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VON NEUEN BÜCHERN

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Es gehört zur Eigenart der heutigen geistigen Situation, daß im Mittelpunkt aller Auseinandersetzungen das Problem des Menschen steht. Seine Bedrohung von seiten der Theologie zeigt das eben in 2. 'Auflage erschienene englische Buch: „The Mind and Heart of Love“ („Sinn und Herz der Liebe“) von M. C. D'Arcy S. J. (London 1946, 333 Seiten, Verlag Faber and Faber, London). Dem Haupttitel ist ein erklärender Untertitel beigegeben: „Löwe unch Einhorn, eine Studie über Eros und Agape.“ Der Löwe und das mythologische Einhorn, die in ihren Pranken ein Herz halten, sind aus einem Wappenschild genommen und versinnbilden zwei verschiedene Arten von Liebe, der Löwe die selbf.isch alles an sich reißende, und das Einhorn die bis zum Tode sich aufopfernde Liebe.

Nun aber ist nicht bloß. das Einzelleben von der Mitte der Liebe bestimmt, sondern auch das große Leben der Völker und Kulturen. So sieht der Schwede Nygren in seinem Buch „Eros und Agape“, mit dem sich D'Arcy sehr eingehend auseinandersetzt, im Eros die treibende Unruhe des griechischen Geistes. Er deutet Eros kosmisch-dualistisch als den Aufbruch der in die böse Materie gebannten Psyche, die mit allen Fasern ihres Seins den ewigen Ideen zustreb*. Eros ist nach ihm ganz und gar allein Tat des Menschen. In diese griechische Geisteswelt trat das Christentum mit seiner Botschaft von der Agape Gottes. Diese ist ganz und gar Gottes Tat allein. Der Mensch kann zu ihr absolut gar nichts beitragen. Er wird von Gottes Gnadenliebe überkleidet. Als Antwort entspräche von Menschenseite nicht Gegenliebe, sondern nur Glaube. Die Macht des zu Gott emporstrebenden Eros ist in der Auffassung Nygrens mit dem „echten“ Christentum unvereinbar.

Mit dieser Auffassung ist aber der Mensch in seiner Wesensmitte bedroht. Nygrrns These ist eigentlich nur die modern formulierte Lehre von der totalen Verderbtheit der Menschennatur oder der psychologische Ausdruck dessen, was der Existenzialtheologe Karl Barth von dem „ganz anderen Gott“, der vom Menschen unerreichbar ist, ausgesagt hat.

Dieser Auseinanderreißung von Gott und Mensch — und hierin liegt das Hauptanliegen des Buches — stellt D'Arcy die verbindende katholische Mitte gegenüber. Er erreicht dies, indem er den konträren Begriffen von Eros und Agape als verbindendes Glied die P h i 1 i a (Freundschaft) gegenüberstellt. Denn der griechische Geist lasse sich nicht auf das Prokrustesbett des Eros allein spannen, sowenig wie das Frühchristentum auf das der Agape allein. Nygren selber müsse auf Schritt und Tritt in den christlichen Texten die Spuren des aufstrebenden Eros feststellen. Dies vor allem bei Augustinus und den Theologen des Mittelalters, wo griechischer Geist das Christentum vollends entstellt habe.

Nygrens Grundirrtum besteht in der Verkennung der menschlichen Person. Als Person ist der Mensch ein Selbst-ständig-Seiender und Sprechender. Auch Gott gegenüber wird diese Selbständigkeit nicht ausgelöscht, wenn er „begnadet“ wird. Philia ist ein Sagen und Antworten. Christentum der Dialog Gottes mit dem Menschen. Freilich ist das Wort, das Gott in den Menschen hineinspricht, schöpferisch, indem es den Stand der Kinder Gottes erschafft, jedoch wird dadurch das Menschenwort nicht erdrückt. Christentum ist vielmehr Vermählung von Göttlichem und Menschlichem.

Das Buch ist nicht bloß für den Theologen interessant, sondern es erreicht in den Kapiteln über Liebe und Freundschaft eine Schönheit der Sprache und einen Weitblick sowohl in die Tiefen der menschlichen Seele wie auch in die großen Zusammenhänge der Literaturen (vor allem Minnesang) und Kulturen, so daß es zu den wertvollsten der Nachkriegsliteratur gezählt werden muß. *

„Antike Erziehungsweisheit.“ Ethische Unterweisungen aus Seneca. Von Robert Lölirtr. Rex-Verlag, Luzern 1946.

Daß die Buchreihe „Verpflichtendes Erbe“ bei ihrer ausgesprochen religiös-praktischen Zielsetzung auch eine beschränkte Anzahl antiker

Texte bringt, darf nicht verwundern. Die Zeiten sind vorbei, da man die Tugenden der Heiden leichthin als „glänzende Laster“ abtun konnte. Unser Zeitalter hat einen solchen Grad der U n natur und der U n menschlich'keit erreicht, daß man nicht ohne seelischen Gewinn zum Idealbild natürlicher Menschlichkeit zurückkehrt, wie es edle Geister des Altertums in ihren Schriften schauten und erstrebten. Gewiß werden wir beim Humanismus der Antike nicht stehen bleiben. Aber da nun einmal die Gnade auf der Natur aufbaut, werden wir im Sinne eines „Christlichen Humanismus“ immer wieder mit Nutzen aus der Erfahrungsweisheit der Alten schöpfen. — Das vorliegende Büchlein ist nun das erste aus einer kleinen Reihe, die aus der vorchristlichen Antike unter anderen auch Cicero, Laelius und „Über die Pfliditen“ bringen wird. Eine kurze Einführung weist auf die Bedeutung Senecas, biographische Angaben bilden den Abschluß. Die Auswahl selbst beruht auf den Moralbriefen an den Freund Lucilius, unter Heranziehung eines Großteils auch der anderen Werke Senecas. Löhrer sucht in 17 Abschnitten jeweils einen Gesichtspunkt herauszustellen und läßt Seneca in wenigen, aber eindringlichen Sätzen sprechen: vom Wert der Zeit, von wahrer Freundschaft, vom Wohltun, vom sozialen Brudersinn und anderem mehr. Vollständigkeit ist ebensowenig das Ziel Löhrers wie eine geschlossene Darstellung der Ethik Senecas. Aber er erreicht sein Ziel: er zwingt den Leser zum Nachdenken, und darum geht es bei dieser Reihe. , Dr. Wilhelm Krause

„Über den Geist der Eroberer“ und „Der Geist der Usurpation“. Von Benjamin Consta o t. Amandus-Edition, Wien 1946.

Zur Herausgabe mag eine gewisse Analogie zur heutigen Zeit bewogen haben. Wie innerlich verschieden trotz der gleichen Themenstellung die Situation geworden ist, zeigt der Inhalt. Immerhin ist den Ausführungen B. Con-stants auch heute noch eine Aktualität eigen. Eine tiefschürfendere Einführung in den Gedankenkreis wäre sicherlich von Vorteil gewesen.

Professor Dr. Leopold L e n t n e r

Wladimir Solowiew: Zur Begegnung zwischen Rußland und dem Abendland. Von Friedrich Muckermann S. J. Verlag Otto Walter, Ölten.

Friedrich Muckermann, innerhalb der letzten Jahrzehnte sicherlich eine der, blendendsten Erscheinungen der katholischen Geistigkeit, hinterließ uns in seinem letzten Werk, das der Person des russischen Philosophen Wladimir Solowiew gewidmet ist, gleichsam ein Vermächtnis. Von der Gestalt des großen Denkers ausgehend, der einer bekannten russischen Familie entstammte, schon in jungen Jahren Hochschulprofessor wurde, dann seine Lehrkanzel aus politischen Gründen aufgeben mußte, der, erfüllt von der Liebe zur Heimat seiner Väter, gleichzeitig vertraut war mit der gesamten Kultur des Abendlandes, der nicht nur ein großer Russe, sondern ein ebenso großer Europäer war und in dessen Person sich Rußland und das Abendland zu einer Einheit verbanden, zeigt der Verfasser einen Weg, auf dem die Begegnung zwischen dem Westen und dem Osten Europas erfolgen kann. Schon an der Schwelle des Todes stehend und inmitten eines grauenvollen Sterbens — das Buch erschien während des letzten Völkerringens — schreibt der Verfasser so ein Buch der Versöhnung und des Friedens. Das Buch, das, wie alle Werke Muckermanns, in einem ausgezeichneten Stil geschrieben ist, bietet dem europäischen Leser, der die Werke Solowiews noch nicht kennt, die Möglichkeit, diese an Hand der sehr gut ausgesuchten Stellen genügend kennenzulernen. DDr. Willy Lorenz

„Von Kunst und Kennerschaft.“ Von Max J. Friedländer. Verlag B. Cassirer und E. Oprecht, Zürich 1946.

Einer der besten Kenner früh-niederländischer Malerei erzählt hier aus dem reichen Schatze seiner kunstkritischen Erfahrungen, nicht mit trockenen Worten, sondern mit der Wärme des wahren Kunstfreundes. Immer steht das Kunstwerk selbst im Vordergrunde seiner Betrachtungen, nicht dessen wissenschaftliche Eingliederung in irgendwelche Kunstrichtungen. Sehr treffend sind Friedländers Unterscheidungen zwischen Kunstkennern und Kunstgelehrten, überaus fein die Art, wie er den Leser in die Betrachtung und das genießerische Schauen eines Bildes einführt. In aphoristischer Form behandelt er das ganze Gebiet der Kunstbetrachtung, wobei er immer vom Objekt und niemals von irgendeiner vorgefaßten Theorie ausgeht. Die Lektüre dieses Buches ist wirklich ein Genuß und Gewinn für jeden Kunstfreund, nicht nur wegen dei ausgezeichneten Inhalts, sondern auch wegen des brillanten Stils, in dem es abgefaßt ist.

Dr. Viktor T r a u t z 1

„Zeitschrift für österreichisches Recht“, 1. Jahrgang, Nr. 3/4. Festschrift für Theodor Rittler. Verlag Rauch, Innsbruck.

Die als Festschrift erschienene Nummer ist eine Jubiläumsausgabe zur Feier des 70. Geburtstages des weit über die Grenzen Österreichs hinaus bekannten Strafrechtlers Univ.-Professors Dr. Theodor Rittler. Durch volle 38 Jahre hat er bisher als Lehrer des Strafrechtes und Strafprozeßrechtes gewirkt, und seine Schüler zählen daher nach Tausenden. Darüber hinaus hat er aber auch durch seine zahlreichen Publikationen sich in der Juristenwelt einen angesehenen Namen gemacht, und vor allem die jüngere Juristengeneration Österreichs kann sich durch das Studium von Rittlers Standardwerk „Lehrbuch des österreichischen Strafrechtes“ ausnahmslos zu seinen Schülern rechnen. Es ist dtrum für jeden österreichischen Juristen, auch wenn er Professor Rittler persönlich kennenzulernen nicht das Glück hatte, von Interesse, aus der vorliegenden Festschrift, vor allem durch den Aufsatz des Univ.-Professors Foltin, auch einige bemerkenswerte Daten über, die Persönlichkeit des berühmten Strafrechtslehrers zu erfahren, der nicht nur als Jurist, sondern auch wegen seines großen Verständnisses für die Kunst gerühmt wird, das er namentlich durch seine Artikel über „Bildende Kunst und Strafgesetz“ und „Goethe und die Grundprobleme des Strafrechtes“ bewiesen hat.

Neben der Skizze über die Persönlichkeit Professor Rittlers und einigen theoretischen Darlegungen zur Strafrechtslehre finden sich in der Festsdirift vor allem zwei Abhandlungen, die auch für die breitere Öffentlichkeit von Interesse sind, und zwar: „Zur Reform des Schwurgerichtes“ (Dr. Graßberger) und „Der Ausbau vorbeugender Maßnahmen im österreichischen Strafrecht“ (Dr. Seelig).

Dr. B. Schimitschek Ausgewählte Gedichte. Von Viktor B u c h-graber. Verlag Herder Wien, 158 S. t Preis: S 7.50.

Den Lesern der „Furche“ ist Name und Kunst des Autors aus zahlreichen in unserem Blatte erschienenen poetischen Beiträgen wohlvertraut. Der Diditer schöpft aus den tiefsten Quellen der Inspiration; immer wieder, ob er nun von Natur und Heimat, von prüfungsreicher Kriegszeit spricht, ob er aufruft oder mahnt, jubelt oder klagt, durchleuchtet sein Wesen, befeuert seine dichterische Kraft der göttliche Funke des Glaubens. Diese zeitnahe in wohlgeformten Rhythmen dahinströmende Lyrik ergreift durch ihre jeder Theatralik abgeneigte Natürlichkeit und Empfindungswahrheit. Mögen sich viele an diesen edlen Schöpfungen erfreuen!

Dr. Friedrich Greiffenburger „Der siebenundzwanzigste November.“ Erzählungen. Von Alexander Lernet-Hole-n i a. Amandus-Edition, Wien 1946.

Unter den zahlreichen belletristischen Neuerscheinungen, Prosa und Lyrik, einem Novellenband von Lernet-Holenia zu begegnen, bedeutet eine reine Freude und ein hohes ästhetisches Vergnügen. Der Dichter hat sich, soweit man aus den Veröffentlichungen in Zeitschriften und in Buchform auf die Produktion schließen kann, während der letzten Jahre fast ausschließlich der Form der Kurzgeschichte, der Novelle — wie er sie bescheiden nennt —, der Erzählung, zugewandt. Er bringt für diese Gattung, die zwischen dem Epischen und Dramatischen die Mitte hält, zwei Voraussetzungen mit: einen unfehlbaren Blick für die in einem Stoff verborgen liegenden Spannungsmomente und eine sehr hohe, sehr bewußte Sprachkultur. Sie zeigt sich unter anderem in einer genauen Anpassung, in einer konsequenten Stilisierung der Sprache, die bis in die feinsten Verästelungen der Syntax reicht, wodurch es dem Dichter gelingt, die Atmosphäre einer Zeit, einer Kultur oder einer Gestalt in wenige Sätze zu bannen. Mensch und Schicksal, Psyche und Dämon heißt das Thema dieser Erzählungen, wobei unter Schicksal nicht das Zufällige, sondern das nach dem hohen Gesetz der Notwendigkeit dem Menschen Geschickte und Auferlegte verstanden sein will. Diese Erzählungen spannen den Leser von der ersten bis zur letzten Zeile, ohne daß der Dichter mit den groben Requisiten der Uber-raschung und des deus ex machina arbeitet. Das Ungewöhnliche, die novellistische Pointe, erfährt oder ahnt man oft schon zu Beginn, fast ausnahmslos aber vor dem Ende der Erzählung. In manchmal etwas weit ausgesponnenen Erwägungen und Deliberationen macht er den Leser zum Mitwissenden, Mitdenkenden und gleichsam Mitschaffenden am Schicksal seiner Gestalten, eine Technik, die t— auf einer anderen Ebene — Heinrich von Kleist bis zur Vollendung ausgebildet hat. Die Hälfte der acht in diesem Bande vereinigten Erzählungen spielt in der Welt der'Romania. In ihrer Kultursphäre fühlt sich Lernet-Holenia ganz besonders zu Hause, und auch die allgemeinen philosophischen Betrachtungen, die den Gang der Handlung zuweilen unterbrechen, erinnern in ihrer Diktion an die großen französischen Meister des Aphorismus im 17. und 18. Jahrhundert, an La Rochefoucauld, Rivarol und anderen. Es ist besonders dankenswert, daß der Verlag diesen Novellen, mit denen die große österreichische Erzählertradition des 19. Jahrhunderts würdig fortgesetzt wird, auch eine angemessene Ausstattung — vor allem einen sauberen Satz und sehr schöne Typen — gegeben hat.

Dr. H. A. Fiechtner „Bahnbrecher.“ Ein Roman um den Sem-merling. Von Kurt Frieberger. Szolnay-Verlag, Wien 1946.

Ein Buch von jener Art, auf die das österreichische Lesepublikum wartet, ein österreichisches Buch. Im Mittelpunkt steht das gewaltige Werk des Baues der ersten Hochgebirgsbahn in Europa und die Gestalt von dessen Schöpfer, der, obgleich Venezianer von Geburt, doch als Kind eines kaiserlichen Beamten zutiefst in österreichischer Lebenischau verwurzelt ist. Ungemein packend ist die Darstellung, die das Werden und Vollenden des kühnen Unternehmens gegen eine Welt von Zweiflern, Gegnern und Neidern aufzeigt, ansdiaulich der Hintergrund, der die inneren und äußeren Kämpfe einer gewitterschweren Zeit malt. Die zwischen die beiden Brennpunkte des Buches eingespannte Handlung tritt dagegen etwas zurück. Der Darstellung liegt sicher ein eingehendes Quellenstudium zugrunde. Das erhöht den Wert des Buche. Dr. A. Motzko

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