: in alle Schichten der Bevölkerung, für die Österreich nicht erst 1955 begonnen hat.

Oskar Regele

HEINRICH EDUARD JOSEF VON LA NNO Y

(1787—1853), Leben und Werke. Von Wolfgang Suppan. Steirischer Tonkünstlerbund: Musik aus der Steiermark, Reihe 4, Beiträge zur steirischen Musikforschung unter Leitung von W. Suppan. Akademische Druck- und Verlagsanstalt, Graz, 1960. 100 Seiten.

Es ist unbedingt notwendig, daß die Wissenschaft auch Schaffen und Leben der Kleinmeister umreißt; auch wenn sie der großen Musikgeschichte nichts hinzuzufügen haben, können sie oft für die Haltung einer Zeit — gerade weil sie ihr näher sind als die überragenden Genies — interessante Dokumentationen abgeben. Das könnte gerade auch bei der Biographie von Lannoy der Fall sein, der, in Brüssel geboren, dann steirischer Schloßherr war und im Wiener Kulturleben zeitweise an führender Stelle wirkte. Leider bleibt es grundsätzlich bei der Erforschung der Lebensdaten wie des musikalischen Werkes, das kaum interessante Seiten für die Geschichte erschließt. Allein das Kapitel „Das Melodram“ vermittelt interessante Aufschlüsse. Hingegen zeugen die im Kapitel „Musikschriftstellerische Arbeiten“ gemachten Andeutungen davon, daß in den ästhetischen Schriften Lannoys weitaus ausbeutungswürdigere Gegenstände vorgelegen wären. Sie würden zumindest einen Baustein dafür bedeuten, etwa die damalige Gegenstellung zum Schubertliede, die auch Lannoy vertritt, wie überhaupt die Polydynamik der damaligen Stellungnahme zu den musikalischen Einzelproblemen usw. in Biedermeier und Vormärz in Wien zu klären. Das ist ein kaum in Angriff genommenes Gebiet. Wie die endliche Neuherausgabe der Schriften von Mosels etwa könnten die von Lannoy hierzu wichtige Aufschlüsse geben. Die Arbeit Suppans ist der Auszug aus einer Dissertation, und das erklärt, kennt man die „sinnvollen Aufgaben“, die den armen Dis-sertanten heute im österreichischen musikwissenschaftlichen Räume zugemutet werden, um „den Geist zu schulen“ (!), daß am Wesentlichsten um des Ar-chivalischen willen vorbeigegangen wird, wobei in entsprechend sinnvoller Kürzung auch dem Archiva-lischen und Analytischen ihr Recht hätte werden können. Trotzdem ist die Arbeitsweise Suppans gediegen, und wir hoffen, daß er in einem anderen Bändchen uns die Lannoyschen Schriften in Neuausgabe vorlegen wird.

DIE ZEITGESTALT. Eine Lehre vom musikalischen Rhythmus. Von Friedrich N e u m a n n. Verlag Paul Kaltschmid, Wien, 1959. 2 Bände. 176 + 160 Seiten. Preis 150 S.

Ein eigenständiger und feinfühlender Beobachter am Kunstwerk legt mit diesem Buch eine Rhythmuslehre vor, die treffender noch als „organische Formenlehre“ zu bezeichnen ist. Bewußt kehrt der Verfasser die in der gegenwärtigen rationalistisch-formanalytischen Musikbetrachtung herrschenden Verhältnisse um und entwickelt diese Lehre von der „Zeitgestalt“ von der ganzheitlichen Seite, der Qualität her. Der Rhythmus tritt aus dem Irrationalen in der Gegebenheit der äußeren Zeit, der Metrik, aber auch in Harmonik und Melodik in Erscheinung. Die innere Zeit (Rhythmus) wird gewissermaßen in die äußere, die metrisch-mathematische hineingesetzt; beide sind nicht voneinander zu lösen. Das inere Zeitphänomen verbindet so das Zeitlose mit der äußeren Zeit. Auf knappem Raum ist eine ganze Philosophie entfaltet, um diese Grundlegung logisch zu umreißen; überhaupt ist es eine anziehende Seite des Buches, daß sich Wissen um den irrationalen Grund der Musik und rational-analytische Systematik der Darstellung die Waage halten. Logischerweise herrschen bei dem gegebenen Ausgangspunkt psychologische Grundbegriffe vor, wie: Fassungskraft, Aufmerkung, Erinnerung, Erwartung, Sammlung, Beharrung, Hintergrund usw.; aber es wird damit die Diskussion — vergleicht man sie mit Riemann und vor allem den Gegenwartsmotivanalytikern rein rationalistischer Prägung — auf eine tiefere Ebene geschoben.

Wenngleich der Verfasser mit aufrichtigem Freimut auch andere Möglichkeiten einer Musik außerhalb der des klassisch-harmonischen Spannungsprinzips anerkennt, beschränkt er sich in seinen weit ausgreifenden Analysen, denen ein reicher, 160 Seiten starker Beispielband gewidmet ist, vornehmlich auf dieses klassische Feld und seine Zeitgestalt. Die „Logik der musikalischen Gestaltbildung“ dieses Stils ist die für ihn zu lösende Aufgabe, gewiß eben in bezug auf die hintergründige Qualität der intuitiv-erlebnismäßigen Seite. Wenn er, nicht anders als Riemann, bei der Analyse des Rhythmusniederschlags der inneren Zeit im metrischen Feld zu Begriffen wie Dehnung und Schrumpfung Zuflucht nehmen muß, so kann man dies derart erklären, daß der Mensch in seiner Auffassung an menschliche Maße gebunden ist; diese aber sind: die der äußeren Zeit, des Mathematischen, des Metrischen — der daher die Qualität des Rhythmus nur mittelbar, nicht aber in aller Unmittelbarkeit erfassen kann —, auch dann nicht (oder erst recht nicht), wenn der Rhythmus ohne Fesselung an Melodie und Harmonie — wie etwa in der Sprache oder überhaupt im Räume als Bewegung — sich zur Darstellung bringt. Die moderne Richtung, den Rhythmus negativ als das Ametrische zu erklären, lehnt der Verfasser daher — und nicht nur aus seiner Gegnerschaft gegen allen deskriptiven musikalischen Physikalismus — nachdrücklich ab. Aber auch im metrischen Koordinatennetz muß er bekennen, daß gewisse rhythmisch sinnvolle Folgen mit den in der Arbeit dargelegten Prinzipien nicht befriedigend erfaßt werden können. Das liegt, wie gesagt, meines Erachtens am Wesen des Rhythmus als Inerscheinungbringers der inneren Zeit, wie ihn der Verfasser selbst definiert hat. Viele beachtenswerte Bemerkungen und Beobachtungen umsäumen den Hauptgedankenweg des Buches, das ebenso eine eigenständige Leistung wie einen höchst fruchtbaren und daher weiterzuverfolgenden Ansatz darstellt.

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