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Hans Carossa — Mensch und Werk

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„Hier ist ein eigener Ton wie selten in dieser Epoche, wo alles George, Dehmel oder mich nachäfft, und hier ist, was noch schwerer wiegt, eine wirkliche Person dahinter, ein Mensch, der der Mühe wert ist... Der Mann ist nichts weniger als ein anfangender Literat, sondern ein vielbeschäftigter Arzt in einem kleinen Landstädtchen und steht um die Mitte der Dreißig.“ Mit diesen Zeilen wurde vor vierzig Jahren Hans Carossa in die Literatur eingeführt: Hugo von Hofmannsthal war der Schreiber, Anton Kippenberg — der spätere Freund und Verleger — der Adressat jenes Empfehlungsbriefes. Nun feiert, an dem Tage, da der Dichter „in das Alter des Psalmisten eintritt und die Wandlung auf dem Abendfeld beginnt“, die Insel ihren Autor durch ein zweites „Buch des Dankes“ (das erste war vor zwanzig Jahren zum 50. Geburtstag Caros-sas erschienen), und Freunde, alte und junge, aus Deutschland und vom Ausland, haben dazu Erinnerungsblätter und dichterische Beiträge gestiftet. Brandenburg, Penzoldt und Winkelhofer sowie emige weniger bekannte junge Dichter dürfen sich der persönlichen Freundschaft Carossas rühmen und schildern einprägsame Züge der menschlichen Person. Alverdes, Britting, Braun, Schröder, Hesse und zahlreiche andere zeigen die Breite des Feldes, innerhalb dessen Carossas künstlerische und menschliche Wirkung spürbar wurde. Mit amüsierter Zustimmung He6t man J. Bitheils Beitrag über Carossa in England. Vier seiner Werke wurden ins Englische übersetzt und „Eine Kindheit“, in einer Schulausgabe aufgelegt, ist nicht nur Pflichtlektüre, sondern eines der Lieblingsbücher der jungen Engländer. Bithell gibt die Erklärung dafür: Carossas biologischer Optimismus, seine Lehre vom Heilen, seine „englische Zurückhaltung und Zartheit in der Behandlung der Beziehungen zwischen Mann und Frau“ — all das gebe dem Engländer das Gefühl, als sei Carossa einer der ihren; und Bithell spendet dem

Jubilar das höchste Lob, das er zu vergeben hat, indem er Carossa bestätigt, daß er „den Eindruck eines gediegenen und würdigen Engländers“ mache. — Trotz einiger persönlich gehaltener Erinnerungsblätter in dem vorliegenden Sammelwerk und trotz des autobiographischen Charakters der meisten Bücher bleibt der Mensch Carossa doch „persona incognita“. So schwebt auch das Werk zwischen Realismus und Magie: „Ihn beschäftigt nicht die Vergangenheit, er ist vielmehr darauf aus, aus dem Gegenwärtigen das Künftige zu schaffen.“ Auf eine sehr taktvolle und zugleich entschiedene Art wird von den beiden Engländern, die in der Geburtstagsgabe mit Beiträgen vertreten sind, Carossas Verhältnis zum Nationalsozialismus untersucht. Nach einer genauen Abgrenzung gegen die Nationalchauvinisten und Rassengläubigen wird darauf verwiesen, daß Carossa ebensowenig zur anderen extremen Gruppe gehöre, zu den internationalen Literaten und Vermittlern. Trotzdem es Carossa an einer eindeutigen und öffentlichen Absage an den Nationalsozialismus fehlen ließ, bleiben einige mutig Taten des Menschen und einige ebenso mutige Worte des Dichters in gefährlicher Zeit unvergessen.

Zum 70. Geburtstag des Diditers legt der Insel-Verlag eine zweibändige, friedensmäßig ausgestattete Dünndruckausgabe der Werke Carossas vor. Der erste Band enthält die Gedichte, „Die Schicksale Doktor Bürgers“, das „Rumänische Tagebuch“, den Roman „Geheimnisse des reifen Lebens“, tagebuchartige Aufzeichnungen aus Italien sowie das Lebensgedenkbuch „Führung und Geleit“. Der zweite Band umfaßt die autobiographischen Schriften („Eine Kindheit“, „Verwandlungen einer Ju gend“ und „Das Jahr der schönen Täuschungen“), die Erzählung „Der Arzt Gion“, die Weimarer Rede „Wirkungen Goethes in der Gegenwart“ sowie zwei Briefe des Dichters.

Dr. Helmut A. Fiechtner

Aischylos „Die Schutzsuchenden“, übersetzt und herausgegeben von Walther Kraus. Verlag Vittorio Klostermann, Frankfurt/Main. 183 Seiten.

Der Wiener Privatdozent für Klassische Philologie hat sich hier der schwierigen Aufgabe unterzogen, das älteste Drama der Weltliteratur (falls seine Ansetzung vor 490 richtig ist) neu herauszugeben. Die Abweichungen von der Ausgabe von Wilamowitz scheinen wohlbegründet. Die Übersetzung, der Kraus ehr viel Sorgfalt anqedeihen ließ, weicht naturgemäß in den äußerst komplizierten Chorpartien vom Text etwas weiter ab, bietet aber sehr fein nachempfundene Gedanken. Im Dialog ist der Anschluß an das Original enger. Die erläuternde Abhandlung (Seite 117—183) • bietet nicht nur dem Philologen, sondern auch dem Liebhaber der antiken Tragödie wertvolle Exkurse über den Rahmen des Stückes hinaus: ein Index hätte manchen Gedanken vor dem Verlorengehen gerettet. Die Gegenwartsnahe der „Sdiulzsucnenrten“ ist nicht so sehr durch die Flucht vor der Verwandtenehe als durch die Gestalt des Pelasgos, der zwischen der Pflicht des Gastrechtes und seiner Verantwortung gegenüber dem eigenen Volke steht, ergreifend.

Dr. Wilhelm Krause

Novalis. Von Edgar H e d e r e r. Amandus-Verlag, Wien. 421 Seiten.

Es war hoch an der Zeit, daß Novalis, der so oft zitierte und beschworene Romantiker, durch eine Monographie gewürdigt werde. Tatsächlich konnte ein solche vor Vollendung der historisch-kritischen Ausgabe durch Kluck-hohn-Samuel auf letzte Gültigkeit nicht Anspruch erheben. Mit dem Abschluß dieser Ausgabe ist nun der Weg für eine Gesamtdarstellung frei geworden. Der Verfasser kann das Verdienst für sich in Anspruch nehmen, die erste moderne Novalis-Monographie nach Abschluß der philologischen Vorarbeit geschrieben zu haben. Die Methode des Buches beruht auf Zitierung und Kommentierung der Texte, entfernt sich also von dem alten Schema der Monographie — der Mann und das Werk —, stellt Leben und Werk als ein Ganzes dar und legt das Schwergewicht auf das Werk. Ein gewissenhaftes Bild des Novalissrhen Geistes ist das Ergebnis; ein Geist, der wohl das reidiste spekulative Vermögen des ästhetischen Idealismus war und der vor dem Leser in seiner ganzen Breite entrollt wird. Bedenklicher erscheint der Verzicht des Autors auf Stellungnahme zur bisherigen Novalis-Literatur. Nimmt man diesen Verzicht aber hin, so ergibt das Buch ein übersichtliches und klares Bild dieses Denkerdichters. Auch isoliert der Verfasser seinen Helden aus dessen weiterer geistiger Umgebung, wodurch die Absicht deutlich wird, Novalis nicht in erster Linie in seiner geschichtlichen Bedingtheit, sondern als Person darzustellen. Daher ist die Basis des Geschichtlichen nicht allzu breit geraten. Besonders hervorzuheben ist die Ehrfurcht des Verfassers vor dem Wortlaut der Texte, eine Ehrfurcht, die nach Meinung des Rezensenten in der Literaturwissenschaft noch viel zu wenig kultiviert wird, führt sie doch ins Innerste einer dichterischen Erscheinung an Hand der Sprache. So kann Hederers Buch der Rang einer ehrlichen und getreuen wissenschaftlichen Leistung zugesprochen werden, die das Novalis-Bild auf lange Zeit hinaus bestimmen wird. Auf die Ausmerzung einiger Druckfehler wird bei einer Neuauflage zu achten sein. Dr. Robert M ü h 1 h e r

Die herrschende Klasse. Grundlagen der politischen ' Wissenschaft. Von“ Gaetano Mosca. Verlag A. Francke, Bern. Lizenzausgabe für Österreich: Verlag Bergland-Buch, Salzburg. 404 Seiten.

Gaetano Mosca (1858—1941), der italienische Soziologe, Staatsrechtslehrer und zeitweise Unterstaatssekretär für Kolonien, veröffentlichte 1895 sein Hauptwerk: „Elementi di Scienza Politica“, das noch nach dem ersten Weltkrieg mehrere, vom Verfasser teilweise ergänzte Neuauflagen erfuhr. Das vorliegende Buch — die deutsche Ubersetzung der letzten, 1939 erschienenen Ausgabe — kann mit Recht als das Lebenswerk und wissenschaftliche Testament des Verfassers angesprochen werden.

Mosca hat ein Lehrbuch der politischen Bildung geschrieben, um der Unwissenheit hinsichtlich politischer Grundbegriffe, namentlich der Idee des Staates und der Politik selbst, entgegenzutreten. Seinen Grundgedanken, daß zu jeder Zeit und in allen Ländern das politische Leben des Staates in Wahrheit in den Händen einer einzigen „politischen“ oder herrschenden „Klasse“ lag, die ihre Geltung durch eine „politische Formel“, das heißt ein Prinzip der Autorität und eine Rechtfertigung der Macht, aufrechterhalten muß, soll die Untersuchung aller Faktoren, die geschichtlich und politisch eine Rolle spielen, beweisen, wobei der Verfasser jeder monistischen Geschichtsdeutung energisch entgegentritt.

Der Verfasser zeichnet sich durch ein aufrichtiges Streben nach geschichtlicher Wahrheit aus, läßt aber manchmal eine zu starke Abhängigkeit von den politischen und wissenschaftlichen Grundsätzen des Liberalismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts erkennen. Die Untersuchung des politischen Kräftespieles ist lehrreich, und die dabei verwendeten geschichtlichen Querschnitte sind sehr interessant. Dies sowie die hohe Wertung, die der Verfasser den demokratischen Formen des öffentlichen Lebens entgegenbringt, empfehlen das Werk und machen dem urteilsfähigen Leser die Lektüre heute noch nützlich und genußreich. Dr. Trude Schmitz

Die geistigen Grundlagen der Staats- und Wirtschaftsformen. Von Dr. Felix K 1 e z 1-Norberg. Springer-Verlag, Wien. 35Seiten.

Die kleine Schrift Klezl-Norbergs verfolgt das Ziel, die Streitfragen über die Staats- und Wirtschaftsformen „aus dem Streite politischer Parteien und einseitiger Weltanschauungen herauszuheben und sie auf eine Plattform vollkommen objektiver, rein wissenschaftlicher Erörterung zu setzen“. Diese Zielsetzung bringt es notwendig mit sich, daß die Streitfragen nicht von ihren geistesgeschichtlichen und sozialgeschichtlichen Wurzeln verstanden und behandelt werden, sondern die Unterschiede der politischen Ideologien auf Grund rein formaler Kriterien aufgewiesen werden. Ein ungewöhnlicher Vorgang, der natürlich nicht zu einem vollen Verständnis jener Fragen führen kann, die unsere Zeit bewegen, wohl aber brauchbare äußerliche Unterscheidungen zu bieten vermag. Der sozialgeschichtlich und ideologiengeschichtlich “ungemein wichtige und wohl auch oft aufgewiesene Zusammenhang zwischen den modernen individualistischen und kollektivistischen Ideen, der sicherlich für die Behandlung der sozialen Problematik der Gegenwart höchst bedeutsam ist, kommt dabei nicht zum Vorschein, denn gerade der äußere Gegensatz zwischen ihnen ist das eigentliche Thema der Schrift. Immerhin aber kommt die innere Un-haltbarkeit des abstrakten Freiheitsbegriffes (Seite 11 ff.) klar zum Ausdruck, die innere Unhaltbarkeit, weil Freiheit ohne Normen nicht bestehen und nicht zu Ende gedacht werden kann. Freilich, die Normen aufzuzeigen, wird als metawissenschaftlich nicht versucht. Es wird nur darauf hingewiesen, daß diese Normen — formal — entweder autoritativ festgesetzt oder von den Individuen her bestimmt werden. Dies wird mit den unterscheidenden Kategorien: deduktiv — induktiv, realistisch — nominalistisch, universalistisch — individualistisch, objektiv — subjektiv, absolut— relativ durchgeführt. Es würde über den Rahmen einer kurzen Besprechung hinausführen, wollte man die Frage behandeln, ob eine solche Verwendung dieser Termini zweckmäßig ist.

In sehr richtiger Weise werden Liberalismus und Sozialismus als Einseitigkeiten bezeichnet. Der Weg aus den Einseitigkeiten ist Im wesentlichen auch für Klezl-Norberg der „dritte Weg“ Wilhelm Röpkes.

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