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Der Mensch und sein Schicksal

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Das Salz der Erde. Roman. Von Peter B e r g 1 a r- Schröer. Bonner Buchgemeinde. 388 Seiten. Preis 14 DM.

In Deutschland um die beginnende Hitler-Zeit: Damals wurden die alten Menschen mit dem Leben nicht mehr fertig, weil sie es gar nicht verstanden, was da kam. Die „Mittelalterlichen" standen zwischen den Fronten: die einen als Gegner, die anderen als Genießer. Die junge Generation tat mehr oder weniger genau mit — aber weil sie jung, war, hatte sie ganz unpolitische Probleme, menschliche Fragen, zeitgebundene Schwierigkeiten, allen Menschen als Menschen gemeinsame Nöte und Höhen. Dies wird im Roman Berglar-Schröers beschrieben. Dazwischen sind noch weitere Horizonte aufgetan: Wie sieht es aus von seiten der Engländer (einer Frau und eines jungen Adeligen)? Wie sieht es aus von seiten eines französischen Mönchs? Wie können es die Katholiken und solche, die ihnen nahe sind? Wie vermögen es die Protestanten? Dieses ganze seltsame Gemisch, das jene Zeit bot und war, lebt in diesem Buche. Aber wie das Salz in die Masse der Speise sind zu jeder Zeit Menschen eingemischt, die zwar mitleben, aber dennoch eine außerordentliche Sendung haben: das Salz der Erde, der Sauerteig der Völker. Wie in keiner uns nahen Geschichtszeit sind diese wenigen erkennbar daran, daß für sie „die Angst nur das

Vorletzte ist“. „Die Dummheit des Unglaubens, die eine Welt, der das Salz des Glaubens fehlt, verkommen läßt“, kann man auch positiv ausdrücken: Es gibt immer Weise aus dem religiösen Glauben, um derentwillen die ungläubige Welt gerettet wird. Das sind die Stellvertreter. „Pater Franęois hat getan, was gerade und zugleich vollkommen genügt: er hat den Weg der Stellvertretung gewählt.“ Die Stellvertreter dieses Jahrhunderts sind das Salz der Erde, sie müssen gleicherweise für die Opfer wie für die Täter aller Grausamkeiten da sein: d a in einem unscheinbaren, aber vom eigenen Gewissen aus konsequenten Da-Sein, Dabei-Sein, Mit-allen-Sein. Und wie das Salz schonungslos die Speise durchsetzt und erst dann wirkt (es gilt auch das Bild vom Weizenkorn, das sterben muß, um viele Frucht zu bringen), so ist’s mit diesen Menschen. — Es ist beglückend, daß einer auf die Idee kommt, unser Jahrhundert dadurch auszuzeichnen, daß es ein „Jahrhundert der Stellvertreter“ ist.

Die Flut der tausend Ernten. Roman. Von Herbert Tichy. Ullstein-Verlag, Wien. 430 Seiten.

Wie das Leben in China menschlich dem unsrigen gleicht und doch anders ist unter „weitem Himmel und einem weiten Land“ und berührt vom großenGelben Strom — das beschreibt Herbert Tichy in seinem ersten Roman. Er ist die Frucht vieler Erlebnisse im Orient, dem jeder wieder heimkehrende Europäer verfallen zu bleiben scheint.

Neben den chinesischen „Typen“ (die gleichwohl niemals typisiert sind in psychologischem Sinne) hat Tichy die seltsamsten Menschen sich in dem Dorfe San-Men treffen lassen. Ein kanadischer Missionär, Morris, ein norwegischer Techniker, Frank Peters, die in Amerika erzogene Chinesin Meiling (die als Aerztin diesem Distrikt zugewiesen ist) und ein chinesisches Flüchtlingsmädchen, Kuniang, haben ein kurze Zeit gemeinsamer Geschichte. Katholisch, protestantisch, buddhistisch, aufgeklärt-nihilistisch begegnet einander ohne allzu große Fremdheit: in diesem weiten Lande sind die Unterscheidungen und Unterschiedenheiten vor der Einsamkeit eines jeden Menschen unbedeutend. Die Toleranz und gegen- eitige Verständigung sind nicht mühsam, sondern selbstverständlich. Die Liebesgeschichte zwischen dem Norweger und der chinesischen Aerztin ist von einer heidnischen Brillanz — die Versuchung des Missionärs durch das chinesische Mädchen ist dunkel, verwirrt. Da aber das Leben zwischen eintöniger Weite und blitzartiger Grausamkeit wechselt, erscheint die „Löisung“ niemals tragisch. „Unter dem weiten Himmel in einem weiten Lande“ leidet, liebt, stirbt man viel einfacher. — „Ich habe wirklich etwas Gutes gewollt, aber es kommt jetzt nicht zustande" — das ist die gelassene Weisheit, die hinter diesem Buche steht, für alle Kontinente gilt und uns über unsere Menschenmöglichkeit belehrt.

Ronan Gobain. Die Sage vom großen Wollen. Roman. Von Fritz H a b e k. Zsolnay-Verlag, Hamburg. 31 Seiten. Preis 69 S.

„Die Sage vom großen Wollen“ führt den Leser in nordische Reiche, unter nordische Menschen, die zwischen Heidentum und Christentum, zwischen heller Geschichte und brauendem Hellwerden zur Geschichte stehen. In verwirrend viel neue Namen wird man eingesponnen und lebt ein ungewöhnliches Menschwerden mit. Ein König, dessen Wille Macht will; und ein Schmied, dessen Wille das ganze Leben will. Dem einen gelingt sein Reich, aber er wird daran selbst leer bis zum eigenen Untergang. Der andere geht über Handwerk, Kunst, Liebe, Rausch des Blutes, Urtrieb der Arbeitsamkeit, gräßliche Nüchternheit und romantische Einfalt, bis er hinter allem sich selbst findet. Da das königliche Wollen nach außen gerichtet ist, bleibt es äußerlich und erfolgreich. Da das künstlerische Wollen zwischen dem Inneren und Aeußerlichen hin und her wogt, ohne je sich außen oder innen zu binden, muß es untergehen oder sich transzendieren: hier übersteigt der Künstler seine Kunst und wird zum Menschen. — Habek nennt seinen Roman „Sage vom großen Wollen“; män ist versucht, ihn „Mythos der Geschichts- werdung’ (wohl in Form einer „Sage“) zu nennen. Was wir von Habek gewohnt sind — die dichterische Sorache, die dramatische Spannung, die lebendigen Charaktere —. finden wir auch hier. Nur ist alles, viel unheimlicher.

Ein Bündel weißer Narzissen. Erzählungen. Von Luise Rinser. S.-Fischer-Verlag, Frankfurt. 264 Seiten. Preis 13.50 DM.

Zwischen 1937 und 1956 sind diese elf Erzählungen entstanden. Sie erzählen von Menschen, denen das Leben schwer auf dem Mute sitzt. Die Farben sind nicht zu dunkel und nicht zu laut, aber es sind wirkliche, wirkende Farben, die hier zu Kunstwerken gemischt wurden. Die erste („Die Lilie“) und die letzte („Ein Bündel, weißer Narzissen“) Erzählung dieses Buches (auch ihrer Niederschrift nach erste und letzte) schließen einen lyrischen Reigen um die anderen dramatischeren, als käme nach einem langen und wehen Weltweg die Dichterin auf die Symbole zurück.

Paulus in Babylon. Von Curt H o h o f f. Verlag Herder, Freiburg. 256 Seiten. Preis 11.50 DM.

Das Buch umfaßt die letzten Lebensjahre des heiligen Paulus. Mit Geschick und Einfühlungsvermögen sind neunzig Dokumente erfunden und: zusammengestellt worden, die in drei Büchern, „Die Erwartung der Heiden",, „Die spanische Reise“ und „Die Märtyrer von Rom", ein anschauliches Bild ergeben. Der herbe Eifer des Apostels, der aus der Christusbegegnung vor Damaskus stammt — das ganz untheologi- sierte Leben der ersten Christen — die Erwartung der baldigen Wiederkunft des Herrn als hauptsächlicher Grund für die Bekehrung der Heiden und Juden — eine Schreckenszeit aller Römer unter Nero — die ewig gleichen Scheußlichkeiten, mit denen die Menschen einander (bis auf unsere Tage) quälen —, ein Buch, das vom unmittelbaren Leben mit Christus kündet und davon einen Geschmack, eine Sehnsucht gibt.

Ein Opfer des Beichtgeheimnisses. Frei nach einer wahren Begebenheit. Von Joseph S p i 11 m a n n SJ. Bereinigte Ausgabe von Eduard von Tunk. Illustrationen von Werner Andermatt. Rex-Verlag, München. 360 Seiten.

In Geschichte, in Romanen und Filmen taucht immer wieder das Beichtsiegel des katholischen Priesters auf: in Filmen aus Sensationslust, in Romanen wegen der Erbauung, im Leben als Tragik eines religiösen Berufes. Spillmanns bekanntester Roman „Ein Opfer des Beichtgeheimnisses“ erschien bereits 1896 und ist in zehn Sprachen übersetzt. Wer aus der „mittelalterlichen" Generation hat dieses Buch nicht gelesen? Daß die Jugend dieses zwischen Kriminalroman und Tatsachenbericht stehende Werk lese und den Sinn von Konsequenz und Treue auf unserer Erde erfahre!

Der Traum von gestern. Von Franz Zöchbauer. Kösel-Verlag, München. 398 Seiten. Preis 6.80 DM.

In diesem Buche ist es' wie in einem Traum: Schöne, dichterische, humorvolle, gescheite, nacherzählte Bruchstücke reihen sich aneinander. Aber es ist doch nur w i e in einem Traum: denn es werden reale Vergangenheiten berichtet. Es ist das Buch über die aufkommende Jugendbewegung. Nirgends wurde einem Leser deutlicher gezeigt, was eigentlich „Bewegungen" waren und sind: Vorläufigkeiten, Versuche, Vorübergänge, Zwischenpausen. Darum ist es auch erträglich, daß dieses Buch ein wenig zu deprimierend ausgeht — denn auch im Traume liegen wehe und böse Schatten, die aus der „bewegten" Zeit herüberwollen. — Vielleicht könnten verständige junge Menschen daraus ebensoviel Vorbild wie Warnung herauslesen.

Der unverletzliche Spiegel. Eine Chronik. Von jAlois Johannes L i p p 1. Don-Bosco-Verlag, München. 87 Seiten. '!

„Chronik", aber doch Roman. Romanstil — meisterlich gekonnte Sprache hebt ihn über viele, viel zu viele hinaus —, aber doch Zeitbericht über den Ausgang des letzten Krieges hinweg in und von Bayern aus. Es werden viele Menschen in dieser Chronik verfolgt, viele verschiedenartige. Alle bewegt die Frage: Wie leben wir weiter? Aber keiner stellt sie theoretisch, sondern er lebt sie. Manchmal erlebt er eine Antwort. Diese ist gut, bös, tragisch, komisch, religiös, materialistisch — so bunt wie das Leben und die Lebenden. Darum ist die Wirkung dieses Buches, daß wir es, verständigt mit der Zeit, verständnisvoll den Menschen gegenüber, aus der Hand legen und besinnlich-real ein Stück weiser sind.

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