6604996-1954_12_11.jpg
Digital In Arbeit

Zwischen Gnade und Verzweiflung

Werbung
Werbung
Werbung

Das Gewand des Jünglings. F.-H.-Kerle-Verlag, Heidelberg. 247 Seiten. Preis 9.50 DM.

„Großmutter und Schwester Marie-Henriette hatten mich zusammen mit einem kleinen Mädchen erzogen. In der Schule gehörte ich zu jenen frommen und gewissenhaften Knaben, die durch ihre Unkenntnis vor dem Bösen bewahrt bleiben" (S. 206), Mit diesen Worten zeichnet Mauriac in dem vorliegenden, stark autobiographisch bestimmten Roman den vom Knaben zum Jüngling reifenden Jacques, der sich in den mancherlei Gefährdungen seiner Jugend nicht von „romantischen Engeln" allein, sondern von einer hohen gütigen Macht behütet weiß. Edle Erziehung verbündet sich mit einer stimmunggeladenen religiösen Welt, so daß er sich dank einem unmittelbaren „Bedürfnis nach innerer Sauberkeit", „religiösen und familiären Hemmungen gegen die Sünde gewappnet" fühlt. Und doch kommt seiner Umwelt eher eine behütende als eine formende und prägende Kraft zu. All die Konvention zu Hause mit den „üblichen nichtssagenden Gesprächen", wo es „nach Muff und Moder" riecht, offenbart eine beängstigende Schwäche gegenüber der andrängenden Kunst und Literatur und Philosophie des Lebens, „die das Fleisch und alle Unbekannten Genüsse verherrlichen, vor denen ein so verführerischer Reiz ausgeht" (S. 85), und gegenüber dem Moschusgeruch, der jäh den „Geruch von Naphthalin und Pfeffer" (S. 88) zum Bewußtsein bringt. Diese Jugend wird stark genug »ein, die Bande des Heimwehs nach ihr nicht reißen zu lassen und für immer die Erkenntnis des reifenden Mannes zu prägen: „Dieses mit sanfter Gewalt auf mir lastende Gesetz mußte ich als vernünftig empfinden. Es war streng, aber nicht unmenschlich. Weit davon entfernt, mir den Genuß zu untersagen, setzte es ihm nur zuchtvolle Grenzen. Dieses Gesetz beraubte mich weder der Liebe noch weiblicher Liebkosungen; es verlieh im Gegenteil dieser Liebe ewige Dauer und den Liebkosungen Fruchtbarkeit. Weit davon, die menschliche Liebe zu verdammen, erhob es sie zur Würde eines Sakramentes" (S. 218 f.). Aber diese Jugend erscheint kaum stark genug, zum höchsten Ziel zu führen, das Jacques vorschwebt: „Jede Befleckung zu meiden und einem gepanzerten Erzengel gleich die Welt zu durchschreiten"r(S. 206 f ).

In dieser menschlich und weithin auch religiös spätherbstlichen Umwelt, die für die . Romane Mauriacs so kennzeichnend ist, sind meisterhaft geschildert die bald überreif dekadenten, bald resigniert Abschied nehmenden Gestalten, die feinen Seelischen Witterungen der jungen Menschen, ihre kleinen, noch scheuen Abenteuer und eile Verschwendungen der Natur, mit denen die Lindschaft um Bordeaux gesegnet ist. Der Roman einer eher verströmenden als überströmenden Jugendzeit.

Galigai. Drei - Brücken - Verlag, Heidelberg. 181 Seiten. Preis 7.80 DM.

Der Roman spielt in der hoffnungslos der geistigen Erstorbenheit überantworteten Welt einer Kleinstadt bei Bordeaux, wo die Gnade wohl die Kirchenmauern, nicht aber die harte Kruste einer jansenistisch geprägten Frömmigkeit durchdringen kann, und wo von der todkranken Julia Dubernet gesagt wird: „Oh, was Gott angeht, ist sie ganz beruhigt. Wenn es Ihn aber nicht gäbe, würde sie das nicht wundern. Kein Mensch kann selbstsicherer sein als solch eine alte Katholikin" (S. 101). Eine Welt der Verzweiflung für den jungen und nach Idealen hungernden Nicolas, der in seiner noch knabenhaften Naivität der Liebesgier einer „altjüngferlich verkrampften Seele" begegnet, die mit einer ungeheuerlichen Willenskraft ausgestattet erscheint, welche sie „mit einem blinden, fast schon tierischen Starrsinn gegen jedes Hindernis anrennen läßt", und in dem der natürliche Ekel schließlich die schützende Mauer bildet für den vage spürbaren Anruf Gottes. Nur einen Spalt öffnet Mauriac dem von ferne heranflutenden Licht,

das als leises Versprechen Nicolas' Seele erreicht, ihn aber die Freiheit und Freude der Gnade kaum erleben läßt.

Die Sünder Mauriacs wissen nichts von Nietzsches Triumph, vielmehr gehen sie gebeugt unter der ermüdenden Last ihrer vielfachen Schuld, sie sind Gefangene hinter den „Gitterstäben eines Kerkers", wie Galigais Verzweiflung der gierhaften Liebe genannt wird. Entkleidet Mauriac die Perversion durch die Sünde aller Romantik, hebt er sie unerbittlich aus der Versenkung ins Unbewußte empor, legt er hinter den vielen christlichen Kulissen das latente Heidentum bloß, so bedrückt doch seine an Fatalismus jansenistisch bedingte Dunkelsicht des Lebens, die vor dem strahlenden Licht der Erlösung allzu scheu zurückweicht. Anderseits läßt dieses Versagen, das keine wirkliche Lösung weiß, dem Leser selbst die Entscheidung offen, wozu er sich bekennt: zu einer verlogenen, stickigen Welt, die ins Leere sinkt, zur krampfhaften und verzweifelten Lebensgier Galigais, oder zur aufbrechenden Reife des jungen Nicolas. Ein Roman von dichter Atmosphäre, der die Dämonie der alltäglichen Sünde aus ihren Heimlichkeiten aufzuscheuchen und zu stellen weiß.

Die Sünde. Amandus-Verlag, Wien. 171 Seiten. Preis 38 S.

„Welcher Künstler würde es wagen, sich die Wege und Umwege der Gnade auszumalen, der geheimnisvollen Hauptperson? Es ist uns auferlegt in unserer Erbärmlichkeit, daß wir nur die Leidenschaften ohne Lüge schildern können" (S. 171). In scheuer Distanz vor dieser „Hauptperson" und doch zu ihren Diensten schildert Mauriac das äußere und mehr noch das innere Drama des jungen Fabien bis zu seinen 22 Jahren, der eine tieffromme Mutter hat, auf deren Religiosität jedoch der kühle Hauch des Jansenismus liegt und deren auf Bewahrung und formale Treue bedachte und etwas lebensfremde Erziehung sein Inneres unbefriedigt läßt. Was Wunder, daß sein kühl und ichbezogen gebliebenes Herz die Unschuld nicht zur Reinheit reifen läßt, daß seine Frömmigkeit, die nicht zur lebendigen und persönlichen Begegnung durchgestoßen ist, nicht die Kraft hat, ihn von der verbotenen Schwelle zurückzuhalten, über die es ihn mit magischer Kraft hinüberzieht. Daß ihn das Bild der lebenslustigen und in ihrer Sinnlichkeit verführerischen jungen Frau, die ihn schon als Buben in ihren Bann gezogen hat, verfolgt, bis er ihr wieder begegnet und er durch sie in den „groben Mechanismus dessen, was die Welt Liebe nennt", gerät. Aber da er als Beute einer nur sinnlichen Liebe fällt und er die geistige Liebe verraten sieht, wächst in ihm mit dem sinnlichen Verlangen der Ekel an der Sünde, spürt er ihren Aussatz und steigert sich seine innere Qual. Der innere Adel seiner Kindheit scheint unzerstörbar, und er bleibt dank diesem Erbe ehrlich gegen den trügerischen Schein. In aller Verlorenheit spürt er, daß Gott zwischen ihm und seiner Geliebten steht, unverdrängbar, bis an Gottes Seite, als sein Werkzeug, ein junges Mädchen tritt, das ihn zur Besinnung ruft, und er schließlich von seinem seelischen und körperlichen Siechtum ausruht bei seiner Mutter, deren Vertrauen auf die größere Gnade unbeirrbar geblieben war, und er den Weg zum wahren Glück erkennt.

Ein Roman, der sehr viel Reife verlangt, nicht allein wegen der unerbittlichen seelischen Analysen, in denen Mauriac so bewundernswert ist, sondern auch wegen der Schilderung des „groben Mechanismus" der Sünde, die sich Liebe nennt, wenn auch die äußerste Grenze, die das Kunstwerk einhalten muß, nicht überschritten wird. Weisen wir noch hin auf die Meisterschaft, Menschen und Landschaft zu einem harmonischen Ganzen zu einen, mit einem einzigen Satz, einem einzigen Wort bisweilen, eine Stimmung, eine Lage, einen Menschen zu kennzeichnen, so haben wir das Wesentliche des Formalen genannt, das dieses weithin gültige Seelendrama wohl jedem eindringlich nahebringt.

Das Ende der Nacht. Drei-Brücken-Verlag, Heidelberg. 282 Seiten. Preis 9-80 DM.

„Wer mit mir zu tun hat, muß verzweifelt sein. Ich begreife nicht, wie man nicht verzweifelt sein kann" (S. 102). So gesteht sich in einem Selbstgespräch die einsame Therese, eine Frau, welche die Lebensmitte überschritten hat. Die sie in den Käfig ihrer Ehe und Familie sperrten, wo sie sich immer nur benutzt und ausgenutzt, nie wirklich geliebt fühlte, waren zuerst an ihr schuldig geworden. Und dann hatte sie sich selber durch ein Verbrechen — ein immer noch uneingestandenes, ungesühntes Verbrechen — der Liebe unwürdig gemacht. Sie war dem Käfig entronnen und den Folgen ihrer Schuld, aber nicht dem „Gefängnis ihrer Tat, dem sie nie würde entrinnen können"; nicht ihrem dämonischen Zerstörungsdrang, denn „schon nach kurzer Zeit hatten die meisten der Menschen, die Therese anfänglich geliebt hatten, die Macht der Zerstörung in ihr entdeckt" (S. 18), die sie bedrohte und verwundete; nicht der Tragödie ihrer Einsamkeit, denn „wenn sie in der Finsternis lag, fühlte sie sich allen Furien ihrer Einbildungskraft, allen Versuchungen des Geistes ohnmächtig ausgeliefert" (S. 17), vor denen sie sich höchstens in die Betäubung flüchten konnte. Und dabei ist sie eine „kluge Verzweifelte" (S. 17), deren Selbsterhaltungstrieb sich zu behaupten weiß. Aus dem tiefsten Grund ihrer Seele aber drängt es sie, ihren „eisigen, bösen Willen" zu überwinden, ihre dämonische Macht zu brechen, drängt es sie zur Wahrheit und zur Sühne, drängt es sie, einen Menschen zu suchen, vor dem sie keine verkörperte Lüge mehr wäre. In dieser inneren Zerrissenheit zwischen der krassen Selbstsucht und dem Drang, selbstlos zu lieben, zwischen dem „unwiderstehlichen Drang, den anderen die Binden von den Augen zu reißen" (S. 102), und dem Bedürfnis, die bloße Feststellung und Analyse endlich zu überwinden, kämpft sich in ihr die Gnade durch, so wie sich ein Rettungsboot durch Sturm und Nebel den Weg zu einem Ertrinkenden bahnt: da sie, entschlossen, ihren Giftmordversuch zu sühnen, von ihrer Tochter eine Tasse annimmt, die sie vergiftet wähnt, wird ihr Weg frei zu IHM. Aber nicht die Gnade, sondern erst das Ende ihres Lebens begrüßt die Todkranke als „das Ende der Nacht" (S. 282).

Es gibt wohl nur wenige Romane, in denen die Analyse und Schilderung der Verzweiflung aus der Sünde und der vielschichtigen Tragik eines seelisch zerrissenen Menschen so meisterhaft und so erschütternd geschrieben worden ist. Ueber den Vorhof zur gnadenhaften Lösung kommt er allerdings nicht hinaus. Aber Mauriac betont noch eine andere Absicht: das große Verbrechen Theresens soll die anderen an ihre eigenen Vergehen erinnern, denn „es gibt ja so viele andere Mittel, lästige Menschen beiseite zu räumen" (S. 163), Vergehen, die täglich begangen werden und doch nicht juristisch nachweisbar sind, denn „die sorgsam verschleierten, aber zutiefst bösartigen Taten im kleinen, in stiller, tiefer Sorglosigkeit vollbracht, entwerfen ein deutlicheres Bild von uns als alle großen Verbrechen" (S. 279). Ein Roman, dessen aufwühlende Problematik man kaum vergißt.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung