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VON NEUEN BÜCHERN

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Eine literarische Untersuchung von anglikanischer Seite

Daß innerhalb des Jahres 1945/46 das Buch „Prospect for christendo m“ („Die Zukunft des Christentums“ oder die Stellung des Christentums zur Entwicklung der Zukunft) dreimal aufgelegt werden mußte, beweist, welch spannendes Interesse die Öffentlichkeit den Lösungsversuchen dieses Buches entgegenbringt. Das Werk ist nicht eine zufällige Zusammentragung verschiedener Essays verschiedener Autoren, sondern als innerliche Einheit herausgewachsen aus einem nun schon über zwanzig Jahre bestehenden soziologischen Arbeitskreis, den M. B. Reckit leitet. Die Verfasser bekennen sich zur „anglikanisch-katholischen Kirche“. Vor seiner Konversion zur römisdi-katholischen Kirche gehörte auch G. K. Chesterton zu diesem Kreis.

Diese Männer streben die Antworten auf die sozialen Fragen der Gegenwart auf bewußt christlicher Grundlage an. Daher behandelt das erste Kapitel „Grundlegungen“ das Wesen des Christentums. Dem „katholischen“ Christentum ist ein inneres Span-nungsverhältn:s eigen. Es ist ausgerichtet auf das kommende Reich Gottes im Jenseits. Daher macht man ihm den Vorwurf, es sei eine utopische Weltauffassung, die sich nicht unterfangen darf, in die irdischen Ordnungen einzugreifen. Durch solche Auffassung übersieht man aber, wie die Verfasser darlegen, ganz und gar die andere Spannungskomponente. Denn durch die Menschwerdung Christi ist das Reich Gottes in diese reale, konkrete Welt eingetreten. Der Christ in der Zeit ist also einem Wanderer zwischen zwei Welten zu vergleichen. Sein Lebens-rüythmus ist durchhaucht von der Hoffnung. (1. Essay: „The hope of christendom authen-tik“ von Reverend Davey.) Am Wesen des echten Christentums geht daher vorbei, wer in einem selbstzufriedenen Pietismus die Lösung der sozialen Probleme auf das Jenseits vertröstet oder in einem ungeduldigen

Materialismus sie allein nach den Maßstäben dieser Welt zu lösen versucht. Beide gehen an der Not des Menschen vorbei, weil sie den Menschen selber nicht verstehen.

Diesen Ausführungen folgt in einem zweiten Kapitel die Darlegung einer christlichen Soziologie durch Reverend Demant: Der Mensch kann in seinem Sein nicht verstanden werden außer in seiner Planung von Gott her, die erkennbar wird im Naturrecht. Der Einzelmensch hat Eigenwert seiner Persönlichkeit, die ihm von einer noch so raffiniert durchorganisierten und durchplanten Gesellschaft (planned society) nicht genommen werden kann. Denn der einzelne ist nicht bloß Zahnrad einer großen Maschine. Einst wurde die Persönlichkeit von außen her bedroht durch die Sklaverei, heute erfolgt die Bedrohung von innen her, da das Wissen um das Wesen des Menschen verlorengegangen ist, die Grenzen zwischen Einzelmensch und Gemeinschaft ins Wanken gekommen sind und der Ausbildung eines einseitigen Idealismus, aber auch dem Zugriff eines jeden totalitären Systems Tür und Tor geöffnet ist.

England kann als das Land angesehen werden —1 das Buch verhehlt diese Wahrheit nicht —, das durch die „industrial revolution“ die „Umkehrung der Natur“ ins Leben rief. Die Vergötterung der Wirtschaft und damit einhergehend: die Preisgabe des Menschen wurde die besondere Schuld Englands in der Zeit der Theorien Adam Smiths und ihrer praktischen Anwendung. Der wirtschaftliche Mensch ist in England geboren und erzogen worden. Bereicherungssucht und Wissenschaft sind bei seiner Geburt Pate gestanden. Es wurde zum Verhängnis, daß man wirtschaftliche Energie zugleich als Zeichen moralischer Tugend angesehen hat. Durch die „industrial revolution“ wurden die Bindungen an die Familie gelockert, wenn nicht ganz zerstört. wuchsen die Riesenstädte heran, die keine Verwurzelung mehr haben im Boden der Heimat. Es entstand das Proletariat. Die ganze Politik, das Finanzgebaren und das

örTentEche Leben sind von diesen Tendenzen durchdrungen.

Weil der „Rhythmus des Lebens“' verlassen wurde, weil der Einzelmensch, seiner Würde entkleidet, die Familie zerstört, ja selbst der Erdboden in eine unerhörte Ausbeutung hineingezogen wurde, treten allgemeine Er-müdungserscheinungnen auf, psychologische und physische. Eer Nachwuchs bleibt aus. Das Durchschnittsalter der Bevölkerung wird immer höher. Im westlichen Europa bleiben viele Menschen unfruchtbar.

Demgegenüber muß, wenn wieder aufgebaut werden soll, eine neue sittliche Durchdringung vom Religiösen her einsetzen. Wir haben es heute schwerer als die Römer. Denn diese kannten das Christentum noch nicht. Heute aber meinen viele, daß das Christentum versagt habe und unfähig sei, eine neue Welt aufzubauen. Wie kam es zu diesem totalen Mißverständnis? Weil das Christentum vielfach zu einem zwar eifrigen, aber sterilen Moralismus erstarrt, war, der auf die tatsächliche Weltgestaltung verzichtete.

Nun aber ist die „katholische“ Soziologie nicht bloß eine Sammlung edler, ethischer Ideale, sondern sie ruht auf der einzig wahren Diagnose des Menschen. Es gibt keinen Bereich der Welt, der nicht christlich durchformt werden müßte. Im morgigen Christentum muß das Evangelium dargestellt werden als die frohe Botschaft von der Wiederherstellung aller Dinge in Christus. Das Fundament hiefür ist aber die rechte Erkenntnis vom Wesen des Menschen, die nur in Christus möglich ist. Daher ist das Christentum mehr denn je aufgerufen, an der Zukunft der Menschheit mitzubauen, weil es keine andere Rettung aus der Not gibt.

So die englischen Verfasser. Ihr Buch „Prospect of Christendom“ erscheint aus zwei Gründen von besonderer Bedeutung. Es stellt nicht eine „klerikal-kirchliche“ Verkündung des Christentums in den Vordergrund, sondern die Verteidigung der „Menschenrechte“. Von daher würde sich eine Zusammenarbeit mit allen jenen eröffnen, die1 das Wohl des Menschen wahrhaft wollen. Zum anderen aber kann das Buch als ein Weiser zu einer geeinten Christenheit aufgefaßt werden. Christen der anglikanischen Kirche bekennen sich hier im wesentlichen zu den gleichen Grundsätzen, wie die Päpste in ihren verschiedenen Rundschreiben und Äußerungen zur sozialen Frage.

DDr. Glaus S c h e d 1

3 sbnrH lib '/•. ifHiiai tu iio n „950 Jahre Österreich.“ Ein Gedenkblatt zum 1. November 1946. Von Dr. Ferdinand T r e-m e 1, Styria Steirische Verlagsanstalt, Graz 1946.

Die kleine Broschüre enthält, nebst einer Einleitung, sechs der wichtigsten Urkunden aus der Frühgeschichte Österreichs, sowohl in der Originalsprache, wie in einer guten Übersetzung, so unter anderem die jetzt so oft zitierte Urkunde, in welcher der Name „Ostarichi“ zum erstenmal vorkommt, das „Privilegium minus“, die Georgenberger Handfeste usw. Die Broschüre wird besonders für die Mittelschulen einen wichtigen Lehrbehelf darstellen, da die angeführten Urkunden sonst nur in den Spezial-werken zu finden waren. Dr W. L.

„Wahlfranzosen.“ Von Georges Dumaine, Wiener Verlag 1946.

Der Roman des hiesigen französischen Presse-korresponienten bietet Bilder und Schicksale von Ausländern, welche in den verhängnisvollen Jahren 1939/40 als Kriegsf reiwillige in die französische Armee eingetreten waren. Die offene Sprache und die gerechte Selbstkritik, welche nichts verschönt und kaschieren will, ist nicht nur erfreulich, sondern bietet ein herrliches Bild von der Scelenstimmung innerhalb der Armee Frankreichs um diese Zeit So etwas konnte nur ein Franzose schreiben, weil er die innere Freiheit dazu hatte und er auch den Geist besitzt, sie sich zu bewahren. Diese lebendig geschriebenen Skizzen bieten uns einen besseren Blick in das Denken jener Militärs von Frankreich, welche Schuld waren an den Ereignissen von 1940, als irgendwelche Abhandlungen. Aber Dumaine gesteht dies ohne Bitternis und Verstimmung ein und mit richtigem Humor. So ist dieser Roman auch nicht gebaut nach Gedanken und Regeln, sondern mitten aus dem Leben gegriffen und deshalb so wertvoll und empfehlenswert. Dr. L. L e n t n e r

„Stiefmutter Erde.“ Von Theun de V r i e s (Deutsch von Anne Gcrdeck de Waal) Büchergilde Gutenberg, Wien 1946, 462 Seiten.

Ein Budi ohne Licht und Wärme von der friesischen Erde, die fast stündlich von den Gewalten des Meeres bedroht ist. Das macht die Menschen hart und karg, nimmt ihren Leidenschaften, ihrem Ehrgeiz jede Hemmung. Leid empfinden sie lediglich als Geißel Gottes. Die Verbindung persönlichen und politischen Schicksals in den tragischen Auseinandersetzungen zwisdien Landschaft und Industrie ist beachtenswert gelungen. Leider hütet sich die gnadenlos offene Sprache nicht vor verletzenden Derbheiten, die Beziehungen der Geschlechter entbehren der Zartheit. Alles verfließt im lastenden Nebel hoffnungsloser Unerlöstheit. Das Buch spricht nirgends zu unserem Herzen.

Dr. K. EberhW

„Die lange Nacht.“ Von Grete v. Scheuer. Zeichnungen von Walter Behrens. Wiener Verlag 1946. 155 S.

Fahles Kellerlicht ist ausgebreitet über den zu einer Erzählung vereinigten trost- und zukunftslosen Bildern und Szenen aus den Luftschutzräumen von Wien in der Zeit der letzten Bombenangriffe. Die Verfasserin hat sich an eine erste Auseinandersetzung mit den grauenhaften Erlebnissen der jüngsten Vergangenheit gewagt. Der Vorwurf des Buches wäre der Feder eines Poe oder des Stiftes eines Kubin würdig. Das Wagnis ist nur zum Teil gelungen, die Gestaltung hat nicht letzte Form gefunden, die Möglichkeiten sind nicht völlig ausgeschöpft, es bleibt noch viel und dies auch anders zu sagen. Die Stimmung jener dargestellten Zeitspanne in ihrer unvorstellbaren Ausweglosigkeit ist jedoch fühlbar festgehalten. Die Zeichnungen von Walter Behrens tragen nicht dazu bei, das Buch zulänglicher zu gestalten. A. Freisler.

„Lorenzo.“ Von Guelfo C i v i n i n i, Bühl-Verlag, Herrliberg-Zürich, 1943. S. Fr. 6.50.

Das Buch enthält zwölf selbständige Novellen, die nur durch die Hauptperson, den achtzigjährigen Lorenzo verbunden sind. In den Farben der Präraffaeliten zeichnet der Livorneser Guelfo Civinini die dünne Luft der Maremmen, das verlorene silberne Schwemmland, das sich bis zum Argentino hinauszieht, die sanften Hänge gegen den See von Bolsena, die ruhigen Wälder und das bescheidene Leben der Menschen dieser mittelitalienischen Landschaft. Jeder Liebhaber einer kultivierten Sprache, die durch die Ubersetzung nicht gelitten hat, wird dieses Büchlein gerne lesen. Dr. W. Lorenz

„Zeitnahe Gestaltung der Tauffeier.“ Von Theodor B 1 i e w e i ß. Wien 1946, Verlag Herder.

Zwei Schriften standen uns bisher für die Angehörigen des Täuflings zur Verfügung: „Rüstet zui hl. Taufe“ vom Wiener Seelsorgeamt und „Taufe und Tauferneuerung“ von Pius P a r s c h. Letztere Schrift wurde bisher und wird auch in Zukunft bevorzugt werden, da es in lateinischer und deutscher Sprache den Taufritus bringt. Das Büchlein von Pfarrer Blieweiß füllt aber eine bisher bestehende Lücke aus, indem es dem taufenden Priester und dem Laien grundsätzliche und praktische Anregungen für die Zurüstung~und Gestaltung der Tauffeier gibt sowie Vorschläge liefert für „Nach der Taufhandlung“ und spätere Vertiefung des Taufbewußtseins. Freilich wird mancher Vorschlag, zum Beispiel die Patenunterweisung und Taufpatenlehrstunde, erst in Zukunft sich verwirklichen lassen, bis wir unsere Katholiken in der heranwachsenden Generation mehr zu religiösem Pflichtbewußtsein erzogen haben werden. Bestimmt aber ist gerade die Patenschaft der wundeste Punkt bei der Taufe. Sehr dankbar wird jeder Priester dafür sein, daß Ihm, dem Handelnden bei der Tauffeier, Pfarrer Blieweiß in der Gestaltung der Feier so sehr an die Hand geht. Die meist in der Sakristei übliche Tauf- Zeremonie liegt ja oft im argen. Jeder Jugendseelsorger wird mit Erfolg so manche Seelsorgestunde mit dem Inhalt dieses Werkchens sehr sinnvoll und anregend ausfüllen können.

Dr. P. Raimund Edelmann

Aus dem Büchereinlauf

„Arthur Schopenhauer, Aphorismen zur Lebensweisheit.“ Mit einem Vorwort von Michael Landmann. Verl. Zollikofer, St. Gallen. 260 Seiten.

„Österreich 1918 bis 1938 eine Demokratie?“ Betrachtungen eines Neutralen von P. T. L u x. Leykam-Verl., Graz. 128 Seiten.

„Das Ehepaar Orlow.“ Von Maxim G o r k i. Verl. „Die Brücke“, Wien. 123 Seiten S 5.—.

„Die Wirtschaftssubstanz Österreichs.“ Von Dr. Ernst Robitschek, Wirtschafts-Verlag, Wien, I., Graben 17 62 Seiten. S 2.50.

„Die große Stunde des Katholizismus.“ Von Robert Krasser. Schriftenreihe der Katholischen Aktion, Nr. 1. „Albredit Dürer“-Verl., Wien, VIII., Strozzigasse 8. 16 Seiten.

„Die Insel.“ Von Giani Stuparich. Karl H. Bischoff-Verl., Wien. 110 Seiten.

Vom Verlag Herder, Freiburg i. B. liegen Neu. erscheinungen vor, von denen wir verzeichnen: Ludwig Wölk er: „Die Barmherzigkeit und das Almosen“, „Die leiblichen Werke der Barmherzigkeit“, „Die Hungerkatediese'. — Drei Hirtenschreiben von Erzbisdiof Dr. C. Gröber: Rückblick und Ausblick (8. Mai 1945); Trauer und Hoffnung (Fronleichnamsfest 1945); Die deutsche Jugend. Ihr IrrWeg und ihre Heimkehr (1. August 1945). — Reinhold Schneider: „Von der Würde des Menschen“, „Kirche, Bibel und Abstammungslehre“, „Jesus Christus gestern und heute“, „Versöhnung der Gläubigen“, „Gott, der Vater und Herz“, „Auffindung des Kreuzes“, „Das Gebet in der Zeit“, „Die Macht der Friedfertigen.“ — Philipp Dessauer: „Trauer und Seligkeit.“

— Alfons Beil: „Die Einfalt des Herzens.“

— Dr. B. Welte: „Vom Geist der Buße und vom Trost der Buße.“ — Ida Friederike Görre s: „Der heilige Severin“, „Von der Heimatlosigkeit“, „Ein Kreuzweg der Fürbitte.“

„Zeitungsweiser“. Nachschlagbehelf über die seit April 1945 in Österreich erschienenen und erscheinenden Zeitungen und Zeitschriften. Verlag: Zentralkartei österreichische Zeitungen und Zeitschriften. Wien, I., Singerstraße 8. 68 Seiten. S 8.—,

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